05.09.2014 Antikriegstag in Dortmund: "Gegen Krieg - Nie
wieder Faschismus" DGB-Vorsitzende
Jutta Reiter fand zu den derzeitigen Kriegsgefahren deutliche Worte Am 2.9.2014 wurde dieser Bericht aus Dortmund
veröffentlicht: Dortmund: "Gegen Krieg - Nie wieder
Faschismus". Vielerorts gab es am Antikriegstag Gedenkveranstaltungen.
Im Bundestag ließ Merkel über eine bereits
beschlossene Waffenlieferung debattieren. Vom Gedenken in
Dortmund ein Nutzerbeitrag von
asansörpress35, freitag.de/Community Gestern
war Antikriegstag. Oder wie man es andernorts auch nennt:
Weltfriedenstag. Am 1. September vor nunmehr 75 Jahren brachen die
deutschen Nationalsozialisten den 2. Weltkrieg vom Zaun. In vielen
Orten fanden Veranstaltungen statt, um den Opfern dieses
schrecklichsten aller Kriege zu gedenken. So auch in Dortmund. Zum
achten Mal bereits fand eine derartige Gedenkveranstaltung im Innenhof
der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, einer in der Nazizeit
berüchtigten Folterstätte der Gestapo mit
angeschlossenem Hafttrakt. In diesem Jahr stand die Gedenkveranstaltung
unter dem Motto ‚Gegen Krieg – Nie wieder
Faschismus’.“ Die Veranstaltung
fand vor der Hintergrund der bedauerlichen Tatsache statt, dass die
Bundesregierung eine Waffenlieferung an Kriegsparteien beschlossen
hatte. Um der Lieferung ein demokratischen Mäntelchen
umzuhängen, hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel
ausgerechnet am Antikriegstag herabgelassen, das Parlament
über die Waffenlieferung debattieren zu lassen. Ohne jeglichen
Einfluss auf die bereits beschlossene Sache. Jutta Reiter, DGB-Vorsitzende
Region Dortmund – Hellweg: „Dass hundert Jahre nach
dem Beginn des Ersten Weltkrieges deutsche Truppen mit und durch die
NATO wieder an den Grenzen Russlands stehen, hätte ich mir nie
träumen lassen.“ Nach kurzer
Begrüßung durch Martina Plum (Auslandsgesellschaft
Dortmund) erfolgte eine musikalische Einstimmung durch die
Sängerin und Songwriterin Vanessa Voss. In
der Ansprache äußerte die DGB-Vorsitzende der Region
Dortmund Hellweg, Jutta Reiter, die Befürchtung, dass den
fürchterlichen Ereignissen des 2. Weltkrieges zu wenig Lehren
gezogen wurden. De facto sei zwar die Zahl der kriegerischen
Auseinandersetzungen zurückgegangen, entstünde bei
ihr ein „gegenteiliger Eindruck“. Jutta Reiter:
„Die Kriege werden mehr. Und sie kommen näher.
Afrika, Afghanistan, Gaza, Irak, Syrien, Ukraine seien hier als
Beispiel mal genannt.“ Reiter gab zu
bedenken, welche Gründe für die kriegerischen
Auseinandersetzungen auch immer ausschlaggebend seien, sie
würden durch militärische Intervention nicht
gelöst. Immer seien die
militärischen Intervention zu groß und die
humanitären zu klein. Kriege, so die Gewerkschafterin weiter,
wären vielfach Zeichen von Hilflosigkeit: „Weder gut
gemeint. Noch gut gemacht.“ Oft würden die sozialen
Hintergründe von schwelenden Konflikten nicht beachtet oder
bewusst übersehen. Aufgrund von
„interessensgeleiteter Informationspolitik,
Schuldvertuschung, des Untertünchens von Machtinteressen sei
oft hinterher“ niemand mehr in der Lage „und zu
verstehen, „was in den Krisengebieten wirklich vorgeht und
wie komplett sich die Zusammenhänge darstellen. Heute
Freund. Morgen Feind. Heute Terrorist. Morgen
Verbündeter“ gegen die Verbrecher des IS.
„Krieg ist nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen
Mitteln, sondern das Versagen der Politik auf ganzer Linie.“
Niemand von uns, versicherte Jutta Reiter, „sei nicht
erschüttert .über den Völkermord der
IS-Terroristen. Aber die Frage nach dem Warum scheint auch niemanden
genauer zu interessieren. Die DGB-Chefin erinnerte daran, das der
Westen eine Mitschuld an der Situation im Nahen Osten trage.
Bezüglich der deutschen beschlossenen Waffenlieferungen
stellte Jutta Reiter den naiven Glauben mancher infrage, die Waffen
könnten irgendwann „wieder eingesammelt
werden“. Als Beispiel für die
Fragwürdigkeit solcher Waffenlieferungen führte
Reiter den Fall der IS-Terroristen an. Die hatten ja mit
regulären Waffen der irakischen Armee – die die
zurückgelassen hatte – Morde an den Jesiden
verübt. „Jede Waffe, die wir verkaufen ist
potentiell auch auf uns gerichtet und mit dieser Grundannahme im
Bewusstsein der Staaten kämen wir vielleicht einer
Friedenspolitik schon bedeutend näher. Mit Waffen bringt man
Waffen nicht zum schweigen“ Damit würde nur das
„Eskalationslevel“ erhöht. „Hilflose
Lösungsversuche statt UN-Einsätze und eine
vernünftige EU-Sicherheitspolitik.“ Die
DGB-Vorsitzende sagte, wenn die litauische Ministerpräsidentin
sage, Russland befinde sich im Krieg gegen die EU, dann sei das nicht
nur eine verbale Aufrüstung, sondern eine Vorbereitung darauf,
dass die NATO-Strategie gegen Russland sich ändern wird.
Russland werde als Bedrohung für die euro-atlantische
Sicherheit gesehen. Deshalb erhöhe die NATO ihre
Präsenz an der Ostgrenze. „Zurück in die
Zukunft?“, fragte Reiter: „Dass hundert Jahre nach
dem Beginn des Ersten Weltkrieges deutsche Truppen mit und durch die
NATO wieder an den Grenzen Russlands stehen, hätte ich mir nie
träumen lassen.“ Die
Gewerkschafterin fordert die Aufnahmefähigkeit für
Flüchtlinge aus Krisen- und Kriegsgebieten hierzulande
bedeutet zu erhöhen. Diese Menschen müssten ein Recht
auf Würde haben. Aus diesem Grund sei an diesem Antikriegstag
auch Flucht und Asyl ein Thema der Gedenkveranstaltung
„hundert Jahre nach dem 1. Weltkrieg und 75 Jahre nach dem
Beginn des Zweiten Weltkriegs“. Interview mit
Flüchtlingen Des Weiteren stellte Martina
Plum die Flüchtlinge Peyman Azhari (Iran) und Mohamad Alkadah
(Syrien) vor, indem sie ein kleines Interview mit de erzählen
beiden jungen Männern führte. Mohamad
erzählte, dass er im Oktober 2013 nach Deutschland gekommen
sei. Dank der guten Betreuung seitens der Auslandsgesellschaft und
eines ungeheuren Fleißes Mohamad bereits in bemerkenswert
gutem Deutsch. In seinem jungen Leben hat der mutige
junge Mann schon dreimal Bekanntschaft mit syrischen
Gefängnissen machen müssen. Martina Plum fragte, ob
er sich denn all die schrecklichen Nachrichten im Fernsehen anschaue.
Mohamad Alkadah sagte er gucke sich das an: „Aber ich glaube
nicht alles. Nicht alles was sie sagen, kann man glauben.“ Insgesamt
73 Familienmitglieder habe er bereits in Syrien verloren,
erzählte Mohamad. Jetzt sei er in der
Schule, mache seinen Hauptschulabschluss. Werden wolle er
Flugzeugmechaniker. Heimat
123 Dann wandte sich die Moderatorin dem
30-jährigen Peyman zu. Der aus wohlhabender Mittelschicht
stammende Iraner - die Familie:vier Kinder, Vater, Mutter - ist bereits
seit vielen Jahren in Deutschland. Über Nacht war die Familie
im ersten Golfkrieg mit einem kleinen Fiat über die
Türkei nach Deutschland geflohen. Peyman war damals gerade
einmal vier Jahre alt. Auf Nachfrage erklärte Peyman sich hier
in Deutschland gut aufgenommen zu fühlen. Tolle Menschen habe
er kennengelernt, ein Studium sei ihm ermöglicht worden.
Peyman ist Fotokünstler. Mit ihm zusammen hat die
Auslandsgesellschaft das Projekt „Heimat132“
gestartet. Peyman ist in Dortmund mit dem Fahrrad
unterwegs und fotografiert und interviewt Menschen aus 132 Nationen
– so viele Kulturen und Nationalitäten leben in der
Dortmunder Nordstadt. Es geht um deren persönliche Geschichte.
Die einst im Iran einen gewissen Wohlstand gewohnte Familie hatte
zunächst in einem einzigen Zimmer leben müssen. Peymans
Vater, so erzählt dessen Sohn habe den Verlust der Heimat und
der Firma bis heute nie verwunden. Peyman Azhari: „Er ist,
glaube ich, nie angekommen.“ Über
sein Projekt hat Azhari ein Buch geschrieben, das demnächst
herauskommen soll. Nach diesem Interview sang die
sympathische Vanessa Voss das gemeinsam mit Flüchtlingen aus
Kamerun, Marokko und der Elfenbeinküste Xavier Naidoos
„Dieser Weg“ (wird ein schwerer sein) –
wie passend auf die Biografien der Flüchtlinge. Frank Siekmann (SLADO):
„Hundertdreiundzwanzig Jahre lang hat der Paragraph 175
Homosexuellen das Leben zur Hölle gemacht.“ Schließlich
trat noch – last but not least – Frank Siekmann vom
Dachverband Schwuler, Lesbischer und Transidenten Vereine und
Initiativen in Dortmund e. V. (SLADO) ans Rednerpult Siekmann
erklärte, warum der 1. September für die Lesben und
Schwulen ein besonderer Tag ist. Am 1. September 1935 wurde der
Paragraph 175, der Homosexualität unter Strafe stellt,
gnadenlos verschärft. „Gezielt wurde schwule
Männer verfolgt und in Konzentrationslager
gesteckt.“ Nur wenige haben diesen Terror überlebt.
Frank Siekmann erinnerte daran, dass nach dem Ende der Naziherrschaft
und des 2. Weltkrieges dieser Paragraph keineswegs abgeschafft worden
sei, sondern auch in der neuen Bundesrepublik bestehen blieb. Weiter
seien schwuler Männer nach diesem Paragraph verfolgt worden.
Siekmann: „In der neuen Republik wurden
viermal mehr schwule Männer verfolgt als in der Weimarer
Republik. Zwischen 1949 und 1969 kam es in Westdeutschland zu 50.000
rechtskräftigen Verurteilungen nach dem Paragraphen 175. Die
bis heute ihre Gültigkeit haben. Im Namen des Gesetzes wurden
nach 1945 ganze Biografien zerstört.“ Für
die Betroffenen hätten allein schon Verdacht schwul zu sein
oder ein aufgenommenes Ermittlungsverfahren genügt, um sie ins
Unglück zu stürzen. „Das kann man mit
Worten nicht wieder gutmachen.“ Bis 1994 habe es (in der BRD)
gedauert bis der Paragraph 175 insgesamt aufgehoben worden sei.
„Hundertdreiundzwanzig Jahre lang hat der Paragraph 175 Homosexuellen
das Leben zur Hölle gemacht.“ Man solle sich einmal
vergegenwärtigen, dass mit dieser Aufhebung die Angst der
Homosexuellen längst nicht vorbei gewesen sei, „dass
die Diskriminierung fortdauerte.“ „Der
Bundestag hat sein Bedauern ausgesprochen, dass Homosexuelle nach 1945
verfolgt wurden. Sein Bedauern. Aber nicht mehr. Die Verurteilungen
sind weiter rechtskräftig. Es gibt keine
Entschädigung für die Opfer. Keine
Wiedergutmachung“, so Frank Siekmann. „Vorurteile
und Homophobie sind weiterhin vorhanden.“ Die richtige
Konsequenz aus der Geschichte des Paragraphen 175 müsse
lauten: „Endlich die volle Gleichstellung.
Aufklärung an Schulen und Jugendfreizeitstätten.
Homo- und Transphobie müssen gesellschaftlich
geächtet sein.“ Frank Siekmann
berichtete an eine gemeinsam mit anderen Organisationen an eine Samstag
vor einer Woche während des Christopher-Street-Day innerhalb
eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses
durchgeführte Demonstration in Dortmund für ein
Verbot der Partei „Die Rechte“. Siekmann:
„Ich habe mich gefragt, warum uns die Presse zum Teil
ignoriert hat, oder als 'Gegendemo' bezeichnet hat. Die Gegendemo war
die Partei „Die Rechte“, die die
Wiedereinführung des Paragraphen 175 forderte.“ Nach
der Demo, berichtete Siekmann, habe er eine Mail von einem schwulen
Mann bekommen. Der habe ihm geschrieben, die Demo habe ihm Mut gemacht.
Es wäre eine andere Stadt gewesen. Anschließend
wurde ein Kranz zum Gedenken an die in der Nazizeit verfolgten und
hingerichteten Schwulen, Lesben und Transidenten nieder- und eine
Schweigeminute und eine Schweigeminute für
sie eingelegt. Das Gedenken galt aber auch
ausdrücklich den derzeit verfolgten und getöteten
Lesben und Schwulen weltweit. Noch einmal griff
Vanessa Voss in die Saiten ihrer Gitarre und sang ein
selbstgeschriebenes Lied: „Lay Your Weapons down“. Dirk Loose vom Jugendring und
ein Wort von Kierkegaard Abschließend
sprach Dirk Loose vom Jugendring Dortmund. Loose mahnte mit den Worten
des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard:
„Das Leben wird vorwärts gelebt und
rückwärts verstanden.“ Dirk Loose beklagte
die vielen Flüchtlinge weltweit. Er kritisierte, dass das
Gewehr G36 weltweit zu finden sei. Statt militärischer
Rüstung bräuchte es „ein Heer von zivilen
Akteuren, die Technologien dorthin brächten, wo sie notwendig
sei und Hilfe zur Selbsthilfe. Die
Gedenkveranstaltung klang mit einem weiteren Gesangsbeitrag von Vanessa
Voss aus. Kommentare (1) alphabetta
02.09.2014 | 21:13 Ich war auf einer entsprechenden
Veranstaltung in Bochum. Sie war gut besucht, obgleich dennoch ....
mager, wenn man dazu in Bezug setzt, was derzeit geschieht. Am
klarsten sind die alten Leute, 70-80 Jahre und älter. Sie
haben eine sehr stark emotionalisierte Kriegsangst, die oft nach dem
Motto geäußert wird: "Ich bin ja nun schon alt. Aber
ich habe Angst um meine Enkel und die anderen jungen Leute. Die sollen
nicht erleben, was wir als Kinder durchmachen mussten." Die
unter 30jährigen leben einfach in der Gewissheit, das Leben
werde schon gut zu ihnen sein, denn das sei es bisher immer gewesen... Wenn
ich die Reaktionen heute mit denen in den 80ern (Zeit der Pershing
II-Aufstellung als Eskalationsstufe im Rüstungswettbewerb),
bin ich schon erschüttert. Als Älteste in einer
Enkelgeneration war ich immer der Auffassung, emotional sei mir die
Zeit noch nahe (weil ich die Traumata der Kriegsgeneration noch hautnah
gespürt habe.) Auf einmal ist das bei einer Mehrheit weg. Und
damit fehlt uns ein wichtiger Schutz. Aus. der Freitag Siehe auch: „Waffen bringen Waffen nicht zum Schweigen“: Dortmunder Antikriegstag im Zeichen von Krieg, Flucht und Asyl http://nordstadtblogger.de/15793 |