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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

27.06.2014

Bei Regen zwischen den Tropfen laufen

Bericht über die Gedenkstättenfahrt Dachau der DGB-Jugend Südwestfalen

Das Eingangstor am einstigen Jourhaus eröffnet Blick und Weg auf das Gelände des Konzentrationslagers Dachau. Jahr für Jahr machen sich inzwischen Besucherinnen und Besucher aus aller Welt in wachsender Zahl auf diesen Weg in die KZ-Gedenkstätte, nutzen die Dokumentations-, Informations- und Gedenkmöglichkeiten des historischen Ortes. Mit diesem Ort der Erinnerung an das Mordsystem befassten sich junge Menschen der DGB-Jugend Südwestfalen in der vergangenen Woche ausgiebig. 

Die Gruppe an einer Infotafel„Wir haben sehr schnell gelernt bei Regen zwischen den Tropfen zu laufen.“(Abba Naor, Zeitzeuge)

DGB-Jugendbildungsreferent, Christian Begass, hierzu: „Uns als DGB-Jugend ist daran gelegen, auch heute noch, nach den vielen Jahrzehnten, die seither vergangen sind, unseren Mitmenschen deutlich zu machen, wie wichtig es ist, sich rechtzeitig der Unmenschlichkeit entgegenzustellen. Damit das „Nie wieder“, das vielsprachig auch am Denkmal auf dem einstigen Appellplatz des Lagers steht, nicht zur Floskel verkommt.“

Die Gewerkschaftsjugend sieht sich als Teil einer Organisation, deren Kolleginnen und Kollegen in Dachau inhaftiert, schikaniert und ermordet wurden, dem Apell „Nie wieder“ seien sie daher besonders verpflichtet. Gerade heute, da noch immer und leider zunehmend Neofaschisten und Rassismus das friedliche Zusammenleben der Menschen – auch in unseren Städten in NRW – bedrohen.

Am Anfang stand eine Einführung in die Geschichte der Gedenkstätte und ein Rundgang sowie Besuch der Ausstellung auf dem ehemaligen Lagergelände. Ein junger Kollege der IGM erinnert sich: „Direkt vor Ort original-erhaltene Gebäude, aber vor allem die Dimensionen zu sehen, lässt einen schaudern. Ob die ausgiebige und vielfältige Ausstellung im Wirtschaftshaus, der Zellentrakt oder die Baracken. Dies alles nimmt mich sehr mit.“ In der Ausstellung bewegte die Gruppe eine Darstellung medizinischer Versuche. Ein angehender Lehrer hierzu: „Eine Fotoreihe zeigt einen Druckversuch  an einem Gefangenen. Was zunächst nicht sichtbar wird, ist der Tod des Patienten. Wir sahen also den Gefangenen im Todeskampf und letztendlich tot. Diesen Anblick werde ich niemals vergessen.''

Neben politischen Häftlingen, waren in Dachau auch weitere Häftlingsgruppen den unmenschlichen Quälereien ausgesetzt. So z.B. sogenannte „Juden“, Sinti und Roma, Homosexuelle, „Asoziale“ und Kriminelle. Als Gewerkschaftsjugend beschäftigten wir uns intensiver mit den politisch Verfolgten. Neben Seminareinheiten zu diesem Thema fand darüber hinaus ein Besuch im Archiv statt. Eine GEW-Kollegin erzählt: „Mein Ur-Opa war auch im KZ und meine Oma sagte mir in Bayern. Im Archiv hoffe ich auf weitere Erkenntnisse.“ Nachdem der Archivar recherchiert hatte bestand Gewissheit: Dachau war es nicht. Die Suche geht somit weiter.

Am DenkmalAm Mittwoch folgte dann der wohl tiefgreifendste Moment der Gedenkstättenfahrt. Eine ehrenamtliche Kollegin der GEW berichtet: „Der Rundgang in der Gedenkstätte hat mich bereits sehr mitgenommen, aber der Bericht des Zeitzeugen Abba Naor hat mich in besonderer Weise bewegt.“ Abba Naor geriet mit 13 Jahren in Litauen in die Fänge der Faschisten. Nach der grausamen Zeit im Ghetto folgten unmenschliche Stationen in mehreren Konzentrationslagern , während mehrere Familienmitglieder von der Gestapo erschossen und sein jüngerer Bruder sowie die Mutter in Auschwitz vergast wurden. Die letzten Kriegswochen musste er, bei geringsten Essensrationen und unvorstellbar schlechten hygienischen Verhältnissen, härteste Zwangsarbeit in Kaufering leisten. Das er überlebt habe sei nur Zufall gewesen und außerdem sagte er: „Wir haben sehr schnell gelernt bei Regen zwischen den Tropfen zu laufen.“ Nicht aufzufallen sei sehr wichtig gewesen. Eine schiefe Mütze, zu dreckige oder zu saubere Schuhe konnten den Tod bedeuten. Nach neun Tagen Todesmarsch zuerst nach Dachau, dann ins Oberland, befreiten amerikanische Soldaten ihn und die verbliebenen Mithäftlinge. Im Versorgungslager der Amerikaner traf er nach dem Krieg seinen Vater wieder.

Abba Naor betonte im Gespräch, dass er zwar physisch, aber nicht psychisch vom Lager befreit worden sei: „Das Lager ist bis heute in mir“. Das ist für ihn auch der Grund, warum er immer wieder davon erzählen will – am liebsten jungen Menschen, denn sie seien die neuen Zeitzeugen. In diesem Bewusstsein warnt er davor heutigen Nazi-Anhängern ins Netz zu gehen.

Umso fassungsloser zeigten sich die jungen Leute über die Tatsache, dass auf dem ehemaligen SS-Gelände heute wieder patrouilliert und geschossen wird. Ein junger Gewerkschafter empört: „In den ehemaligen Villen der SS-Mörder sitzt heute umzäunt und abgeschottet die Bereitschaftspolizei. Obwohl eine Aufarbeitung vor Ort für die Geschichte so wichtig wäre, erhalten Besucher keinen Zugang. Teilweise verrotten original-erhaltene Räume.“ Dass die Aufarbeitung mit der Geschichte jahrelang schwierig und skandalös war, zeigt auch die Tatsache, dass unmittelbar an den Mauern der KZ-Gedenkstätte Familienhäuser gebaut wurden, als ob wenige Schritte neben ihren Häusern nichts gewesen wäre. Der Respekt vor den Opfern hat jahrelang im Schatten des Vergessens und Verdrängens gestanden. Der Kollege sagte weiterführend: "Durch Aufklärung müssen wir den Jugendlichen das ganze Ausmaß des Nazi-Terrors verdeutlichen, damit eine Gedenkstätte den entsprechenden Respekt erhält und ihre Aufgabe – nämlich dem Gedenken und Mahnen – gerecht werden kann.“

Im weiteren Verlauf der Gedenkstättenfahrt setzten wir uns mit der Geschichte der Stadt München im Nationalsozialismus auseinander. Im Münchner Stadtmuseum besuchten wir die Ausstellung „München im Nationalsozialismus“. Anhand diverser originaler Devotionalien wird das perfide System der Faschisten dargestellt.

Die jungen Menschen sind sich nach dieser Woche noch bewusster darüber, wie wichtig das „Nie wieder“ ist.

DGB-Jugend Südwestfalen

Christian Matthias Begass
Jugendbildungsreferent

Das Zeitzeugengespräch