28.05.2014 Selbst aktiv werden - Aufruf zum 31.5. und dann laufend weiter Peter Strutynski und der Friedensratschlag rufen zu Aktionen auf "Nicht
länger wie das Kaninchen auf die Schlange starren," meint
Friedensratschklagssprecher Peter Strutynski in einem Text über
die Friedensbewegung und die neuen Montagsdemonstrationen. Am 31.5.
sollen überall Friedensaktionen stattfinden und auch danach. Selbst aktiv werden Nicht
länger wie das Kaninchen auf die Schlange starren: Die
Friedensbewegung sollte sich weniger um die »Montagsdemos«
kümmern und mehr eigene Aktivitäten entwickeln Seit
einigen Wochen machen sogenannte Montagsdemos von sich reden. Dabei
handelt es sich nicht etwa um eine Fortsetzung der historischen
Manifestationen sozialen Protestes gegen die Agenda 2010, sondern um
den Versuch, eine politische Antwort auf die Ukraine-Krise auf die
Straße zu bringen. Eine – von der NPD ins Leben gerufene
– »Friedensbewegung 2014« hat sich zum Ziel gesetzt,
einerseits mit eigenen Aktionen das Thema öffentlichkeitswirksam
zu besetzen, andererseits bestehende friedenspolitische
Aktivitäten zu beeinflussen. Der stellvertretende
NPD-Bundesvorsitzende Karl Richter schreibt am 8. Mai voller
Genugtuung, daß die »Systempresse« zur Kenntnis
genommen habe, daß die NPD »Friedenspartei« sei. Und
wenige Tage später jubelt er über den Auftritt von Ken
Jebsen, einem der ideologischen Köpfe der Berliner Montagsdemos,
der endgültig damit aufgeräumt habe, die Montagsdemos seien
»links«. Weder links, noch rechts Sind sie auch
nicht – und wollen es partout auch nicht sein. Vielmehr wollen
sie den Eindruck erwecken, weder links noch rechts zu sein, sondern
politisch sich irgendwo in der Mitte aufzuhalten. Wir kennen solche
Versuche, sich dem »traditionellen« Links-rechts-Schema
entziehen zu wollen, bislang nur von konservativ-technokratischer
Seite. Ihren Ursprung haben sie im antimarxistischen Diskurs, der
wesentliche Theoriebestandteile des Marxismus nur noch als museale
Relikte des 19. Jahrhunderts gelten lassen möchte, die für
die Erklärung der modernen Welt nicht mehr taugen. Und etwas
weiter gefaßt verbirgt sich dahinter eine Haltung, die von
Parteien (insbesondere natürlich den »linken«, aber
auch den herrschenden Parteien) nichts mehr wissen will. Man erinnere
sich an die nationalkonservativen und völkischen Bewegungen der
Weimarer Republik, die sich ebenfalls in Gegnerschaft zu den
»Systemparteien« formierten, um schließlich in der
nationalsozialistischen »Antipartei«, der NSDAP, aufzugehen. Ein
weiteres Merkmal der Montagsdemos ist ihre Fähigkeit, vorwiegend
über die sogenannten sozialen Medien zu mobilisieren.
Selbstverständlich ist das auch kein Ausdruck von
»Modernität«. Die Anwendung neuer Informations- und
Kommunikationstechnologien – die im übrigen vor allem zur
Akzeleration der Kapitalverwertung geschaffen wurden – war auch
noch nie ein exklusives Terrain fortschrittlicher Bewegungen.
Letztendlich bleiben als wichtigstes Kriterium zur Beurteilung einer
»Bewegung« ihre politischen Inhalte. Und da sollte man
schon genauer hinsehen, bevor man irgend jemandem auf den Leim geht.
Die Montagsdemos intonieren das Ukraine-Thema zunächst auf eine
ähnliche Weise wie die Friedensbewegung. Da werden insbesondere
die NATO und die EU für die Zuspitzung der Krise verantwortlich
gemacht und wird darauf hingewiesen, daß Rußland ein
berechtigtes Sicherheitsinteresse gegen das Vorrücken der NATO an
seine Grenzen hat. Die Angliederung der Krim und die besonderen
Beziehungen Rußlands zum Osten der Ukraine werden mit dem
Selbstbestimmungsrecht der Menschen verteidigt. Dieses
Selbstbestimmungsrecht wird dabei ethnisch – man könnte auch
sagen: völkisch – und historisch interpretiert. Und hier
können Alt- und Neonazis natürlich ansetzen und die
europäischen Nachkriegsgrenzen in Frage stellen. Hinzu kommt
der traditionelle Antiamerikanismus der (neo-)faschistischen
Bewegungen, der sich in Deutschland aus der noch älteren
rechtskonservativen Kritik an der (französischen)
Aufklärungsphilosophie und der (westlichen) Zivilisation speist.
Es ist die NATO, mittels derer die USA ihre dominierende
militärisch-politische Präsenz in Europa sichern; also ist
die NATO ein Hauptfeind der Ultrarechten. Es ist bemerkenswert,
daß die rechte Kritik an der Europäischen Union sich fast
ausschließlich an der Bürokratie- und Währungsfrage
festmacht, während die militärische Integration der
EU-Staaten nicht thematisiert wird. Gäbe es tatsächlich eine
funktionierende und schlagkräftige EU-Militärallianz (was der
Lissabon-Vertrag ja durchaus vorsieht), die unabhängig von der
NATO und möglichst noch in Widerspruch zu den USA handeln
würde, müßte das die Rechten mit der EU wieder
versöhnen. Eine völlig untergeordnete Rolle bei den
Montagsdemos spielt das Völkerrecht. Fragen wie die Grenzziehung
nach dem Zweiten Weltkrieg, die territoriale Integrität von
Staaten, das strikte Gewalt- und Interventionsverbot oder die
Ächtung des Krieges schlechthin sind dem rechten politischen Rand
entweder unbekannt oder jedenfalls nicht der Rede wert. Denn damit
würde man sich selbst jede Option auf den Einsatz von Gewalt (nach
außen und nach innen) streitig machen – für Rechte ein
Ding der Unmöglichkeit! Niemandem in der Friedensbewegung
wäre es bisher in den Sinn gekommen, an Veranstaltungen der
Rechten teilzunehmen (außer zu Störzwecken) oder auch nur
Verständnis für deren Aktionen aufzubringen. In der letzten
Zeit werden hier offenbar Tabus gebrochen, der »offene«
Charakter der Montagsdemos oder die »Offenheit« und
»Naivität« vieler ihrer Teilnehmer werden als Chance
gesehen, mit diesem »neuen« Milieu ins Gespräch zu
kommen. Ich möchte mich diesen Stimmen ausdrücklich nicht
anschließen. Und zwar – neben den genannten
politischen-inhaltlichen Erwägungen – aus folgenden
Gründen: Wer die Genese der Montagsdemos verfolgt, kann
unschwer erkennen, daß hier wohl organisierte und strategisch
denkende Kräfte (um Ken Jebsen und Jürgen Elsässer) die
gegenwärtige Schwäche der Friedensbewegung ausgenutzt haben
und in ein Aktionsvakuum gestoßen sind. Zwar konnten sich die
diesjährigen Ostermärsche durchaus sehen lassen, sie
genügten aber noch nicht dem vielfach vorhandenen Wunsch nach
zeitnaher Reaktion auf aktuelle politische Herausforderungen und
offenkundige Bedrohungen. Zur Ukraine gab es von seiten der
Friedensbewegung zahlreiche gute Erklärungen und
Pressemitteilungen, aber keine nennenswerten sichtbaren Aktionen auf
der Straße. Der Versuch, den 8. Mai, den Tag der Befreiung von
Faschismus und Krieg, bundesweit zu Mahnwachen und Kundgebungen zur
Ukraine-Krise zu nutzen, war zwar ein erster Schritt, entsprach aber
noch lange nicht den Erwartungen der Menschen, die wegen der
Ukraine-Krise Angst um den Frieden in Europa haben. Für manche
mögen die – wie aus dem Nichts gekommenen –
Montagsdemos da ein Angebot gewesen sein. Wäre dieses
Angebot ernst gemeint gewesen, hätten die Urheber jederzeit die
Möglichkeit gehabt, bei der Friedensbewegung anzuklopfen und
Zusammenarbeit anzubieten. Dies ist bekanntlich nirgendwo geschehen.
Statt dessen wurden Demos angekündigt und zeitgleich die oben
erwähnte, von der NPD unterstützte »Friedensbewegung
2014« aus der Taufe gehoben – in bewußter Abgrenzung
von der traditionellen Friedensbewegung. Was also wäre zu tun? Der
Bundesausschuß Friedensratschlag hat zu dezentralen Aktionen
für den 31. Mai aufgerufen. Ein entsprechender Appell unter dem
Motto »Die Waffen nieder in der Ukraine! Stoppt die NATO!«
enthält alle wesentlichen Forderungen an die Adresse der Politik.
Die Konfliktparteien in der Ukraine sollen als ersten Schritt einen
Waffenstillstand vereinbaren, die Bundesregierung müsse alles
vermeiden, was die Spannungen in der Region weiter verschärfen
könnte, insbesondere müßten die Wirtschaftssanktionen
zurückgenommen und das EU-Assoziierungsabkommen ausgesetzt werden.
Keine Toleranz dürfe es aber gegenüber den faschistischen
Kräften im Land geben. Die NATO-Osterweiterung müsse gestoppt
und die Ukraine sollte bündnisfrei bleiben dürfen.
Schließlich könnte eine europäische
Sicherheitskonferenz verlorengegangenes Vertrauen wiederherstellen.
Wenn der Aufruf mit dem Slogan »Gemeinsame Sicherheit statt
Konfrontation« abschließt, soll an das »gemeinsame
Haus Europa« erinnert werden, das immer mit und nicht gegen
Rußland konzipiert war. Der Aufruf zu Aktionen am 31. Mai
ist ein Angebot, das nach vorne weist und die letztlich unfruchtbare
Diskussion um die Montagsdemos beenden könnte. Mir kommt es so
vor, als würden manche Friedensaktivisten oder Linke wie das
Kaninchen auf die Schlange Montagsdemo starren, anstatt sich auf ihren
eigenen Bewegungscharakter zu besinnen. Jedes Stück eigene
Aktivität der authentischen Friedensbewegung ist mehr wert als im
Trüben zu fischen. Peter Strutynski ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag
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