11.04.2014 (aktualisiert 29.04.2014) Vor
15 Jahren: Gegen die neue Auschwitzlüge Am
Beginn des Krieges
gegen Jugoslawien schwiegen Holocaustüberlebende nicht –
Prof. Herbert: Der Vergleich mit Auschwitz war
„perfide“ Vor
15 Jahren veröffentlichten Peter Gingold und Kurt Goldstein
zusammen mit anderen Holocaustüberlebenden den folgenden Text, der
mittels einer Geldsammlung in der Frankfurter Rundschau als ganzseitige
Anzeige dokumentiert wurde. Der Text wird von uns zur Erinnerung an den
ersten Krieg Deutschlands seit 1945 und zur Warnung neu
veröffentlicht. Die Initiative "Gegen die neue Art der
Auschwitzlüge" schwamm 1999 gegen den kriegstreiberischen Strom,
der mit angeblich antifaschistischen Argumenten operierte. Sie wurde
besonders beachtet, weil Holocaustüberlebende sich zu Wort
meldeten. Nunmehr hat Prof. Ulrich Herbert ihnen Recht gegeben.
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung zu seinem Buch
"Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert", C.H.Beck 2014, 1500
Seiten, wird ausgeführt: "Frage: Als der Erste Weltkrieg begann, gab sich die SPD bellizistisch-patriotisch. 1999 machte eine SPD-geführte Regierung den Kosovokrieg mit. Muss die SPD einen Krieg führen, um seriös zu wirken? Ulrich Herbert: Im Bezug auf den Kosovokrieg ist das schwierig zu beantworten. Die Entscheidung für die Beteiligung der Deutschen am Krieg gegen Serbien fand ja 1998 ausgerechnet in den Tagen zwischen dem Wahlsieg von Rot-Grün und dem Regierungsantritt statt. Beim Ersten Golfkrieg 1990/91 hatte die Bundesrepublik nicht mitgemacht, und war dafür im Westen heftig kritisiert, geradezu verachtet worden. So sah sich die neue Regierung aus den USA massiv unter Druck gesetzt, sich diesmal auch militärisch zu engagieren. Der grüne Außenminister versuchte nun, die Umgehung des Völkerrechts durch den Bezug auf Auschwitz als eine Art Notstandsrecht zu rechtfertigen. Dieser Holocaust-Vergleich war ziemlich perfide." Offener Brief an die Minister Fischer und Scharping Gegen eine neue Art der Auschwitz-Lüge Holocaust-Überlebende verurteilen Äußerungen der Bundesregierung zu Parallelen Auschwitz / Kosovo Die
Auschwitz-Überlebenden Esther Bejerano, Kurt Goldstein und der
VVN-BdA-Bundessprecher Peter Gingold, der auch Mitglied des
Auschwitz-Komitees ist, haben sich gemeinsam mit weiteren
jüdischen Überlebenden des Holocaust gegen Stimmen gewandt,
zugunsten des Auftrages „Nie wieder Auschwitz“ dürfe
auf das Postulat „Nie wieder Krieg“ verzichtet werden. Die
Unterzeichner, die zahlreiche Familienmitglieder in Auschwitz verloren,
wiesen diesbezügliche Äußerungen von
Außenminister Joseph Fischer und Verteidigungsminister Rudolf
Scharping zurück. Sie schrieben folgenden Brief an die Minister: Sehr geehrter Herr Außenminister! Sehr geehrter Herr Verteidigungsminister! Der
Verteidigungsminister hatte bereits vor der völkerrechtswidrigen
Aggression der NATO gegen Jugoslawien, an der die Bundeswehr in
verfassungswidriger Weise teilnimmt, bei einem Bundeswehrbesuch in
Auschwitz gesagt: Um ein neues Auschwitz zu verhindern, „ist die
Bundeswehr in Bosnien“, und daß sie darum „wohl auch
in das Kosovo gehen“ wird. In Erklärungsnot geraten, berief
sich auch der Außenminister auf die neue Art der
Auschwitzlüge, um den verhängnisvollen Verstoß gegen
die gerade auf Grund der Lehren von faschistischem Krieg und Holocaust
geschaffene UN-Charta zu begründen. Wir Überlebenden
von Auschwitz und anderen Massenvernichtungslagern verurteilen den
Mißbrauch, den Sie und andere Politiker mit den Toten von
Auschwitz, mit dem von Hitlerfaschisten im Namen der deutschen
Herrenmenschen vorbereiteten und begangenen Völkermord an Juden,
Sinti und Roma und Slawen betreiben. Was Sie tun, ist eine aus
Argumentationsnot für Ihre verhängnisvolle Politik geborene
Verharmlosung des in der bisherigen Menschheitsgeschichte einmaligen
Verbrechens. Diese Ihre Vorgehensweise soll offenbar einen
schwerwiegenden und nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Charta
der Vereinten Nationen rechtfertigen. Die gegen Deutschland und Japan
siegreichen Völker haben sich diese Charta 1945 gegeben, um
„künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu
bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über
die Menschheit gebracht hat“ – das bekanntlich von
deutschem Boden ausging. Sie beschlossen, die „Kräfte zu
vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu
wahren“. Weltfrieden und internationale Sicherheit werden
jetzt gefährdet, indem gegen ein Gründungsmitglied der UNO
Krieg geführt wird, Krieg von deutschem Boden aus, Krieg gegen ein
Land, das größte Opfer im Kampf gegen Hitler erbrachte und
Unschätzbares zur Befreiung Europas vom Faschismus leistete. Sich
als Begründung für einen solchen Krieg auf Auschwitz zu
berufen, ist infam. Das Vorgehen der jugoslawischen Führung
gegen albanische Minderheiten verstößt gegen die
Menschenrechte. Wir verurteilen es. Wir verurteilen es, wie wir das
Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Kurden verurteilen und
das Vorgehen der israelischen Führung gegen Palästinenser
verurteilt haben. Stets haben wir gefordert – und wir tun es auch
jetzt -, daß dagegen mit allen Mitteln vorgegangen wird, die der
UNO zu Gebote stehen. Wer die antifaschistische, den Menschenrechten
verpflichtete Rolle der UNO nicht nutzt, sondern die UNO ausschaltet
und schwächt, der hat jedes Recht verloren, sich auf
antifaschistische Postulate wie „Nie wieder Auschwitz“ zu
beziehen, zumal er damit zugleich das Recht zum Krieg
begründet.Die Folgen eines solchen Handelns werden ein
Wiedererwachen der Kräfte sein, die 1945 entscheidend geschlagen
zu sein schienen. Sehr geehrte Herren Minister! Wir fragen Sie angesichts Ihrer Verlautbarungen und politischen Praxis: Soll
vergessen sein, daß in diesem Jahrhundert zweimal über
Serbien von deutschem Boden aus Vernichtung und Verwüstung
hinweggingen? Soll vergessen sein das Massaker an einer Million Serben,
begangen von deutschen Nazis im Zweiten Weltkrieg und ihren in- und
ausländischen willigen Vollstreckern? Nach den Juden hatten die
Slawen in Serbien – gemessen an ihrer Gesamtbevölkerung
– die meisten Opfer zu beklagen. Soll vergessen sein,
daß die Zerschlagung Serbiens von 1914 bis 1918 jenem
Heeresgruppenbefehlshaber und Totenkopfhusaren August von Mackensen
übertragen war, der 1915 und dann immer wieder das
„rücksichtslose Vorgehen“ gegen die serbische
Bevölkerung befahl und der dann Hitler bis zuletzt als
Propagandist half – bis zum Aufruf zum Opfertod der Jugendlichen
als Volkssturm –, und nach dem die Bundeswehr noch immer eine
Kaserne in Hildesheim benennt? Soll vergessen sein, daß
nicht nur kaiserliches Heer, Reichswehr und Wehrmacht erprobte
Serbenschlächter in ihren Reihen hatten, sondern auch die
Bundeswehr? Wir verweisen auf Wehrmachtsoberst Karl-Wilhelm Thilo, der
in der Bundeswehr höchster General und Kommandeur der 1.
Gebirgsdivision – jener Division, die nun wieder auf dem Balkan
die deutsche Fahne vertritt – sowie stellvertretender
Heeresinspekteur wurde. Er unterzeichnete Massenmordbefehle gegen
Jugoslawen, und er schrieb an Büchern, die in der Bundeswehr
kursierten, um den Völkermord zu preisen, so H. Lanz (Hg.)
„Gebirgsjäger – Die 1. Gebirgsjäger-Division
1935/1945“. Soll vergessen sein, daß der Krieg der
Bundeswehr gegen Serbien eindeutig gegen das Völkerrecht
verstößt, nicht nur gegen die UN-Charta, sondern auch gegen
den NATO-Vertrag, die Schlußakte von Helsinki, gegen das
Grundgesetz und den Zwei-plus-vier-Vertrag? Deutschland hat sich immer
wieder zur Einhaltung der UN-Charta verpflichtet und sie nun mit dem
Angriff auf Jugoslawien mit Füßen getreten. Die Bundeswehr
verstieß gegen die Befehle aus dem politischen Raum.
„Darüber hinaus hat die Bundesregierung das Verbot der
Führung eines Angriffskriegs bekräftigt“ (Aus dem
Zwei-plus-vier-Vertrag vom 12. September 1990. Zitiert nach
„Weißbuch 1994“ der Bundeswehr). Soll vergessen
sein, daß Jugoslawien mit dem Krieg zur Unterzeichnung eines
Vertrages gezwungen werden soll, der nur mit dem Münchner Diktat
von 1938 verglichen werden kann, mit dem die CSR zerstört wurde,
wie heute Jugoslawien zerstört werden soll? -Ein Vertrag ist
nichtig, wenn sein Abschluß durch Androhung oder Anwendung von
Gewalt unter Verletzung der in der Charta der Vereinten Nationen
niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts herbeigeführt
wurde.“ So heißt es im Wiener Übereinkommen über
das Recht der Verträge, Artikel 52. Wir fordern
entschieden: Schluß mit dem Krieg gegen Jugoslawien, und als
Sofortmaßnahme: Einstellung der Bombardements. Verhandeln statt
schießen. Wir fordern die Wiederherstellung der UN-Charta und
Stärkung der UNO. Dies als Beitrag zur Verwirklichung und
Verteidigung der antifaschistischen Errungenschaften der Völker.
Hochachtungsvoll Esther Bejarano, Hamburg Peter Gingold, Frankfurt am Main Kurt Goldstein, Berlin Walter Bloch, Düsseldorf Henny Dreifuß, Düsseldorf Günter Hänsel, Neuss Werner Stertzenbach, Düsseldorf Rudi Lippmann, Berlin Erhard Deutsch, Berlin Vera Mitteldorf, Berlin Werner Krich, Berlin Irmgard Konrad, Berlin Maricha und Adi König, Berlin
Erstveröffentlichung
Ende März 1999, als ganzseitige Anzeige ist dieser Text am
23.04.1999 in der Frankfurter Rundschau erschienen. |