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Landesvereinigung NRW

 

07.03.2014

Schicksale Dortmunder Juden recherchiert

"Wenn Ihr nicht vergesst, werde ich schweigen können", sagte der Historiker, Auschwitz- und Zwangsarbeitsüberlebende Marian Turski bei der Eröffnung der Zwangsarbeitsausstellung im März 2012 in Dortmund. Die Historikerin und VVN-BdA-Landessprecherin Iris Bernert-Leushacke erinnerte daran, als sie jetzt ihre Recherche zu jüdischen Schicksalen in Dortmund vorlegte. Sie sprach anläßlich des Auschwitz-Gedenktages 27.1. am 25. 1. in der Dortmunder Innenstadt:

Ostenhellweg 41

Dieses Haus gehörte bis 1941 der Familie Friede. Das Haus war ein Wohn- und Geschäftshaus, dass Walter Friede mit seiner Familie nutzte. Auch Friedes Schwester Meta Nußbaum lebte hier mit ihrer Familie. Walter Friede betrieb hier sein Geschäft (Betten Voepel K.G. unter der Adresse Ostenhellweg 39-41 laut amtlichen Adressbuch von 1941); der Ostenhellweg war auch damals schon eine große Geschäftsstraße, in der sogar Straßenbahnen und Autos fuhren!

Das Ehepaar Friede hatte zwei Kinder, Ernst und Cläre. Der 1923 geborene Ernst hat 1938 Dortmund verlassen, um sich auf einem Auswanderer-Lehrgut auf seine Ausreise nach Palästina vorzubereiten. Seine Spur verliert sich, möglicherweise konnte er auswandern.

Die drei anderen Familienmitglieder, Tochter Cläre, Mutter Martha und Vater Walter Friede wurden am 27.Januar 1942 nach Riga deportiert; Martha Friede wurde im August 1944 in das KZ Stutthof weitertransportiert, dort starb sie im Dezember 1944. Die Spuren der 1924 geborenen Cläre und von Walter Friede verlieren sich in Riga, sie wurden 1945 für tot erklärt.

Die Familie von Walter Friedes Schwester, Meta Nußbaum und ihr Mann Julius Nußbaum, wurden im April 1942 deportiert, und zwar in das Durchgangslager Zamosc in Polen; auch ihre Spur verliert sich. Tochter Margot konnte Ende der 30er Jahre vor Beginn des 2.Weltkrieges nach England emigrieren und wanderte nach Palästina aus; sie hat Dortmund anlässlich eines Klassentreffens besucht. Ihr Bruder Günter bereitete sich wie sein Cousin Ernst auf einem Lehrgut auf die Auswanderung vor; seine Spur verliert sich ebenso und er wurde 1945 für tot erklärt.

Für die Familien Friede und Nußbaum sind hier vor dem Haus insgesamt 8 Stolpersteine verlegt worden.

Doch damit ist das Schicksal der Bewohner dieses Hauses noch nicht zu Ende erzählt.

Nachdem die Familien Friede und Nußbaum deportiert waren, wurde das Haus als so genanntes „Judenhaus“ weitergenutzt. In diesen „Judenhäusern“, deren Besitzer ihres Hauses beraubt worden waren, wurden Juden zusammengepfercht, um auf ihre Deportation zu warten. So auch hier, Ostenhellweg 41.

13 weitere Personen sind jetzt namentlich bekannt, die hier bis zu ihrer Deportation lebten; nicht zu allen von hier deportierten finden sich Spuren. Für die Familien Samson und Wolff und den schon 1941 mit Wohnadresse Ostenhellweg 41 gemeldeten Albert Schönemann ist mir dieses gelungen.

Im „amtlichen Adressbuch Dortmund 1941“ sind, neben den Familien Friede und Nußbaum auch weitere Personen als Bewohner verzeichnet, so auch Albert Schönemann. Zur Stigmatisierung der Juden im faschistischen Deutschland gehörte der „amtliche“ Namenszusatz „Israel“ bzw. „Sara“ in Dokumenten und Verzeichnissen. Neben dem „Gelben Stern“ wurden Juden so noch weiter diskriminiert.

Albert Schönemann wurde am 17.06.1871 geboren. Mit der Transport-Häftlingsnummer 116 wurde er von Dortmund nach Theresienstadt (Tschechoslowakei) deportiert. Mit der Transport-Häftlingsnummer 955 wurde er von dort am 23.9.1942 nach Treblinka weiterdeportiert und dort im Alter von 71 Jahren ermordet.

Im Dortmunder erport-Portal (Verzeichnis der Stolpersteine) sind, neben anderen Menschen, Bendix, Herz und Ruben Samson und Daniel und Henny Wolff verzeichnet, die hier im sogenannten „Judenhaus“ Ostenhellweg 41 vor ihrer Deportation lebten.

In der Datenbank des Internationalen Instituts für Holocaust-Forschung (Yad Vashem) habe ich ihre Spuren und die von Albert Schönemann wiedergefunden:

Bendix Samson hieß Benjamin Samson und wurde am 6.12.1860 geboren. Mit der Transport-Häftlingsnummer 56 wurde er von Dortmund nach Theresienstadt deportiert. Mit der Transport-Häftlingsnummer 798 wurde er von dort am 26.9.1942 nach Treblinka weiterdeportiert und dort im Alter von fast 82 Jahren ermordet.

Herz Samson wurde am 10.April 1863 geboren. Mit der Häftlingsnummer 57 wurde er von Dortmund nach Theresienstadt deportiert. Mit der Transport-Häftlingsnummer 945 wurde er von dort am 23.9.1942 nach Treblinka weiterdeportiert und dort im Alter von 79 Jahren ermordet.

Ruben Samson hieß Reuven Samson und wurde am 21.3.1868 geboren. Mit der Häftlingsnummer 58 wurde er von Dortmund nach Theresienstadt deportiert. Mit der Transport-Häftlingsnummer 946 wurde er von dort ebenfalls am 23.9.1942 nach Treblinka weiterdeportiert und dort im Alter von 74 Jahren ermordet.

Henny Wolff, geb. Hartogsohn, wurde am 29.8.1881 geboren. Mit der Häftlingsnummer 73 wurde sie von Dortmund nach Theresienstadt deportiert. Mit der Transport-Häftlingsnummer 1332 wurde sie von dort am 06.10.1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort im Alter von 63 Jahren ermordet.

Daniel Wolff wurde am 18.10.1895 geboren. Mit der Häftlingsnummer 72 wurde er von Dortmund nach Theresienstadt deportiert. Mit der Transport-Häftlingsnummer 1251 wurde er von dort am 28.09.1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort im Alter von 49 Jahren ermordet.

Alle oben genannten, die Familien Fried, Nußbaum, Samson, Wolff und Albert Schönemann wurden alle am 29.7.1942 mit dem Transport X/1 mit dem Zug Da 72 deportiert und umgebracht.

Ich schließe nun mit einem Zitat des polnischen Zwangsarbeiters, Auschwitz-Überlebenden und Historikers Marian Turski, der am 18.März 2012 bei der Eröffnung der Ausstellung „Zwangsarbeit“ auf der Zeche Zollern II/IV in Dortmund sagte:

„Wenn Ihr nicht vergesst, werde ich schweigen können!“.