23.01.2014 Terror: Fremd, links, vogelfrei Rechtsradikale Gewalttaten und der Totalausfall der Sicherheitsbehörden ALBRECHT MÜLLER ist Herausgeber von www.NachDenkSeiten.de
und ver.di-Mitglied. Gerade erschien sein neuestes Buch: Brandt
aktuell. Treibjagd auf einen Hoffnungsträger. Er schreibt in
der Verdi-Zeitschrift "publik" über die Tradition der Verfolgung
Linker durch Nazis, auch nach 1949. Wie kann es sein, dass das
Bundesinnenministerium die Zahl der Opfer rechtsradikaler Gewalt seit
1990 über zwei Jahrzehnte hinweg unterschätzt und erst Ende
2013 korrigiert? Und zwar in einem geradezu monströsen
Ausmaß von 63 Todesfällen auf nun 849 Opfer. Und dies,
obwohl verschiedene Initiativen in den vergangenen Jahren immer wieder
darauf hingewiesen haben, dass die behördlichen Zahlen über
all die Jahre um mehrere Dimensionen zu niedrig waren. Wie kann es
sein, dass der NSU über Jahre hinweg Menschen in dieser Republik
ermordet und unentdeckt bleibt? Das alles wirkt nochmals grotesker vor
dem Hintergrund der überbordenden Überwachungstätigkeit
von NSA und anderen. Ich will diesen Fragenkomplex zu erhellen
versuchen, indem ich ein paar Geschichten erzähle: Als
14-Jähriger hatte ich 1952 einen Mathematiklehrer, der in der
Nazizeit Schulleiter der gleichen Heidelberger Schule war und uns im
Unterricht stundenlang von Panzerschlachten erzählte. Niemand
schützte uns vor dieser Indoktrination. Die Gegner des Naziregimes
spielten eine geringere Rolle im öffentlichen Dienst als ihre
Verfolger. Wie das kam? Der Publizist Gunter Hofmann hat in der Zeit
vom 11. Juli 2013 von den Forschungen des Historikers Dominik Rigoll
berichtet. Dieser hatte herausgefunden, wie durch einen Erlass der
Adenauer-Regierung vom 19. September 1950 die Führungseliten der
Nazizeit rehabilitiert und den Verfolgten vorgezogen wurden: "Belastete
und ‚Mitläufer' saßen alsbald wieder in
sämtlichen Institutionen, in Polizei und Justiz bis hin zum
Bundesgerichtshof, und sie dachten natürlich anders über
potentielle Gefahren für Staat und Demokratie als jene, die unter
den Nazis gelitten hatten." 1973 wurde ich Leiter der
Planungsabteilung im Bundeskanzleramt. Ich war damals der einzige
Sozialdemokrat unter sechs Abteilungsleitern. Vom sozialdemokratischen
Kanzleramtschef Horst Ehmke, der von 1969 bis 1972 das Amt geleitet
hatte, wurde zwar scherzhaft erzählt, er sei mit dem
Maschinengewehr auf der Jagd nach Rechtskonservativen durchs Amt
gezogen. Getroffen hat der forsche Horst offensichtlich nicht. Auch
nicht beim Verfassungsschutz, den er mit den anderen Diensten zu
koordinieren hatte. Wenn damals die Besetzung einer Stelle anstand,
dann wurde ich als Abteilungsleiter von einem Vertreter des
Verfassungsschutzes befragt, meist ein kabarettreifes Stück: Hat
der Bewerber finanzielle Probleme? Hat er Weibergeschichten? Dann kam
die Frage, ob es beim Bewerber Anzeichen für rechtsradikale oder
linksradikale Tendenzen gebe? Ich fragte zurück, was er unter
Linksradikalität verstehe. Mehrmals kam dann spontan die Antwort:
"Juso oder so". Die Dienste hielten die Jugendorganisation der
regierenden Partei für eine linksradikale Einrichtung. Die
Grenzen zwischen den konservativen Milieus und den gewaltbereiten
Rechten sind fließend. Ebenfalls im Jahre 1973 putschte in Chile
General Pinochet gegen den gewählten Präsidenten Allende.
Allende überlebte den Putsch nicht. Rechtskonservative und
konservative Kreise wie auch konservative Medien Deutschlands
applaudierten - sie begrüßten den Putsch und den
De-facto-Mord an den Linken in Chile. Es ist, wie ich vor zwei
Jahren hier am gleichen Ort geschrieben habe: "Die Grenzen zwischen dem
rechtskonservativen und dem rechtsradikalen Milieu sind fließend.
Da schauen manche Staatsanwälte halt mal nicht genau hin. So
etwas wie klammheimliche Freude gibt es auch in diesen Milieus.
Konservative und Rechtskonservative haben kräftig mitgewirkt
bei der Hetze gegen Ausländer, gegen Arbeitslose, gegen
,Sozialschmarotzer', gegen linke und nicht angepasste junge Leute, und
etwas verdeckter auch gegen Gewerkschafter. Volksverhetzung ist das
geistige Vorfeld rechter Gewalt." Die Grenzen zwischen den
konservativen Milieus und den gewaltbereiten Rechten sind
fließend. Das ist der eigentliche Grund dafür, dass die
Opferzahlen so verborgen und verheimlicht worden sind. Da spielt
zusammen, was zusammen gehört. Darunter leiden hierzulande Fremde
und Einheimische, wenn sie dem Grundmuster rechts-konservativen Denkens
nicht entsprechen. Kann man dagegen etwas tun? Gibt es Anlaufstellen
für Kolleginnen und Kollegen in den Sicherheitsapparaten, wenn
diesen das Zusammenspiel von Rechtsradikalen und Konservativen
auffällt? Wem können sie sich ohne Gefahr anvertrauen?
Könnte ver.di sich darum kümmern? Mit freundlicher Genehmigung von verdi publik: https://publik.verdi.de/2013/ausgabe-08/gesellschaft/meinung/seite-15/A1 Siehe auch: Radikalenerlass von 1972: Nazis rein, Linke raus http://www.zeit.de/2013/29/berufsverbote-radikalenerlass-1972 |