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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

24.12.2013

Kritik des Koalitionsvertrages zu den Vereinbarungen über Krieg und Frieden

Bernhard Trautvetter, seit über drei Jahrzehnten friedensbewegter Bürger Essens, schreibt: "Die Personalie der Besetzung des Verteidigungsministeriums mit Frau von der Leyen darf uns nicht von Inhalten ablenken." Deshalb unternimmt er eine gründliche kritische Analyse des Koalitionsvertrages.

Kritik des Koalitionsvertrages zu den Vereinbarungen über Krieg und Frieden:

Die Personalie der Besetzung des Verteidigungsministeriums mit Frau von der Leyen darf uns nicht von Inhalten ablenken: Die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zu den Themen von Krieg und Frieden, die von beiden Seiten unterschrieben worden sind, sind Punkt für Punkt eine Tagesordnung gleichermaßen für die Bundesregierung, wie auch für die Friedensbewegung die vor der Aufgabe steht, eine außerparlamentarische Opposition gegen die freundlich verkaufte Militarisierung unserer Gesellschaft zu werden. Dies ist nun ein Erfordernis für alle, die sich gegen die Zukunftsgefährdung Krieg aufbäumen wollen.

Als Bezugsrahmen zitiere ich hier eingangs den einstigen Bürger meiner Stadt, von 1969 bis 1974 Bundespräsident meines Landes Gustav Heinemann; er sagte am 25.03.1958 im Bundestag:

Es „wird Ihnen nicht unbekannt sein, daß das Völkerrecht wenigstens zwei Grenzen in der Handhabung des Krieges setzt. Erlaubt ist keinesfalls Gewalt gegen Nichtkombattanten, und die Kriegsmittel sind begrenzt. Ich erinnere daran, daß z. B. in der Haager Landkriegs-ordnung von 1907 der Satz steht: >Die Kriegführenden haben kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes.<“

Heinemann erwies sich vor 55 Jahren, als Hiroshima noch stärker im Bewußtsein der Öffentlichkeit war, als Mahner vor der durch nichts zu verantwortenden Atomwaffe.

Selbst hinter diese klare friedenspolitische Orientierung fällt der Koalitionsvertrag weit zurück.

Die Friedensbewegung war in den 50ger Jahren stark geworden, da die Parole ‚Kampf dem Atomtod’ die Massen ergriff. Ähnliches erfolgte, als die Nato mit tatkräftiger Initiative der Bundesregierung die Enthauptungsatomraketen Pershing II in Deutschland aufstellte und damit den Atomkrieg aus Versehen verantwortungslos wahrscheinlich machte, da die Flugzeit von ca. 5 Minuten der Gegenseite im Falle eines Fehlalarms keine Zeit einräumte, alle Faktoren zu überprüfen. Kopflose Reaktionen wurden fahrlässig in Kauf genommen.  

Auch jetzt öffnet eine Entscheidung der Bundesregierung, der Koalitionsvertrag (Koal.Vertr.), gefährliche Gewaltspiralen, deren Eigendynamik die Kriegsgefahr gefährlich steigern. Die Friedensbewegung hat die Aufgabe, darauf hinzuweisen und diese Gefahren abzuwenden. Ein neuer Aufschwung der Friedensbewegung wird zum Gebot der Stunde.

Die von mir im Folgenden zitierten Stellen im Koalitionsvertrag sind teils aus Sicht des Überlebensinteresses der Menschheit und teils aus Sicht des Völkerrechts und seines Friedensgebots intolerabel:

Im  Koal.Vertr. vereinbarten Union und SPD: „Wir bekennen uns zur NATO und zu ihrem neuen strategischen Konzept.“ (S. 168) und: „Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben.“ (170)

Dazu ist anzumerken: Die Option der Atomwaffe -auch als Erstschlag- und die nukleare Teilhabe durch die Bundeswehr ist nach Art. VI Atomwaffensperrvertrag illegal: „Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle.“

Otfried Nassauer (Direktor des Berliner Informationszentrum Transatlantische Sicherheit) schrieb dazu: „Das neue »Strategische Konzept« wurde im November 2010 in Lissabon verabschiedet. Es hielt fest: ‚Die Abschreckung auf der Grundlage einer geeigneten Mischung aus nuklearen und konventionellen Fähigkeiten bleibt ein Kernelement unserer Gesamtstrategie. Umstände, unter denen der Einsatz von Kernwaffen in Betracht gezogen werden müßte, sind höchst unwahrscheinlich. Solange es Kernwaffen gibt, wird die NATO ein nukleares Bündnis bleiben.’ Die NATO werde auch künftig eine ‚möglichst umfassende Beteiligung der Bündnispartner an der kollektiven Verteidigungsplanung mit Bezug auf deren nukleare Anteile, an der Stationierung von nuklearen Kräften in Friedenszeiten und an Führungs-, Kontroll- und Konsultationsverfahren gewährleisten’.“ (Die Nuklearwaffen der USA in Europa – Doch kein Ende in Sicht? Wissenschaft & Frieden 2012-3: Klimawandel und Sicherheit, S. 49–52)

Die Position der Nato zur nuklearen Option steht zudem im Widerspruch einstimmigen Gut-achten des Internationalen Gerichtshofes von 1996: Es „ergibt sich, daß die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen grundsätzlich/generell (’generally’) gegen diejenigen Regeln des Völkerrechts verstoßen würden, die für bewaffnete Konflikte gelten, insbesondere gegen die Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts." (Nummer 105(2)E Absatz 1)

Weiter heißt es im Koal.Vertr.: „Gemeinsam mit unseren NATO-Partnern setzen wir konse-quent die Beschlüsse von Chicago zur strategischen Neuausrichtung der Allianz um.“ (169)

Dazu gilt es, anzumerken, dass die NATO in Chicago 2012 an der nuklearen Option festhielt: “NATO is committed to maintaining an appropriate mix of nuclear, conventional and missile defence capabilities for deterrence and defence to fulfil its commitments as set out in the Strategic Concept.”  Das umfasst die intolerablen Modernisierungsprogramme:

„Auch deutsche Standorte sollen neu ausgerüstet werden – ... Mit enormem finanziellem Aufwand erneuern die USA ihre Atomwaffen, auch in Deutschland. Die hierzulande gelagerten Waffen werden offenbar ab 2019 zu präzisen Lenkwaffen umgerüstet. Experten kritisieren das Vorhaben - sie sehen darin eine Gefahr.

Die USA erwägen einem Medienbericht zufolge die Stationierung neuartiger Atomwaffen in Deutschland. In einem Bericht der Nationalen Nuklearen Sicherheitsbehörde an den US-Kongress behalte sich die Behörde vor, Waffen mit neuen Fähigkeiten zu bauen, wenn die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Sprengköpfe erhöht werden könne. Das berichtet das Magazin ’Der Spiegel’. Dies dürfte dazu führen, dass die in der Bundesrepublik gelagerten freifallenden Atombomben des Typs B61 zu präzisen Lenkwaffen umgerüstet würden, heißt es weiter. Ab dem Jahr 2019 sollen die neuen B61-12-Bomben hergestellt werden.

Die USA modernisieren derzeit mit Milliardenaufwand ihre Atomwaffen. Die Bundesregierung hatte jedoch bislang stets mitgeteilt, bei der Modernisierung gehe es nicht darum, neue Waffen oder neue militärische Fähigkeiten zu schaffen. Dies entspreche den Vorgaben von US-Präsident Barack Obama. Dem ’Spiegel’ zufolge plant die US-Regierung einen finanzi-ellen Aufwand von 60 Milliarden Euro innerhalb der nächsten 25 Jahre für die Modernisie-rung. Forscher, die das Vorhaben kritisierten, sprechen von einer weitaus höheren Summe. In dem Bericht heißt es weiter, die Experten kritisierten vor allem die Modernisierung der B61-Fliegerbomben, wie sie auch in Deutschland stationiert sind.“ (http://www.n-tv.de/ politik/US-Regierung-will-Atomwaffen-modernisieren-article11657136.html, 03. 11.2013)

Aus Friedensinteresse sind auch die folgenden Stellen im Koal.Vertr. nicht akzeptabel:

„Die Bundesregierung bekennt sich zu ihren bündnispolitischen Zusagen und wird ihren Beitrag zum Aufbau der NATO-Raketenabwehr leisten, die wir für den effektiven Schutz vor der Bedrohung durch Raketen in den Händen von Risikostaaten benötigen.“ (169)

Dazu gilt: Die Raketenabwehr wird mit dem Iran und Nordkorea begründet, sie sei nicht gegen Russland gerichtet. Das ist beweisbar nichts anderes als Rechtfertigungspropaganda: „US-Militärstrategie: Geheimstudien stellen Raketenabwehrschirm in Frage

In wenigen Jahren schon soll ein Raketenabwehrschild Europa und Amerika gegen Angriffe aus Iran und Nordkorea absichern. Nun schüren vertrauliche Studien des US-Militärs Zweifel an dem Projekt. Demnach ist fraglich, ob der Schutz vor iranischem Beschuss überhaupt funktioniert.“ (http://www.spiegel.de/politik/ausland/geheimstudien-stellen-geplanten-us-raketenabwehrschirm-in-frage-a-882371.html)

Weder der Iran noch Nordkorea rechtfertigen eine solche Milliardeninvestition am Ostrand des Nato-Bündnisses in Europa. Russland sieht insofern plausiblerweise darin einen Schritt gegen sich, wodurch die Spannungen allen Beschwichtigungen zum Trotz steigen.

Wenn die Begründung für diese Milliardeninvestition wieder einmal erlogen ist, dann stellt sich die Frage nach den wahren Motiven. Wer Angriffe mit einem Abwehrschirm abzuwehren vermag, kann sich eher als Sherif aufspielen und mit geringerer Gefahr Angriffe lancieren.

Weiter heißt es im Koal.Vertr.: „Alle im nichtstaatlichen Bereich in Deutschland gehandelten und geführten sowie für den Export vorgesehenen und vom VN-Kleinwaffenaktionsprogramm erfassten Klein- und Leichtwaffen sollten in Zukunft mit einer möglichst unauslöschlichen Markierung versehen werden, um deren Nachverfolgbarkeit zu ermöglichen.“ (170)

Dazu: Es geht hier also nicht um die Beendigung des Geschäftes mit dem Tod; die Klein-waffen sind aber die Massenvernichtungswaffen unserer Zeit, da ihnen weltweit die meisten Menschen zum Opfer fallen. Eine Tücke der Realität ist, das Volker Kauder für die Kleinwehrproduzenten Heckler und Koch Lobby-Arbeit betreibt. (http://www.aufschrei-waffenhandel.de/Volker-Kauder.363.0.html)

Und als weitere Anmerkung zitiere ich hier ‚Brot für die Welt’:

„Kampagne gegen Waffenexport ausgezeichnet

In seiner Laudatio würdigte Thomas Gebauer von medico international, dass die vor knapp zwei Jahren gestartete Kampagne von mehr als 100 Gruppen unterstützt werde. Dazu zählen auch die kirchlichen Werke Brot für die Welt und Misereor. Gebauer sagte, dass laut Umfragen 80 Prozent der deutschen Bevölkerung den Waffenexport ablehne. Mit der Kampagne bestehe die Chance, eine Gegenmacht aufzubauen.

„Der Rüstungsgegner und Sprecher der kritischen Daimler-Aktionäre kritisierte als einer der Sprecher die Praxis der Waffenexporte als ‚schlimm, verbrecherisch und heuchlerisch’. Als drittgrößter Waffenexporteur weltweit würden sich die verantwortlichen Politiker und die waffenproduzierenden Unternehmen „mitschuldig an Massenmord“ machen, sagte Grässlin.“ (Niko Wald am 23.11.2012 unter: http://info.brot-fuer-die-welt.de/blog/kampagne-waffenexport-ausgezeichnet)

An diesen Punkt wird die Friedensbewegung die Bundesregierung sicher wiederholt erinnern:

Im Koal.Vertr. steht: „Deutschland wird regionale Abmachungen zu massenvernichtungs-waffenfreien Zonen unterstützen. Mit einem gemeinsamen EU-Standpunkt wollen wir zum Gelingen der bevorstehenden Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag im Jahr 2015 beitragen.“ (ebd.)

Und weiter heißt es im Koal.Vertr.: „Das Konzept der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) bedarf der weiteren Ausgestaltung und einer völkerrechtlich legitimierten Implementierung. Dabei gilt es vor allem die präventive Säule der Schutzverantwortung international zu stärken.“ (171)

Dazu ist anzumerken: In der Tat müssen alle militärischen Maßnahmen im Einklang mit dem Völkerrecht stehen. Präventiver Krieg ist keine Lösung, denn er steigert Spannungen auch genau dadurch, dass er sich eben nicht mit dem Völkerrecht in Einklang bringen lässt. Die Logik dieser Stelle im Koal.Vertr. entspricht der des Satzes „Ich bin ein Mann, weil ich eine Frau bin.“

Der Koal.Vertr. besagt: „Deutschland und Europa haben ein hohes Interesse an Frieden und Stabilität im Nahen und Mittleren Osten. Unser Ziel ist eine Zweistaaten-Lösung mit einem Staat Israel in anerkannten und dauerhaft sicheren Grenzen sowie einem unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat, die Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben.“ (172)

Dazu gilt: Die Siedlungspolitik Israels im annektierten Gebiet schafft Fakten, die dem entgegenstehen. Es ist kein Antisemitismus, wenn Friedensfreundinnen und –freunde weltweit, auch in Israel, kritisieren, dass die 2-Staaten-Lösung durch das Entgegenkommen der Regierung Israels gegenüber den Siedlern diese Perspektive untergräbt.

Des weiteren heißt es im Koal.Vertr.: „Nach über zehn Jahren wird sich unser sicherheitspolitisches Engagement in Afghanistan verändern. Mit einem ressortübergreifenden Engagement streben wir eine gefestigte Zukunft Afghanistans an.“ (173)

Dazu gibt es eine Vielzahl aufklärender Gegeninformationen, wie die Texte von Margot Käßmann, etwa in der aktuellen Ausgabe von Crismon, die besagen, dass die Ziele des Afghanistan-Einsatzes gründlich verfehlt worden sind und dass stattdesssen unendliches Leid in die Bevölkerung dieses geschundenen Landes getragen worden ist, und ein Ende ist nicht wirklich in Sicht. Die Beschönigung des Begriffes ‚sicherheitspolitisches Engagement’ statt ‚Krieg’ läuft angesichts der Fakten an der Realität vorbei: „Seit 2006 hat sich die Lage sehr verschlechtert, und wir machen uns jedes Jahr mehr Sorgen", sagte Hauser. Die Weltgemeinschaft habe zu sehr auf eine militärische Lösung in Afghanistan gesetzt und sich zu wenig um die Zivilbevölkerung gekümmert. Die Bundesregierung und die anderen westlichen Staaten sollten nun massiver auf gute Regierungsführung und den Aufbau des Justizsystems zum Schutz der Frauen drängen.“ (so die Gründerin von Medica Mondiale Monika Hauser laut wdr auf einer Fachtagung der ev. Akademie in Bonn am 30.11.2012)

Weiter heißt es im Koal.Vertr.: „Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Mit ihrer Neuausrichtung wird sie auf die veränderten sicherheitspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ausgerichtet. Wir werden diese Neuausrichtung konsequent fortsetzen und zum Erfolg führen.“ (176)

Dazu gilt: Die anfängliche und Grundgesetz-basierte Ausrichtung der Bundeswehr erfolgte offiziell auf Basis von Artikel 87 a des GG als reiner Verteidigungsauftrag:

„(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. ... (2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.“

Jetzt liest man aus dem Verteidigungsinisterium: „Sicherheitspolitik u.a. mit folgender Aus-richtung: „Risiken und Bedrohungen erwachsen aber auch aus Klima- und Umwelt-katastrophen, Migrationsentwicklungen, aus der Verknappung oder den Engpässen bei der Versorgung mit natürlichen Ressourcen und Rohstoffen, durch Seuchen und Epidemien ebenso wie durch mögliche Gefährdungen kritischer Infrastrukturen.“ (Bundesmin. D. Verteid., ‚Die Neuausrichtung der Bundeswehr’, 2. Aufl. 03/2013)

Und beide Seiten haben im Koal.Vertr. geschrieben: „Wichtig ist es, dass der Dienst in der Bundeswehr attraktiv bleibt.“ (ebd.)

Dazu ist anzumerken: Hier wird implizit gesagt, der Dienst sei gegenwärtig attraktiv. Demgegenüber besagt eine Studie der TU Dresden vom 26. November 2013: „Wesentlich unterschätzt ... wurde bislang das Risiko ... einsatzbezogener psychischer Störungen. Auslandseinsätze der Bundeswehr gehen mit einem hohen Belastungsausmaß – einschließlich traumatischer Ereignisse – einher, die offensichtlich massiv das Ersterkrankungsrisiko für Angststörungen sowie den Beginn einer Alkoholabhängigkeit erhöhen. Zudem haben Soldaten mit einer Vorgeschichte an affektiven Störungen ein erhöhtes Risiko, wiederum eine depressive Episode zu erleiden. Es finden sich ferner Hinweise darauf, dass nach dem Einsatz vorbelastete Soldaten häufiger multimorbid erkranken.

Einsatzbezogene psychische Störungen werden nicht hinreichend frühzeitig erkannt, selten diagnostiziert und noch seltener behandelt. Dies gilt sowohl für die Inanspruchnahme bundeswehrinterner wie auch außerhalb der Bundeswehrstrukturen aufgesuchter Dienste.“

Die Position des Koal.Vertr. zur Bundeswehr und Schule grenzt an die Verletzung der Kinderrechte und des Schutzes Minderjähriger vor Überwältigung: „Die Jugendoffiziere leisten eine wichtige Arbeit bei der Information über den Auftrag der Bundeswehr. Wir begrüßen es, wenn möglichst viele Bildungsinstitutionen von diesem Angebot Gebrauch machen. Der Zugang der Bundeswehr zu Schulen, Hochschulen, Ausbildungsmessen und ähnlichen Foren ist für uns selbstverständlich.“ (177)

Dazu: Die Bundeswehr wirbt in Anzeigen mit Bücher-studierenden Soldaten in der Aus-bildung sowie mit Müttern, die über das Bundeswehrstudium froh sind und blendet auf diesen großformatigen Anzeigen in einflussreichen Printmedien die Kriegsrealität aus. Wenn derartiges in Schule erfolgt, widerspricht es dem Überwältigungsverbot des Beutelsbacher Konsenses. Das wird angesichts der Abenteuercamps der Bundeswehr noch offensichtlicher: "Berg- oder Beach-Typ?" - das fragt die Bundeswehr junge Leser in einem Reklamevideo. Der Clip auf der Online-Seite der "Bravo" wirbt für kostenlose Abenteuercamps der Streitkräfte. Kritiker sprechen von einem Verstoß gegen die Uno-Kinderrechtskonvention.“ (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-wirbt-im-jugendmagazin-bravo-mit-abenteuercamps-a-855922.html)

Auch das von einigen Lehrkräften und Jugendoffizieren gelobte PlanSpiel >Pol&IS<, in dem viele Klassen Konflikt-Strategien simulierend durchspielen, ist schon insofern bedenklich, als in ihm unter bestimmten Bedingungen der Einsatz von Atomwaffen infrage kommt, wenn nämlich alle an der Konsultation beteiligten Staaten dies bejahen. Schon damit erweist es sich als richtig, Armee und Friedenserziehung zu trennen. Das folgt dem Friedensgebot des Völkerrechts genauso wie aus dem Kontroversitätsgebot der politischen Bildung.

Zusätzlich besagt der Koal.Vertr.: „Die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungs-kräfte werden für ihre Aufgaben im Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit angemessen ausgestattet.“ (177)

Dazu ist anzumerken: Sie kennen vermutlich die Anfrage der Linkspartei an die Bundesregierung zu den Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräften „Inwiefern ist ausgeschlossen, dass beispielsweise Streiks im Transport-, Energie- oder Sanitätssektor oder bei der Müllabfuhr als Begründungen für ein Tätigwerden der ZMZ-Strukturen herangezogen werden können?

Antwort der Bundesregierung: Die Prüfung der Voraussetzungen für eine Unterstützung der Bundeswehr im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben ist dem jeweiligen konkreten Einzelfall vorbehalten.“ (Bundestagsdrucksache 16/13979)

In anderen Worten, ein Einsatz der Bundeswehr gegen Streikende wird möglich!

Im Koal.Vertr. steht außerdem: „Die Bundeswehr wird auch in Zukunft in Auslandsein-sätzen gefordert. Das setzt ein breites militärisches Fähigkeitsspektrum voraus. Wir setzen uns, so weit es sinnvoll und möglich ist, für eine gemeinsame Nutzung nationaler militäri-scher Kapazitäten im Rahmen der EU (pooling and sharing) ebenso ein wie für eine stärkere Aufgabenteilung. Das gilt auch für die entsprechenden Aktivitäten der NATO (smart defence).“ (177) Und weiter lesen wir im Koal.Vertr.: „Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern wollen wir zu schwach ausgebildete Fähigkeiten stärken und die Durchhaltefähigkeit erhöhen.“ (ebd.)

Dazu gilt: Das widerspricht erneut dem reinen Verteidigungsauftrag u.a. des § 87 GG (s.o.), denn es geht bei der Entscheidung über Kampfeinsätze und Krieg weit über den Verteidigungsfall hinaus.

Und weiter im Koal.Vertr.: „Eine zunehmende Mitwirkung deutscher Soldaten in integrierten Strukturen und Stäben auf NATO- und EU-Ebene muss mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar sein. Deshalb wollen wir eine Kommission einsetzen, die binnen Jahresfrist prüft, wie auf dem Weg fortschreitender Bündnisintegration und trotz Auffächerung von Aufgaben die Parlamentsrechte gesichert werden können.“ (ebd.)

Dazu: Hier wird der reine Verteidigungsauftrag der Bundeswehr in schön verpackten Worten als legal dargestellt, obwohl eine solche „Mitwirkung“ Krieg wäre und teilweise auch schon war und ist. Im Nato-Kontext sind weitere Kriegs-/Kampfeinsätze zu befürchten, die am Parlament vorbei in Nato-Gremien beschlossen werden.

Im Koal.Vertr. wird sogar das Lobby-Interesse der Rüstungsindustrie bedient: „Deutschland hat ein elementares Interesse an einer innovativen, leistungs- und wettbewerbsfähigen nationalen Sicherheits- und Verteidigungs-Industrie. Wir setzen uns für den Erhalt ausgewählter Schlüsseltechnologien und industrieller Fähigkeiten, insbesondere auch bei mittelständischen Unternehmen, ein. Wir setzen auf eine verstärkte europäische und euroatlantische Rüstungs-Kooperation, die konkrete gemeinsame Ausrüstungs- und Beschaffungsvorhaben nach den gleichen Standards für alle Nationen umsetzt.“ (178)

Zum ist Waffenexport ist schon einiges weiter oben ausgeführt und kritisiert. Hinzu kommt, daß man Tötungsinstrumente nicht mit Wachstums- und Arbeitsplatzargumenten zu rechtfertigen sind. Das Arbeitsplatzargument ist zudem eine Propaganda-Nebelkerze:

Aufgrund des hohen technologischen Standes der Produktivität in der Rüstungsbranche bringt hier eine Milliarden-Investition weit weniger Arbeitsplätze als irgendwo sonst in der Ökonomie unserer Gesellschaft.

Ganz aktuell ist die Planung des Koal.Vertr.: „Vom Frühjahr 2014 an wird eine einheitliche militärische Luftfahrtbehörde aufgebaut.

Unbemannte Luftfahrzeuge spielen bereits heute beim Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan bei der Aufklärung und dem Schutz unserer Soldaten eine wichtige Rolle. Auch künftig wird die Bundeswehr auf derartige Fähigkeiten angewiesen sein. Die Koalition wird eine europäische Entwicklung für unbemannte Luftfahrzeuge voranbringen. Europa braucht schnell ein gemeinsames Regelwerk für ihre Zulassung und Teilnahme am europäischen Luftverkehr.“ (178)

Dazu: Dieser Dammbruch schafft Fakten in Sachen Drohnen und Automatisierung bzw. Fernsteuerung des Krieges mit allen impliziten Gefahren des Kontrolleverlustes lebens-bedrohlicher Weltlagen, wenn Programme und Technik über Leben und Tod entscheiden.

Zwar erklärt der Koal.Vertr.: „Extralegale, völkerrechtswidrige Tötungen mit bewaffneten Drohnen lehnen wir kategorisch ab. Deutschland wird für die Einbeziehung bewaffneter unbemannter Luftfahrzeuge in internationale Abrüstungs- und Rüstungskontrolle-Regime eintreten und sich für eine völkerrechtliche Ächtung vollautomatisierter Waffensysteme einsetzen, die dem Menschen die Entscheidung über den Waffeneinsatz entziehen.

Vor einer Entscheidung über die Beschaffung qualitativ neuer Waffensysteme werden wir alle damit im Zusammenhang stehenden völker- und verfassungsrechtlichen, sicherheitspolitischen und ethischen Fragen sorgfältig prüfen.“ (178)

Dazu: Wer über eine Beschaffung neuer Waffen(systeme) entscheiden soll, kann sich die hier dargelegten Argumente zu eigen machen und der Klarheit folgen, dass Kriege nie im Frieden enden, höchstens im Waffenstillstand. Und nach allen Erfahrungen mit dem Überreizen und Brechen von Rechtfertigungen und juristischen Grenzen durch die Nato ist klar, hier haben die Militärexperten Kreide gegessen, sie wollen uns weiß  machen, man fände ethische Berechtigungen für das Spiel mit dem Feuer. Die Friedensbewegung bleibt so wichtig wie schon seit Heinemanns Zeiten in den 1950ger Jahren. Jetzt an der Schwelle zur Digitalisierung der Kriegsführung trifft das auf neue Weise zu. Wir werden Ihre Arbeit im Dienste des Wohlergehens der Bevölkerung aufmerksam begleiten, sehr geehrte Frau von der Leyen.

Bernhard Trautvetter im Dezember 2013