05.12.2013 Kamerad Journalist: Anti-Antifa-Gewalt wird mit "Presseausweis" vorbereitet Nach
Übergriffen auf Journalisten in der sächsischen Kleinstadt
Schneeberg im Zuge eines Protestmarsches gegen eine
Asylbewerberunterkunft[1] haben Journalistenverbände gefordert,
die Polizei müsse Medienvertreter besser schützen. Derweil
nutzen Kader aus der militanten Neonazi-Szene verstärkt
Presseausweise, um Journalisten, Gegendemonstranten, Lokalpolitiker und
Polizisten auszuspionieren oder bloßzustellen. In München
nahmen sie sogar als Medienvertreter an einer Pressekonferenz des
Landesinnenministeriums teil. Michael Klarmann berichtet von einer neuen "Kampfform" der Nazis am 02.12.2013 weiter: Im
Juli 2013 hatte eine großes Polizeiaufgebot eine Razzia gegen
Mitglieder und Sympathisanten des Neonazi-Verbunds "Freies Netz
Süd" (FNS) durchgeführt. Darüber informierte auch der
bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) die Medien. Nicht nur
Medienvertreter besuchten die Pressekonferenz, sondern auch zwei
Neonazis. Die
Männer standen abseits und schützten sich durch eine Kapuze
und das Hochhalten einer Kladde vor Kameraaufnahmen. Als ein Journalist
die Anwesenheit der beiden Unbekannten monierte, verwies das
Ministerium auf die Pressefreiheit. Bayerische Rundfunk[1] Beide
Personen sollen indes selbst von den Hausdurchsuchungen betroffen
gewesen sein, weswegen Beamte im Verlauf des Termins auch ihre
Mobiltelefone einzogen[2]. Das Aufklärungsportal
Störungsmelder[3] stellte dazu fest, die beiden "bekannten
Münchner Neonazis Lorenz M. und Thomas Schatt" hätten "mit
Presseausweis Einlass bekommen". Eine interessante Personalie. Denn
unterdessen wurden beide Neonazis vor dem Amtsgericht München in
erster Instanz verurteilt[4], weil sie rund sechs Monate vor der Razzia
in einem Prozess Journalisten bedrängt[5] und deren
Kameraausrüstungen zum Teil beschädigt haben sollen. M.
hatte, da er offenbar im Besitz eines Presseausweises war, den
Gerichtssaal seinerzeit sogar als Journalist mit einer
Fotoausrüstung betreten dürfen[6]. Medienvertreter
gehören zu den Feindbildern der Menschen in der rechten Szene.
"Lügenpresse, halt die Fresse" oder "Die Presse lügt" sind
Parolen, die zuweilen angestimmt werden. Parolen werden aus
Aufmärschen heraus auch skandiert, in denen anwesende
Fachjournalisten namentlich genannt und als "Hurensöhne" beleidigt
werden. Darüber hinaus werden Journalisten auch bedroht und
bespuckt[7]. Der unterdessen verstorbene Neonazi-Anwalt
Jürgen Rieger diktierte[8] vor Jahren Journalisten in die laufende
Kamera: "Warten Sie es doch ab: Wenn der erste Reporter umgelegt ist,
der erste Richter umgelegt ist, dann wissen Sie, es geht los. Reporter,
Richter, Polizist, Sie!" Anlässlich der durch die NPD
mitinitiierten "Lichtelläufe gegen Asylmissbrauch" in Schneeberg
wollten sich auch Journalisten verstärkt ein Bild von den
Vorkommnissen machen. Dass die Aufmärsche, an denen auch ganz
normale Bürger teilnahmen, eine rassistische Grundausrichtung
hatten und Journalisten darüber berichteten, missfiel vielen.
Mitte November kam es, mutmaßlich durch Neonazis, dann zu
Übergriffen auf einen Fotografen[9], der verprügelt und
dessen Ausrüstung beschädigt wurde. Das Opfer und Kollegen
beklagten, dass die Polizei nicht konsequent genug eingeschritten sei. Irritationen unter Polizeibeamten Hendrik
Zörner, Pressesprecher des "Deutschen Journalisten-Verbands"
(DJV), bloggte[10] dazu, die Polizei habe "die Grundwerte der
Meinungsfreiheit durchzusetzen" und müsse dabei auch Journalisten
schützen. Gemeinsamen forderten[11]der DJV-Landesverband Sachsen
und "Freelens" einen "angemessene[n] Schutz für Medienvertreter
durch die Polizei". Sie stellten auch fest: Nach
Schilderung des Betroffenen hatten mehrere Journalisten die Polizei
bereits vor dem Angriff darauf hingewiesen, dass sie von Demonstranten
bedroht wurden. Die Polizei hätte lediglich mit dem Hinweis
reagiert, die Reporter ‚müssten ja nicht herkommen’.
Auch nach dem Angriff habe es von Seiten der Polizei die Aussage
gegeben, ihre Aufgabe sei gewesen, Blutvergießen zu verhindern
und nicht die Pressefreiheit zu verteidigen. In
Nordrhein-Westfalen dürften die Behörden hier unterdessen
manches anders sehen als ihre Kollegen in Sachsen, auch bezüglich
der Verteidigung der echten Pressefreiheit. Denn die Strategie, sich
mit Presseausweisen zu versorgen, stammt nicht nur von Neonazis aus
Süddeutschland und Berlin, sondern findet auch in NRW Anwendung. Vertreter
der durch das Landesinnenministerium verbotenen Neonazi-Gruppen
"Kameradschaft Aachener Land" (KAL), "Nationaler Widerstand Dortmund"
(NWD) und "Kameradschaft Hamm" (KSH) haben sich unter dem Deckmantel
der Splitterpartei "Die Rechte" (DR) neu formiert (Seriöser
Neonationalsozialismus?[12]). Und als DR-Kader im März 2013 bei
einer "Kundgebungstour" Aachen, Mönchengladbach und
Düsseldorf ansteuerten, kam es schon in Aachen zu
Irritationen[13]unter Polizeibeamten. Die DR-Führungskader
Sascha Krolzig (Hamm) und Michael Brück (Dortmund) sowie zwei
weitere Neonazis – darunter auch Lorenz M. aus
Süddeutschland (s.o.) – fotografierten unter anderem
Gegendemonstranten ab und provozierten sie teilweise. Als Polizisten
das Quartett abdrängen und wieder in die neonazistische Kundgebung
zurückschicken wollten, wiesen sich alle vier mit Presseausweisen
aus und durften sich weiter zwischen den "Kameraden", Polizeisperren
und Gegnern hin und her bewegen. Krolzig ist DR-Chef in Hamm und
gehört dem DR-Bundesvorstand an. Brück ist Mitglied im
DR-Landesvorstand NRW. Der damalige Anmelder des Aufmarsches, der
DR-Kreischef in Aachen, André Plum, ist heute auch im Besitz
eines Presseausweises[14]. Plum war einer der Neonazis, die im Januar
in München "Kollegen" drangsalierten (s.o.). Die "Kameraden"
der DR setzten ihre Presseausweise auch dazu ein, um Dortmunds
Oberbürgermeister Ullrich Sierau bei einem Pressetermin zwecks
Eröffnung eines Sportplatzes als vermeintliche Interviewer zu
überrumpeln und diesen mit einer entsprechenden Videoaufnahme[15]
bloßzustellen. Als man sie im Juli 2013 dabei des Platzes
verweisen wollte, wiesen sie sich als Medienvertreter aus – die
Verantwortlichen für die Örtlichkeit wussten nicht, wie sie
auf diese Situation reagieren sollten. Ähnliches geschah wenige
Wochen später im Zuge eines Aufmarsches in Dortmund, als
Polizisten Neonazis stellen wollten, die im Verdacht standen,
Straftaten begangen zu haben. Mindestens einer der Neonazis von
der braunen Medienfront bewegte sich dabei zwischen den "Kameraden",
den Polizeiketten und Festnahmesituationen hin und her, wies die ihn
abdrängen wollenden Polizisten darauf hin, dass er "Presse" sei.
In Einzelfällen glichen die Dialoge zwischen Festgenommenen oder
Abgeführten sowie dem "Journalisten" fast schon Absprachen, etwa
als der "Journalist" stolz ausrief, er habe die Szene "auf Kamera" und
ein "Kamerad" dem Filmenden anwies: "Film alles!" Im Internet
publizierte[16] ein parteinahes Neonazi-Portal später eben jenes
Material, "um Straftäter in Uniform identifizieren zu können". Besonders
einige junge Neonazis sollen unterdessen Presseausweise von
Verbänden nutzen, die üblicherweise junge Journalisten im
Bereich von Schüler- und Studierendenzeitschriften vertreten.
Anders als bei Journalistenverbänden müssen Personen, die
einen solchen Ausweis beantragen, keine hauptberufliche Tätigkeit
nachweisen, sondern nur belegen, dass sie sporadisch publizieren.
Ältere Neonazis, so vermutete[17] das TV-Magazin "Zapp",
hätten sich ihre Presseausweise wohl bei Unternehmen bestellt, die
diese gegen Rechnung ausstellen. Solchen Firmen ist es egal, ob die
Empfänger wirklich journalistisch tätig sind. Auch
"Zapp" wies darauf hin, dass Neonazis – in dem Beitrag ging es
besonders um jene in Berlin – diese Ausweise nutzten, um
Gegendemonstranten und Journalisten zu bedrängen, sie zu
fotografieren sowie sie mittels des Materials später im Internet
zu "outen" und einzuschüchtern. Veröffentlicht wurden demnach
Namen, Fotos und teilweise auch Adressen auf Steckbrief-artigen
Online-Listen der Braunszene. Der Journalist Jesko Wrede
beschrieb in dem Beitrag etwa, wie ein "Anti-Antifa"-Fotograf aus der
Neonaziszene ihn unentwegt abfotografierte. Objekt der Begierde war
dabei offenbar der Presseausweis, den Wrede umhängen hatte. Auf
den Fotos waren dann wohl Namen, Geburtsdatum und Adresse abzulesen.
Kurz darauf, sagte der Journalist, habe er seine Daten im Internet auf
einer Neonazi-Website entdeckt. Nachdem die Politik in den
vergangenen Jahren Regelungen oder Absprachen darüber, wer amtlich
anerkannte Presseausweise ausstellen darf, aufgeweicht hat, scheint es
nun wieder zu einem Umdenken zu kommen. Nicht nur die
Bundesländer, auch die wahrscheinlich künftige
Bundesregierung will den inoffiziellen Markt mit Presseausweisen wieder
auf die Füße treten, indem die anstehende Koalition aus SPD
und CDU bekräftigt[18] hat, etwa bei Unfällen, Katastrophen,
Geiselnamen oder Demonstrationen nur noch Personen Informationsfreiheit
im Rahmen solcher Behördeneinsätze zugestehen zu wollen, die
über einen amtlichen Presseausweis verfügen. Anhang Links [1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/demonstrationen-in-schneeberg-gegen-fremdenfeindlichkeit-a-934032.html [1] http://www.br.de/nachrichten/razzia-rechtsextremismus-bayern-100.html [2] http://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Razzia-gegen-Neonazis-Vier-Durchsuchungen-in-Schwaben-id26008401.html [3] http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2013/07/10/razzien-beim-freien-netz-sud-schlag-gegen-bayerns-neonazi-szene_13505 [4] http://www.sueddeutsche.de/muenchen/angriff-auf-journalisten-neonazi-zu-sechs-monaten-haft-verurteilt-1.1827617 [5] https://www.youtube.com/watch?v=1Dm-9pac6nc#t=98 [6] http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/braune-medienvertreter [7] http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2013/05/15/neue-gefahr-neonazis-als-journalisten_12860 [8] http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/medien_politik_wirtschaft/zapp1772.html [9] http://www.vice.com/de/read/bei-dieser-demo-kuemmerte-es-einige-polizisten-wenig-dass-journalisten-verpruegelt-wurden [10] http://www.djv.de/startseite/service/blogs-und-netzwerk/djv-blog/detail/article/samstag-in-schneeberg.html [11] http://djvs.wordpress.com/2013/11/28/djv-sachsen-und-freelence-beim-innenministerium/ [12] http://www.heise.de/tp/artikel/39/39726/ [13] http://www.lap-aachen.de/cms/index.php/aktuell/meldungen/93-drohungen-und-hassparolen-auf-dem-theaterplatz [14] http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/neonazi-kader-mit-presseausweis [15] http://www.dortmundecho.org/2013/07/ludo-oberburgermeister-sierau-flieht-bei-sportplatzeroffnung-vor-nationalisten-video/]. [16] http://www.dortmundecho.org/2013/09/nach-der-demo-video-zeigt-polizeiuebergriffe/ [17] http://www.youtube.com/watch?v=t4q4didr7gg [18] http://www.focus.de/politik/deutschland/bundestagswahl-2013/der-koalitionsvertrag-im-wortlaut-4-3-kultur-medien-und-sport_id_3437037.html |