05.12.2013 Zur Entschädigung der
Zwangsarbeiter/innen und zur neuen diesbezüglichen Literatur Zu Goschler (Hrsg.)
„Entschädigung von Zwangsarbeit“
Göttingen 2012, schreibt Matthias Dohmen heute in der
Süddeutschen Zeitung. Er stellte uns die ausführliche
Rezension zur Verfügung: Geschichte von
unten? Henning Borggräfe stellt zwei Fotos an den Beginn
seines Beitrages über die „lange
Nachgeschichte“ der Zwangsarbeit im faschistischen
Deutschland: das erste zeigt den Lehrer Dietmar Buchholz, einen der
Motoren der Europäischen Föderation ehemaliger
Zwangsarbeiter, im Gespräch mit dem Zeitzeugen Konrad
Krzyzanowski. Drei Personen sieht man auf dem zweiten Bild,
nämlich Stuart E. Eizenstat und Otto Graf Lambsdorff, die
beiden Chefunterhändler auf US-amerikanischer und deutscher
Seite, sowie Gerhard Schröder nach dem Abschluss der sich
über Jahre hinziehenden Verhandlungen. Ein
gutes Dutzend Einzelstudien, einführende Beiträge der
Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“
und des Herausgebers sowie ein Glossar umfasst die Edition
über die Entschädigung von KZ-Häftlingen und
„Ostarbeitern“. Band 1 beschreibt die Genese der
Stiftung, im Band 2 liest man über die Tätigkeit der
beiden außerdeutschen Hauptakteure, der Jewish Claims
Conference und der International Organization for Migration, Band 3
behandelt die Entschädigung in Polen und in Tschechien sowie
der Roma und der abschließende Band die Auszahlungspraxis in
der ehemaligen Sowjetunion. Entstanden ist das
Großprojekt zwischen 2007 und 2012 an der
Ruhr-Universität Bochum, nachdem die kurz nach der
Jahrtausendwende begonnene Auszahlung von rund 4,4 Milliarden Euro an
etwa 1,7 Millionen noch lebende Opfer in 98 Ländern beendet
werden konnte. Der Herausgeber, Constantin Goschler, ist Professor
für Zeitgeschichte an der RUB, arbeitet seit 20 Jahren
über Wiedergutmachungsfragen und gehörte zu den
Beiträgern des von Hans Günter Hockerts, Claudia
Moisel und Tobias Winstel herausgegebenen Standardwerks
„Grenzen der Wiedergutmachung“, das 2006 wie die
hier besprochenen Bände im Wallstein-Verlag erschien. Es
war nicht immer eine Erfolgsstory, doch hat vor nunmehr fünf
Jahren der damalige Bundespräsident Horst Köhler zu
Recht erklärt, wenn auch erlittenes Unrecht mit Geld nicht
wirklich „entschädigt“ werden
könne, so trügen die von der Stiftung EVZ
aufgebrachten Leistungen doch dazu bei, „dass Leid als Leid
anerkannt wurde und Schuld und Verantwortung auch einen materiell
spürbaren Ausdruck bekamen“. Die
meisten potentiellen Empfänger waren längst tot, und
es zählt nicht zu den Ruhmestaten deutscher Industrieller und
Geldmagnaten, dass sie sich erst zu später Stunde und unter
gehörigem Druck bereit erklärten, überhaupt
zu zahlen. Über Jahrzehnte verbreitete man das Bild, die
Unternehmer seien gezwungen worden, „ausländische
Arbeitskräfte“ einzusetzen, und man habe sich nach
Kräften um deren Wohl bemüht. Seit
Mitte der 1990er-Jahre machten Sammelklagen von Zwangsarbeitern in den
USA der exportorientierten deutschen Wirtschaft zu schaffen.
Vielfältige Initiativen hauptsächlich auf lokaler
Ebene und der dringende Wunsch der rot-grünen Bundesregierung
führten schließlich zu einem Einlenken. Die
Gesamtsumme der zur Auszahlung gelangenden Geldmittel trugen
hälftig die Unternehmen und die Bundesregierung. Wie
nun die 4,4 Milliarden Euro verteilt wurden, wie sie die ehemaligen
Zwangsarbeiter erreichten und welche Widerstände sie zu
überwinden hatten, vor allem aber, wie die
Entschädigung „ankam“ und wie sie die
jeweilige nationale Erinnerungslandschaft beeinflusste, beleuchten die
Autoren an ausgewählten Beispielen. Tanja Penter hat in ihrem
Beitrag über die Zahlungen in Russland, Litauen und Lettland
das Dilemma beleuchtet, dass sich die heute noch herrschende
ex-sowjetische Erinnerungskultur „aus dem triumphalen
Sieg“ speist, „der wenig Platz für
Opfernarrative lässt“. Als
„Helden“ waren die heimkehrenden ausgepressten
Arbeitssklaven nicht zugelassen. * Die
Entschädigung von NS-Zwangsarbeit am Anfang des 21.
Jahrhunderts. Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und
Zukunft“ und ihre Partnerorganisationen. Herausgegeben von
Constantin Goschler in Zusammenarbeit mit José Brunner,
Krzysztof Ruchniewicz und Philip Ther. Vier Bde. im Schuber.
Wallstein-Verlag, Göttingen 2012. 1143 Seiten, 59,50 Euro. Bittere
Pointe. Über Jahrzehnte haben die russischen Arbeitssklaven
keinen Cent Wiedergutmachung oder Entschädigung gesehen, und
als es soweit war, erwies sich Moskau, durchaus in der Tradition der
Sowjetunion, nur widerwillig bereit, mit der deutschen Stiftung
„Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“
zusammenzuarbeiten. Wie Tanja Penter in ihrem kenntnisreichen Beitrag
schreibt, speist sich die Erinnerungskultur zum Zweiten Weltkrieg
„bis heute vor allem aus dem triumphalen Sieg, der wenig
Platz für Opfernarrative lässt“.
Diejenigen, die die Strapazen der Zwangsarbeit überstanden
hatten, galten im eigenen Land eher als Verräter und
Kombattanten. Noch 1999 schrieb eine Russin an den deutschen
Bundeskanzler, sie sei in der Heimat für eine
„Volksfeindin“ gehalten worden: „Ich
wurde verdächtigt, und wenn ich darüber nachdenke,
auch nicht zu Unrecht.“ Dazu passt dann, dass der russische
Staat die auf Moskauer Seite für die Auszahlung
verantwortliche Stiftung im vergangenen Jahr auflöste. * Halb
zog sie ihn, halb sank er hin: So freiwillig, altruistisch und
großzügig hat sich die deutsche Wirtschaft
gegenüber ihren ehemaligen „Ostarbeitern“
nicht gezeigt, wie sie es in Sonntagsreden dargestellt wissen
möchte. Die teilweise unwürdige Geschichte haben der
Herausgeber Goschler und Henning Borggräfe nachgezeichnet.
Seit Mitte der 1990er-Jahre bedrängten „Sammelklagen
in den USA die exportorientierten Teile der deutschen
Wirtschaft“ und brachten damit große Unternehmen
dazu umzudenken. Denn obwohl der Nürnberger Prozess
Zwangsarbeit ausländischer Zivilarbeiter und Kriegsgefangener
als „Kriegsverbrechen“ und jene gegen KZ-Häftlinge als „Verbrechen gegen die
Humanität“ klassifiziert hatte, geschah so gut wie
nichts. Im Gegenteil: Krupp, Flick und die IG-Farben-Rechtsnachfolger
verbreiteten das Bild des apolitischen Unternehmers, der vom Nazistaat
zum Einsatz „ausländischer
Arbeitskräfte“ gezwungen worden sei. Die Schuld an
Aufstieg der NSDAP wurde gleich mit gelöscht:
„Alle“ seien Hitlers Demagogie zum Opfer gefallen
und – beliebtes Denkmuster im Kalten Krieg – Opfer
des Totalitarismus geworden. Weihnachten 1952 schrieb die
„Zeit“, der IG Farben sei gar nichts anderes
übrig geblieben, „als die ihr zugewiesenen
Zwangsarbeiter (und zwar zu den vom Staat diktierten Bedingungen)
anzunehmen“. Marion Gräfin Dönhoff drehte
den Spieß sogar um: Was sei, wenn Schadenersatz gezahlt
werden solle, „dann mit den Kriegsgefangenen, die noch sieben
Jahre nach Kriegsende praktisch ohne Entschädigung in der
Sowjetunion Sklavenarbeit leisten“? |