11.11.2013 Die Interessen der Industriellen Zu den
Hintergründen des Hitlerputsches vom 9. November 1923 Für den Abend des 8. November hatte
der starke Mann Bayerns, Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr,
eine programmatische Rede vor den Notabeln Münchens im
honorigen Bürgersaal angekündigt. Es sollte nicht
dazu kommen. Wenige Minuten nach Beginn seiner Ansprache
stürmte Hitler im langen schwarzen Gehrock, das Eiserne Kreuz
Erster Klasse an der Brust, an der Spitze eines schwer bewaffneten
Trupps Hakenkreuzler in den Saal, feuerte einen Schuss unter die Decke
und verkündete den Ausbruch der »nationalen
Revolution«. Die Hauptangeklagten des
Putsches von 1923; links neben Hitler General Ludendorff. Foto:
nd-Archiv In barschen Worten bat er Kahr, den
Reichswehrgeneral Lossow und den Polizeioberst Seißer unter
Bewaffnung ins Nebenzimmer, wo er jenen eröffnete, wie er sich
die personelle Zusammensetzung der »nationalen
Diktatur« vorstellte. Für sich reklamierte er die
politische Führerschaft, während General Ludendorff,
der angesehene Feldherr des (Ersten) Weltkriegs, den »Marsch
auf Berlin« befehligen sollte. Lossow war das Amt des
Reichswehrministers, Seißer das des Reichspolizeiministers
und Kahr die Funktion eines Reichsverwesers für Bayern
zugedacht. Eine Dreiviertelstunde lang weigerte sich das Triumvirat,
auf Hitlers Ansinnen einzugehen; erst die Ankunft Ludendorffs, rettete
Hitler. Was ließ Hitler glauben,
dass sein Überraschungscoup gelingen würde? Seit
Ende September 1923 steuerte Kahr einen spektakulären Kurs,
der auf einen Bruch mit Berlin und die Wiederherstellung der
Wittelsbacher Monarchie mit dem Kronprinzen Rupprecht an der
Spitze hinauszulaufen schien. Im Laufe des Oktobers erhielt die
weißblaue Losung »Los von
Berlin« unter dem Einfluss der schwarz-weißrot
orientierten Vaterländischen Verbände den
neuen Inhalt »Auf nach Berlin«. Der
mächtigste und am besten organisierte Wehrverband war
der unter Hitlers Führung vereinigte
»Kampfbund«. Für die Förderung
der rechtsradikalen Kräfte erhielt Ludendorff von dem
Großindustriellen Fritz Thyssen am 23. Oktober 100
000 Goldmark, eine für die damalige Zeit unerhört
hohe Summe. Einen Monat zuvor hatte der Magnat Hugo Stinnes
bereits den US-amerikanischen Botschafter in Deutschland,
Charles Houghton, über die Pläne, eine Diktatur
einzuführen, unterrichtet: Der deutsche Arbeiter
müsse gezwungen werden, »länger und
schwerer zu arbeiten«. Am 24. Oktober
kündigte Lossow den versammelten Wehrbundführern und
höheren bayerischen Offizieren den »Marsch
auf Berlin und die Befreiung Deutschlands vom Marxismus« an.
Eine Woche später sprach er von der Notwendigkeit
einer »Reichsdiktatur« unter Lossow,
Seißer, Hitler. Letzterer war also bereits in die
höchste Führungsebene einbezogen. Das
änderte sich jedoch, als Seißer am 2. November nach
Berlin fuhr, um die Lage bei den norddeutschen Verschwörern zu
sondieren. Die entscheidende Unterredung fand mit General Seeckt, dem
Chef der Reichswehr, statt, der zu verstehen gab, er habe
Verständnis für Kahrs Bemühungen, die
Weimarer Republik zu beseitigen, jedoch müsse der legale Weg
eingehalten werden - um Abwehraktionen der Arbeiter wie beim
Kapp-Putsch zu vermeiden. Unmittelbar nach dem Gespräch
schrieb Seeckt einen längeren Brief an Kahr, den dieser am 5.
November erhielt. Hierin forderte er eine »Einheitsfront
aller national Gesinnten«; die Verfassungsänderung
dürfe jedoch nicht von »unverantwortlicher und
unberufener Seite und mit Gewalt« erfolgen. Das richtete sich
eindeutig gegen eine unkalkulierbare »völkische
Revolution« sowie gegen Hitler und Ludendorff. Das bayerische
Triumvirat Kahr, Lossow und Seißer ordnete daraufhin die
eigenen Pläne den Seecktschen unter, denen eine nationale
Dimension zukam. Deren Ziele hatte Stinnes bereits im September dem
US-amerikanischen Botschafter offenbart: Im Krisenfall sollte
Reichspräsident Ebert General Seeckt die Gewalt
übertragen. Die Kommunisten würden
»zerschmettert« und der Sozialismus für
immer beerdigt» werden. «Alle Verordnungen, die die
Produktion hindern», würden widerrufen werden. Dann
würden ausländische Anleihen ins Land
strömen. Neue Details vermittelt der
vertrauliche Bericht eines Augen- und Ohrenzeugen an Reichswehrminister
Otto Gessler in Berlin, den dieser am Abend des 8. November, also
unmittelbar vor Kahrs geplanter Rede in München, erhielt: Die
militärische Führung des gewaltsamen Staatsstreichs
sollte Lossow und die politische Verantwortung Kahr
übernehmen. Hitler geriet nun in eine Zwangslage, erwarteten
doch seine Anhänger von ihm die «nationale
Tat». Als Hasardeur setzte er alles auf eine Karte. Der
Propagandamarsch am Vormittag des 9. November 1923 durch
München scheiterte, 13 Nazis und drei Polizisten starben.
Hitler schien für immer ein politische toter Mann zu sein.
Ironie der Geschichte: Der Ende Februar 1924 eröffnete Prozess
rettete Hitler. Er erhielt die Gelegenheit, Propagandareden zu halten,
die Niederlage in einen Erfolg umzumünzen und so die
«Führer»-Legende zu begründen.
Aus dem Putsch zog er zwei Lehren: sich nie gegen die
Reichswehrführung und die Herren an Rhein und Ruhr zu stellen
und die Regierungsgewalt auf legalem Wege zu erlangen. Ein Rezept, das
ihm zehn Jahre später, Januar 1933, an die Macht brachte. Erwin
Könnemann Mit freundlicher Genehmigung des Neuen Deutschland. |