01.11.2013 NRW mit neuem VS-Gesetz und ohne Lehren aus dem NSU-Skandal Die
Redaktion LOTTA genehmigt uns, den sehr erhellenden Artikel um die
rot-grüne Geheimdienstpolitik in NRW zu verbreiten. Weder wurde in
diesem Musterland der Demokratie ein NSU-Untersuchungsausschuss
eingesetzt, noch der Verfassungsschutz in Frage gestellt und schon gar
nicht das V-Leute-Unwesen beseitigt. Hier wurde ein VS-Gesetz
beschlossen, das es in sich hat. Man lesen den Beitrag aus Lotta: Streicheleinheiten für Andi Der NRW-Landtag beschließt ein Gesetz zur Absicherung des Verfassungsschutzes Von Heiner Busch Man
hatte es plötzlich eilig: Am 20. Februar 2013 präsentierte
die Landesregierung ihren Entwurf, am 19. Juni segnete der Landtag mit
den Stimmen von SPD und Grünen das neue Verfassungsschutzgesetz
Nordrhein-Westfalens ab. „Die bekannt gewordenen
Anschläge des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds
haben gezeigt, dass eine wehrhafte Demokratie einen Ver-fassungsschutz
benötigt, der imstande ist, Radikalisierungsbestrebungen und
Gewaltorientierung frühzeitig zu erkennen und ihnen wirksam
entgegenzutreten.“ So beginnt die Problembeschreibung, die die
rot-grüne Landesregierung ihrem Entwurf eines „Gesetzes zur
Neuausrichtung des Verfassungsschutzes“ vorausschickte. Und schon
mit diesem Satz war klar, dass von dem Gesetz jedenfalls keine
„Neuausrichtung“ der Innenpolitik zu erwarten war. Der
NSU-Skandal sollte beendet werden - und zwar so, wie alle anderen
Geheimdienstskandale zuvor: mit ein bisschen mehr parlamentarischer
Kontrolle, mit ein bisschen mehr rechtlichem Geklappere, aber ohne den
Verfassungsschutz und sein rechtlich-ideologisches Fundament - die
„wehrhafte Demokratie“, die „freiheitliche
demokratische Grundordnung“ (fdGO) - in Frage zu stellen oder
auch nur den Versuch zu machen, den Inlandsgeheimdienst zu
entgeheimdienstlichen, sprich: ihm wenigstens die
„nachrichtendienstlichen Mittel“ zu entziehen. Der
Geheimdienst soll weiter geheim arbeiten. Gleichzeitig soll seine
öffentliche Rolle gestärkt werden: Er wird herausgeputzt als
„gesellschaftliches Frühwarnsystem“, das im
„ständigen Dialog mit der Gesellschaft“ über
Gefahren für die fdGO informiert. Betriebsunfall NSU NRW
steht mit diesem Vorgehen nicht alleine da. Die
Untersuchungsausschüsse des Bundestages und der Landtage in
Thüringen, Sachsen und Bayern hatten ihre Arbeit noch nicht einmal
begonnen, als Bundesinnenminister Hans- Peter Friedrich und seine
Kollegen aus den Ländern bereits mit ihrer Analyse des
NSU-Debakels fertig waren. Nicht von institutionellem Rassismus sollte
geredet werden, nicht von der Verharmlosung rechter Strömungen und
auch nicht davon, dass gerade die Verfassungsschutz-Ämter (aber
auch die politischen Abteilungen der Polizei) mit ihrem System gut
bezahlter und gut in der Szene „verankerter“ V-Leute
Neonazi-Gruppen geradezu gepäppelt hatten. Dass die Mordserie und
die Anschläge des NSU über Jahre nicht aufgeklärt
wurden, dass das 1998 abgetauchte Trio Mundlos, Böhnhardt und
Zschäpe unbehelligt blieb - das sei das Ergebnis einer Serie von
Pannen, ein schwerer Betriebsunfall, ausgelöst durch mangelnde
Kooperation und Koordination von Polizei und Verfassungsschutz, von
Bund und Ländern. Damit waren auch die politischen Folgerungen
klar: noch mehr Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten, noch
mehr Gewicht für die zentralen Instanzen, insbesondere das
Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Bereits im Dezember 2011
nahm das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus (GAR) beim
BfV in Köln und bei der BKA-Staatsschutzabteilung in Meckenheim
seine Arbeit auf. Der Entwurf eines Gesetzes zur gemeinsam von Polizei
und Verfassungsschutz betriebenen Rechtsextremismusdatei (RED) lag im
Februar 2012 vor, im September 2012 ging sie ans Netz. Ebenfalls
bereits im Dezember 2011 änderte die Innenministerkonferenz (IMK)
im Hau-Ruck-Verfahren die „Koordinierungsrichtlinie“, die
die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) nun verpflichtet,
wie zuvor im Bereich des Terrorismus auch alle Informationen in Sachen
Rechtsextremismus einschließlich der ungefilterten
„Quellenmeldungen“ an das BfV weiterzuleiten. Mit dem
RED-Gesetz verabschiedete der Bundestag auch erweiterte
Speicherungsbefugnisse: Wie bei der Spionageabwehr und
„Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder
Gewaltanwendung vorzubereiten“ müssen die LfV nun im
zentralen Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) des
Verfassungsschutzes nicht mehr nur Fundstellen, sondern
Volltext-Informationen zum Rechtsextremismus erfassen. Und die
Innenminister diskutierten weiter über die Zentralisierung des
Inlandsgeheimdienstes. Das Wort von der „Neuausrichtung“
des Verfassungsschutzes tauchte erstmals im August 2012 auf, in einem
„Eckpunktepapier“ der Länderinnenminister, das wohl
aus den Federn von NRW-Innenminister Ralf Jäger und seinem
damaligen niedersächsischen Kollegen Uwe Schünemann stammte. Die Länder verteidigten darin ihre Verfassungsschutzämter nur halbherzig gegen das forsche Drängen Friedrichs. Statt von Zentralisierung redeten sie von einer Verstärkung des „Verfassungsschutzverbundes“. Im
Dezember 2012 akzeptierte die Innenministerkonferenz nicht nur die
Eingliederung des GAR in das neue Gemeinsame Extremismus- und
Terrorismusabwehrzentrum (GETZ), dessen Einrichtung der Bund einen
Monat zuvor im Alleingang beschlossen hatte und das sich nun nicht mehr
nur mit den rechten, sondern mit allen Formen des
„Extremismus“ und Terrorismus befassen soll - mit Ausnahme
des islamistischen, dafür gibt es seit längerem das
Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum in Berlin-Treptow. Darüber
hinaus machte die IMK aus der Koordinierungsrichtlinie eine der
„Zusammenarbeit“. Deren genauer Inhalt ist zwar nicht
bekannt, aber aus Vorpapieren des IMK-Arbeitskreises IV
(Verfassungsschutz) ist deutlich, dass das BfV erheblich mehr Macht im
Verbund erhalten soll. Die Landesämter für Verfassungsschutz
sollen nun zu allen „Phänomenbereichen“ alle
relevanten Daten ans BfV liefern, das diese zentral auswerten soll. Das
BfV erhält die führende Rolle bei den
„gewaltorientierten Bestrebungen“. Das neue
NADIS-Wissensnetz sieht eine generelle Volltextspeicherung vor. In der
Presseerklärung der IMK tauchte der NSU übrigens nur noch als
„aktuelle Ereignisse“ auf. Neues Gesetz - neuer Glanz? Das
neue NRW-Verfassungsschutzgesetz nimmt die Zentralisierungsdebatte nur
an einem Punkt auf. In § 18 wird die Übermittlung ans BfV
pauschal abgesegnet. Die Zentralstellenfunktion des Bundesamtes, seine
„zentrale koordinierende Rolle“ im Verbund, solle
gestärkt werden, heißt es lapidar in der Begründung.
Der Rest der „Neuausrichtung“ spielt sich unterhalb der
Ebene des Verbunds ab. Zum Beispiel die halbgare und völlig
unverbindliche Konzentration auf „gewaltorientierte
Bestrebungen“. Bei ihnen sollen gemäß dem neuen §
1 des Gesetzes die „Schwerpunkte“ des Einsatzes
nachrichtendienstlicher Mittel liegen. Aber erstens erklärt die
Landesregierung in ihrer Begründung klipp und klar, dass die
Überwachungstätigkeit ihres Geheimdienstes sich
natürlich „nicht ausschließlich auf diesen Bereich
beschränkt“, denn sonst könnte die
„Radikalisierung“ noch nicht
„gewaltorientierter“ Bestrebungen ja nicht erkannt werden.
Und zweitens ist der Begriff „gewaltorientiert“ so weich
wie Butter in der Sonne. Ob eine Person oder Organisation eine solche
Orientierung verfolgt, ob eine „Bestrebung“ überhaupt
„gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung
gerichtet“ ist, entscheidet letzten Endes der Verfassungsschutz
selbst. Das Kennzeichen des Geheimdienstrechtes ist, dass es keine
Rechtssicherheit bietet. Ausdrücklich festgeschrieben hat
der Gesetzgeber, dass beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel der
Schutz von BerufsgeheimnisträgerInnen und der des
„Kernbereichs privater Lebensgestaltung“ zu
berücksichtigen ist. Dass sie den durchaus auch wollen, mag man
den VerfassungsschützerInnen sogar abnehmen. Schließlich
sind und waren sie nicht an Ehestreitigkeiten oder Bettgeflüster,
sondern an politischen Gesinnungen interessiert. Das Repertoire
der geheimen Überwachungsmethoden wird jedoch nicht
ausgedünnt. Der Verfassungsschutz muss weder auf Observationen und
die dazu tauglichen Mittel, noch auf V- Leute und Verdeckte Ermittler
noch auf die Telekommunikationsüberwachung, den IMSI-Catcher, auf
Verbindungsdaten der Telekommunikation oder auf Kontendaten verzichten.
Genommen wird ihm nur der Lauschangriff in Wohnungen, den er bisher
noch nie anwandte. Eine Befugnis zur
Quellen-Telekommunikationsüberwachung, also zum Einsatz von
Trojanern, will sich die Landesregierung vom Landtag später holen,
wenn sie eine zertifizierte Software hat. Hinsichtlich der
V-Leute haben Regie¬rung und Parlament nur Regelungen ins Gesetz
aufgenommen, die in ähnlicher Form schon bisher in der
Beschaffungsdienstvorschrift des BfV enthalten waren - u.a. dass
anzuwerbende Personen keine schweren Straftaten begangen haben und
begehen, dass sie in der zu bespitzelnden Organisation keine
Führungsrolle haben und dass ihr Honorar „nicht auf Dauer
die alleinige Lebensgrundlage“ sein darf. Dass in Zukunft nur
noch Saubermänner und -frauen als Spitzel rekrutiert würden,
ist jedoch kaum zu erwarten. Denn schließlich will der
Verfassungsschutz möglichst interne Informationen, und die
erhält er nur von Leuten, die in der überwachten Gruppierung
glaubwürdig und bereit sind, sich an innere Zirkel heranzuarbeiten. Wo liegt die „Neuausrichtung“? Wo
liegt also die „Neuausrichtung“? In der besseren
parlamentarischen Kontrolle durch ein Gremium, das nun auch mal
öffentlich tagen darf, wenn nichts geheim zu halten ist, und das
sich jetzt endlich durch ein paar Mitarbeiterinnen des Landtages helfen
lassen kann? Der Verfassungsschutz-Ausschuss des Berliner
Abgeordnetenhauses kann das seit 1989 und war dennoch nicht in der
Lage, der Öffentlichkeit und den Betroffenen reinen Wein über
die Bespitzelung des Berliner Sozialforums Mitte der Nullerjahre
einzuschenken. Sicher, der NRW-Verfassungsschutz soll das Gremium nun
regelmäßig über seine Arbeit unterrichten. Letzten
Endes bleiben die KontrolleurInnen aber davon abhängig, dass ihnen ihr geheimes Kontrollobjekt die relevanten Informationen auch wirklich mitteilt. Bevor
wir’s vergessen: Der NRW-Verfassungsschutz hat nun auch
gesetzlich die Aufgabe, die Öffentlichkeit über Gefahren, die
der fdGO drohen, zu informieren. Das hat er bereits in der
Vergangenheit getan, insbesondere mit jenen Bildergeschichten vom
tapferen Andi, der sämtlichen extremistischen Versuchungen trotzt.
In Zukunft dürfte man die Damen und Herren vom Geheimdienst
öfter an Schulen, in Vereinen und allerlei Veranstaltungen
antreffen, wo sie unser „gesellschaftliches Bewusstsein“
stärken und uns das alte Extremismusmärchen in immer neuer
Form erzählen. Sie werden sich uns sogar als
BündnispartnerInnen im Kampf gegen die extreme Rechte anbieten,
den sie ja - siehe NSU - so hervorragend beherrschen. Na
Dankeschön. Wäre es da nicht besser, wir würden
uns wie „mündige BürgerInnen“ benehmen, die
Geschicke unserer Gesellschaft selbst in die Hand nehmen und die
politische Auseinandersetzung mit Rassismus und anderen
antidemokratischen Ideologien offen führen? Den nötigen Grips
und die Fähigkeit zu recherchieren haben wir allemal. Wir brauchen
weder die neue Pädagogik noch die alte Schnüffelei des
Verfassungsschutzes. Zum Autor Heiner Busch ist Redakteur der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP (www.cilip.de) und Vorstandsmitglied des Komitees für Grundrechte und Demokratie (grundrechtekomitee.de). |