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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

01.11.2013

Debatte in Hagen über Veröffentlichungen der VVN-BdA zum Fall Quandt

Die VVN-BdA hat auf ihrem Bundeskongress 2011 Beschlüsse zur Sammlung von Dokumenten zu den Verbrechen der ökonomischen Eliten 1933-1945 Besonders in Nordrhein-Westfalen wurde zu diesem Thema gearbeitet. Geplant ist eine Ausstellung zu „Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“. Dass es einen engen Zusammenhang zwischen Faschismus und führenden Kreisen des Kapitals als Förderer und Profiteure des Faschismus gab, wird von Medien und bürgerlicher Wissenschaft als Tabu behandelt. Dieses Tabu zu knacken, dazu hat die VVN-BdA NRW ein Buch herausgebracht: „Von Arisierung bis Zwangsarbeit – Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933-1945“. Der Bundeskongress der VVN-BdA hatte dazu beschlossen, allen Landesvereinigungen die Ausweitung Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“ vorzuschlagen. Diese Rallye hat im Oktober die Stadt Hagen erreicht, wozu es eine lebhafte Auseinandersetzung in der lokalen Presse gab. Darüber soll im folgenden mittels einer Pressedokumentation berichtet werden.

„Verbrechen der Wirtschaft“ am Beispiel der Quandts

Die CDU-Spende soll den Zwangsarbeitern gehören

Unter Überschrift „Firmenspenden-Debatte schwappt nach Hagen“ berichteten die Zeitungen der WAZ-Gruppe am Ort über die Forderung der VVN-BdA, die Zwangsarbeiterentschädigung wieder aufzunehmen und vor allem die Quandts zur Kasse zu bitten. Es heißt am 25.10.2013in der WAZ:

Hagen.  Die Spende der Familie Quandt an die Bundes-CDU sorgt nicht nur in Berlin für Gesprächsstoff. Auch in Hagen kommen Erinnerungen hoch, weil Günther Quandt vor allem während der Jahre des Zweiten Weltkrieges mit der „Accumulatoren Fabrik AG“ in Wehringhausen seinen Reichtum mehrte.

Die jüngste Großspende der Unternehmerfamilie Quandt an die Bundes-CDU in Höhe von 690.000 Euro ließ nicht nur das politische Berlin aufhorchen. Es meldete sich mit ausdrücklichem Blick auf Hagen auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) zu Wort: In einem Leserbrief in der „Süddeutschen Zeitung“ erinnert der Sprecher der Geschichtskommission, Ulrich Sander, unter der Überschrift „Geld gehört den Zwangsarbeitern“ daran, dass Vorfahr Günther Quandt das Vermögen des Clans einst in Hagen mit der „Accumulatoren Fabrik Aktiengesellschaft Berlin Hagen“ (AFA) als Partner der Nazis auf dem Rücken von Zwangsarbeitern entscheidend gemehrt und in Hagen auch residiert habe.

Dennoch scheiterten die VVN-Aktivisten vor drei Jahren mit einem Vorstoß bei der Stadt Hagen, eine entsprechende Mahntafel am Hagener Varta-Verwaltungsgebäude anbringen zu wollen. Im Rathaus steht man auf dem Standpunkt, dass eine solch plakative Aktion an einem Privatgebäude (Dieckstraße) angesichts der historischen Fakten gar nicht zu rechtfertigen sei.

Im Dunstkreis von Hitler

Hintergrund der VVN-Initiative war seinerzeit eine sogenannte NRW-Rallye „Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“, mit der über die Untaten der Wirtschaft während der Nazi-Diktatur aufgeklärt werden sollte. Ziele der VVN waren unter anderem Bielefeld (Oetker), Essen (Krupp), Mülheim (Thyssen), Kreuztal (Flick) und eben auch Hagen (Quandt). „Er hat durch Arisierung jüdische Kaufleute beraubt und einen der größten Rüstungskonzerne aufgebaut, die im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeiter ausbeuteten“, so die Einschätzung Sanders, der das

heutige Vermögen der Familie Quandt auf diese „Verbrechen“ zurückführt.

Günther Quandt bewegte sich schon frühzeitig im Dunstkreis von Adolf Hitler und war nach der Machtergreifung nicht nur in die NSDAP eingetreten, sondern hatte die Nationalsozialisten auch mit AFA-Spenden finanziell unterstützt. Als dekorierter „Wehrwirtschaftsführer“ produzierte er in den AFA-Werken in Hagen, Hannover, Posen und Wien neben U-Boot- und Torpedobatterien auch Akkumulatoren für die deutsche Luftwaffe sowie die Feuerleitgeräte der Artillerie.

Nur fünf Quandt-Besuche

Dabei kamen neben den deutschen Beschäftigten, so Dr. Ralf Blank, Historiker des Historischen Centrums in Hagen, auch ausländische Arbeitskräfte, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Insassen von Konzentrationslagern zum Einsatz – letztere in Hannover und Wien. „Die monatliche Produktion von U-Boot- und Torpedobatterien im AFA-Werk Hagen war zwischen 1939 und 1945 unterschiedlich“, schreibt Blank. „1943 betrug sie durchschnittlich 17 U-Boot- und 500 Torpedobatterien verschiedener Baumuster.“

In Hagen selbst hinterließ Günther Quandt persönlich kaum Spuren. Zwischen 1939 und 1945, so die Forschungen von Blank, seien lediglich fünf Quandt-Besuche an der Ennepe belegbar. Der Unternehmer habe – wie viele andere Wirtschaftsführer auch – damals aus rein opportunistischen Gründen mit den Nazis kooperiert, genauso aber auch geschäftliche Kontakte in die Sowjetunion geflochten.

In den Augen der Rathausverwaltung genießt VVN-Sprecher Sander den zweifelhaften Ruf,

Historie einseitig im Geiste einer linksradikalen Gesinnung zu betrachten, so Karsten-Thilo Raab, Sprecher der Stadt Hagen. Der Einsatz von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen sei im Hagener AFA-Werk im Vergleich zu vielen anderen Betrieben in der Stadt eher unterdurchschnittlich gewesen. Umgekehrt erinnere aber in Hannover ein Denkmal an den Einsatz von KZ-Häftlingen im dortigen AFA-Werk. Eine symbolische Mahntafel ausgerechnet in Wehringhausen, so der Stand der Hagener Geschichtsforschung, würde angesichts der historischen Fakten den geschichtlichen Realitäten nicht gerecht.

Martin Weiske

Lebhafte Debatte im Netz

Der Artikel in der WAZ löste eine lebhafte Debatte auf der WAZ-Homepage aus. Allerdings waren die Zuschriften sämtlich anonym und zum Teil pro-faschistisch, wobei „# VVN = Radio Moskau spricht“ noch zu den harmlosen zählt. Die pro-faschistischen Zuschriften werden im folgenden weggelassen, aber man fragt sich: Warum druckt der WAZ-Konzern so etwas? Der Autor des ursprünglichen Leserbriefes, Ulrich Sander, fragt auch: Warum kann nicht sachlich über die VVN-BdA-Aktion berichtet werden und warum müssen ausweichende (Dr. Blank) und dümmliche (Herr Raab) Kommentare auch aus der Hagener Verwaltung zu einem so ernsten Thema abegeben werden? Es wurde unter anderem so kommentiert:

# Nach Einschätzung von Benjamin Ferencz, der bei den Nürnberger Prozessen für die Anklagebehörde arbeitete, wären Günther Quandt und sein Sohn Herbert ... ... als Hauptkriegsverbrecher angeklagt worden, wenn die heute zugänglichen Dokumente den Anklägern damals vorgelegen hätten. (Wikipedia)

# Endlos ist die Reihe nicht verurteilter Kriegsverbrecher. Die VVN-BdA ist dem "Schwur von Buchenwald" verpflichtet: "Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht." Diese Schuldigen, synonym Kriegsverbrecher, haben die VVNler der ersten Stunde am eigenen Leibe erlebt.

# Ich hab gerade mal nachgelesen, das bei der Hoesch-Schmiedag über 80% Zwangsarbeiter und bei der Varta in Hagen noch nicht mal 25% gearbeitet haben. Warum keine Tafel bei Hoesch?  (Anmerkung: Auch für die Hoesch-Besitzer aus der Familie Springorum hatte die VVN-BdA eine Tafel beantragt. Sie wurde von der Stadt Dortmund abgelehnt.)

# Die Varta war nur ein kleiner Teil der Quandt-Unternehmen. Ebenso gut und mit mehr Recht könnte man in Düren bei den Metallwerken, Oberndorf bei den Ex-Mauserwerken, Lüdenscheid bei Busch u. Jäger und erst Recht auf dem Askanischen Platz in Berlin eine Tafel anbringen. Warum Hagen? (Anmerkung: Warntafeln zu Quandt wurden auch in Lüdenscheid beantragt; die Stadt lehnte ab. Antifaschisten aus Hannover und Berlin haben inzwischen angekündigt, Warntafeln auch in ihren Städten zu beantragen. Vor allem sollte es eine in Gardelegen geben, wohin in eine Scheune in Isenschnibbe kurz vor Kriegsende rund 1000 Zwangsarbeiter von Quandt-Hannover getrieben und verbrannt wurden.)