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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

28.09.2013

Siggi Jäger vom DISS: Über die Vorgänge in Duisburg

Die Duisburger Kulturzeitschrift METZGER nimmt in ihrer jüngsten Ausgabe ausführlich zu neuen Entwicklungen in der Gedenkarbeit und vor allem zum Kampf um das Roma-Haus Stellung. Ferner zu den Vorgängen an einem Gymnasium mit merkwürdigem Vergangenheitsmethoden.

Gedanken zur Gedenkstättenpolitik in NRW

von Ulrich Sander

1.Im Jahr 1998 erschien zuletzt „Den Opfern gewidmet – Auf Zukunft gerichtet – Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in Nordrhein-Westfalen“, gefördert aus Mitteln der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen. Wolfgang Clement, damals Ministerpräsident, schrieb das Geleitwort. Es waren wohl sämtliche NS-Gedenkstätten darin geschildert, die es damals in NRW gab. Darunter das Dokumentationszentrum „Wilhelm Struth / Mathias Thesen“, Duisburg im Widerstand 1933 - 1945.

2. 2013 erschien nun „Geschichte in Verantwortung – NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW“, gefördert aus Mitteln  der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen, herausgegeben vom Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW e.V. Das Vorwort schrieb Prof. Dr. Alfons Kenkmann. Vorsitzender des Arbeitskreises. Von Bonn bis Wuppertal werden 24 Gedenkstätten geschildert und gewürdigt. Duisburg fehlt.

Duisburg ist die einzige Stadt mit Gedenkstätte/Dokumentationsstätte, die nicht in dem neuen Buch erschien – ob es an der Trägerschaft der Duisburger Gedenkstätte durch unsere VVN-BdA liegt? Ja, die VVN-BdA hat in mühevoller Arbeit das Dokumentationszentrum „Wilhelm Struth / Mathias Thesen“, Duisburg im Widerstand 1933 - 1945, geschaffen und mit Hilfe der Stadt bis heute unterhalten. Tausende Besucher haben die Ausstellung besucht. Noch immer ist es Ziel vieler Schulklassen. Nur das Buch der AG des Prof. Kenkmann würdigt sie nicht.

In vielen Städten hat es in den 60er bis 80er Jahren VVN-Aktivitäten wie in Duisburg gegeben, um fundierte Sammlungen zum Widerstand und zur Verfolgung in den Jahren 1933 bis 1945 aufzubauen. In fast allen existierenden Gedenkstätten trug dies dazu bei, dass fundierte und authentische Ausstellungen entstanden. Diese Vorgeschichte wird heute kaum noch geschildert, schon gar nicht gewürdigt. Und ebenso wird die Duisburger VVN-Gedenkstätte nicht in die Schilderung des Standes der Gedenkarbeit aufgenommen.

Die erneute Schrift wird behördlich gefördert. Nun könnten wir ironisch sagen: Es ist immer ein Vorteil, wenn die VVN-BdA nicht in den behördlich geförderten Dokumentationen genannt wird, so in den Verfassungsschutzberichten. Aber wenn wir in den Dokumentationen über die Gedenkarbeit nicht auftauchen, so ist das nicht hinnehmbar.

Unsere VVN-BdA ist die älteste und nach wie vor größte Opfervereinigung mit großer Tradition. Diese wird gerechterweise vielerorts hoch anerkannt. Warum nur will dies in NRW seitens der öffentlich geförderten Gedenkarbeit nicht so recht gelingen? Liegt es an den Förderrichtlinien?

Die VVN-BdA NRW hatte sich wiederholt mit Mails an Prof. Kenkmann (AG-Vorsitzender)  gewendet. Leider blieb sie ohne Antwort. Sollten wir nicht einen neuen Versuch wagen. um mit den Herausgebern des Buches „Geschichte in Verantwortung“ ins Gespräch über eine gedeihliche Zusammenarbeit ohne Ausgrenzungen des Widerstandes und seiner Organisation, der VVN-BdA. zu gelangen?

Der Kapitalismus muss nicht zum Faschismus führen, aber bei uns ist es geschehen. Und es kann wieder geschehen.

Wir sollten kritisch zur Sprache bringen, dass sich in den beiden 1. und 2. genannten Schriften der ganze Paradigmenwechsel spiegelt, mit dem wir es in NRW  in der Erinnerungsarbeit zu tun haben: „1.“ erschien noch in der Zeit des „Nie wieder Krieg und Faschismus“ mit dem Schwur von Buchenwald als Konsens (Deutschland im Krieg gab es erst wieder ab 1999). „2.“ hingegen erscheint in der Zeit, da die Ausstellungen vom Gedanken „Verfolgung und Widerstand“ auf das Konzept „Alltag im Nationalsozialismus in unserer Stadt“ ungestellt werden. Antimilitarismus und klassischer Antifaschismus scheiden aus. Es geht zu wie bei den Bündnissen gegen Nazis „Bunt statt braun“. Erziehungsziel ist die kollektive Scham über das, was im deutschen Namen geschah, ferner die Toleranz. Nie wieder Auschwitz, nie wieder Holocaust ist das Motto – und den Holocaust wird es ja wirklich nie wieder geben.

Allerdings: die Beseitigung der Demokratie durch den Kapitalismus und die dauerhafte Legitimation völkerrechtswidriger Kriege ebenfalls durch den Kapitalismus – dies sind die Gefahren, die aktuell drohen. Nie wieder Auschwitz ? – aber doch: Hiroshima droht weiterhin! Damit muss sich die Erinnerungsarbeit beschäftigen.

Der Kapitalismus muss nicht zum Faschismus führen, aber bei uns ist es geschehen. Und es kann wieder geschehen. Daher gilt es wachsam zu sein. Die offizielle Erinnerungspolitik der CDU und FDP, die in NRW gilt und von Rot-Grün unter Hannelore Kraft beibehalten wird – sie ist völlig unzulänglich!

„Ein gesellschaftliches  Gesamtproblem“

„Die Ereignisse erinnern fatal an die rassistische Pogromstimmung von Anfang der 1990er Jahre.“ Presseerklärung des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS).

Seit Mitte der 1980er Jahre befasst sich das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) mit den Reaktionen deutscher Bürgerinnen und Bürger auf die Einwanderung nach Deutschland.

Siegfried Jäger, Professor an der Universität Duisburg/Essen und langjähriger Vorsitzender des DISS und das gesamte DISS-Team haben in einer Vielzahl von Projekten und Veröffentlichungen belegen können, dass in Deutschland ein alltäglicher Rassismus herrscht, der alle Bevölkerungsschichten erfasst hat und durch Politik und Medien fortlaufend geschürt wird. Rassismus ist keine Erfindung einiger extrem rechter Wirrköpfe, sondern ein gesellschaftliches Gesamtproblem, das ihnen nur ausgenutzt wird. Will man Rassismus bekämpfen, sollte man nicht nur auf den extremen rechten Rand zielen, sondern auf die Faktoren, die diesen Rassismus beständig hervorbringen: z.B. eine restriktive Ausländerpolitik in Deutschland und die fast durchweg miserable Berichterstattung in den Medien.

Klar sollte werden: Zuwanderung ist ein Menschheitsphänomen seit es Menschen gibt. Anders gesagt: Seit es Menschen gibt, wandern sie. Diese Wanderungen waren und sind die Grundlage für das Entstehen großer Städte und Ballungsgebiete wie z. B. das Ruhrgebiet.

Die derzeitige Einwanderung von Menschen aus Südosteuropa nach Duisburg, Berlin und anderen Städten ist auf die riesige Armut und auch auf die Verfolgung der Roma vor allem in Rumänien und Bulgarien zurückzuführen. Außerdem fliehen Menschen vor Kriegen in Afghanistan, dem Irak, Syrien und anderswo.

Mit ihnen wandern auch andere Sprachen, Prägungen, Sitten, Gebräuche und Religionen in den Zielländern ein, was zwar immer auch eine Bereicherung bedeutet, aber auch Missverständnisse, Streitigkeiten und Belastungen nach sich ziehen kann.

Die Konsequenz daraus ist: Einwanderer brauchen Hilfe und Unterstützung. Das gilt aber auch für die von Armut betroffenen Eingeborenen. Und genau da liegen die Probleme: Die Hilfe und Unterstützung bleibt weitgehend aus, und damit die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben. Damit eröffnet sich ein Betätigungsfeld für extreme Rechte. Die Konflikte eskalieren bis zu Pogromstimmung und Brandanschlägen, wie dies (nicht nur) in den 1990er Jahren in Rostock, Solingen und Mölln und in tausenden weiteren Gemeinden der Fall war. Die Idee der Demokratie gerät unter Druck, Einwanderer und Alteingesessene werden allein gelassen. Der Staat und seine Organe versagen.

Prof. Siegfried Jäger, der Gründer des DISS, erklärte:

„Die Ereignisse der letzten Tage und Wochen rund um das Haus in Duisburg-Bergheim erinnern fatal an die rassistische Pogromstimmung von Anfang der 1990er Jahre.

Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Ausländerpolitik. Eine Politik der Abschreckung, Ausgrenzung, der Assimilationsforderungen und der sozialen Vernachlässigung schafft Probleme statt sie zu lösen, und sie schürt den Alltagsrassismus in der Bevölkerung.

Die akute Zuspitzung der Situation in Bergheim erfordert aber zunächst einmal sofortiges Handeln. Die Polizei und die Stadt Duisburg sind in der Pflicht, die Unversehrtheit der Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses ‚In den Peschen‘ sicherzustellen, damit Duisburg nicht bald schon durch eine neue vorhersehbare Katastrophe zum Ort des Schreckens wird.“

17. August 2013

Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung

http://www.diss-duisburg.de/

Steinbart-Schote zu Duisburg 2013

von Helmut Loeven

Die Abitur-Entlassungsfeiern werden wieder pompös. Man besinnt sich auf das Feierliche. Besonders feierlich ging es dieses Jahr auf dem Duisburger Steinbart-Gymnasium zu: Für die Feier wurde das Stadttheater angemietet. Um die Feier mit „Inhalt“ zu versehen, wurde Traditions-Tralala aufgeboten. Die „Patenschaft“ mit dem (seit 1945 nicht mehr realen) Löbenichter „Real“-Gymnasium in „Königsberg“ wurde wiederbelebt, indem den Abiturientinnen & Abiturienten die „Alberte“ (neuerdings: „Albertine“) überreicht wurde, eine vergoldete Nadel, die daran erinnert, daß sich das Institut 1955 zum Deutschen Osten „bekannte“ (siehe DER METZGER 100). Nicht nur das. Jeder kriegte das Buch „Das Steinbart-Gymnasium zu Duisburg 1831-1981“ überreicht.

Das Buch erschien erstmals 1956. Es folgten erweiterte Neuauflagen mit Beiträgen über die folgenden Jahre. Kern dieses Buches ist weiterhin die „Festschrift“ aus dem Jahre 1956, verfaßt von Dr. Hans Walther, Oberstudienrat am Steinbart-Gymnasium bis 1963, danach Gymnasialdirektor in Wuppertal.

Historiker Walther nutzte die Gelegenheit, zu zeigen, wie langweilig Geschichte geschrieben werden kann. Denn es handelt sich im Wesentlichen um einen Bericht über die Quellenlage. Autor Walther leistete sich Wertungen. Und die hatten es in sich.

Das fiel dem Steinbart-Abiturienten Leon Wystrychowski auf (Foto). Er entdeckte eine Vielzahl von Ungeheuerlichkeiten in Walthers Text und nahm Kontakt auf mit der Vereinigung des Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), dem Netzwerk gegen Rechts und der Jüdischen Gemeinde, und er wandte sich an die Presse. Die WAZ in ihrem Lokalteil, das Neue Deutschland und die Junge Welt berichteten, ebenso die Aktuelle Stunde (WDR-Fernsehen regional) und die ZDF-Heute.

„Von den ermordeten und deportierten jüdischen Schülern war keine Rede, dafür aber von der ,nationalsozialistischen Revolution’“, wird er in der WAZ zitiert.

Keine Spur davon, daß der Autor Dr. Hans Walther den unwissenschaftlichen Begriff „Nationalsozialistische Revolution“ in Frage stellt (bzw. in Gänsefüßchen setzt). „Nationalsozialistische Revolution“ ist eine Propagandafloskel, die der Historiker, wäre er einer, als solche erkennen und bezeichnen würde. „Nationalsozialismus“ zu sagen, wenn „Faschismus“ gesagt werden müßte, ist schon ein Euphemismus. „Revolution“ zu sagen ist falsch, wenn schon der Begriff „Machtergreifung“ die Beschönigung für die Machtübertragung ist (man könnte es auch Konterrevolution nennen). Vielleicht hatte der Autor die Absicht, mit dem in seinen Kreisen negativ konnotierten Begriff „Revolution“ Distanz zu den Nazis vorzutäuschen – dazu bedient er sich ihrer Terminologie.

Sein wahres Ich kommt zum Vorschein, wenn er nichts als Schmach an der Novemberrevolution („kommunistischer Aufstand“) findet, die dadurch in Gang kam, daß Matrosen in Kiel und Wilhelmshaven sich weigerten, für das Völkergemetzel weiterhin dienstbar zu sein, während er in einem fort um Verständnis dafür buhlt, daß das deutsche Volk zu drei bis vier Vierteln dem „Führer“ hinterhergerannt ist, und zwar auch dann noch, als nicht nur die „wahren Ziele“ der Nazis erkennbar waren, sondern auch ihre Unerreichbarkeit. Erkennbar waren die „wahren Ziele“ Hitlers von Anfang an. Darin liegt der Grund für seinen Erfolg. Hitler hatte Erfolg, weil er den Haß predigte. Mit Erfolg appellierte er an die niedersten Instinkte, die gelegentlich mit Euphemismen wie „nationale Ehre“ ummäntelt werden.

Wie will er es verstanden wissen, daß der Zweite Weltkrieg ein „unglückliches Ende“ hatte? Wie hätte der Zweite Weltkrieg enden müssen, damit Dr. Walther ein glücklicheres Ergebnis hätte verkünden können? Ich werde den Eindruck nicht los, daß er denen eine Stimme geben wollte, die dem Führer übelnahmen, daß er sie um den Sieg betrogen hat.

Er gibt sich zu erkennen als einer von denen, die sich eine Renaissance der Deutschen Nation als erstrebenswertes Anliegen vorstellen können, das ohne den böhmischen Gefreiten vielleicht besser hätte klappen können. Aus dieser Perspektive betrachtet ist Hitler 1933 aus einer Fliegende Untertasse gestiegen und hat alle hypnotisiert. Der „Historiker“ glaubte an das Schicksal. Für ihn hatte Hitler keine Vorgeschichte, die in der deutschen Geschichte seit 1815 begründet ist. Er leugnete schlicht, daß der deutsche Faschismus nicht Verfälschung und Mißbrauch des deutschen Nationalismus war, sondern dessen Konsequenz und Steigerung.

Die Vision „ohne Hitler und zusammen mit den Westmächten gegen die Russen“ erfüllte sich nach 1948 – nur eben nicht auf den Schlachtfeldern. Die Einbindung Westdeutschlands in den Kalten Krieg war gewissermaßen die Relativierung der Bedingungslosen Kapitulation.

Die am meisten abstoßende Passage in Walthers „Festschrift“ lautet so:

„Ein weiterer Schüler dieses Abiturjahrgangs [1928] begegnet mehrfach in der politisch-historischen Literatur: Heinz-Harro Schulze-Boysen […] Zur Zeit des Hitlerreiches stand er im Lager der kommunistischen Opposition. Zusammen mit dem Oberregierungsrat im Wirtschaftsministerium Arvid Harnack organisierte er als Oberleutnant im Luftfahrtministerium seit 1940 die Verschwörung der von Moskau aus gesteuerten sogenannten ‚Roten Kapelle‘. Diese sah ihre Hauptaufgabe darin, die russische Führung mit wichtigen militärischen Nachrichten zu versorgen ‚unter hemmungsloser Ausnutzung amtlich erworbener Spezialkenntnisse‘. Über den landesverräterischen Charakter dieser Organisation läßt Gerhard Ritter nicht den geringsten Zweifel. 1942 wurde das Komplott aufgedeckt. Der ‚in einwandfreier Form‘ durchgeführte Prozeß vor dem Reichskriegsgericht endete mit der Hinrichtung vieler Beteiligter, auch der Schulze-Boysens. Keinerlei Beziehung zu dieser landesverräterischen Gruppe hatte der Admiral Wilhelm Canaris (Abiturient von 1905).“

Das ist nicht ganz richtig. Canaris hatte durchaus eine „Beziehung“ zur Roten Kapelle. Seine Abwehr half mit, Schulze-Boysen und seine Freunde an den Galgen zu bringen.

Hitler und seine Partei sind nicht aus eigener Kraft nach oben gekommen. Sie wurden an die Macht gehoben – gefördert und geduldet von dem konservativen, national gesinnten deutschen Bürgertum, dessen Tuis nach 1945 die Geschichtsbücher schrieben. Dabei galt es, sich von Irrtum, Schuld und Mitschuld, Beihilfe, Versagen reinzuwaschen – durch ein geradezu pathologisches Festhalten an der Rechtfertigung des eigenen Versagens, das einzugestehen diese Versager vor der Geschichte nicht den Mumm hatten. Die Existenz einer mutigen Opposition gegen den Faschismus war die Widerlegung des bürgerlichen Opportunismus, ein „Stachel im eigenen Fleisch“. Also hieß es, diese zu verschweigen oder zu verunglimpfen. Der Starrsinn derer, die zu Hitler eine opportunistische Beziehung pflegten, wird vollends zur Niedertracht, wenn sie den Widerstand als Landesverrat denunzieren und auf die Gräber der Ermordeten spucken.

Die Beschwichtigungsformel, bei dem Machwerk handle es sich doch eben nur um ein „authentisches Zeitdokument“, überzeugt nicht. Die darin zum Vorschein kommende Sichtweise mag noch so sehr üblich gewesen sein zu ihrer Zeit, falsch war sie trotzdem. Ein Zeitdokument, in der Tat, das Aufschluß gibt über den Geistes- und Gemütszustand eines Landes, das aus Faschismus und Weltkrieg nichts gelernt hat.

In der Berichterstattung war die Rede von „teils unkommentierten Zeitdokumenten aus der NS-Zeit“ (Alfons Winterseel in der WAZ), „Abiturienten des Duisburger Steinbart-Gymnasiums bekamen zum Abschied feierlich Nazi-Propaganda überreicht. (Marcus Meier im Neuen Deutschland). Ist das nicht etwas unpräzise? Keine Zeile des Buches ist vor 1945 geschrieben worden. Es handelt sich doch eher um den typischen Blick des Bürgertums der 50er Jahre auf die Nazizeit.

Doch halt! Was da über die Rote Kapelle zu lesen ist: „von Moskau aus gesteuert“, „sah ihre Hauptaufgabe darin, die russische Führung mit wichtigen militärischen Nachrichten zu versorgen“, entspricht nicht der Wahrheit und ist der Anklageschrift entnommen, die der Staatsanwaltschaft von der Gestapo diktiert wurde. Die offizielle Geschichtsschreibung der 50er Jahre wurde aus Gestapo-Akten abgeschrieben.

Der Unterschied zwischen konservativer und faschistischer Propaganda wird undeutlicher, je genauer man hinschaut.

Die Intervention des Steinbart-Abiturienten Leon Wystrychowski hat Folgen. Schulleiter Ralf Buchthal räumte ein, man habe „eine Tradition über die Jahre unreflektiert mitgeschleppt. Wir nehmen das sehr ernst. Das Buch über die Geschichte der Schule wird so auch nicht mehr verteilt werden. Nach den Ferien werden wir uns mit dem VVN zu einem konstruktiven Dialog treffen.“

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Fundstücke aus dem Werk des Dr. Walther, kommentiert durch das Duisburger Netzwerk gegen Rechts:

So verließen 17 von 18 Oberprimanern, 8 von 16 Unterprimanern, 5 von 27 Ober- und 6 von 50 Untersekundanern sowie ein Untertertianer, insgesamt also 37 Schüler in edler Begeisterung als Kriegsfreiwillige die Schule.

An weiteren Veränderungen, welche die nationalsozialistische Revolution von 1933 nach sich zog, ist die Auflösung des nach 1918 eingeführten Elternbeirates zu nennen.

Es wurde gewissenlos oder auch in bester Absicht an die grundlegenden politischen Tugenden appelliert: sie wurden mißbraucht, an die größten Inhalte des nationalen geschichtlichen Bewusstseins: sie wurden verfälscht.

Es hieße die Tatsachen fälschen, wollte man das hohe Maß an Begeisterung, Gläubigkeit und Freiwilligkeit bei der Schülerschaft leugnen und unterschlagen, daß auch mancher Lehrer in ehrlicher Absicht einen Weg einschlug, dessen wirkliches Ziel er nicht kannte.

Diese Jugend, in der noch die Erinnerung an die schmachvollen Jahre des kommunistischen Aufstandes, des Ruhreinbruchs, der Seperatistenunruhen stark nachwirkte, mochte sich von der nationalsozialistischen Revolution eine Wiederherstellung der nationalen Ehre versprechen.

Hier wird versucht, die Schuld für die große Unterstützung der Nazis den Kommunisten und Franzosen in die Schuhe zu schieben!

Der schwere Terrorangriff vom 13. Mai 1943 z.B., bei dem 1350 t Spreng- und Brandbomben auf Duisburg niedergegangen und dem auch ein dreizehnjähriger Schüler der Klasse 1b und seine Mutter zum Opfer gefallen waren, hatte die Stadt furchtbar verwüstet.

Gemeint ist der Luftangriff der Alliierten am 12./13. Mai 1943, der im Zuge der Angriffe gegen die Kriegs- und Schwerindustrie im Ruhrgebiet ausgeführt wurde.

Nach wie vor entwickelte die Schule starke Initiativkräfte […] Pfingsten 1955 legte das Steinbart-Gymnasium ein entschiedenes Bekenntnis zum deutschen Osten ab, als es in einem Festakt die Patenschaft über das Löbenichtsche Realgymnasium in Königsberg, eine Schule mit verwandter, noch älterer Tradition, übernahm.

Mit „deutscher Osten“ werden in diesem Buch Gebiete bezeichnet, die Deutschland zur Schadenslinderung für Kriegsverbrechen und Völkermord an Polen und Russland abgab, „Mitteldeutschland“ ist Staatsgebiet der DDR.

Daß „Königsberg“ bereits seit 1946 Kaliningrad hieß, wird in keinem Wort erwähnt, stattdessen wird der Name aus der Zeit des Deutschen Reichs benutzt.

Die Katastrophe von 1945 mit ihrem Flüchtlingsstrom zeichnet sich erst auf Karte 6 ab, die eine Vorstellung gibt von dem Ausmaß der innerdeutschen Bevölkerungsbewegung, die der Zusammenbruch der Ostfront und die Kapitulation des Reiches auslösten.

Gemeint ist die Karte Einzugsgebiet der Schule: Geburtsorte aller von 1913 bis 1956 aufgenommenen Schüler.

1919 wurden Kinder vertriebener Ostdeutscher und Altdeutscher aus dem abgetretenen Reichsland Elsaß-Lothringen aufgenommen.

Hier wird unterschieden zwischen dem an Frankreich „abgetretenen“ ehemals deutschen Gebiet Elsaß-Lothringen und den Ostgebieten, die man nicht als russisch bzw. polnisch anerkennt!

Hinter den nackten Statistiken verbirgt sich schwerstes deutsches Volksschicksal.

Der zweite Weltkrieg mit seinem unglücklichen Ausgang griff auch in das Leben der Schule ein.

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Wir sind zutiefst empört

Diese Art von Geschichtsverfälschung steht im Gegensatz zu den Grundwerten einer offenen, antifaschistischen und demokratischen Gesellschaft. Schulen sollten diese Werte vermitteln und pflegen und uns zu mündigen Menschen erziehen. Wir fühlen uns daher verpflichtet, auf diesen Skandal aufmerksam zu machen und fordern eine klare Aufklärung. Dies wollen wir gemeinsam mit der Duisburger Zivilgesellschaft erwirken. Eine einfache Stellungnahme, mit dem Verweis auf das Alter des Textes lehnen wir ab: Die Auflage ist aus dem Jahre 2000, die abgedruckte AbiturientInnenliste sogar bis zum Jahrgang 2011 aktualisiert worden. Auch die Ausrede, es handele sich um ein authentisches Zeitdokument, können wir nicht gelten lassen, da mit dieser Begründung jedwede Propaganda und Literatur verbreitet werden kann.

Von der Schulleitung des Steinbart-Gymnasiums fordern wir daher:

Eine Distanzierung von dem geschichtsrevisionistischen Inhalt des Buches „Das Steinbart-Gymnasium zu Duisburg 1831 – 1981“, sowie dessen kritische Überarbeitung nach antifaschistischen und demokratischen Werten

Eine Aufarbeitung der Schulgeschichte im Nationalsozialismus, mit besonderem Hinblick auf ihre jüdischen und antifaschistischen Opfer

Ein klares Bekenntnis zum antifaschistischen Widerstandskämpfer Harro Schulze-Boysen – dabei anerkennen wir die ersten bereits gemachten Schritte

Unterzeichner:

Verschiedene SchülerInnen und Ehemalige des Steinbart-Gymnasiums
Duisburger Netzwerk gegen Rechts
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN – BdA) Kreisverband Duisburg
Jüdische Gemeinde Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen K.d.ö.R.
DIE LINKE. Kreisverband Duisburg
Friedensforum Duisburg
Deutsche Friedensgesellschaft (DFG-VK)
DKP Kreisorganisation Duisburg