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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

04.09.2013

Ludwigsburg will weitermachen

Reaktion aus Bremen und Ludwigsburg auf Zeitungskolumne

Am 12.8.13 hat das Neue Deutschland eine Kolumne "Strafe auch für Täter der Wehrmacht" von Ulrich Sander veröffentlicht. Er hat dazu Zuschriften erhalten. Er hatte geschrieben: Die Operationen ‚Last Chance’ ist äußerst unterstützenswert. Diese Verfahren kommen allerdings äußerst spät, und sie sind nicht vollständig. 

An die Zentrale Stelle in Ludwigsburg und die anderen zuständigen Staatsanwaltschaften sowie Justizministerien sowie an das Simon Wiesenthal Center richtete die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes den Appell, außer gegen Wachmannschaften der KZ auch gegen verbrecherische Soldaten zu ermitteln. Oder diese auszuliefern, wenn sie im Ausland – wie in Italien – verurteilt wurden. Sander: „Bisher hielt die deutsche Justiz die schützende Hand über sie.“

Der Stellvertretende Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen (NSG), Staatsanwalt Thomas Will, hat der VVN-BdA inzwischen geantwortet: „Die Zentrale Stelle  sieht sich der Verfolgung von NSG in gleicher Weise verpflichtet, ungeachtet, ob es sich um ehemalige Wehrmachts- oder SS-Angehörige oder sonstige Täter handelt.“

Günter Knebel aus Bremen setzte einen anderen Akzent in seinem Kommentar zur Aktion „Last Chance“, den er mir zusandte. Für den Bundesvorstand der Bundesvereinigung Opfer der NS-MIlitärjustiz e.V. erklärte er zur aktuellen Kampagne des Simon-Wiesenthals-Zentrums, letzte NS-Täter zu ermitteln:

"Sicher ist es verdienstvoll und eine moralische Pflicht, auch die abnehmende Zahl noch lebender NS-Täter im Blick zu behalten und sie aufzuspüren, soweit das noch möglich ist. Aber wäre es nicht noch wichtiger, heute den Blick auf diejenigen Personen und vor allem jene Strukturen zu lenken, die es verhindert haben, dass auch heute noch NS-Täter ungestraft unter uns sind? Dass die langen Schatten der NS-Zeit insbesondere in Westdeutschland erhebliche Auswirkungen auf den Wiederaufbau von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft hatten, ist für einzelne Bereiche in Politik, Diplomatie und Militär längst nachgewiesen. Welche Folgen z.B. die in der Regel bruchlose Weiterverwendung von annähernd 3.000 Wehrmachtjuristen, die fast alle den Krieg unbeschadet überlebt haben, für die Nachwelt hatte, wird zwar seit langer Zeit geahnt, ist aber in seiner Tragweite - von wenigen Einzelfällen abgesehen - bisher nicht wissenschaftlich erforscht. Was, wenn nicht die aktuellen Skandale um das gravierende Versagen bei Polizei und Geheimdiensten in Sachen NSU-Morde, belegt mehr, dass nur durch Aufklärung und öffentliche Diskussion die Last der NS-Vergangenheit aufgearbeitet werden kann? Die stattliche Zahl von Personen in Ämtern und Behörden, die in Vergangenheit und Gegenwart NS-Täter gedeckt und der Aufklärung entgegengewirkt haben, sollte nicht (erneut) übersehen oder vergessen, sondern einmal ins Zentrum von Ermittlungen genommen werden, um die Folgen der NS-Barbarei wirklich zu überwinden." 

dpa-Interview zum Thema

Angehöriger von NS-Opfer: «Wir hoffen auf Gerechtigkeit»

Von Julia Giertz, dpa

NS-Täter sollten ihrer Strafe nicht entgehen, auch wenn sie alt und gebrechlich sind. Das fordern Angehörige von NS-Opfern und begrüßen die Ermittlungen gegen mutmaßliche KZ-Aufseher. Die Prozesse könnten ein Zeichen gegen Unmenschlichkeit setzen.

Ludwigsburg/Dortmund (dpa/lsw) - NS-Prozesse 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg? An diesem Dienstag stellt die NS-Fahndungsstelle in Ludwigsburg ihre Vorermittlungen zu mehr als 40 mutmaßlichen Aufsehern des KZs Auschwitz vor. Die Unterlagen will sie in Kürze den Staatsanwaltschaften übergeben. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA), in der sich einige Tausend Überlebende und Angehörige von NS-Opfern engagieren, hofft, dass es zu Prozessen kommt. «Diese Menschheitsverbrechen dürfen nicht ungesühnt bleiben und nicht vergessen werden», sagt VVN-Bundessprecher Ulrich Sander (72) aus Dortmund im dpa-Interview.

Frage: Warum werden einige NS-Täter erst heute belangt?

Antwort: Der jahrelange Streit über die Verjährung von Mord, die   erst 1979 ganz abgeschafft wurde, hat dazu geführt, dass NS-Täter lange unbehelligt blieben. In Deutschland hat sich im Gegensatz zu den Nürnberger Prozessen die Meinung durchgesetzt, den NS-Tätern müsse die individuelle Schuld nachgewiesen werden. Dass das so kommen konnte, liegt an dem Fortleben der NS-Justiz in der Bundesrepublik. Ein mutiger Richter in München hat 2011 das jahrzehntelange Paradigma gebrochen und den Sobibor-Aufseher John Demjanjuk rein nach Aktenlage verurteilt. Damit hat er den Weg frei auch für andere ähnliche Fälle gemacht, die schon zu den Akten gelegt worden waren.

Fragen: Warum sollten NS-Täter auch ohne den Nachweis individueller Schuld verurteilt werden können?

Antwort: Wer in einem Konzentrationslager arbeitete, wusste, dass er Teil einer Tötungsmaschinerie war. Davor konnte niemand die Augen verschließen.

Frage: Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dem Aufrollen der Fälle?

Antwort: Wir hoffen auf Gerechtigkeit. Ganz konkret wünsche ich mir, dass Anklage gegen die Täter erhoben wird und sie bestraft werden - egal ob sie nachher haftfähig sind oder nicht. Für mich als Sohn eines Mannes, der als junger linker Widerstandskämpfer von den Nazis grausam verfolgt wurde, wäre es ein Zeichen der Gerechtigkeit und der Mahnung, NS-Verbrechen auch jetzt noch gesühnt zu sehen.

Frage: Welches Signal könnte von der juristischen Aufarbeitung der Fälle ausgehen?

Antwort: Wir müssen für die Zukunft klarstellen, dass solche Verbrechen immer geahndet werden, dass Mörder niemals davonkommen. Insofern können Verurteilungen als Abschreckung dienen. Es tut mir weh zu sehen, dass Neonazis heute noch versuchen, die Taten von NS-Verbrechern zu verharmlosen.

Frage: Wenn es zu Prozessen kommt, werden Sie hingehen?

Antwort: Nein, das glaube ich nicht. Ich beschäftige mich viel mit dem Thema, eine Begegnung mit den Tätern ist aber etwas anderes. Ich träume jetzt schon von jenem Mord-System. Das möchte ich nicht noch verstärken. Allerdings könnte ich mir eine Betreuung und Begleitung noch älterer Zeugen vorstellen.

Pressespiegel:

68 Jahre später: Prozess gegen KZ-Aufseher beginnt
http://www.ksta.de/politik/68-jahre-spaeter-prozess-gegen-kz-aufseher-beginnt,15187246,24183674.html

Deutsche Justiz ermittelt gegen 30 KZ-Aufseher
http://www.dw.de/deutsche-justiz-ermittelt-gegen-30-kz-aufseher/a-17062461

Sprecher von NS-Opferverband: „Wir hoffen auf Gerechtigkeit“
http://www.ruhrnachrichten.de/nachrichten/politik/inland/Interview-Sprecher-von-NS-Opferverband-Wir-hoffen-auf-Gerechtigkeit;art29862,2112857

NS-Fahndungsstelle Ludwigsburg Welle von neuen Prozessen gegen Altnazis möglich
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.ns-fahndungsstelle-ludwigsburg-welle-von-neuen-prozessen-gegen-altnazis-moeglich.7fee2e30-d4b1-412e-8f32-d2b690f7e859.html

92-year-old tried in Germany after being charged with war crime
http://www.justicenewsflash.com/2013/09/03/92-year-old-tried-in-germany-after-being-charged-with-war-crime_20130903111882.html

La justicia alemana investigará a 30 exguardias de campo de exterminio de Auschwitz
http://noticias.terra.com/crimenes/la-justicia-alemana-investigara-a-30-exguardias-de-campo-de-exterminio-de-auschwitz,a58af605102e0410VgnCLD2000000dc6eb0aRCRD.html

Déportations à Auschwitz: la justice allemande saisie
http://lhistoireenrafale.blogs.lunion.presse.fr/2013/09/03/deportations-a-auschwitz-la-justice-allemande-saisie/

Germany to charge 30 Auschwitz camp guards
http://thepeninsulaqatar.com/international/251544-germany-to-charge-30-auschwitz-camp-guards.html

Ex-nazista de 92 anos vai a julgamento na Alemanha
http://www.parana-online.com.br/editoria/mundo/news/691850/?noticia=ALEMANHA+JULGA+EX+NAZISTA+DE+92+ANOS