06.08.2013 Braune Töne gegen »Rote
Kapelle« Duisburg:
Skandal um offizielle Schulgeschichte Abiturienten
des Duisburger Steinbart-Gymnasiums bekamen zum Abschied feierlich
Nazi-Propaganda überreicht. Nicht von der NPD, sondern vom
Ehemaligen-Verein der traditionsreichen Schule. Die offizielle
Schulgeschichte diffamiert einen der prominentesten Ex-Schüler
als »Landesverräter«: den Antifaschisten
Harro Schulze-Boysen. Drei Wochen nach Verleihung des
Abiturzeugnisses ist Leon Wystrychowski ein gefragter Mann. Gerade ist
in der wichtigsten Zeitung der Region ein Artikel über den
Skandal erschienen, den der 18-Jährige öffentlich
machte: »Abiturgeschenk an Duisburger Gymnasium erregt die
Gemüter«. Im Anschluss muss der angehende Student
gleich zwei Termine mit WDR-Journalisten absolvieren. Tags darauf wird
seine »heldenhafte Pflichterfüllung« von
der schwarz-braunen »Jungen Freiheit« verspottet
werden. Geschenk
zum Abschied Nun aber sitzt Wystrychowski in einem
Café im Duisburger Hauptbahnhof und hält routiniert
das Buch des Anstoßes hoch. »Das
Steinbart-Gymnasium zu Duisburg 1831 bis 1981«, intern
schlicht »die Schulgeschichte« genannt, wurde ihm
und den anderen diesjährigen Abgängern des
angesehenen Gymnasiums feierlich zum Abschied überreicht. Doch
Freude bereitete die Lektüre Wystrychowski durchaus nicht. Grün
ist der Umschlag, braun mancher Inhalt des Druckwerkes: Immer wieder
ist von der »nationalsozialistischen Revolution«
die Rede, wird über die angeblich »ehrlichen
Absichten« schwadroniert, mit der Schüler wie Lehrer
ihr dienten. Die bedingungslose Kapitulation des Dritten Reichs wird
als »Katastrophe von 1945« bezeichnet und der
»unglückliche Ausgang« des Krieges
bedauert. Vor allem aber diffamiert die Schrift einen
der prominentesten Absolventen des Gymnasiums: Harro Schulze-Boysen,
Wehrmachts-Offizier und antifaschistischer Widerstandskämpfer,
einer der wichtigsten Köpfe der »Roten
Kapelle«. In dem offiziellen Buch wird dem einstigen
Schüler unter Berufung auf stramm-rechte Historiker
unterstellt, er habe unter »unter hemmungsloser Ausnutzung
amtlich erworbener Spezialkenntnisse« die
»russische Führung mit wichtigen
militärischen Nachrichten« versorgt. Der Charakter
der »Roten Kapelle« sei schlicht
landesverräterisch, Schulze-Boysen sei in einem »in
einwandfreier Form« durchgeführten Prozess
verurteilt worden. Man könnte die
Schulgeschichte als ein historisch gewachsenes Werk betrachten.
Herzstück ist eine »Festschrift zur
Hundertfünfzigjahr-Feier« des Gymnasiums von 1956,
die den Großteil der nun kritisierten Aussagen
enthält. 1981 erschienen, wurde das Büchlein 2000 und
2011 nachgedruckt. Den Druck organisierte und finanzierte der
Ehemaligen-Verein des Steinbart-Gymnasiums. Vorsitzender: Frank
Kopatschek, Pressesprecher der Stadt Duisburg. Stets
wurden die im Nazi-Geist verfassten Passagen mitgedruckt. Das Argument,
es handele sich um Zeitdokumente, lässt Wystrychowski nicht
gelten. »Schule wie Ehemaligen-Verein verharmlosen das
Buch«, sagt er. »Und wo sind eigentlich die
›Zeitdokumente‹ zu den jüdischen
Schülern?« Bekenntnis gefordert Mit
Hilfe der VVN, der LINKEN und der jüdischen Gemeinde gelang es
Wystrychowski, den Skandal öffentlich zu machen. Eine
Anstecknadel, »die ansonsten nur von Burschenschaften und
Vertriebenenverbänden verteilt wird«, gilt nun nicht
mehr als adäquates Abitur-Geschenk. Über die
Schulgeschichte wird öffentlich und wohl auch intern
nachgedacht. Der Abiturient will mehr: »Wir erwarten eine
Distanzierung von den nazi-freundlichen Passagen der Schulgeschichte
und wollen, dass sie nicht mehr verteilt wird. Und wir fordern ein
eindeutiges Bekenntnis zu Harro Schulze-Boysen.« Marcus
Meier Mit freundlicher Genehmigung des Neuen Deutschland vom 01.08.2013. |