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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

21.07.2013

Mahntafel an der ehemaligen Springorum-Villa abgelehnt

Dortmunder VVN-BdA macht weiter

Die VVN-BdA Dortmund bekam diesen Bescheid: „Die Bezirksvertretung Innenstadt-Ost (hat) in der Sitzung am 09.07.13 einstimmig die Aufstellung einer Gedenktafel an der Eintrachtstraße abgelehnt.“(Az. 33 BV ln-O vom 15.07.13, unterschrieben von Thomas Renzel, Geschäftsführer) Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten, Kreisvereinigung Dortmund, hatte den Antrag gestellt , an der Ecke Hainallee/ Eintrachtstraße (Grundstück der ehem. Villa Springorum) in Dortmund Innenstadt-Ost eine Mahntafel zur Erinnerung an die Tagung der Ruhrlade vom 7. Januar 1933 anzubringen. Dies sollte im Rahmen der Erinnerung an den 80. Jahrestag der Machtübertragung an Hitler und die NSDAP geschehen.

Dies ist der von der VVN-BdA bei einer öffentlichen Mahnwache am 7.1.2013 vorgeschlagene Text: 

„Hier an der Ecke Eintrachtstraße/Hainallee stand die Villa Springorum. Es trafen sich darin am 7. Januar 1933 Franz v. Papen und führende Ruhrindustrielle der ‚Ruhrlade’, um über die Machtübertragung an Hitler weiter zu beraten. Sie erfolgte am 30. Januar 1933, und viele Ruhrindustrielle unterstützten sie. Sie profitierten von Krieg, Zwangsarbeit und Antisemitismus.“

Notizen von der Beratung:

Vor Beratung des Antrags weist der Bezirksbürgermeister darauf hin, dass ein gleichlautender Antrag der VVN am 03.02.2009 im Rat der Stadt (Ausschuss für Eingaben) beraten worden ist. Dem Antrag wurde seinerzeit nicht zugestimmt. Stattdessen wurde dem Vorschlag des Kulturdezernenten Stüdemann gefolgt, wonach der Textvorschlag eher für ein wissenschaftliches Kolloquium geeignet sei, denn für die Verstetigung in Form einer „Mahntafel“ (Schreiben Stüdemann vom 14.01.2009).

Anschließend führt der Berichterstatter Dr. Mühlhofer (StA 41) u.a. aus, dass es eine enge Verflechtung großer Teile der Wirtschaft mit dem NS-Staat gegeben habe. Sie habe an allen Verbrechen des NS-Staates teilgenommen. Darauf wurde auch in der Ausstellung zur Zwangsarbeit in der Zeche Zollern hingewiesen. Es sei jedoch, was die Frage der Machtübertragung an Hitler angeht, strikt zu unterscheiden zwischen der Zeit vor und nach dem 30. Januar 1933. Nach seiner und der Erkenntnis anderer Historiker war die Lage undurchsichtig, diffus, was die Unterstützung Hitlers durch die Wirtschaft und ihr Bestreben, ihn zum Reichskanzler zu machen, angeht. Es sei nicht so einfach zu sagen, dass die wirtschaftlichen Eliten Hitler zur Macht verhelfen wollten. Die deutsche Wirtschaft habe zwar auf die Abschaffung der Demokratie, nicht aber auf die Installation des NS-Regimes orientiert. Mühlhofer habe deshalb Bedenken dem Antrag der VVN zuzustimmen.

In seiner Erwiderung wies Ulrich Sander auf die Veröffentlichung von Prof. Gustav Luntowski (ehem. Leiter des Stadtarchivs Dortmund) hin, der aus bisher ungenutzten Quellen wie den Privatarchiven der Mitglieder der „Ruhrlade“ schöpfen konnte. Luntowski stellt in seinem Buch „Hitler und die Herren an der Ruhr“ fest, dass eine Mitverantwortung der Industriellen für das nationalsozialistische Unrechtssystem nicht zu verneinen sei. Herr Mühlhofer antwortete darauf, dass Herr Luntowski größeres Vertrauen in die Unterlagen der „Ruhrlade“ habe als er selbst. Nach seiner Auffassung haben sich keine neuen Quellen erschlossen, die ihn zu einer anderen Beurteilung der geschichtlichen Vorgänge in besagter Zeit veranlassen könnten.

Herr Mühlhofer wies in diesem Zusammenhang auf die beabsichtigte Überarbeitung des Materials der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache hin. Ferner kündigte er eine Gedenktafel am Phönixsee für die Opfer des dortigen Arbeitserziehungslagers der Stahlindsutrie von vor 1945 an.

In der Beratung äußersten sich die Mitglieder der Fraktionen wie folgt:

CDU
Nichts überstürzen. „Es muss nicht an jeder Straße eine Mahntafel angebracht werden,“

FDP
Gegen Text und Tafel. 

Grüne
Mahntafel ist nicht notwendig, weil Material der Gedenkstätte Steinwache überarbeit wird.

SPD
Haben noch Beratungsbedarf und brauchen weitere Informationen. Gibt es andere Möglichkeiten als Mahntafel? Stellen Antrag auf Vertagung der Beschlussfassung.

Die BV beschloss auf Antrag der SPD einstimmig die Vertagung der Beschlussfassung. Diese Beschlussfassung ist nun erfolgt, und zwar ohne erneute Anhörung der VVN-BdA.

Dazu kommentiert Ulrich Sander:

Zur Erinnerungsarbeit gehört neben der Arbeit mit Stolpersteinen zur Erinnerung an die Opfer auch die Erinnerung an die Täter, auch an jene aus den Kreisen der ökonomischen Eliten. Warnung vor neuem Unheil ist geboten. Man beachte z.B. nur das demokratiefeindliche, wenn auch (noch) nicht profaschistische Wirken großer Teile der derzeitigen Finanzwirtschaft. Dies sei evident, wie es auch vor dem 30. Januar 1933 evident war. Die „Ruhrlade“ hat ganz offensichtlich Anfang Januar 1933 den Schwenk hin zur Machtübertragung an Hitler gemacht, wenn auch die einzelnen Mitglieder sich öffentlich unterschiedlich verhielten. Z. B. verlangten bereits im November 1932 Vögler und Springorum jr. und andere vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, Hitler mit der Regierungsbildung zu beauftragen (wie auch in der Gdenkstätte Steinwache ausgeweisen). Gustav Krupp von Bohlen und Halbach hingegen hat sich erst im Februar 1933 als Hitlerbefürworter geoutet. Krupp, der später zu den Hauptkriegsverbrechern gezählt wurde, voriges Jahr aber völlig zu Unrecht in NRW zu Ehren des 200. Kruppgeburtstages groß gefeiert wurde, hat sich bereits anläßlich des Preußenschlags vom 20. Juli 1932 als Förderer von Deutschnationaler Volkspartei wie der Hitlerpartei betätigt. Beide Parteien arbeiteten eng zusammen. Krupp sorgte dafür, dass die von ihm ökonomisch und politisch abhängige Stadt- und Polizeispitze von Essen das Personal für den Staatsstreich gegen die sozialdemokratische preußische Regierung stellte. Der 1932er Verfassungsbruch von Papen stellt eine wichtige Vorstufe zur Machtübertragung an Hitler dar. Papen hat dann auch Anfang Januar 1933 in Köln und Dortmund in Gesprächen mit Nazi- und Wirtschaftsvertretern die Weichen in eine unheilvolle Entwicklung gestellt. Der Tatort Villa Springorum sollte gekennzeichnet werden, wie auch in Köln der entsprechende Tatort mit einer Tafel am Stadtwaldgürtel gekennzeichnet ist. Die VVN-BdA wird in dieser Frage weiter aktiv bleiben.

Literatur: 

Gustav Luntowski: „Hitler und die Herren an der Ruhr – Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich“, Peter Lang Frankfurt am Main/Bern, Europäischer Verlag der Wissenschaften, 2000, 315 Seiten, 52,-- Euro
Adam Tooze: "Ökonomie der Zerstörung. Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus", Siedler Verlag, München 2007, 927 S., 44 Euro
Joachim Petzold "Franz von Papen - Ein deutsches Verhängnis", 1995 Buchverlag Union München/Berlin, und "Generalprobe für Hitler" in Illustrierte Historische Hefte Nr. 24, Berlin 1980
Ulrich Sander (Hg.) "Von Arisierung bis Zwangsarbeit - Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933-1945", Köln, papy rossa, 2012 

siehe auch:

http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1098_springorum.htm

http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1040_springorum.htm