22.05.2013 Scheitert das NPD-Verbot in
Straßburg? Teile
der deutschen Politik und der Presse behaupten, ein Verbot der NPD
durch das Bundesverfassungsgericht könnte an der
Europäischen
Menschenrechtskonvention scheitern. Doch solche Einwände sind
rechtlich nicht überzeugend, schreibt Björn
Elberling, Autor des antifaschistischen Magazins "der rechte
rand". Ein
Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages ist die
Grundlage für die Einschätzung, ein
mögliches NPD-Verbot
könnte durch den »Europäischen Gerichtshof
für
Menschenrechte« (EGMR) in Straßburg kassiert
werden.
Kritikerlnnen beziehen sich auf das Urteil des Gerichtshofs zum Verbot
der türkischen Partei »Refah Partisi«
(»Wohlfahrtspartei«) 2003. Dort hat der EGMR
geäußert, ein Parteiverbot könne nur
gerechtfertigt
werden, wenn von der Partei eine ernsthafte Gefahr für die
Demokratie ausgehe. Bezogen hat er sich dabei auf Wahlumfragen, wonach
die »Wohlfahrtspartei« eine Mehrheit erzielen
könnte.
Verbote anderer, kleinerer Parteien hat er dagegen immer aufgehoben.
Angesichts der weitgehenden Chancenlosigkeit der NPD bei bundesweiten
Wahlen sei daher nicht zu erwarten, dass ein Verbot in
Straßburg
Bestand habe. Teilweise beziehen sich Kritikerlnnen noch auf ein
weiteres vom EGMR bestätigtes Parteiverbot, nämlich
das der
baskischen »Herri Batasuna«. Hier hat sich der
Gerichtshof
zentral darauf bezogen, »Herri Batasuna« habe die
als
terroristisch eingestufte ETA unterstützt. Übertragen
auf die
deutschen Verhältnisse hieße dies, nur der Nachweis
direkter
Verbindungen der NPD zum NSU könne ein Verbot
»Straßburgfest« machen. Ein
Blick auf die Urteile des EGMR zeigt, dass diese Befürchtungen
stark übertrieben sind. Der Gerichtshof hat zwar betont, dass
Parteiverbote einer strengen Überprüfung unterliegen,
aber
auch deutlich gemacht, dass die Staaten einen Beurteilungsspielraum
hinsichtlich des Zeitpunktes eines Verbotes haben. Sie müssen
und
dürfen zum Schutz ihrer Bevölkerung nicht warten, bis
eine
Partei die Macht ergriffen hat und konkrete Schritte hin zu
Maßnahmen unternimmt, die grundlegende Menschenrechte
verletzen.
Sie müssen auch nicht warten, bis die Partei kurz vor der
Machtergreifung Ist - gerade im Fall der
»Wohlfahrtspartei«
stellt der EGMR auch die Frage, ob der Staat für sein langes
Abwarten vor Einleitung eines Parteiverbotes kritisiert werden
könne - was er letztlich verneinte. Tatsächlich
hat der
EGMR noch nie ein Verbot an der geringen Bedeutung der Partei scheitern
lassen. Dies gilt gerade in dem knappen Dutzend Fälle, in
denen er
Verbote linker türkischer Parteien aufhob: obwohl einige der
Parteien sich eben erst gegründet hatten und keine von ihnen
signifikante politische Macht besaß, hat der EGMR nicht auf
ihre
Bedeutungslosigkeit verwiesen, sondern darauf, dass sie keine
konventionswidrigen Ziele verfolgten. Selbst wo er einzelne Aussagen
von Parteivertreterlnnen für problematisch hielt, aber das
Verbot
dennoch für rechtswidrig, hat e sich nicht auf die geringe
Bedeutung der Partei, sondern auf die gering Bedeutung dieser Aussagen
für die Politik der Partei bezogen. Einzelnen
Urteilen
lassen sich sogar konkrete Hinweise dafür entnehmen, dass der
EGMR
das Verbot einer Partei, die nachgewiesene konventionswidrige Ziele
verfolgt, völlig unabhängig von ihrer konkreten
Bedeutung
bestätigen würde. So etwa im Fall der
tartarisch-separatistischen »Demokratischen Volkspartei
Vatan«, die gegen ihr Verbot durch die russischen
Behörden
Klage erhob: Der EGMR hielt die Beschwerde zwar schon aus formalen
Gründen für unzulässig, aber zwei der
Richter
äußerten sich auch in der Sache. Sie hielten das
Verbot, das
unter anderem auf Aufruf zum bewaffneten Aufstand gegen den russischen
Staat gestützt war, für offensichtlich
rechtmäßig.
Auf die Frage nach der politischen Bedeutung der Partei, sei es in
Russland, sei es in der Region, gingen die Richter m keinem Wort ein. Hinzu
kommt, dass die NPD im Fall eines Parteiverbots auch begründen
müsste, warum nicht Artikel 17 der EMRK auf sie Anwendung
finden
sollte. Demnach bietet die Konvention keinen Schutz für
Verhalten,
da gerade auf die Abschaffung der Konventionsrechte gerichtet ist. Auf
diesen Artikel hat der EGMR in Urteilen zu Parteiverboten immer wieder
hingewiesen. In einem Fall, der zwar kein Verbot betraf, aber die
Bestrafung wegen Mitgliedschaft in der »Islamischen
Befreiungspartei«, hat er auch tatsächlich die
Beschwerden
der Parteimitglieder wegen Artikel 17 verworfen. Schließlich
hat der Gerichtshof auch dargelegt, dass bei Parteiverboten stets die
Geschichte des Staates berücksichtigt werden müsse -
ein
weiterer Grund, warum er sich hüten wird, das Verbot einer
deutschen Nazipartei nur wegen ihrer geringen Wahlchancen aufzuheben. Das
vielzitierte Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes - das
übrigens selbst nicht zu dem Schluss kommt, ein NPD-Verbot
würde zwingend am EGMR scheitern - geht auf diese Fragen nicht
ein, sondern fasst auf einer knappen Seite die abstrakten
Obersätze aus dem Urteil zur
»Wohlfahrtspartei«
zusammen und vergleicht diese mit den Urteilen des
Bundesverfassungsgerichts aus den 1950ern Jahren zum Verbot der
»Sozialistischen Reichspartei« und der
»Kommunistischen Partei Deutschlands«. Zu
guter
Letzt: selbstverständlich gilt auch für den EGMR,
dass Recht
politisch ist, dass er seine Urteile nicht völlig
unbeeindruckt
von politischen Erwägungen fällt. Sollte das
Bundesverfassungsgericht ein Verbot der NPD aussprechen, erscheint es
kaum vorstellbar, dass der EGMR dieses Verbot wegen ihrer geringen
Wahlchancen aufheben würde. Björn Elberling
Der
Artikel ist zuerst erschienen in "der rechte rand" 142/2013. Mit
freundlicher Genehmigung von "der
rechte rand". |