15.05.2013 Ein nachdenkenswertes Jubiläum Reinhard Junge: Zur Geschichte der Sachsenhausen-Komitees: Der
Nr. 4/2013 der „Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der
Partei DIE LINKE“ dürfen wir folgenden Beitrag entnehmen und
mit Genehmigung des Autors Reinhard Junge veröffentlichen: Reinhard Junge: Zur Geschichte der Sachsenhausen-Komitees: Ein nachdenkenswertes Jubiläum. Zur Geschichte der Sachsenhausen-Komitees: Ein nachdenkenswertes Jubiläum 1989/90:
Mit der DDR „erbte“ die Bundesregierung ein besonders
delikates Problem: die Nationalen Gedenkstätten. Im Westen hatte
man es bis dahin den Ländern und Städten überlassen, die
Geschichte der KZs und Nazi-Folterstätten aufzuarbeiten –
und oft geschah das sehr widerwillig, halbherzig und erst auf Druck
ehemaliger Widerstandskämpfer und von Bürgerinitiativen. Nun
aber hatte man Gedenkstätten wie Sachsenhausen „am
Hals“, in denen der Faschismus als Produkt des Kapitalismus, als
Mittel zur Vernichtung der Arbeiterbewegung und Instrument der Profit
verheißenden Eroberungskriege dargestellt und der Widerstand
gegen ihn gewürdigt wurden. Schleifen konnte Sachsenhausen
oder Buchenwald nicht – also musste diese Stätten umbauen
und anders interpretieren. In Siegermanier machten sich bestens
bezahlte bürgerliche Historiker und Museumspädagogen daran,
alle Zeugnisse des „verordneten Antifaschismus“ aus
DDR-Zeiten auszumerzen. In Sachsenhausen z.B.
störten sich die westlichen Museumspädagogen bereits an den
Silhouetten der Häftlingsbaracken am Rande des Appellplatzes
– sie wurden als unhistorisch bezeichnet und abgerissen. Dann
kritisierte man das Lagermuseum. Die relativ geringe Beachtung der
jüdischen Opfer wurde bisweilen als Zeugnis eines latenten
Antisemitismus gedeutet. Und selbstverständlich wurden aus den
Entscheidungsgremien alle Vertreter des kommunistischen Widerstands
entfernt, sofern sie nicht jede Änderung bereitwillig abnickten. Ein
Kernpunkt der Debatten war die 1945 erfolgte Verwendung des ehemaligen
KZs als Speziallager der Sowjetarmee, in dem vor allem gefangene Nazis
untergebracht wurden. KZ und Sonderlager sollten als historische
Kontinuität dargestellt werden – als „Beleg“
für die in der BRD gepflegte „Totalitarismus“-Theorie,
nach der Faschismus und Sozialismus nur zwei Spielarten derselben
diktatorischen Staatsauffassung sind. (Jahrzehnte lang waren die Lehrer
im Westen dazu verpflichtet, diese Theorie zu lehren.) Auf die
schlichte Frage, ob die Sowjets die SS-und NSDAP-Leute 1945 etwa in
Hotels hätten unterbringen sollen, kam in diesem Zusammenhang
niemand. November 2012: Andreas Meyer und Regina Szepansky
feiern das 15-jährige Bestehen des „Sachsenhausen-Komitees
in der Bundesrepublik Deutschland“, dessen Vorsitzende sie sind
[„antifa“, Heft 11/2013]. Sie berichten, dass es seit Mitte
der 90er Jahre Führungen durch die Gedenkstätte und
Informationsveranstaltungen gebe – das Fehlen der Adverbiale
„wieder“ könnte suggerieren, dass es so etwas in der
DDR nicht gegeben habe. Zugleich wird die Arbeit des seit etwa 1960 im
Westen tätigen „Sachsenhausen-Komitees für die
Bundesrepublik Deutschland“ fast völlig ignoriert und als
bedeutungslos abqualifiziert. Ich selbst habe aber schon als
Schüler viel von dem Wirken dieses Komitees hautnah mitbekommen,
denn mein Vater Heinz Junge aus Dortmund (ehemals Mitglied im Illegalen
Lagerkomitee der Häftlinge) war einer der Organisatoren. Schon die
Menge an „Sachsenhausen-Informationen“ die auf unserem
Wohnzimmertisch tagelang eingetütet und dann verschickt worden
sind, kann ich nicht einmal schätzen. Diese
unregelmäßig erschienene Zeitschrift [Zeitweilig auch unter
dem Namen „Der Appell“ verbreitet] informierte z.B.
über Prozesse gegen ehemalige SS-Aufseher, über alte Nazis im
Öffentlichen Dienst der BRD (vor allem in Polizei und Justiz),
aber auch über Fragen der verweigerten Haftentschädigung
für „rückfällig“ gewordene Kommunisten. Die
beiden zuletzt genannten Komplexe tauchten in der bürgerlichen
Presse jener Jahre so gut wie gar nicht auf und über Prozesse
wurde höchstens bei spektakulären Verhandlungen berichtet
– etwa über den großen Auschwitz-Prozess in
Frankfurt/M oder das Verfahren gegen die Sachsenhausener SS-Schergen
Sorge und Schubert in Bonn. Anfangs wurde diese Informationen
in einer Auflage von über tausend Exemplaren gedruckt. Für
viele ehemalige Häftlinge waren sie eine wichtige Stütze im
Alltag. Immerhin war die KPD seit 1956 verboten – und in einigen
Bundesländern zeitweise auch die VVN, bei der man eigentlich
kompetente Beratung zu Haftentschädigung, Wiedergutmachung etc.
bekommen konnte. Außerdem hat das Komitee nicht nur
existenzielle Häftlingsinteressen vertreten, sondern auch wichtige
Informationen für oftmals lernunwillige Staatsanwälte
geliefert, Hinweise auf noch lebende Zeugen gegeben und
öffentliche Aufklärungsarbeit geleistet. Meyer/Szepansky
verschweigen aber nicht nur den Namen meines Vaters, sondern auch Rudi
Larsch, Harry Naujoks, Franz Ballhorn, Hein Meyn, Georg Wieber und
andere Kameraden, die über Jahre hinweg aufopferungsvolle Arbeit
geleistet haben. Mitte der Sechziger Jahre entstand – mit
anfangs sehr primitiven Mitteln ebenfalls an unserem Wohnzimmertisch
hergestellt – eine Wanderausstellung über das KZ
Sachsenhausen. Sie wurde zuerst in Köln und Dortmund, in den 70ern
auch in Wiesbaden, Darmstadt, Kassel und anderen Städten
gezeigt. Ohne die Unterstützung der ehemaligen Häftlinge
Reinhold Heinen (Verleger der CDU-nahen Zeitungen
„Kölnische“ bzw. „Bonner Rundschau“) und
Georg Buch (SPD-Landtagspräsident in Hessen) wäre diese
Ausstellung nie an die Öffentlichkeit gekommen. Bedeutsam
an dieser Ausstellung war auch, dass sie auf die damals gerne
verbreitete Legende verzichtete, Hitler sei nur wegen seiner
rhetorischen Fähigkeiten an die Macht gekommen. Industrielle und
Bankiers, von denen die Nazipartei finanziell unterstützt wurde,
waren namentlich genannt. Ebenso wurde am Beispiel Sachsenhausens
dokumentiert, dass deutsche Rüstungskonzerne von der SS zahlreiche
KZ-Häftlinge für Sklavenarbeit in den Fabriken
„angemietet“ hatten. Hunderte von Schulklassen haben diese
Ausstellung gesehen – und für die meisten Schüler/innen
(und viele Lehrer) waren das völlig neue Erkenntnisse. In
all den Jahren hat das West-Komitee nicht nur feste Verbindungen zum
Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR
gepflegt, sondern auch mit Ex-„Sachsenhausern“ in den
Benelux-Staaten, in Norwegen, England, Frankreich, Polen, Ungarn, der
CSSR und der Sowjetunion zusammengearbeitet. Ehemalige
Sachsenhausen-Häftlinge bekleideten auch in einigen
kapitalistischen Ländern zeitweilig hohe Ämter – u.a.
war unter ihnen ein norwegischer Außenminister und ein
Verteidigungsminister aus Luxemburg. Die Frage, ob jemand Kommunist war
oder nicht, spielte meist keine Rolle. An der im Lager gewachsenen
Solidarität hielten auch viele bürgerliche Antifaschisten
fest. Dann kamen die „Wendejahre“ 1989/90. Viele
ehemalige Häftlinge, die das Lager überlebt hatten, waren
inzwischen gestorben, oft an den Spätfolgen von Hunger, Haft und
Folter. Auch das Komitee war kleiner geworden, obwohl einige
jüngere Leute – Nachkommen von Widerstandskämpfern oder
interessierte Antifaschisten – sich an der Arbeit beteiligten.
Für die Vorgänge in der Gedenkstätte Sachsenhausen war
nun die Landesregierung von Brandenburg verantwortlich. Anfangs
wurden noch Mitglieder des alten Sachsenhausenkomitees über die
geplanten Änderungen in der Gedenkstätte befragt oder
zumindest informiert. Zur selben Zeit ging es auch darum, die Komitees
aus der alten BRD, aus der DDR und West-Berlin
zusammenzuschließen. Meyer/Szepansky erwecken den Eindruck, dass
man sich im Westen einem Zusammenschluss prinzipiell verweigert
hätte. Doch was den (aus biologischen Gründen wenigen)
„Alten“ missfiel, war der feste Vorsatz, die von der DDR
erstellte Gedenkstätte bis zur Unkenntnis zu verwandeln. Und
hartnäckig widersprach man der Gleichsetzung von KZ und
Sonderlager, wie sie heute auf den Internetseiten der Brandenburgischen
Gedenkstätten vollzogen wird. Man wollte das Vermächtnis und
die Ehre der sowjetischen Kameraden nicht mit Füßen treten. Daraufhin
wurden die „störenden“ Standhaften aus
Gedenkstättenleitung und Komitee auf die Straße gesetzt,
andere kapitulierten angesichts der drohenden Arbeitslosigkeit und
einige der „Alten“ (nicht nur) aus der DDR und Westberlin
erlagen den Schmeicheleien der neuen Herren des Lagers und der Aussicht
auf honorige Pöstchen – sie wurden zielgerichtet abgeworben. Nun
musste die Landesregierung nur noch Charles Desirat, den greisen
„Chef“ des Internationalen Komitees, gewinnen – und
das war leichtes Spiel, da dieser die deutschen Wirren nach der
„Wende“ von Frankreich aus nicht voll durchschauen konnte.
Danach stand der Isolation des alten Sachsenhausen-Komitees
(„für die“ BRD) und der Gründung eines neuen
(„in der“ BRD) nichts mehr im Wege. Die Lagergeschichte
konnte nun im Sinne der Landesregierung von Brandenburg umgeschrieben
werden – und die Geschichte der Häftlingskomitees auch. Reinhard Junge, Bochum |