04.05.2013 Das Ende von Weimar und der Untergang der
Gewerkschaften
Zur Lage
1932/33: Die Republik von Weimar stand vor ihrem Ende. Die Kommunisten
mochten zunächst nicht die Republik verteidigen, zu viele
ihrer Genossen waren von der republikanischen Polizei niedergeschossen
worden. Die sozialdemokratischen Führer wollten dieses Ende
nicht wahrhaben, sie unterschätzten den Faschismus und die
hinter ihm stehenden antirepublikanischen Kräfte und glaubten,
auch ihn, wie jede andere Regierung überstehen zu
können. (S. 666 Thälmann-Report) Zur Einheitsfront
konnte es Ende Januar 1933 nicht kommen. In dieser Situation
distanzierte sich auch der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund von
der SPD. So kam es zum 2. Mai 1933, da die Nazis die Gewerkschaften
zerschlugen. Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA, referierte auf
einer Veranstaltung im "Z", dem Zentrum der Dortmunder DKP,
über die damalige Lage. Die seinerzeitigen Bemühungen
um eine antifaschistische Einheit in 1932/33 verdienen
allerhöchste Anerkennung. Die Fehler in der damaligen
KPD-Haltung werden heute zu Recht kritisiert, auch von der DKP (das
hofft der Autor jedenfalls, und er hofft, dass nicht eintritt, was da
und dort nahegelegt wird: die Fehler zu wiederholen und die
Einheitsgewerkschaft nicht zu schützen). Die SPD hat
allerdings außer im Prager Manifest nie Selbstkritik
geübt und sie verschweigt heute das Prager Manifest. Anders
als die Linkspartei und die DKP besitzt die SPD heute kein
gültiges selbstkritisches Dokument zur Geschichte der
20er/30er Jahre. Das Ende von Weimar und der Untergang der Gewerkschaften Von Ulrich Sander und Günter Judick Zur
Lage 1932/33: Die Republik von Weimar stand vor ihrem Ende. Die
Kommunisten mochten zunächst nicht die Republik verteidigen, zu
viele ihrer Genossen waren von der republikanischen Polizei
niedergeschossen worden. Die sozialdemokratischen Führer wollten
dieses Ende nicht wahrhaben, sie unterschätzten den Faschismus und
die hinter ihm stehenden antirepublikanischen Kräfte und glaubten,
auch ihn, wie jede andere Regierung, überstehen zu können.
(S. 666 Thälmann-Report) Zur Einheitsfront konnte es Ende
Januar 1933 nicht kommen. Die Gräben waren zu tief. KPD und SPD
kamen sich nicht näher, und da entfernten sich die Freien
Gewerkschaften auch noch von der SPD – hin zur Anbiederung bei
den Nazis. Es kann bei jedem historisch Interessierten bis heute
immer nur ein Kopfschütteln hervorrufen, daß die
führenden Funktionäre des ADGB in dieser Situation nichts
Eiligeres zu tun hatten, als sich mit der faschistischen Führung
dahingehend zu verständigen, als ADGB zum 1.Mai 1933 als den von
der neuen Reichsregierung proklamierten „Tag der nationalen
Arbeit“ aufzurufen. In dem Aufruf des Bundesausschusses des ADGB
vom 19.April 1933 heißt es dazu wörtlich: Man fordere
„die Mitglieder der Gewerkschaften auf, im vollen
Bewußtsein ihrer Pionierdienste für den Maigedanken,
für die Ehrung der schaffenden Arbeit und für die
vollberechtigte Eingliederung der Arbeiterschaft in den Staat sich
allerorts an der von der Regierung veranlaßten Feier festlich zu
beteiligen.“ (Gewerkschaftszeitung, Berlin, 22.April 1933, zit.
nach Kühnl, Der Deutsche Faschismus, S. 215) Der
Bundesausschuß des ADGB gab mit dieser Erklärung jegliche
eigenständige Option auf, plädierte allein für die
Eingliederung in diesen Staat und übergab die Verantwortung
für die Mai-Feiern an die neue, faschistische Regierung. Und
einen Tag später dankte diese, indem sie am 2. Mai 1933 die
Gewerkschaften zerschlug und ihre Funktionäre drangsalierte, ja
grausam verfolgte. Doch es gab nicht nur die Fehlentwicklung in der SPD und dem ADGB. Es gab auch schwere Fehler der KPD. Aus
einer Rede Ernst Thälmanns vorm EKKI (Exekutivkomitee der
Kommunistischen Internationale) im August 1932 „Dann sagte
er: falsch ist es, die Freien Gewerkschaften als `Schulen des
Kapitalismus’ und als eine ‚reaktionäre Masse’
zu bezeichnen, und schädlich sei es gewesen, die Losung
aufzustellen, die Gewerkschaften zu zertrümmern. Er griff seine
immer wieder vorgetragene Forderung auf, kein Kommunist dürfe
freiwillig aus den Gewerkschaften austreten und die KPD müsse um
jeden Position in den Gewerkschaften ringen.“ (S. 632
Thälmann-Report) Noch sieben Jahre zuvor war die
prinzipielle Haltung der KPD in der Gewerkschaftsfrage völlig
klar. Das zeigte sich in einem Brief Stalins an die deutschen Genossen
(dem später jedoch verhängnisvolle Einmischungen Stalins
gegen die „SPD-Sozialfaschisten“ folgten): „Es
mag gut oder schlecht sein, aber es ist Tatsache, daß die
parteilosen Arbeiter die Gewerkschaften als ihre Hauptfestungen
betrachten, die ihnen im Kampf gegen die Kapitalisten helfen
(Arbeitslohn, Arbeitstag, Versicherung u. a.), daß sie die Partei
als etwas Helfendes, Zweitrangiges, wenn auch Notwendiges
einschätzen. Dadurch erklärt es sich auch, daß die
breiten Massen der Arbeiterschaft den direkten Kampf mit den
gegenwärtigen Gewerkschaften, der von den
„Ultralinken“ von außen geführt wird, für
einen Kampf mit ihren Hauptfestungen halten, die sie im Verlaufe von
Jahrzehnten aufgebaut haben und die jetzt die „Kommunisten“
zerschlagen wollen. Diese Besonderheiten unberücksichtigt zu
lassen – hieße, die ganze Sache der kommunistischen
Bewegung im Westen zu zerstören. Aber daraus ergeben sich zwei Schlußfolgerungen: - Man kann im Westen die Millionenmassen nicht gewinnen, wenn man nicht die Gewerkschaften gewonnen hat, und
- man
kann die Gewerkschaften nicht gewinnen, wenn man nicht innerhalb dieser
Gewerkschaften arbeitet und dort nicht seinen Einfluß
festigt.“ (Brief J. W. Stalins vom 28.2.25 an Genossen Mert, Stalin-Band. 7, S. 38)
Doch
dann setzte sich die Position der Revolutionären
Gewerkschafts-Opposition (RGO) durch. Sie war 1928/29 zunächst
eine organisierte kommunistische Strömung in den freien
Gewerkschaften. Ab Ende 1929 trat die RGO als KPD-nahe Gewerkschaft
auf, die 1930/31 einzelne Industrieverbände gründete. Zu
Beginn der 30er Jahre verfocht Ernst Thälmann den Vorschlag, ein
breites Volksbündnis (mit Mittelschichten und christlichen
Arbeitern) gegen die Gefahr des Faschismus zu schaffen. Dazu sollte die
Volksrevolution dienen. Kein Kleinkrieg mit der Polizei, sondern
Massenarbeit, war seine Forderung. Das heißt, er wollte eine
breitere Bewegung als jene hin zu einer proletarischen Revolution als
Tageaufgabe. Doch er scheiterte mit diesem Konzept beim Exekutivkomitee
der Kommunistischen Internationale, das einen starken operativen
Einfluß auf die KPD ausübte. Es lag eine fehlerhafte
Einschätzung des Faschismus durch das EKKI vor. Es gab sogar die
Meinung (z. B. Heinz Neumanns), daß eine faschistische Diktatur
das Heranreifen der proletarischen Revolution beschleunigt.
Thälmann widersprach. Aber auch ihm war unklar, wie sich eine
bürgerliche Demokratie von einer faschistischen Diktatur
unterscheidet. Wahlkämpfe werden in jener Zeit von der KPD
unter der Losung geführt: „Klasse gegen Klasse“.
Allerdings: Die Heinz-Neumann-Position „Schlagt die Faschisten,
wo ihr sie trefft“, wird nicht die Losung der Partei. Ab
1930 stützen sich die Großkapitalisten zusehends auf die
Nazis und ihre Massenbasis. Die SPD, von der KPD nach wie vor als
Hauptstütze der Bourgeoisie angesehen, ist als Regierungspartei am
Ende. Das Kapital herrscht mittels Notverordnungen, die der
Reichspräsident und die Reichsregierung erlassen. Diese
Entwicklung hin zur Allianz aus großen Teilen des Kapitals und
der Nazibewegung wurde von der KPD falsch beurteilt. Auch den ADGB
beurteilte sie wie die SPD, wobei zutrifft, daß sich der ADGB
immer mehr als SPD-Organisation auffaßte, viele Tausend
Kommunisten aus dem ADGB ausschloß, und so deren Mitgliedschaft
in der RGO begünstigte. Die RGO war jedoch lt. Thälmann
mangelhaft. Sie habe auch innergewerkschaftlich versagt. Die RGO war
nötig wegen der Massenausschlüsse aus den freien
Gewerkschaften, aber die Kommunisten hörten auch da auf, in den
Gewerkschaften zu arbeiten, wo die Möglichkeit noch bestand. Der
Masseneinfluß der KPD wurde so gehemmt. Man ging lieber daran,
eine eigene Gewerkschaft aufzubauen. Stalin nannte NSDAP und SPD
Ende der 20er Jahre „Zwillinge“, infolge des
EKKI-Einflusses bezeichnete die KPD die SPD als
„Sozialfaschisten“ – gleichzeitig benutzte die SPD
den Begriff der „rotlackierten Nazis“ für die
Kommunisten. Die kommunistischen Arbeiter, das ergaben Erhebungen
aus jener Zeit, waren für ein breites Zusammengehen der Massen
gegen Hitler. Aber: Fast einhellig war die kommunistische Basis gegen
das Zusammengehen mit SPD-Führung und SPD-Organisationen. So
dachte die Basis bis 1933. Andererseits: Die SPD war auf keinen
Fall zur Zusammenarbeit mit der KPD bereit, Die freien Gewerkschaften
auch nicht. Gewerkschaften blieben an Reichskanzler Brünings
(Zentrum) Seite. Obwohl dieser mal zur Monarchie und mal zu
Hitlers Regierungsbeteiligung neigte. Noch 1932 sagte
Thälmann: Hitler ist nicht zu schlagen, ohne den
Masseneinfluß der SPD niederzuringen. Einheitsfront ja, aber nur
von unten. SPD nannte Hindenburg gegenüber Hitler das
kleinere Übel. Die KPD sagte völlig zu Recht: „Wer
Hindenburg wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den
Krieg.“ Weiterhin, noch immer! sprach man 1932 von SPD als
Sozialfaschisten und Zwillinge mit den Nazis. Doch Thälmann
schwächte das ab: Die SPD an der Basis ist anders als an der
Spitze; und Zwillinge können sehr unterschiedlich sein… 1932
gab es ein Gespräch im Karl-Liebknecht-Haus mit einfachen
Sozialdemokraten. Mit ihnen wollten die Kommunisten zusammengehen. Sie
fragten: Warum geht ihr nicht auch auf unsere Führung zu?
Thälmann: Zwischen uns und den SPD-Führern wie Berlins
Polizeipräsident Zörgiebel stehen die Särge vom 1. Mai
1929. Oder der Altonaer Blutsonntag 1932. Das Mittel des
politischen Streiks wäre 1932/33 wiederholt nötig gewesen,
aber es war nicht möglich ohne die Gewerkschaften. Die
SPD-Führung sprach von Demokratie retten und Verfassung nicht
verlassen. Streiks, Generalstreik gar, wären abenteuerlich.
Organisation statt Demonstration sei die Losung. Die KPD wurde
überschätzt, - und sie hat sich überschätzt. Sie
wollte durch Einheitsfront ihre Parteilinie durchsetzen – weniger
das Gemeinsame. Sie verfocht revolutionäre Ungeduld. Der
Hauptstoß richtete sich viel zu lange gegen die SPD. Und
umgekehrt. Diese hatte Illusionen in die NSDAP Strassers (in
Opposition zu Hitler) und seiner „antikapitalistischer
Sehnsucht“. Brüning und die Gewerkschaften wollten
zusammengehen und auch Strasser einbinden. Auch General und
zeitweiliger Kanzler Schleicher plante ähnliches. Das stieß
die Kapitalisten ab. Sie wandten sich endgültig Hitler zu. Der
Antisemitismus wurde verkannt durch die KPD. Aber am 1.4.33 bei der
großen Pogromaktion der Nazis gab es die Protesterklärung
der KPD. Es bestand bei Hitler am 30. 1. 33 eine Angst vor der
KPD und möglichem Generalstreik. Doch die SPD und ADGB wollten den
nicht. Schon in seiner berüchtigten Rede vor dem Industrie-Club in
Düsseldorf am 26. Januar 1932 hatte Hitler unter der Zustimmung
der Kapitalisten erklärt: „Wie soll ein Volk überhaupt
noch einen Faktor nach außen darstellen, wenn 50 Prozent am Ende
bolschewistisch orientiert sind? Es ist undenkbar, ein starkes und
gesundes Deutschland zu schaffen, wenn 50 Prozent seiner
Angehörigen bolschewistisch und 50 Prozent national orientiert
sind. Um die Lösung dieser Frage kommen wir nicht herum!“
Jetzt ging es um die Frage, wer sich durchsetzt, die
„Bolschewisten“, wozu Hitler alle „Marxisten“,
also auch Sozialdemokraten, rechnete, oder die
„Nationalen“. Es wäre möglich gewesen, Hitler zu
schlagen, wenn die 50 Prozent sich um SPD, KPD und Gewerkschaften
geschart hätten. In Ziegenhals, auf der letzten
KPD-Funktionärskonferenz im Februar 1933, sagte Ernst
Thälmann erstmals: Hitler-Papen zu stürzen, das sei das
wichtigste; der Kampf gegen Hitler sei nicht mit dem Sieg der
proletarischen Revolution verbunden (aber immer noch war da der Glaube,
daß auch der Kampf um die volle Macht des Proletariats in dieser
Situation möglich wäre). Erst im Februar 1933 sagt
Thälmann in illegalem Flugblatt: Der Kampf muß für die
Reste der demokratischen Freiheiten geführt werden. Es kam
der 1. und 2. Mai 1933. Ich gebe Günter Judicks Bericht „Ein
schwarzer Tag für die Gewerkschaften“ wieder: Es
war pünktlich um 10 Uhr an jenem 2. Mai 1933, als in ganz
Deutschland die Büros des ADGB (Allgemeiner deutscher
Gewerkschaftsbund) und der ihm angeschlossenen Gewerkschaften durch die
SA besetzt wurden. Funktionäre der NSDAP und der NSBO
(NS-Betriebszellen-Organisation) übernahmen kommissarisch die
Leitung - und nicht zuletzt die Kassen - der Freien Gewerkschaften. Die
Sekretäre und Angestellten wurden verhaftet, ihre Wohnungen
durchsucht, viele wurden brutal mißhandelt und in einigen
Fällen, z. B. in Duisburg, noch während der
Bürobesetzung ermordet. Die meisten Angestellten wurden danach
aufgefordert, ihre laufende Arbeit unter der Leitung der eingesetzten
NS-Kommissare fortzusetzen, sich jedoch jeder politischen Arbeit zu
enthalten. Die Büros der im DGB
zusammengeschlossenen christlichen Gewerkschaften und der
Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine wurden wenige Tage später und
weniger demonstrativ ebenfalls von der NSBO übernommen. Andere,
wie z. B. der Deutsche Handlungsgehilfen-Verein, hatten sich schon
früher zur NS-Politik bekannt. Auch jetzt noch bei führenden
Gewerkschaftern vorhandene Träume, die NSDAP werde nach
vollzogener Gleichschaltung zumindest die Strukturen der Gewerkschaften
erhalten, fanden mit der Bildung der DAF (Deutsche Arbeitsfront) als
Zwangsorganisation aller Beschäftigten, der Aufhebung des
Tarifrechts und der Einsetzung der NS-Treuhänder für Arbeit
ein rasches Ende. Die Aktionen gegen
die Gewerkschaften, in denen auch jetzt noch etwa vier Millionen
Arbeiter und Angestellte organisiert waren, trafen auf wenig Widerstand
und mäßiges öffentliches Interesse. Das lag nicht nur
daran, daß der Naziterror mit der Verfolgung der Kommunisten nach
dem Reichstagsbrand zur alltäglichen Normalität gehörte
und viele einschüchterte. Wichtiger war, daß die
Gewerkschaften selbst nicht bereit waren, zum Kampf gegen die
Hitler-Regierung zu mobilisieren, ja, seit dem 30. Januar Schritt
für Schritt immer wieder anboten sich in die nationale Bewegung
einzuordnen. Kapitulation auf Raten Offenbar
sah die Führung des ADGB in der Bildung der Hitler-Regierung keine
grundlegend neue Qualität. Sie hatte viele Sympathien für die
Versuche der Schleicher-Regierung gezeigt, als Alternative zu Hitler
ein Bündnis zwischen Militär, rechten Gewerkschaften und
"linken Nazis" (Strasser ) zu schaffen. Nach dessen Scheitern wendete
sie sich noch am 28.1.1933 an Hindenburg mit der Bitte, er möge
kein sozialreaktionäres Kabinett ernennen. Doch
die Weichen dazu waren längst gestellt. Im Papen-Kabinett sah der
ADGB eine Neuauflage der Harzburger Front, die 1931 schon einmal Nazis
und Konservative aller Richtungen zusammengeführt hatte, aber bald
an inneren Führungsquerelen scheiterte. So gab man auch diesem
Kabinett keine große Chance, hoffte nicht zuletzt auf die schon
wieder angesetzten Reichstagswahlen. Die Vorschläge der KPD zur
gemeinsamen Mobilisierung gegen Hitlers Machtantritt, ihre Aufrufe zu
Demonstrationen und zum Generalstreik wurden strikt abgelehnt.
"Kühler Kopf und Besonnenheit" sei notwendig, um die erwarteten
Angriffe auf die Verfassung, die Volksrechte und die sozialen Rechte
abwehren zu können. "Organisation - nicht Demonstration: das ist
die Parole der Stunde" stellte die Führung des ADGB als Aufgabe
der nächsten Monate am 31. Januar 1933. Schon
im Februar hatte es in ganz Deutschland Überfälle der SA auf
gewerkschaftliche Büros und Einrichtungen gegeben. In manchen
Städten kam es auch zur bewaffneten Verteidigung durch das
Reichbanner. Die Gewerkschaftsführung listete die Fülle der
Meldungen aus dem Reich auf, forderte höflich mal von Hindenburg,
mal von Göring oder anderen Ministern die Aufklärung dieser
lokalen Übergriffe. Das nutzte wenig, die Polizei wurde, wenn
überhaupt, eher gegen das Reichsbanner als gegen die SA aktiv.
Nach dem Reichstagsbrand und den Massenverhaftungen von Kommunisten und
anderen aktiven Nazigegnern verstärkten sich schon im März
wieder die Angriffe auch auf die Gewerkschaftszentren. Organisation als Selbstzweck? Auch
jetzt noch waren die Führungen von ADGB, DGB und Gewerkvereinen
davon überzeugt, die Nazis würden die Gewerkschaften als
Organisation erhalten, wenn sie bereit wären, sich in den Dienst
des neuen Staates zu stellen. Zwei Wochen nach den Märzwahlen war
der ADGB-Vorstand bereit, das Recht des Staates in Auseinandersetzungen
zwischen Unternehmern und Gewerkschaften einzugreifen, anzuerkennen. Am
9. April 1933 erklärte er, die Selbstverwaltungsorganisation der
Arbeiterschaft in den Dienst des neuen Staates zu stellen. Das gipfelte
in dem Vorschlag, die Gewerkschaftsbewegung einem Reichskommissar zu
unterstellen. Schließlich gab es offizielle Verhandlungen
zwischen den leitenden ADGB Führern mit der Führung der NSBO,
um über die zukünftige Organisationsform der Gewerkschaften
zu beraten. Erst als die NSBO forderte, der ADGB-Vorsitzende Leipart
solle zurücktreten und seinen Posten einem NSDAP-Vertreter
übergeben, scheiterten diese Beratungen. Die
christlichen Gewerkschaften und die Gewerkvereine waren mit ihren
Bemühungen um die Einordnung in den Nazi-Staat dem ADGB immer
einen Schritt voraus gewesen. So waren auch die Bemühungen der
Führungen dieser drei Gewerkschaftsrichtungen zur Vereinigung
ihrer Gewerkschaften, die im April als Führerkreis der vereinigten
Gewerkschaften auftraten, nur der Versuch, durch eine Gleichschaltung
von unten der von oben zuvorzukommen. "Die deutschen Gewerkschaften
sind sich bewußt ... daß von ihrer bewußten
Einordnung in die Neugestaltung die Zukunft des deutschen Volkes
entscheidend beeinflußt wird ... Sie sind getreu ihrer
staatspolitischen Tradition zu positiver Mitarbeit am neuen Staat
bereit." Kapitulation vor dem letzten Gefecht Als
die Hitler-Regierung Mitte April den ersten Mai zum gesetzlichen
Feiertag, zum "Tag der nationalen Arbeit", verfälschte, war es
nach diesen vorhergehenden Erklärungen kaum noch ein Wunder,
daß auch die Gewerkschaftsführer begeistert diese Kröte
schluckten, die aus dem internationalen Kampftag der Arbeiterklasse
eine Demonstration für nationalistische Parolen, für die
Leugnung des Klassenkampfes und das Führerprinzip auch in jedem
Betrieb machte. "Der
Bundesausschuß des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes
begrüßt den 1. Mai 1933 als gesetzlichen Feiertag der
nationalen Arbeit und fordert die Mitglieder der Gewerkschaften auf, in
vollem Bewußtsein ihrer Pionierdienste für den Maigedanken,
für die Ehrung der schaffenden Arbeit und für die
vollberechtigte Eingliederung der Arbeiterschaft in den Staat sich
allerorts an der von der Regierung veranlaßten Feier festlich zu
beteiligen." So hieß es im Beschluß vom 19. April. Die
Gewerkschaften verpflichteten also ihre Mitglieder, am 1. Mai Hitlers
in alle Kundgebungsorte übertragene Rede zu ertragen.
Betriebsappelle - aber öfter auch Maigeld - sorgten für die
Massenaufmärsche, die die Kampftraditionen der Arbeiterbewegung
verhöhnten. Ermunterung für die Nazis Die
kampflose Kapitulation der stärksten Arbeiterorganisation wirkte
demoralisierend auf das antifaschistische Handeln. Um so mehr
fühlten sich die Terrororganisationen der NSDAP ermuntert, neue
Opfer zu suchen und ihre Allmacht zu demonstrieren. Acht Tage nach der
Liquidierung der Gewerkschaften, am 10. Mai, demonstrierten die SA und
SS, aber auch die Jugend- und Studentenorganisationen der NSDAP ihren
Hass auf alles, was ihrem Herrschaftsanspruch, Revanchedenken,
Rassenwahn entgegen stand. Den Triumphfeuern der Bücherverbrennung
in allen Universitätsstädten Deutschlands fielen die besten
Werke der Aufklärung, des Humanismus, des wissenschaftlichen
Denkens und nicht zuletzt der Klassiker des wissenschaftlichen
Sozialismus zum Opfer. * Die
Bemühungen der Kommunisten und anderer Linken (Ossietzky,
Tucholsky) um eine antifaschistische Einheit im Jahre 1932/33 verdienen
allerhöchste Anerkennung. Die Fehler in der damaligen KPD-Haltung
werden heute zu Recht kritisiert, auch von der DKP (bisher jedenfalls).
Die SPD hat allerdings außer im Prager Manifest von 1934 nie
Selbstkritik geübt und sie verschweigt heute diese Manifest.
Anders als die Linkspartei und die DKP besitzt die SPD heute kein
gültiges selbstkritisches Dokument zur Geschichte der 20er/30er
Jahre. Selbstkritik übten die Gewerkschaften und schufen
nach 1945 die Einheitsgewerkschaft. Diese gilt es heute zu verteidigen.
Am 1. Mai 2013 wurde wieder viel von der Einheitsgewerkschaft als Lehre
aus 1933 gesprochen. Gut so. Ich fand diesen Begriff jedoch auch
in einem Brief des DGB-Bundesvorstandes, in dem die
Einheitsgewerkschaft als eine Gewerkschaft bezeichnet wird, die auch
das Militär einbezieht. Das ist ein Mißbrauch des Begriffes.
Die Einheitsgewerkschaft aus der Zeit nach 1945 war antifaschistisch
und antimilitaristisch. „Nie wieder Krieg und Faschismus!“
so hieß es. Angesichts der auch schon vor 1933 einsetzenden
Rüstungspolitik der Weimarer Republik und der Kriegsvorbereitungen
(Panzerkreuzerbau u.a.) – mit Unterstützung der SPD –
sagte Ernst Thälmann 1931 auf einem ZK-Plenum der KPD: „Wir
sind die einzige Friedenspartei, die einzige Partei, die alle
Grundfragen der deutschen und internationalen Politik ohne
Eroberungskrieg, ohne Knechtung und Bedrohung fremder Völker
lösen kann.“ Er mahnte und drängte zum aktiven Kampf
gegen den Krieg. „Aber das wichtigste ist, was die deutsche
Arbeiterklasse heute bereits tun muß, nämlich die Kriegs-
und Verkehrsbetriebe erobern! Kämpfe um Lohnerhöhung, gegen
Unterstützungsraub entfesseln, die Kriegsproduktion und ihre
Transporte überwachen, die Verweigerung der Herstellung und des
Transportes von Kriegsmaterial organisieren.“ (zitiert nach
Beilage zu „Wissen und Tat“ Heft 4/1951 mit einem Referat
von Hermann Matern) Diese Worte sind derzeit hoch aktuell. Denn
auch die IG Metall stellt sich auf immer währende Kriege ein.
Deren Vorstand beschloß im Juli 2012 in einem Positionspapier:
"Die IG Metall ist sich der Realität Anfang des 21. Jahrhunderts
bewußt: Gewaltkonflikte und sogar Kriege wird es weiterhin geben
und damit auch die sicherheitspolitischen Bedürfnisse und
Interessen von Menschen, Staaten und Saatenbündnissen. Die
Produktion von Rüstungsgütern ist Teil dieser Realität." Stemmen wir uns dieser Realität entgegen. Mit ihr dürfen wir uns nie abfinden. |