27.03.2013 Ernst Thälmann im Februar
1933: „... ich reiche Euch die Bruderhand“ So appellierte der damalige KPD-Vorsitzende an
christliche und sozialdemokratische Arbeiterinnen und Arbeiter
„zum gemeinsamern Kampfbündnis gegen den
Faschismus“[1] – einen Monat, bevor das sogenannte
Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 im Reichstag
verabschiedet wurde. Das Gesetz fiel also genauso wenig vom Himmel wie
Hitler ein Betriebsunfall gewesen ist. Dies stellt Tim Engels
von der VVN-BdA Düsseldorf in einem Aufsatz für die
"Mitteilungen der Kommunistischen Plattform" fest, den er uns zur
Veröffentlichung überließ. Ernst Thälmann im
Februar 1933: „...
ich reiche Euch die Bruderhand“ Von Tim
Engels So appellierte der damalige KPD-Vorsitzende an
christliche und sozialdemokratische Arbeiterinnen und Arbeiter
„zum gemeinsamern Kampfbündnis gegen den
Faschismus“[1] – einen Monat, bevor das sogenannte
Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 im Reichstag
verabschiedet wurde. Das Gesetz fiel also genauso wenig vom Himmel wie
Hitler ein Betriebsunfall gewesen ist. Es
geschah nicht im luftleeren Raum, und es war auch nicht frei von
Interessenpolitik und großbürgerlicher Motivlage,
wie heute oftmals glauben gemacht werden soll. Dabei trifft auf
„Berlin 1933“ wohl genauso wenig die Beschreibung
als verhängnisvolles Existieren einer
„Schweigespirale“[2] zu wie diejenige der
„historischen Diskursverschränkung“, wie
den vermeintlich linken Postmodernisten der Faschismus an der Macht zu
beschreiben beliebt. Vorausgegangen waren die
Machtübertragung, Aufmarsch der SA vor dem
Karl-Liebknecht-Haus, die Besetzung der KPD-Zentralen durch die
Polizei, der Schießerlass Görings gegen
Oppositionelle sowie der inszenierte Reichstagsbrand, um noch in
derselben Nacht den Terror gegen die verhasste Arbeiterbewegung voll
entfalten zu können, wie es die Nazis den Bankern und
Industriellen immer versprochen hatten. Danach
folgten am 2. Mai die Besetzung der Gewerkschaftshäuser und
die Zerschlagung der Arbeiterorganisationen, der durch die
Berufsverbote in Gesetz gegossene Antisemitismus, die
Bücherverbrennung „undeutscher Literatur“
(wie Brecht, Feuchtwanger, Mann, Remarque, Tucholsky, Zweig), das
Verbot der SPD sowie die Auflösung aller anderen bis auf die
Nazipartei, die Köpenicker Blutwoche ... Auch der von Hitler
verkündete „ewige Frieden“ sollte nicht
lange halten. Die Kriegsvorbereitungen „zur Eroberung neuen
Lebensraumes im Osten“ und dessen
„rücksichtslose Germanisierung“ bzw.
Vertreibung begannen bereits im Februar 1933, inbegriffen die
„Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stil“[3].
Dies war für Hitler die Voraussetzung, um überhaupt
erst „eine aktive“, aggressiv-kriegerische
Außenpolitik führen zu können[4]. Bereits
am 3. März 1933 war Thälmann verhaftet worden, von
der GeStaPo gequält und geschunden, nach elfjähriger
Folterhaft auf direkten Befehl Hitlers von SS-Schergen im KZ Buchenwald
hingerichtet. (Einer der mutmaßlichen Mörder wurde
letztlich 1988 vom Landgericht Düsseldorf freigesprochen!)
Noch im Februar 1933 hatte Thälmann während der
geheimen ZK-Tagung der KPD in Ziegenhals dazu aufgerufen, endlich die
Einheitsfront „von unten und von oben“ zu schaffen.
Der Ruf verhallte bekanntlich – zumindest auf
sozialdemokratischer Seite – ungehört. „Legal
Schluß machen mit Weimar“ Die
auch im Reichstag illegal anwesenden SA- und SS-Verbände
skandierten „Wir wollen das Gesetz, sonst Mord und
Totschlag“. „Wir wollen – legal
– Schluß machen mit dem (Weimarer) System, denn auf
den September-Reichstag darf nur noch eines folgen: ,das Dritte
Reich’“, verkündete die NSDAP[5].
Entsprechend sprach der Staatrechtler Triepel von einer
„legalen Revolution“ –
großzügig übersehend, dass der gewaltsame
Ausschluss der Abgeordneten der KPD-Fraktion bereits die
Rechtmäßigkeit des Ermächtigungsgesetzes
gehindert hat[6]. Während der
Gesetzgebungsdebatte tönte Hitler: „Unser
Rechtswesen muß in erster Linie der Erhaltung der
Volksgemeinschaft dienen. Die Unabsetzbarkeit der Richter auf der einen
Seite muss die [sic!; T. E.] Elastizität der Urteilsfindung
zum Zwecke der Erhaltung der Gesellschaft entsprechen. Nicht das
Individuum kann der Mittelpunkt der gesetzlichen Sorge sein, sondern
das Volk.“[7], obwohl dieser beim Amtseid als frisch
berufener Reichskanzler noch auf die bürgerlichen Grundrechte
der Weimarer Reichsverfassung geschworen hatte. Diese sahen nicht
weniger als heute allgemeine Handlungsfreiheit, formelle Gleichheit,
den Schutz vor Benachteiligung niederer Standesherkunft,
Meinungsfreiheit, Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses und der
Wohnung, die Unabhängigkeit der Richter sowie das
Rechtsstaatsprinzip, Verbot einer Sondergerichtsbarkeit, Rechtsschutz
und Verwaltungsgerichtsbarkeit vor. Lange sollte das
liberale Verfassungsrecht jedoch keinen Bestand mehr haben. Schon mit
der Reichstagsbrand-Verordnung „zum Schutz von Volk und
Staat“, nach Ernst Fraenkel das „Grundgesetz des
Dritten Reiches“, wurde die Weimarer Verfassung in ihren
wesentlichen Kernbereichen außer Kraft gesetzt und sich so
des bürgerlich-demokratischen Rechtsstaats entledigt. Nur
kurze Zeit später fand dies seine Vollendung durch die
Beseitigung der Gewaltentrennung und Überantwortung der auch
gesetzgebenden Macht vom Parlament auf den faschistischen Nazistaat.
Dazu diente die Verabschiedung des Gesetzes „zur Behebung der
Not von Volk und Reich“ (Ermächtigungsgesetz) gegen
die noch verbliebenen Stimmen der SPD, womit auch deren Todesurteil
– im wahren Sinne des Wortes, denn die ersten KZ existierten
bereits – besiegelt war. Letztlich waren der Naziregierung
damit Machtbefugnisse zugestanden worden, die sie in den Stand
versetzte, ihre verbrecherische „Politik im Interesse der
reaktionärsten Gruppen des deutschen Imperialismus und
Militarismus“[8] durchzusetzen. Alle bürgerlichen
und christlichen Parteien hatten ihre Zustimmung erteilt –
mit den Stimmen des späteren Bundespräsidenten
Theodor Heuss (DVP/FDP) und des Ministers für gesamtdeutsche
Fragen, Kriegsversehrte und Vertriebene Ernst Lemmer (DDP bzw.
DstP/CDU) – und sich so ihrer eigenen Legitimationsgrundlage
beraubt. Für den noch im postfaschistischen
Deutschland zu Ehren gekommenen furchtbaren Kronjuristen des
Nazifaschismus, den Staatsrechtsprofessor Carl Schmitt war es
„ein vorläufiges Verfassungsgesetz des neuen
Deutschland“[9]. Heute wird so etwas an der
Humboldt-Universität und in Springers Welt als
„Klassiker des politischen Denkens“[10]
gewürdigt. Auf die letzte
sozialdemokratische Oppositionsrede im Reichstag reagierte Hitler
zynisch: „Sie sind wehleidig, meine Herren […].
Auch Ihre Stunde hat geschlagen! […] Deutschland soll frei
werden, aber nicht durch Sie!“[11]. Entsprechend notierte der
niederrheinische Propagandaminister Goebbels: Die Antwort des
„SPD-Führers“ Wels sei „eine
einzige wimmernde Jeremiade des Zuspätgekommenen.
[…] Jetzt sind wir auch verfassungsmäßig
die Herren des Reiches.“[12] Im
„Völkischen Beobachter“ wurde deutlich, um
was es ging: Auf die „windelweiche Rede“
Wels’ habe Hitler „Abrechnung“ gehalten
„mit der vor ihm sitzenden Führerschaft des
Marxismus, wie diese sie in solcher […] verachtungsvollen
Überlegenheit noch nie gehört hatten […].
Und die ,revolutionäre’ Führerschaft
saß da wie ein Rudel angstvoller Hasen, klein und
erbärmlich, wie sie in Wirklichkeit immer gewesen
war.“[13] Tatsächlich befanden
sich die Kommunistinnen und Kommunisten zu dieser Zeit bereits in den
KZ und Zuchthäusern, was selbst den Abgeordneten Wels nicht
zum Protest veranlasst hatte[14], oder waren von SA-Verbänden
gefoltert und hingerichtet worden – nach
unvollständigen Angaben der Roten Hilfe Deutschlands
bemaßen sich die Justiz- und Todesopfer auf 36.247; die
Dunkelziffer war demnach ungleich höher.[15] Die
Sozialdemokratie hatte die Weimarer Republik zwar in Worten verteidigt,
„ließ den Worten aber keinerlei Taten folgen, so
dass die Kommunisten in ihrem Kampf um Volksrechte alleine
blieben“[16]. Sämtliche Angebote der KPD, der
heraufscheinenden faschistischen Gefahr mit einem Generalstreik zu
begegnen, lehnten ADGB und SPD ab, obwohl auch deren Mitglieder vom
faschistischen Terror nicht verschont blieben. Letztere zog es vor, den
„allerschärfsten Kampf gegen diese
Regierung“ ausschließlich mit
„gesetzlichen“ Mitteln zu führen[17].
Statt der Parole wer Hindenburg resp. Hitler wähle,
wähle den Krieg, propagierte die SPD „Für
Hindenburg, heißt Hitler schlagen!“[18] –
welch tödlicher Irrtum! Es war der
spätere SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer
höchstpersönlich, der die Sozialistische
Arbeiterjugend (SAJ) anwies, die „illegalen
Mätzchen“ zu unterlassen, als diese Ihr Geld dem
Zugriff der Nazis zu entziehen versuchte[19]. Aus dem Parteivorstand
der SPD wurde faktisch gedroht, die Jugendlichen an die Nazis
auszuliefern. Der Rest war Anbiederung[20], bis hin zur Empfehlung des
ADGB, den „Tag der nationalen Arbeit“ am 1. Mai
1933 gemeinsam mit den Faschisten zu bestreiten[21]. Die Antwort war
die Besetzung der Gewerkschaftshäuser durch SA-Truppen. Nach
Wahlkampfspenden durch Bankkapital und Großindustrie in
Millionenhöhe ließ Hitler in seiner Reichstagsrede
zum Ermächtigungsgesetz verlauten, die Wirtschaftsinteressen
der deutschen Monopolbourgeoisie „durch stärkste
Förderung der privaten Initiative unter Anerkennung des
Privateigentums“ umzusetzen wollen[22]. „Zerbrecht die
Hürden der antifaschistischen Einheit!“ In
der Bundesrepublik sollte einem solchen Machtmissbrauch vorgebeugt
werden, weshalb Westalliierte und Parlamentarischer Rat bei der
Grundgesetzgebung darauf geachtet haben, dem Bundespräsidenten
weniger Befugnisse zuzugestehen – fortan musste der Kanzler
über das Parlament gewählt werden –, vor
allem sollte er keine Notstandsbefugnisse mehr besitzen, und
schließlich sollte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur
Absicherung der Verfassung dienen[23]. Rechtsverordnungen
können von der Regierung nur erlassen werden, wenn die
Ermächtigungsgrundlage dem grundgesetzlichen
Bestimmtheitsgebot genügt; teilweise sind sie dem
Zustimmungserfordernis der Länder unterworfen (vgl. Art. 80,
Abs. 1 des Grundgesetzes). Schließlich erhielten die
Grundrechte Bestandsgarantie (Art. 79 III GG). Das waren die
demokratischen Lehren, die aus der Aushöhlung der Weimarer
Reichsverfassung durch das nazistische Ermächtigungsgesetz
gezogen wurden. Es dauerte jedoch nicht lange, bis
die Notstandsgesetzgebung durch die Große Koalition wieder
Eingang in die deutsche Verfassung fand. Ihr vorausgegangen waren die
Blitzgesetze zur Kommunistenverfolgung sowie das KPD-Verbot. Es folgten
Lex RAF 1977, Lex PKK ... Dass die Bundeskanzlerin
heute bemüht ist, ganz ohne Ernennung und
Ermächtigungsgesetz den EU-Fiskalpakt am Parlament vorbei mit
selbst berufenen, demokratisch nicht legitimierten Finanzinstituten
(ESM) beschließen zu wollen, lässt aufhorchen und
bietet durchaus Anlass zur Sorge. Tatsächlich fühlte
sich das BVerfG nach einer auch von der Linksfraktion eingereichten
Organklage bzw. Verfassungsbeschwerde berufen, die Kanzlerin zu
erinnern, dass Art. 38 GG (freies Mandat) „Bürger
vor einem Substanzverlust ihrer verfassungsstaatlich gefügten
Herrschaftsgewalt durch weitreichende […]
Übertragungen von […] Befugnissen des Bundestages,
vor allem auf supranationale Einrichtungen“ schütze,
und dass dieser „seine Budgetverantwortung nicht durch
unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen auf andere
Akteure übertragen“ dürfe[24]. Eine weise
Entscheidung; doch letztlich wissen wir, dass auf dieses
höchste Gericht nur dann wirklich Verlass ist, wenn es den
Herrschenden dient: Beim Verbot der KPD, den Einsätzen des
Bundeswehr sowie der Legalisierung faschistischer Provokationen. Und
auch hier sollte man sich nicht täuschen lassen. Zwar hat das
Gericht den Parlamentsvorbehalt bekräftigt, andererseits die
Beschwerden als unbegründet zurückgewiesen und den
EU-Rettungsschirm unter der Bedingung einer
Haftungsbeschränkung gebilligt. Nie wieder
Faschismus, nie wieder Krieg lautete das Credo der
KZ-Überlebenden und Widerstandskämpferinnen und
-kämpfer. Es war auch der antifaschistische Grundkonsens, von
dem sich die Mütter und Väter des Grundgesetzes bei
der Ausarbeitung des Entwurfs im Parlamentarischen Rat leiten
ließen. Letzteren haben wir mit der Niederlage des
Sozialismus vorerst nicht verhindern können, auch nicht die
weltweit 20 Millionen gegen den Irakkrieg im Jahre 2003. Und doch
können wir es am Ende nur selber tun. Ernst
Thälmann appellierte in dem eingangs erwähnten
Flugblatt, das während der letzten öffentlichen Rede
Wilhelm Pieks am Abend des 23. Februar 1933 im Berliner Sportpalast
verteilt wurde, auch an die Kommunistinnen und Kommunisten: „Verteidigt
… jeden Rest sozialer Errungenschaften, jeden noch so
kümmerlichen Rest demokratischer Freiheit …
zerbrecht die Hürden und Hindernisse der antifaschistischen
Einheit.“ Die Linke sollte das ernst nehmen. [1]
Czichon/Marohn, Thälmann – Ein Report, Berlin 2010,
Bd. 1, S. 680. [2] Prof. Steinbach; vgl. Kurt
Pätzold, „Es geht doch!“, in: jW, 31.1.13,
S. 13. [3] Vgl. Bachmann, 1933 – Texte,
Fotos, Chronik, Frankfurt a. M. 1983, S. 42; Seckendorf,
Angekündigter Raubkrieg, in: jW, 1.2.13, S. 11. [4]
Ebd. [5] Ebd. [6] Vgl. Wesel,
Geschichte des Rechts, München 1997, Rdnr. 296. [7]
Zit. n. Glaser, Das Dritte Reich – Anspruch und Wirklichkeit,
Freiburg i. B., 1963, S. 118. [8] Geschichte der
deutschen Arbeiterbewegung (zit.: GA), Berlin 1968, Kap. X, S. 29. [9]
Zit. n. Glaser, a. a. O., S. 119. [10] Ebd., 7. April
2005. [11] Zit. n. Glaser, ebd. [12]
Ebd. [13] Ebd. [14] GA, ebd. [15]
Vgl. Kühnl, Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten,
Köln 1975, S. 196. [16] Gossweiler,
Aufsätze zum Faschismus, Bonn 1998, Bd. I, S. 335. [17]
Ebd., S. 336. [18] Weißbecker,
„Wer Hindenburg wählt...“, in jW v.
4.2.13, S. 10. [19] Gossweiler, ebd. [20]
Vgl. ebd., S. 337. [21] GA, S. 32; Heinz Karl,
Massenwiderstand…, in: Mitteilungen, 2/13, S. 23, 25 f. [22]
Heinz Karl, „30. Januar 1933 – Ursachen. Folgen.
Lehren.“, in: Mitteilungen 1/13, S. 28, 30; ders., in: UZ,
„Ein Terrorregime...“ v. 25.1.13, S. 12. [23]
Wesel, a. a. O., Rdnr. 327. [24] BVerfG, Urt. v. 7.
9.2011 – 2 BvR 987/10.
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