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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
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Landesvereinigung NRW

 

08.03.2013

Neue Studie erfasst 42.500 NS-Zwangslager

Der Historiker Geoffrey Megargee beschäftigt sich seit seinem Studium mit den Gräueltaten des Nazi-Regimes. Im Jahr 2000 übernahm der heute 53-Jährige die Leitung eines bislang nicht dagewesenen Projekts. Ziel war die Erfassung aller Orte von Nazi-Gewalt zwischen 1933 und 1945, Auftraggeber das Washingtoner Holocaust Memorial Museum. Ans Licht kamen neue Zahlen.

"Zu Beginn unserer Arbeit sind wir von 5000 bis 7000 Lagern ausgegangen. Im Laufe der Zeit mussten wir aber feststellen, dass die Realität wesentlich schlimmer war", sagt Megargee. Sein Team fand heraus, dass es mindestens 42 500 Orte gab, an denen Nazis Menschen gefangen gehalten, gefoltert oder getötet haben – darunter rund 30 000 Arbeitslager, 1150 jüdische Ghettos, 1000 Kriegsgefangenenlager, 980 Konzentrationslager und 500 Bordelle, in denen Frauen zur Prostitution gezwungen wurden.

"Es könnten sogar noch mehr gewesen sein", sagt Megargee. Aus statistischen Gründen hätten sie nur Lager erfasst, in denen mindestens 20 Menschen gefangen gehalten worden seien. Die Lager habe es außerdem länger als einen Monat geben müssen, um in der Statistik aufzutauchen. 15 bis 20 Millionen Menschen sollen nach Megargees Schätzung so Opfer des Nazi-Terrors geworden sein – viele davon überlebten ihn nicht. Bisher war die Wissenschaft von rund 7000 Zwangsarbeits- und Gefangenenlagern, Konzentrationslagern und Ghettos ausgegangen.

Aus Sicht des Historikers Michael Wildt von der Humboldt-Universität Berlin sind die neuen Zahlen plausibel. Die Studie überrasche ihn nicht, sagt er. "Die Zahl gibt einen Eindruck über die Allgegenwärtigkeit des NS-Verfolgungsapparates." Historiker David Silberklang von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem hingegen ist über die große Zahl erstaunt. Er hätte mit mehreren Tausend Lagern gerechnet, sagt er.

Yad Vashem habe bislang nur die Ghettos katalogisiert, nicht die Lager. Er sei auch dagegen, Ghettos mit Lagern zusammenzuzählen, weil beide einem unterschiedlichen Zweck gedient hätten, kritisiert Silberklang. Megargee hingegen sagt, es sei keineswegs Absicht der Studie gewesen, Ghettos und Lager gleichzusetzen. Sie solle vielmehr den enormen Umfang und die Vielfalt des Nazi-Terrors verdeutlichen.

Für seine Studie, die bis 2025 in sieben Bänden herausgegeben werden soll, hat Megargees Team mit mehr als 400 Zeitzeugen und Wissenschaftlern aus der ganzen Welt gearbeitet und Dokumente aus mehreren Sprachen übersetzt. "Wir waren die ersten, die dieses äußerst komplizierte Puzzle zusammengefügt haben", sagt Megargee. Es beweise, dass die Nazi-Maschinerie in weitaus mehr Bereiche des täglichen Lebens eingedrungen sei als bislang angenommen. "Die Gefangenen waren allgegenwärtig. In lokalen Geschäften, Schulen, auf Bauernhöfen – überall haben Menschen unter Zwang gearbeitet. Es fällt schwer zu glauben, dass es Deutsche gab, die nicht von den Lagern gewusst haben wollen. Sie müssen davon gewusst haben", sagt der Historiker.

Für die wenigen Holocaust-Überlebenden könnte die Washingtoner Studie eine neue Möglichkeit bieten, ihre Ansprüche auf Entschädigung zu belegen. Bislang scheiterte es manchmal daran, dass das Lager, in dem sie gefangen gehalten wurden, nicht als solches dokumentiert war. Wer mindestens drei Monate in einem Konzentrationslager oder Getto inhaftiert war oder sechs Monate im Versteck oder in der Illegalität unter falscher Identität gelebt hat, erhält eine lebenslange monatliche Rente von 300 Euro.

Der Historiker Megargee erinnert sich an eine besonders bewegende Begegnung mit einem Zeitzeugen: "Plötzlich stand dieser gebrechliche Mann auf, legte seine Hand auf unser erstes Buch und sagte: Endlich sehen das die Menschen. Das ist für mich ein heiliges Buch."

Quelle: Badische Zeitung vom Donnerstag, 07. März 2013

http://www.badische-zeitung.de/nachrichten/ausland/mehr-orte-des-schreckens