18.02.2013 Ein unrühmliches Kapitel Opfer
der politischen Justiz in der BRD warten weiter auf Rehabilitierung.
Erinnerung an ein Treffen vor zehn Jahren mit dem
niedersächsischen Justizminister Christian Pfeiffer. Günter
Bernhardt aus Lünen, in der Adenauer-Ära wegen
»Geheimbündelei« und
»Staatsgefährdung« 20 Monate inhaftiert, schrieb nach
einem Besuch der Gedenkstätte im Dresdener
Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit
ins ausliegende Gästebuch, daß zur »andere(n) Seite
der Erkenntnis durch Erinnerung« auch das gehöre, »was
in den Jahren des Kalten Krieges an politischem Unrecht geschehen
ist«. Gemeint sind damit Vorgänge in der Bundesrepublik. Von Hans Daniel Diese
»Seite der Erkenntnis« soll nun endlich durch die Schaffung
einer Gedenkstätte für Opfer der politischen Justiz ins
öffentliche Gedächtnis gerückt werden. Der
Bundesausschuß der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes -
Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), die Landesverbände der
Verfolgtenorganisation Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, die
Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten
Krieges, die im vergangenen Jahr gegründete Gruppe »Kinder
des Widerstandes« und Peter Dürrbeck, dessen Mutter Opfer
der politischen Nachkriegsjustiz war, haben sich für einen
entsprechenden Vorschlag ausgesprochen. »Wegen der Vergangenheit
des Gefängnisses in Wolfenbüttel böte es sich als
Standort an. Allerdings böten sich auch andere Standorte
an«, heißt es in einer Erklärung, aber »sie
sollten sich schon in Niedersachsen befinden«. Dafür
sprechen viele Gründe, schreibt Oberlandesgerichtsrat a. D. Helmut
Kramer in einem Brief an Bernhardt. Nicht zuletzt die Tatsache,
daß die Justiz dieses Bundeslandes besonders eifrig war. Weitere
Gründe, in diese Gedenkstätte auch die Erinnerung an die
Opfer des Kalten Krieges einzubeziehen: »Zum einen haben viele
junge Kommunisten Haftstrafen, die gegen sie überwiegend wegen
bloßer Meinungsäußerungen verhängt worden sind,
in Wolfenbüttel verbüßt. Zum anderen ergibt sich eine
direkte Verbindungslinie zur NS-Justiz daraus, daß es ehemalige
NS-Richter, oftmals sehr konkret durch Unrechtsurteile schwer belastet,
waren, die sie verurteilt haben.« (Siehe unten) Demonstration in Mannheim gegen das KPD-Verbot (17. August 1968) Foto: UZ Bildarchiv Dieses
Problem muß thematisiert werden. Das hat ein - wegen der
Einmaligkeit in der bundesdeutschen Geschichte der Erinnerung wertes
- Treffen deutlich gemacht, das vor zehn Jahren, am 13. Februar
2003, im Gästehaus der niedersächsischen Landesregierung
stattfand. Der Ort der Begegnung war ebenso ungewöhnlich wie die
Gäste, die der damals amtierende Justizminister des Landes,
Christian Pfeiffer, eingeladen hatte. Es waren Mitglieder der
»Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des
Kalten Krieges«, Frauen und Männer also, die in den
Hochzeiten von 1951 bis 1968 wegen Verstoßes gegen das FDJ- bzw.
KPD-Verbot, wegen antimilitaristischer Aktivitäten verfolgt worden
waren. »Die Vergangenheit läßt uns nicht
los«, lautete der erste Satz der Begrüßungsrede des
Ministers. Einige Sätze später war deutlich, daß sich
diese Worte nicht allein auf die Jahre der faschistischen Diktatur
beziehen sollten. Fast 60 Jahre nach der Befreiung beginne die
Gesellschaft »ihre Geschichte als die eines doppelten Versagens
zu begreifen«. Und damit war er bei dem Thema, das er am Ende
seiner Rede »ein unrühmliches Kapitel deutscher
Justizgeschichte« nannte: »die Zeit eines teilweise
geradezu paranoiden Antikommunismus.« Damals brauchte der erste
Bundeskanzler der BRD, Konrad Adenauer (CDU), um die
»westdeutsche Bevölkerung nur fünf Jahre nach der
bedingungslosen Kapitulation zur Wiederaufrüstung bewegen zu
können (...) allerdings ein Feindbild: die Sowjetunion und die
Kommunisten«, so Pfeiffer. Widerspruch, Widerstand dagegen
grenzten damals an Hochverrat und Staatsgefährdung, waren
»landesverräterische Beziehungen«, stellten in jedem
Fall ein Vergehen dar gegen die proklamierte »freiheitliche
demokratische Grundordnung« und wurden damit ein Fall für
die Wächter über die »wehrhafte Demokratie«. Das
rief den Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst
(MAD), den Bundesnachrichtendienst (BND) und die 17 politischen
Sonderstrafkammern auf den Plan, die mit umfassenden
Ermittlungsverfahren, in nicht wenigen Fällen mit den Erfahrungen
aus den Jahren 1933 bis 1945, ans Werk gingen. Die Zahlen sind bekannt:
125 000 Ermittlungsverfahren, in die an die 500 000 Bürger
einbezogen waren und rund 10 000 Verurteilungen zu Zuchthaus- und
Gefängnisstrafen, von den diskriminierenden, zum Teil
existenzvernichtenden Folgeauflagen ist hier keine Rede. Im
offiziellen Gedächtnis ist dieses Kapitel nicht existent. Wenn die
Bundestagsfraktion der Linkspartei sich seit Jahren immer wieder im
Parlament darum bemüht, daß das in der BRD geschehene
Unrecht eingestanden wird, die in der BRD von der politischen Justiz
Verurteilten rehabilitiert werden, sind sich die Regierungsparteien
einig: Das war alles »rechtsstaatlich«. Zudem ist
kommunistischer Widerstand gegen den Faschismus, auch darin stimmen
diese Parteien überein, nicht der Ehrung wert. Das Abschmettern
eines entsprechenden Antrags der Linksfraktion im vergangenen November
hat dies erneut manifestiert. Vom Unrechtscharakter, so hörten wir
es eben wieder von CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe im
Zusammenhang mit den neuen Schmähungen gegen Gregor Gysi, darf nur
in bezug auf die DDR gesprochen werden. Hintergrund Opfer und Täter 1957
wurde August Baumgarte aus Hannover (1904-1980) wegen Fortsetzung der
Tätigkeit der verbotenen KPD zu zweieinhalb Jahren Gefängnis
verurteilt. Verbunden damit war die Aberkennung der Ansprüche auf
eine Entschädigungsrente als Opfer des Faschismus. 1933 war er am
Tag nach dem Reichstagsbrand verhaftet worden. Es folgten zwölf
Jahre KZ: Moringen, Esterwegen, Sachsenhausen und 1944 Deportation nach
Mauthausen. »Rückkehr unerwünscht« stand auf
seinen Begleitpapieren. Die Strafverbüßung in der BRD
basierte in erster Linie auf Urteilen der für Niedersachsen
zuständigen Staatsschutzkammer des Landgerichts Lüneburg.
»Eine stichprobenartige Sichtung dieser herausgezogenen Akten
ergab eine bemerkenswerte Parallelität, ja sprachliche
Übereinstimmung in Anklagen und Urteilsbegründungen zwischen
Verfahren vor nationalsozialistischen Sondergerichten nach dem
Heimtückegesetz von 1934 oder der Volksschädlingsverordnung
von 1939 und Verfahren vor Staatsschutzkammern in den 50er
Jahren«, so Wilfried Knauer, Gedenkstättenleiter
Wolfenbüttel, auf einem Symposium. Landgerichtsdirektor und
Vorsitzender der für Staatsschutzsachen zuständigen
Strafkammer am politischen Sondergericht Lüneburg war Dr. Konrad
Lenski, vor 1945 NSDAP-Mitglied und Anklagevertreter beim
Reichskriegsgericht. Unter seiner Mitwirkung wurden 1943 im Elsaß
in einem einzigen Prozeß 13 Mitglieder einer Widerstandsgruppe
wegen Spionage und Feindbegünstigung zum Tode verurteilt. Anklagevertreter
in Staatsschutzsachen am politischen Sondergericht Lüneburg war
Karl-Heinz Ottersbach, vor 1945 Anklagevertreter am Sondergericht
Kattowitz. Oberstaatsanwalt in Lüneburg und Ankläger in
politischen Strafsachen war Dr. Liebau. Als Richter am Sondergericht
Posen, wie auch später als Sachbearbeiter für Gnadensachen im
Reichsjustizministerium, war er an Todesurteilen beteiligt. »In
Niedersachsen betrug der Anteil der Richter, die einstmals
NSDAP-Mitglieder gewesen waren, in jener Zeit mehr als 80 Prozent. Auch
der Bundesgerichtshof (...) wurde zu etwa 80 Prozent mit ehemaligen
NS-Richtern besetzt. Die letzten belasteten Juristen schieden erst
Mitte der 80er Jahre altersbedingt aus dem Justizdienst aus.«
(Niedersachsens Justizminister Christian Pfeiffer am 13. Februar 2003) WARUM DIE JVA WOLFENBÜTTEL EIN GUTER GEDENKORT WÄRE Die
Gedenkstätte in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel ist
eine Dokumentations- und Gedenkstätte für die Opfer der
nationalsozialistischen Justiz und befindet sich innerhalb der
Justizvollzugsanstalt«, heißt es bei der
Internetenzyklopädie Wikipedia. Die Haftanstalt war in den
Jahren der faschistischen Herrschaft zentraler Hinrichtungsort für
Norddeutschland. Mindestens 700, neuere Forschungen sprechen von 2 000,
Menschen wurden hier getötet. Neben Deserteuren, Kriegsgefangenen,
»Volksschädlingen« auch rund 70
Widerstandskämpfer aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden. In den Räumen der früheren Richtstätte befindet sich die Ausstellung »NS-Justiz
und Todesstrafe« und seit 1999 in den ehemaligen Hafträumen
die Dauerausstellung »Justiz und Strafvollzug im
Nationalsozialismus«. Die hauseigene Webseite der JVA
ergänzte über lange Zeit, daß sich die 1999
eröffnete Ausstellung in den Räumen befindet, »die in
den 50er Jahren noch als Hafträume für 30 Stalinisten
dienten«. Nach Widerspruch einstiger Verurteilter durch die
politische Sonderjustiz der BRD ist nun von »30 politischen
Gefangenen« die Rede. Walter Timpe, der als junger
kommunistischer Redakteur in Wolfenbüttel einsitzen mußte,
spricht dagegen von mindestens 100 Mitgliedern der verbotenen FDJ und
der KPD, die hier, zum Teil von ehemaligen Richtern des
faschistischen Regimes verurteilt, ihre Strafe absitzen mußten. Von
ihnen ist allerdings in der Ausstellung, die sich dem Wirken dieser
Richter nach 1945 widmet, nicht die Rede (siehe Hintergrund). Dabei hat
dem Kriminologen Christian Pfeiffer, von 2000 bis 2003 Justizminister
Niedersachsens, zufolge das Bundesland sowohl bei der Verfolgung der
Kommunisten als auch beim Einsatz von Hitlers juristischen
Gefolgsleuten »bundesweit die Spitzenposition« eingenommen. Über
deren Wirken berichtete der Leiter der Gedenkstätte, Wilfried
Knauer, 2004 auf einem Symposium »Politische Strafjustiz im
Kalten Krieg - Die Opfer der >Staatsschutzrechtsprechung< im
Strafgefängnis Wolfenbüttel in den 50er und 60er
Jahren«. In einem Bestand von über 20 000
Gefangenenpersonalakten der Jahre 1953 bis 1963, die ausgesondert und
vernichtet werden sollten, hätten sich »zahlreiche
Personalakten nach Straftaten mit politischem Hintergrund«
befunden. »Der überwiegende Teil, nämlich knapp 560
Fälle, bestand aus Haftsachen nach dem ersten
Strafrechtsänderungsgesetz vom Juli 1951, welches die
Straftatbestände des Hoch- und Landesverrates weit ausdehnte.
Hinzu kamen Verstöße gegen das Verbot der FDJ und
schließlich der KPD nebst nahestehenden Organisationen und
Verbindungen.« Dieser Themenkreis, so Knauer allerdings weiter,
gehöre »nicht zum Aufgabenbereich der
Gedenkstätte«. Zu wessen Themenkreis gehört dann
dieser Aufgabenbereich, wenn nicht zu dieser Gedenkstätte mit
»doppelter Vergangenheit«? »Dieser Ort«,
anerkannte Justizminister Pfeiffer im Februar 2003 in einem selten
kritischen Rückblick auf jene Jahre, »mußte gerade
für diese politisch Engagierten und historisch informierten Gegner
des Nationalsozialismus besonders schmerzlich gewesen sein (...)
Unmittelbar gegenüber ihren Hafträumen und von den Fenstern
aus gut zu sehen befand sich - noch im unveränderten Zustand - die
ehemalige Hinrichtungsstätte der NS-Justiz. (...) Welch eine
Aussicht auf die langen Schatten einer unbewältigten
Vergangenheit.« Hans Daniel Mit freundlicher Genehmigung von Junge Welt vom 16.02.2013. |