27.01.2013 80 Jahre nach dem 30. Januar 1933: Ein „Kabinett des Großkapitals“ Ulrich
Sander, VVN-BdA-Bundessprecher, hat im "Ossietzky" Nr. 3/13 eine
Betrachtung zum 30. Januar 1933 und seiner heutigen Bedeutung
veröffentlicht. Er stellt fest, dass heute nicht mehr gern
daran erinnert wird, wie alle Parteien außer der SPD und KPD
Adolf Hitler unterstützt haben, der mit seiner NSDAP zwar
erschreckend viele Stimmen bekam, aber nie eine eigene Mehrheit errang.
Nach 1945 errangen Politiker aus diesen Parteien wie aus der NSDAP
selbst höchste Regierungsposten. "Und das deutsche
Großkapital ging insgesamt reicher und mächtiger aus dem
Krieg und der Nachkriegszeit hervor als es hineinging. Das trug zur
derzeitigen politischen und wirtschaftlichen Vormachtstellung
Deutschlands im EU-Europa bei. Der Kapitalismus muss nicht zum
Faschismus führen. Aber bei uns ist es geschehen. Und es kann
wieder geschehen." Immerhin werde in Zeiten wie heute wieder ein nicht
demokratischer Krisenausweg gesucht. Und "im Krieg ist Deutschland
ja schon lange wieder". Am Abend des 30. Januar 1933 meldete das
sozialdemokratische Zentralorgan „Vorwärts“:
„Amtlich wird mitgeteilt: Der Reichspräsident hat Herrn
Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt und auf dessen Vorschlag die
Reichsregierung neu gebildet.“ Vizekanzler wurde
Reichskanzler a.D. Franz von Papen, ein ultrarechter Politiker der
katholischen Zentrumspartei und Großgrundbesitzer. Außer
Dr. Wilhelm Frick und Hermann Göring von der NSDAP
gehörten der Regierung noch sieben Konservative an. Deren Parteien
stimmten samt und sonders am 23. März 1933 zusammen mit der
"liberalen" Deutschen Staatspartei, dem Zentrum und der NSDAP
für das „Ermächtigungsgesetz“ des Adolf Hitler;
die SPD stimmte dagegen, und die KPD-Abgeordneten hätten es auch
getan, wenn sie nicht an der Ausübung ihres Reichstagsmandats
gehindert worden wären. Denn seit sieben Wochen tobten sich da
bereits die faschistischen Staatsterroristen der SA, der
Nazi-Sturmabteilungen im Regierungsauftrag aus. Konservative und
Mächtige der Wirtschaft haben seit Herbst 1931 auf eine
rechtsextreme Regierung hingearbeitet, zunächst unter Einbindung,
dann ab Herbst 1932 unter Führung der NSDAP und Hitlers. Doch
lange vor dem Treffen der gemeinsamen rechten Harzburger Front im
Herbst 1931, schon seit 1895 besaßen die Ultrarechten mit dem
Programm des Alldeutschen Verbandes ein gemeinsames Programm des
Krieges, des völkischen Nationalismus, der sozialen Reaktion, des
Antisemitismus und der deutschen Vorherrschaft in Europa.
Mitbegründer dieses Verbandes und einer der Schöpfer
seines Programms war Alfred Hugenberg, Führer der
Deutsch-Nationalen Volkspartei, Krupp-Direktor und Medienzar der
zwanziger Jahre. Hugenberg gehörte dann auch dem ersten Kabinett
Hitlers als Wirtschaftsminister an. Bereits im August 1932 hatte
der konservative Reichskanzler Franz von Papen Hitler das Amt des
Vizekanzlers angeboten. Hitler lehnte ab, er wollte selbst Kanzler
werden. Das hielt jedoch Papen nicht davon ab, sich weiterhin für
die Stärkung des umworbenen Bündnispartners NSDAP
einzusetzen. So erklärte er zwei Tage vor den Reichstagswahlen vom
6. November 1932 in einer Rundfunkansprache an das deutsche Volk:
»Wie hatten wir seinerzeit den Kampfruf Hitlers gegen den
Marxismus und für die nationale Erneuerung begrüßt. Wie
hatten wir gehofft, dass er die der bolschewistischen Lehre verfallene
Arbeiterschaft der nationalen Sammlung zuführen sollte. Indes sein
Einbruch in die Reihen der Roten Front ist nur gering geblieben und das
ist sicherlich nicht die Schuld dieser (Papens) Regierung, die ihm und
seinen Propagandamethoden zum letzten Wahlkampf und auch heute so freie
Hand wie nur möglich gelassen hat.« Aber auch bei
dieser Wahl kam nicht der erhoffte Erfolg, im Gegenteil. Die NSDAP
verlor zwei Millionen Stimmen. Dagegen hatte jeder sechste Wähler
die Kommunistische Partei gewählt. Nun war
für die führenden Finanzkreise, Militärs,
Agrarier und Konservative hohe Eile geboten, denn sie waren ob der
Verluste der Nazis und der Gewinne der Kommunisten höchst
alarmiert. Es kam zur Industrieelleneingabe – unterstützt
von maßgeblichen Angehörigen der ökonomischen Eliten -
an den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, einem
reaktionären Monarchisten und Weltkriegsgeneral, in der die
Übergabe der Regierungsmacht an die faschistische Partei gefordert
wurde. Verabschiedet wurde die endgültige Fassung der Petition in
den Räumen des Direktionsgebäudes der Commerzbank in
Berlin-Mitte am 8. November 1932. Im Dezember 1932 ist dann in
einem vertraulichen Bericht aus dem »Verein zur Wahrung der
gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und
Westfalen« (Langnamverein) konstatiert worden, »dass fast
die gesamte Industrie die Berufung Hitlers, gleichgültig unter
welchen Umständen, wünscht«. Eine
Gedenktafel der Stadt Köln befindet sich seit 1996 vor dem Haus
Stadtwaldgürtel 35, wo sich Hitler, von Papen und der Bankier von
Schröder am 4. Januar 1933 getroffen haben. Sie trägt die
Inschrift: » … In einem Gespräch wurden (hier) die
Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933
gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende
Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder
unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus
und organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen
Wirtschaft an die SS.«“ Auch die Medien schalteten
um, zum Beispiel die einflussreiche "Deutsche
Börsenzeitung " . Schließlich schrieb selbst die
»liberale« und auch im Ausland gelesene
»Kölnische Zeitung«, Vorläufer des
»Kölner Stadt-Anzeigers«, bereits in ihrer
Neujahrsausgabe vom 1. Januar 1933: »Auf Hitler kommt es an. Die
deutsche Nation braucht den Willen und Schwung einer jungen
Bewegung.« Es begannen zwölf Jahre der grausamsten
Diktatur in der Menschheitsgeschichte. Der Weltkrieg mit 55 Millionen
Toten, die Ermordung von sechs Millionen Juden und einer halben Million
Sinti und Romas sowie unzähliger Slawen – allein 3,5
Millionen sowjetischer Kriegsgefangener – folgten. Der
„Vorwärts“ bezeichnete in seinem Bericht über das
„Hitler-Papen-Kainett“ vom 30. Januar 1933 dieses als ein
„Kabinett des Großkapitals“ und der
„Kapitalistischen Reaktion“. Die enge Verwandtschaft von
Kapitalismus und Faschismus wurde seit 1933 und besonders nach 1945
eine allgemeingültige Erkenntnis. Heute gilt jemand als
„Verfassungsfeind“ und wird vom deutschen Geheimdienst
„Amt für Verfassungsschutz“ diffamiert, wer vom
Faschismus als einer möglichen Form des Kapitalismus spricht. Doch
nicht nur Linke sprechen auch heute die Wahrheit aus, dass die
wirtschaftlich Mächtigen eine große Mitverantwortung
für den Nationalsozialismus und den Krieg trugen, so Adam Tooze
(Ökonomie der Zerstörung, 2004) und Gustav Luntowski (Hitler
und die Herren an der Ruhr, 2000) Ich verweise auf Seite 129 bei Tooze
über das wenig bekannte »Spenden-Rendezvous« Hitlers
mit der Schwerindustrie drei Wochen nach der Machtübergabe in
Görings Reichtagspräsidentenpalais: »Einmal ganz
abgesehen von den Folgen, zählt dieses Treffen vom 20. Februar
[1933] zu den berüchtigtsten Beispielen für die Bereitschaft
des deutschen Großunternehmertums, Hitler bei der Aufstellung
seines diktatorischen Regimes beizustehen.« ... »Krupp und
Konsorten (wurden) von Hitler nie gezwungen, sich seinem
gewalttätigen Antisemitismus oder sich seinen
Eroberungsplänen anzuschließen.« Entscheidend war das,
was Hitler den Industriellen versprochen und schließlich auch
durchgesetzt hatte: »Das Ende der parlamentarischen Demokratie
und die Vernichtung der deutschen Linken« (S. 129). Die
»gesunden Profite« lockten. Tooze eindeutig: »Und
für genau dieses Versprechen leistete ein hoher Prozentsatz der
deutschen Großindustrie gerne eine gehörige Anzahlung«
. Allein bei diesem Treffen waren es drei Millionen Reichsmark für
den Fonds zur Wahl im März, die – das war korrekt
versprochen – nun wirklich die letzte sein sollte. Der britische
Historiker: »Krupp und Konsorten waren willige Partner bei der
Vernichtung des politischen Pluralismus in Deutschland«. Erinnert
wird heute auch nicht mehr gern daran, dass alle Parteien außer
der SPD und KPD Adolf Hitler unterstützt haben, der mit seiner
NSDAP zwar erschreckend viele Stimmen bekam, aber nie eine eigene
Mehrheit errang. Nach 1945 errangen Politiker wie Konrad Adenauer
(Zentrum, nun CDU), Theodor Heuß (liberale DSP, nun FDP) und
Fritz Schäffer (katholische Bayernpartei, nun CSU), die neben
anderen die Wahl Hitlers unterstützt hatten, höchste
Regierungsposten. Und das deutsche Großkapital ging insgesamt
reicher und mächtiger aus dem Krieg und der Nachkriegszeit hervor
als es hineinging. Das trug zur derzeitigen politischen und
wirtschaftlichen Vormachtstellung Deutschlands im EU-Europa bei. Der
Kapitalismus muss nicht zum Faschismus führen. Aber bei uns ist es
geschehen. Und es kann wieder geschehen. Wenn auch anders - in
moderater, autoritärer und antidemokratischer Form. Immerhin wird
in Zeiten wie heute wieder ein Krisenausweg gesucht. Im Krieg ist
Deutschland ja schon lange wieder. (in "Ossietzky" Nr. 3/13 erschien dieser Beitrag leicht gekürzt)
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