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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

07.01.2013

Mahntafel am Gelände der Villa Springorum in Dortmund gefordert

Hier traf sich vor 80 Jahren die Ruhrlade, um Hitler den Weg zu bereiten

Am Montag 7. Januar 2013 hat die VVN-BdA um 11 Uhr an der Ecke Hainallee/ Eintrachtstraße in Dortmund Innenstadt-Ost eine Mahnwache an der ehem. Villa Springorum abgehalten. Ulrich Sander, VVN-BdA-Bundessprecher, präsentierte dabei das Buch "Von Arisierung bis Zwangsarbeit - Verbrechen der Wirtschaft".  Er hielt dort diese Rede:

Die Villa Springorum in Dortmund an der Hainallee – ehemals Rathenauallee, dann Hitlerallee. Hier tagte am 7. Januar 1933 die industrielle Ruhrlade, um weitere Schritte hin zur Machtübertragung an Hitler zu beraten. Drei Tage vorher hatten Naziführer und Wirtschaftsbosse in Köln (Villa Schröder am Stadtwaldgürtel) eine grundsätzliche Einigung erzielt. Nun mußte noch u.a. das Geld für die NSDAP in Pleitenähe beschafft werden. Deshalb kam es zu den Nachfolgetreffen am 7.1.33 in Mülheim (Hitler, Kirdorf u.a.) und Dortmund (Papen, Vögler, Reusch, Springorum u.a.) 

Es ist beabsichtigt, eine Gedenktafel anzubringen. Dies ist der vorgeschlagene Text:

„Hier an der Ecke Eintrachtstraße/Hainallee stand die Villa Springorum. Es trafen sich darin am 7. Januar 1933 Franz v. Papen und führende Ruhrindustrielle der ‚Ruhrlade’, um über die Machtübertragung an Hitler weiter zu beraten. Sie erfolgte am 30. Januar 1933, und viele Ruhrindustrielle unterstützten sie. Sie profitierten von Krieg, Zwangsarbeit und Antisemitismus.“

Die Villa Springorum

Wir wiederholen heute eine Forderung und einen Antrag, der vor fünf Jahren bereits gestellt wurde. Stadtrat Jörg Stüdemann antwortete uns vor einigen Wochen:

„Seit der Sitzung des zuständigen Ausschusses für Bürgerdienste, öffentliche Ordnung, Anregungen und Beschwerden am 3. Februar 2009 hat sich inhaltlich an der Stellung der Stadt Dortmund zu dieser Frage nichts geändert. Zentral bleiben für uns – wie für nahezu die gesamte Fachwissenschaft – hier weiterhin die von Henry Ashby Turner 1985 in seinem zentralen Werk „German Big Business and the Rise of Hitler“ dargestellten und in gründlicher Quellenarbeit erarbeiteten Ergebnisse.

Die Straßenecke

Eine intensive Diskussion auf fachwissenschaftlicher Ebene wird es zur Frage Wirtschaft und Nationalsozialismus vor 1933 auf regionaler Ebene sicher im Rahmen der Neugestaltung der Dauerausstellung der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache geben.“

Will die Stadt Dortmund nun nach dem Turner-Freispruch für das Kapital die Steinwache umgestalten? Dort heißt es immerhin bis jetzt noch: „Die Schwerindustrie setzte auf Hitler.“ Turner hingegen schreibt: „Entspricht die weit verbreitete Ansicht, dass der Faschismus ein Produkt des modernen Kapitalismus ist, den Tatsachen, dann ist dieses System kaum zu verteidigen.“ Wollen die Stadtoberen Dortmunds wider bessere Erkenntnis die Kapitalismuskritik unterbinden?

Ulrich Sander hält sein Referat

Zwölf Jahre später – nach dem Krieg mit 55 Millionen Toten und einem verwüsteten Europa – hat das große Kapital in Deutschland eine bessere Bilanz ziehen können  als in anderen Ländern. Deutschland hatte den Krieg verloren,  seine ökonomischen Eliten aber hatten am Krieg  verdient. Die heutige ökonomische Stärke Deutschlands und Vormachtstellung in der EU ist auch ein Resultat des Krieges, der alle europäischen Nachbarn nachhaltiger  schwächte.

"Tatsächlich gehörte Westdeutschland, das mit seiner schnellen Währungsreform die kleinen Sparer enteignete und den Besitz von Sachwerten und Produktionsmitteln unangetastet ließ, wirtschaftlich zu den Gewinnern des Zweiten Weltkrieges. Die Sachwerte und Produktionsmittel waren zuvor aus ganz Europa zusammengeplündert worden - (und zudem waren 15 Millionen Sklavenarbeiter hierhergeholt worden, die unentgeltlich schuften mussten.) Der deutsche Wohlstand nach 1945 und Ludwig Erhards vermeintliches Wirtschaftswunder beruhen auf dem durch den deutschen Angriffskrieg verlorenen Wohlstand der Völker Europas."  (Otto Köhler in Ossietzky 1/13) .

Übrigens wurde für Westdeutschland Anfang der 50er Jahre ein weitgehender Schuldenerlass beschlossen - etwas was man den Griechen heute verweigert. Erlassen wurden den Deutschen auch die Schulden gegenüber Griechenland, das von 1941 bis 1945 ausgeplündert wurde. Würden nur diese deutschen Schulden aus dem Hitlerkrieg den Griechen bezahlt, wäre deren Krise überstanden.

Die Hauptthese der Geschichtsschreibung a la Turner ist die, dass „die Wirtschaft“ erst nach dem 30. Januar 1933 sich notgedrungen mit de n Nazis und Hitler arrangierte und dass vorher keine wirklich bedeutenden Beziehungen, die dann zur „Machtergreifung“ führten, zwischen ihnen bestanden. Das wird durch Luntowski  (Hitler und die Herren an der Ruhr) und Tooze  (Ökonomie der Zerstörung) widerlegt. Tooze lässt zudem deutlich werden, dass auch die neuaufgenommenen Beziehungen von Industrie und Kapital zum deutschen Faschismus aus der Zeit Januar 33 bis Juni 34 geeignet waren, das Regime entscheidend zu stärken, ja seine Existenz zu sichern. Industrie und Kapital hätten es auch nach dem 30. Januar 33 noch in der Hand gehabt, den Faschismus auszuschalten, wenn sie nur gewollt hätten. Sie wollten nicht, denn ihr politisches und ökonomisches Programm glich viel zu sehr dem der Nazis.

Der Kapitalismus muss nicht zum Faschismus führen. Aber bei uns ist es geschehen. Und es kann wieder geschehen – wenn wir nicht aus der Geschichte lernen, gerade in Zeiten wie heute, da es wieder um einen Krisenausweg geht.

Der Vorwärts dazu

Zudem: Wenn die Wirtschaft zur Aufarbeitung ihrer Geschichte aufgefordert wird, geht es gar nicht um die Aufforderung zum Antikapitalismus, sondern um die Klärung der Rolle von Industriellen, Bankern, Agrariern usw. in einer ganz bestimmten, aber entscheidenden Situation. Das darf doch wohl 80 Jahre danach erwartet werden.

Und zwar in einer Zeit, da die Kriegsgewinnler von 1933 bis 1945 derzeit wieder am Krieg verdienen und an dritter Stelle in Rüstungsproduktion und Waffenexport weltweit stehen. Zudem betreiben sie auch wieder den Demokratieabbau –  zwar nicht mit dem Ziel der Aufrichtung eines neuen Nazistaates, aber doch mit der anhaltenden Dominanz der Wirtschaft über den Staat bis hin zum Autoritarismus. In Griechenland herrscht das Bankkapital und die Troika. Das droht auch der ganzen EU.

Zur Vorgeschichte der Geschehnisse an der Hainallee: Um sich im engsten Kreise vertraulich über wichtige Fragen abzustimmen, schlossen sich im Januar 1928 zwölf Industrielle zusammen, die sich selbst als die „maßgebenden Herren der westlichen Industrie“ bezeichneten. Ihre Vereinigung nannten sie die „Ruhrlade“. Mit ihr und ihrem „engeren Kreis“, dem Krupp, Klöckner, Reusch, Springorum, Thyssen, Vögler und Poensgen angehörten, hat sich der langjährige Dortmunder Stadtarchivar Gustav Luntowski in seinem Buch „Hitler und die Herren an der Ruhr – Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich“ befasst. Er konnte aus bisher ungenutzten Quellen, darunter den Privatarchiven der Herren der Ruhrlade, schöpfen und kam nicht umhin festzustellen, dass „eine Mitverantwortung der Industriellen für das nationalsozialistische Unrechtssystem“ nicht zu verneinen sei. Stärkere Urteile wären aufgrund des zusammengetragenen Materials möglich gewesen, erschienen dem Historiker aber wohl nicht opportun.

Zitiert sei aus dem Buch Hallgarten/Radkau "Deutsche Industrie und Politik", Reinbek/Hamburg 1981: "Am 7. Januar - drei Tage nach dem Treffen mit Hitler bei von Schröder in Köln - machte Papen auf der Fahrt nach Berlin, wo er Hindenburg zu bearbeiten plante, in Dortmund halt und besprach seine Pläne mit von ihm rasch zusammengerufenen Mitgliedern der 'Ruhrlade' - jenes geheimen Kreises ganz weniger industrieller Potentaten, der seit 1928 faktisch die Geschicke der deutschen Schwerindustrie leitete." ... "Die Ruhrlade wußte, daß Papen, den sie als ihren politischen Sachwalter ansah, auf eine Diktatur mit Hitlers Beteiligung hinsteuerte, wie auch immer das Kabinett im einzelnen aussehen mochte." Berichtet wird, "daß die Sitzung in Dortmund unter anderem von Vögler und von Springorum (Hoesch) besucht war." Die Hitler-Partei wurde "damals unmittelbar nach `Köln` von einem Konsortium unter Leitung der beiden genannten Industriellen aus finanziellen Nöten gerettet" (S. 217/218) Die Wertigkeit des Treffens vom 7.4.33 in der Villa Springorum war daher erheblich.

Eine Gedenktafel der Stadt Köln befindet sich seit 1996 vor dem Hause Stadtwaldgürtel 35. Sie trägt im Stile der Stolpersteine die Inschrift: „Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt Freiherr von Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von Papen, um über eine Regierungsbildung zwischen Nationalsozialisten und Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurden die Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS.“

Eine ähnliche Gedenktafel brauchen wir auch in Dortmund.