02.01.2013 Fotografiert die Täter! Fotografiert die Täter!
überschreibt "Neues Deutschland " den Artikel zum
Start der Fotoaktion von r-mediabase.de und VVN-BdA zur
Aufklärung über die Verbrechen der Wirtschaft
1933-1945. Weiter: "Stolpersteine sind Zeugen der Opfer, die unter dem
Regime der Nazis ausgegrenzt, verschleppt und ermordet wurden. Ein
Fotoprojekt will jetzt die Täter sichtbar machen - und die
Profiteure." Von Marlene Göring Verfallene Fabriken,
Straßenschilder, neonleuchtende Konzerneingänge: Sie
sind noch überall, die Tatorte der Vergangenheit. Heute
weiß nur fast keiner mehr davon. Die Zeit des
Nationalsozialismus steht zwar auf dem Lehrplan, aber im ahistorischen
Alltag läuft man einfach an den Schauplätzen seiner
Verbrechen vorbei. Trägt den Namen Evonik auf dem T-Shirt.
Kauft sich eine Tüte Haribo. Die Verwicklung
der Wirtschaft in Nazi-Politik ist das am schwersten zu beackernde
Aufarbeitungsfeld, weiß Ulrich Sander. Der Journalist hat
gerade das Buch »Von Arisierung bis Zwangsarbeit«
herausgegeben. Darin hat er die Verbrechen der Wirtschaft im
Rhein-Ruhr-Gebiet zwischen 1933 und 1945 zusammengetragen. Sander ist
Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund
der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Sein Buch ist das
Ergebnis eines mehrjährigen Projekts des Landesverbands.
Dreißig Fotos geben einen Überblick, welche Firma,
welcher Unternehmer wie involviert war - und wo sie ihre Spuren
hinterlassen haben. Die Autoren haben Orte recherchiert, dokumentiert
und Bürgeranträge gestellt, zum Beispiel, damit
Straßen neue Namen erhalten. Wo Umbenennungen nicht
möglich sind, sollen Mahntafeln aufgestellt werden.
»Die Betreffenden sollen sich nicht weiter
präsentieren können«, sagt Sander.
»Und wenn, dann mit richtiger Erklärung.«
Der VVN weitet das Projekt nun aus. In ganz Deutschland sollen
Fotografen und Aktivisten Orte festhalten, die gar nicht oder in
falscher Weise an ihre Vergangenheit erinnern. Eine Art fotografisches
Gedächtnis entwirft dann eine digitale Karte der
ökonomischen Profiteure des Dritten Reichs. Dafür
braucht das Projekt Ehrenamtliche, die ihre Umgebung auf verborgene
Zeichen und falsche Erinnerungen absuchen. Der VVN
nimmt das 80-jährige Jubiläum eines Treffens in der
Schröder-Villa in Köln zum Anlass, die zweite Phase
des Fotoprojekts anzustoßen. Dort kamen am 4. Januar 1933 die
NS-Führung und Wirtschaftsvertreter zusammen - Adolf Hitler
rief, viele Firmen und Banken folgten. Unter anderem ging es um die
Entwicklung einer gemeinsamen Strategie. Tatsächlich
saßen gerade im industriestarken Nordrhein-Westfalen viele
wichtige Verbündete der NS-Regierung. So vermarktete das
Unternehmen Degussa, das heute zum Evonik-Konzern gehört, das
Gold aus herausgebrochenen Zahnfüllungen ermordeter
KZ-Häftlinge. In Kooperation mit IG Farben stellte die Firma
Zyklon B her. Aber auch zahlreiche kleinere Unternehmen profitierten
vom Faschismus, durch entstandene Marktlücken etwa
für Kriegsprodukte, Verträge mit der Regierung und
Zwangsarbeiter. Bis heute erkennt die Wirtschaft ihre
tragende Rolle im Nazi-Regime nicht an, meint Sander. »Es ist
anerkannt und verbreitet, der Opfer zu gedenken, da gibt es immer einen
Konsens.« Täter zu benennen, sei dagegen immer
strittig. »Daran sehen wir, dass es eine Klientel gab und
gibt, die daran kein Interesse hat«. Das
ist vor allem auch eine finanzielle Frage und der eigentliche Skandal.
50 Milliarden müssten deutsche Unternehmen ehemaligen
Zwangsarbeitern und Hinterbliebenen zahlen, 5 Milliarden sind es erst
gewesen, sagen Experten. Die Zeit der Entschädigungszahlungen
ist jedoch vorbei. Vor zehn Jahren drohten noch Sammelklagen.
»Jetzt scheint die Sache im Sand zu verlaufen«,
bedauert Verbandssprecher Sander. Eine Gesamtaufarbeitung, eine
benannte Verantwortung der Wirtschaft gebe es bisher nicht. Psychiater,
Ärzte, Justiz: »Es gibt kaum eine Berufsgruppe, die
sich davor gedrückt hätte - außer die
Unternehmer«, sagt er. Sander geht dafür umso
engagierter in die nächste Phase der fotografischen
Spurensuche: »Genau das wollen wir ändern.« Internet:
www.r-mediabase.eu Fotos
an: post@r-mediabase.eu Mit
freundlicher Genehmigung des Neuen Deutschland vom 02.01.2013. |