20.11.2012 Konferenz „Neofaschismus und
Krise“ Perspektiven
aus Wissenschaft, Politik und Journalismus. Gemeinsame Tagung der
Marx-Engels-Stiftung mit der VVN-BdA NRW und der VVN-BdA
Siegerland-Wittgenstein, Siegen, 3. November 2012 In den scheinbar
unumstößlichen Allgemeinplätzen der
öffentlichen Diskussion werden die durch Verelendung und
andere sozialen Verwerfungen gebeutelten Krisengeschädigten
als Gefahr für die Demokratie hingestellt. Die Konferenz
„Neofaschismus und Krise“ setzte dazu Kontrapunkte.
Eingeladen hatten die Marx-Engels-Stiftung sowie die Vereinigung der
Verfolgten des Nazi-Regimes / Bund der Antifaschistinnen und
Antifaschisten. Rund 60 Teilnehmende beteiligten sich in der
Universität Siegen an der Diskussion. Elitäre
Krisenbewältigungsstrategien Manfred
Weißbecker, bis 1992 Professor für Geschichte an der
Friedrich-Schiller-Universität Jena, eröffnete die
Konferenz mit seinem Vortrag „Die Weltwirtschaftskrise und
ihr faschismusfördernder Widerhall im bürgerlichen
Parteienwesen der Weimarer Republik“. Weißbecker
konzentrierte sich auf historische, elitäre
Krisenbewältigungsstrategien beim Übergang von
Demokratie zum Faschismus. Er verdeutlichte das mittels
Quellenmaterial. Als Beleg dazu diente die Denkschrift des
Reichsverbandes der Deutschen Industrie von 1929. Bereits vor dem
Börsenkrach wurden hier die Weichen für den Abmarsch
nach Rechts gestellt. Die Weltwirtschaftskrise der
Jahre 1929ff. hatte nicht den Weg der deutschen Faschisten an die Macht
verursacht, sie jedoch befördert. Faschismus:
konterrevolutionäre Bewegung Den Faschismus
charakterisierte Weißbecker, sowohl im Hinblick auf 1917 als
auch auf 1789, als konterrevolutionäre Bewegung. Er sei eine
Ausgeburt der bürgerlichen Gesellschaft, die an Maximalprofit
und an Expansion orientiert ist. Entgegen radikaler Demagogie hatte er
niemals die Intention die kapitalistischen Verhältnisse zu
überwinden. Der Faschismus richtete sich vor allem gegen die
Errungenschaften der Arbeiterbewegung und gegen den
bürgerlichen Humanismus. Aus historischer
Perspektive heraus gelangen Weißbecker viele Bezüge
auf heutige antidemokratische Gefahren. Er stellte die sich im
Parteienwesen widerspiegelnden Rechts- und Konvergenztendenzen als
Ausdruck von Kapitalinteressen heraus. Rechtspopulismus Im
Anschluss daran befasste sich Phillip Becher, wissenschaftliche
Hilfskraft an der Universität Siegen, mit den
„Triebkräften des Rechtspopulismus“. Becher
beschrieb die bis in die Gewerkschaftsbewegung hineinreichende
„Stellvertreterpolitik“, die zur
Entmündigung und mangelnder Handlungsautonomie vor allem der
Arbeiterbewegung geführt habe. Er stellte
unter Bezugnahme auf die Forschungen von Reinhard Opitz
zunächst heraus, was sinnvollerweise unter Rechtspopulismus zu
verstehen ist. Anhand des italienischen, belgischen
und US-amerikanischen Beispiels präsentierte er, wie die
Widersprüche zwischen dem sozialen Träger und der
Massenbasis rechtspopulistischer Formationen aussehen und was beide zur
Wahl der rechtspopulistischen Option bewegt. Verbindungen von staatlichen
Strukturen zur extrem rechten Szene Ulla Jelpke, die
innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Deutschen Bundestag,
referierte zu „Rechtsterrorismus und
Demokratieabbau“. In einen historischen
Längsschnitt der rechtsterroristischen Angriffspotentiale in
der Bundesrepublik vom „Technischen Dienst des Bundes
Deutscher Jugend“ in den 1950er Jahren über die
„Wehrsportgruppen“ in den 1970er und 1980 Jahren,
bis hin zu den Morden der NSU-Terror-Zelle, konnte sie auf zahlreiche
Verbindungen von staatlichen Strukturen mit der gewaltbereiten und
gewalttätigen extrem rechten Szene verweisen. Einer
der ersten Präsidentrn des Verfassungsschutzes sei mit Hubert
Schrübbers ein SA-Mann gewesen. Sechzehn von
sechsundfünfzig Führungskräften seien
führende SS-Männer gewesen. Vor diesem Hintergrund
sei es kein Wunder, dass der Verfassungsschutz die NPD gerettet habe.
Er habe dazu beigetragen die faschistischen Kräfte zu
stärken. Der bürgerliche Staat habe
ein taktisches Verhältnis zum Faschismus. Die Nazis seien eine
Art „Pressuregroup“, wie die
Terroranschläge in Rostock und anderswo gezeigt
hätten. Sie fungierten als „Vollstrecker des
gesunden Volksempfíndens“, wie zum Beispiel in der
Asylpolitik. Sie seien eine Straßenkampfreserve gegen links.
Außerdem würden sie von den wirklichen
Krisenursachen ablenken und zersetzend auf den Klassenkampf wirken.
Strategie sei, kräftezehrend auf die demokratische Bewegung zu
wirken. Im herrschenden Interesse liege es, Potential
für rechte Parteien durch kleine faschistische Kerne am Leben
zu erhalten. Sozialismusdemagogie Das
Abschlussreferat, gleichsam Auftakt zur Plenumsdiskussion
„Demokratische Gegenwehr oder hilfloser
Antifaschismus?“, hielt Jürgen Lloyd. Er ist
Mitglied im Vorstand der Marx-Engels-Stiftung. Der
Titel seines Vortrags lautete „Querfront und
Sozialismusdemagogie als Herausforderung für die
antifaschistische Theorie und Praxis“. Hierbei befasste es
sich sowohl mit einer historischen und eher theoretischen als auch mit
einer tagesaktuellen und eher praktischen Perspektive. Die
sich an das Referat anschließende Abschlussdiskussion wurde
vor allem durch die Debatte um die Frage der
wissenschaftlich-theoretischen Bestimmung des Faschismus und um die
Möglichkeit von breiten Bündnissen gegen rechts
bestimmt. Der V-Leute-Sumpf Vorabdruck.
Staat und Faschisten Hand in Hand? Die BRD-Geschichte kennt viele
Spitzel, die führend am Aufbau von Nazistrukturen beteiligt waren Von Ulla Jelpke Anfang
Dezember erscheint das Heft 6/2012 der Marxistischen Blätter. jW
dokumentiert daraus in gekürzter Fassung den Beitrag der
Innenpolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke Ulla
Jelpke. [Der Vortrag basiert auf dem Vortrag zu obiger Veranstaltung] Im
November jährt sich die Entdeckung der faschistischen Terrorzelle
»Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU). Die
NSU-Mitglieder sollen für eine Mordserie an neun
türkisch-kurdischen und griechischen Kleinunternehmern sowie eine
Polizistin, für zwei Bombenanschläge auf Migranten und
für 14 Banküberfälle verantwortlich sein.
Parlamentarische Untersuchungsausschüsse sollen klären, wie
es möglich war, daß die nach Sprengstofffunden 1998
abgetauchten Nazis 13 Jahre lang unbehelligt im Untergrund leben
– und morden – konnten. Die bisherigen
Untersuchungsergebnisse offenbaren einen kaum für möglich
gehaltenen Sumpf aus Geheimdiensten, ihren V-Leuten und militanten
Neonazis. Deutlich wurde, daß die Verfassungsschutzämter
immer wieder über ihre V-Leute nahe an dem Mordtrio dran waren,
aber offenbar gar kein Interesse an dessen Ergreifung hatten. Die
NSU-Affäre, in deren Folge bereits der Präsident des
Bundesamtes für Verfassungsschutz und mittlerweile vier
Länderpräsidenten zurücktraten oder in den Ruhestand
versetzt wurden, hat sich längst zu einem der größten
Geheimdienstskandale der Bundesrepublik ausgewachsen. Als Grundfragen
stehen dabei im Raum: Hat der Inlandsgeheimdienst lediglich versagt
oder erfolgte sein Handeln vielmehr gemäß seiner inneren
Logik? Ist der Verfassungsschutz ein unverzichtbares und nur
reformbedürftiges Instrument im Kampf gegen den militanten
Neofaschismus? Oder entpuppt sich der Geheimdienst vielmehr als
Förderer dessen, was er zu bekämpfen vorgibt? Um diese Fragen
zu klären, soll das Verhältnis der Geheimdienste in der
Bundesrepublik zum Rechtsextremismus untersucht werden. (…) Fehlende Staatsferne Insbesondere
die bundesdeutschen Inlandsgeheimdienste, das Bundesamt für
Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzbehörden der
Länder, hatten immer wieder enge Kontakte zu Neofaschisten. Dies
ergibt sich schon aus der Geschichte dieses Geheimdienstes. Im April
1949 gestanden die Westalliierten der Bundesregierung zu, »eine
Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über
umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete
Tätigkeiten einzurichten«. Vor dem Hintergrund des Kalten
Krieges war mit einer »umstürzlerischen«
Tätigkeit vor allem das Wirken der Kommunistischen Partei
Deutschlands (KPD) gemeint. Bei vielen Mitarbeitern des im September
1950 gebildeten Bundesamtes für Verfassungsschutz handelte es sich
um bereits unter dem Hitlerfaschismus erprobte Antikommunisten aus dem
Sicherheitsdienst SD, der Gestapo und SS. Mit Hubert Schrübbers
(CDU) wurde 1955 ein ehemaliger SA-Mann Präsident des Bundesamtes. Unter
Schrübbers, der als ehemaliger NS-Staatsanwalt aufgrund seiner
früheren Urteile gegen politisch und rassisch Verfolgte erst 1972
in den Ruhestand versetzt wurde, stiegen zahlreiche Altnazis in hohe
Positionen des Geheimdienstes auf. »16 von 56
Verfassungsschutzbeamten sind ehemalige SS-Führer«
hieß es am 31. August 1963 in der sozialdemokratischen Kieler
Volkszeitung. Bundesinnenminister Hermann Höcherl (CSU) verwahrte
sich unterdessen dagegen, »eine formelle Zugehörigkeit zur
SS heute bereits als Verbrechen anzusehen«. Warum dies so war,
erklärte die Tageszeitung Die Welt am 12. September 1963:
»Der Sprecher des Innenministeriums hatte seinerzeit
erklärt, daß die ehemaligen SS- und SD-Angehörigen
schon deshalb nicht entlassen werden könnten, weil man auf ihre
Erfahrungen nicht verzichten wolle.« Der Feind steht links
– dieses Credo teilten die stramm antikommunistisch eingestellten
Geheimdienstmitarbeiter mit Nazivergangenheit, die im Verfassungsschutz
den »Marsch durch die Institutionen« angetreten hatten, mit
ihren alten Kriegskameraden, die 1964 die NPD als legale faschistische
Partei gründeten. Schon bei den ersten V-Leuten des
Verfassungsschutzes innerhalb der NPD dürfte es sich so weniger um
eingeschleuste Spitzel gehandelt haben als vielmehr um
Gesinnungsfreunde, denen die Verfassungsschützer auch finanziell
wohlwollend unter die Arme griffen. Wie weit die Unterwanderung der NPD
ging, zeigte das Scheitern des ersten, von Bundesregierung, Bundestag
und Bundesrat im Jahr 2001 beantragten Verbotsverfahrens gegen die NPD
vor dem Bundesverfassungsgericht. Dieses Verfahren endete am 18.
März 2003 mit einer Einstellung aus formalen Gründen, obwohl
die Karlsruher Richter inhaltlich offenkundig von der
Verfassungswidrigkeit der Partei überzeugt waren. Der Grund des
Scheiterns dieses Verfahrens war die zutage getretene enge Durchsetzung
der NPD-Gremien mit V-Leuten der Verfassungsschutzbehörden von
Bund und Ländern. Für die Richter war so nicht mehr
unterscheidbar, welche Handlungen und Beschlüsse der NPD noch
»original« und welche in Wahrheit dem Staat zuzurechnen
waren. Diese Durchsetzung mit V-Leuten wurde zuerst anhand des
nordrhein-westfälischen Landesverbandes der NPD deutlich, deren
Landesvorsitzender und sein Vize sowie der Chefredakteur der regionalen
Parteizeitung Deutsche Zukunft als Mitarbeiter des Geheimdienstes
enttarnt wurden. Rund jeder sechste Führungsfunktionär der
NPD soll bundesweit für einen Geheimdienst gearbeitet haben, so
daß eine Sperrminorität von drei der sieben
Verfassungsrichtern eine »fehlende Staatsferne« der
faschistischen Partei konstatierte. Da von einer eigenständigen,
staatlich unabhängigen Partei nicht die Rede sein könnte,
könne sich die NPD auch nicht »selbstbestimmt« gegen
das Verbotsverfahren verteidigen. »Die Beobachtung einer
politischen Partei durch V-Leute staatlicher Behörden, die als
Mitglieder des Bundesvorstands oder eines Landesvorstands fungieren,
unmittelbar vor und während der Durchführung eines
Parteiverbotsverfahrens ist in der Regel unvereinbar mit den
Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren. Staatliche
Präsenz auf der Führungsebene einer Partei macht
Einflußnahme auf deren Willensbildung und Tätigkeit
unvermeidbar.« Es sei daher nicht auszuschließen,
»daß Personen mit ihren Äußerungen als Teil des
Bildes einer verfassungswidrigen Partei präsentiert werden, die
nachrichtendienstliche Kontakte mit staatlichen Behörden
unterhalten oder unterhalten haben, ohne dies kenntlich zu machen und
so die darauf folgenden Zurechnungsprobleme offenzulegen.«
Entscheidend für diese Niederlage in Karlsruhe – und damit
die Rettung der NPD – waren damit das dem damaligen
Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) unterstellte Bundesamt für
Verfassungsschutz und die Landesverfassungsschutzbehörden.
Für die NPD-Führung, ihre Anhänger und Wähler kam
die Verfahrenseinstellung einem Freibrief für ihre rassistische
Hetze gleich. (…) Aufbau von Nazistrukturen Das
scheinbare Erstaunen über die Durchsetzung der NPD-Gremien
anläßlich des gescheiterten ersten Verbotsverfahrens oder
jetzt über die Verwicklung von V-Leuten in das Umfeld des NSU
zeugt von Geschichtsvergessenheit. Denn die bundesdeutsche Geschichte
ist voll von V-Leuten, die nicht oder nicht nur Informationen an die
Dienste lieferten, sondern ihre Spitzelgelder aktiv für den Aufbau
neofaschistischer Strukturen nutzten, selber schwere Gewalttaten
begingen oder schlicht als gewöhnliche Kriminelle mit staatlichem
Schutz agierten. Wohl einer der langjährigsten V-Leute
innerhalb der Naziszene war Wolfgang Frenz, der bereits im Winter
1959/60 als Mitglied der faschistischen Deutschen Reichspartei erstmals
Spitzelhonorare des NRW-Verfassungsschutzes kassierte. Frenz war
NPD-Mitglied der ersten Stunde. Der nordrhein-westfälische
Landesvorstand der NPD war laut Frenz über dessen
VS-Tätigkeit informiert und hatte eingewilligt, um so an Gelder zu
kommen. »Wenn Sie so wollen, hat der Verfassungsschutz die
Grundfinanzierung der NPD in NRW geleistet«, erklärte Frenz
gegenüber dem Stern (Bekenntnisse eines V-Mannes,
22.11.2011). Sein Agentenlohn stieg von 400 Mark während seiner
Tätigkeit in der Reichspartei auf 800 nach NPD-Gründung und
bald darauf auf 1000 Mark monatlich an. Im Bundestagswahlkampf 1967
habe er der Partei 10000 Mark aus Spitzelhonoraren überwiesen.
Frenz ist überzeugt, einen Großteil seiner zehn
Führungsoffiziere zu »überzeugten
Nationaldemokraten« gemacht zu haben. »Ich hatte den
Eindruck, daß ich mehr die geführt habe als die mich«,
bekannte er im Dezember 2011 gegenüber der Westdeutschen
Allgemeinen Zeitung. Der V-Mann, der einige der übelsten im
NPD-Verbotsverfahren angeführten antisemitischen und rassistischen
Hetzartikel verfaßt hatte, wurde 1995 vom Geheimdienst wegen
»fehlender Nachrichtenehrlichkeit« abgeschaltet. Der
Agent des nordrhein-westfälischen VS Helmut Krahberg war Anfang
der 70er Jahre am Aufbau der »Europäischen
Befreiungsfront« beteiligt, die offenbar Anschläge
anläßlich eines Treffens von Bundeskanzler Willy Brandt und
DDR-Ministerpräsident Willi Stoph in Kassel geplant hatte. In der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 19. Juli 1972 hieß es
über Krahberg: »Ganz offenkundig gehörte er von Anfang
an zum Spitzentrio, sei es als Agent provocateur oder als zum
Mitspielen aufgeforderter Verfassungshüter.« »Was
dürfen die eigentlich?«, fragte der Spiegel, nachdem bekannt
wurde, daß der V-Mann des niedersächsischen VS
Hans-Dieter Lepzien, der der Untergrundkaderstruktur NSDAP/AO
angehörte, 1976/77 als Waffen- und Bombenbeschaffer der
neofaschistischen »Gruppe Otte« fungiert hatte (Spiegel,
24.9.1984). Ein weiterer V-Mann des niedersächsischen
VS bis zum Jahr 1980 war Werner Gottwald, der als
Gründungsmitglied der NSDAP/AO diese auch mit Waffen
versorgte. Ebenfalls als V-Mann des niedersächsischen VS war
Joachim Apel tätig, der Anfang der 80er Jahre einer
»Kampfgemeinschaft Nationaler Sozialisten« Waffen
beschaffte und an Brandanschlägen beteiligt war. Als
V-Mann des NRW-VS erhielt Norbert Schnelle Mitte der 80er
Jahre 14400 Mark, die er in den Aufbau der »Nationalistischen
Front« steckte. Der 1992 als V-Mann des
niedersächsischen VS angeworbene Sicherheitschef der kurz darauf
verbotenen »Nationalistischen Front«, Michael Wobbe,
rühmte sich später, daß ohne ihn »so mache
Kameradschaft gar nicht erst entstanden« wäre. Der Aktivist
der später verbotenen Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP), Andreas
Szypa, ließ sich mit Zustimmung von zwei FAP-Funktionären,
denen er die Abführung der Hälfte seines Agentenlohns an die
Partei garantierte, 1988 als Spitzel des NRW-VS anwerben. Ein weiterer
V-Mann des NRW-Dienstes, Bernd Schmitt, leitete eine
Kampfsportschule. Darin verkehrten auch jene Neonazis, die 1993 in
Solingen einen Brandanschlag auf ein von Migranten bewohntes Haus
verübten, bei dem fünf Menschen starben. Anfang der 90er
Jahre galt Bela Ewald Althans als einer der bekanntesten Neonazis in
Deutschland. Nachdem er aufgrund einer in dem Film »Beruf
Neonazi« getätigten Holocaust-Leugnung 1995 zu einer
Haftstrafe verurteilt wurde, erklärte er seinen Ausstieg aus der
Naziszene und wurde vom Spiegel als V-Mann des bayerischen VS
entlarvt, was die Behörde allerdings abstritt. Ein
Rekordagentengehalt von 200000 DM erhielt der im Jahr 2001 enttarnte
V-Mann des thüringischen VS Tino Brandt für seine
mehrjährige Agententätigkeit unter dem damaligen VS-Chef
Helmut Roewer. Brandt, der Ende der 90er Jahre zum stellvertretenden
thüringischen NPD-Landesvorsitzenden aufstieg, steckte dieses Geld
nach eigenen Angaben vor allem in den Aufbau des von ihm
gegründeten und geführten »Thüringer
Heimatschutzes«. Diesem Nazi-Kameradschaftsnetzwerk gehörten
über 100 Neonazis an, von denen offenbar mindestens jeder zehnte
zugleich für verschiedene Geheimdienstbehörden gearbeitet
hatte. Die späteren NSU-Mitglieder waren ebenfalls vor ihrem
Abtauchen im »Thüringer Heimatschutz« aktiv. Vom
Verfassungsschutz erhielt Brandt nach dem Abtauchen des Trios 2000 DM
zur Weitergabe an die gesuchten Neonazis, damit sich diese falsche
Ausweispapiere kaufen konnten. Als die Polizei das Haus des
V-Manns observierte, warnte ihn sein V-Mann-Führer und
beschrieb ihm die Fahrzeuge der Überwacher. Der 1997
angeworbene Agent des mecklenburg-vorpommerschen VS Michael Grube aus
Grevesmühlen erhielt monatlich 500 bis 700 Mark Spitzellohn. Bei
seiner Selbstenttarnung im Jahr 1999 erklärte Grube, er habe sich
auf Weisung seiner V-Mann-Führer zum NPD-Kreisvorsitzenden in
Wismar wählen lassen. Unter seiner Führung wuchs der
Kreisverband von zwölf auf 50 Mitglieder an. Vor Gericht gab Grube
an, nach seinem Übertritt in die andere Rechtspartei einen
Brandanschlag auf eine von einem Migranten geführte Pizzeria aus
Angst vor seiner Entlarvung als Spitzel verübt zu haben. Ebenfalls
für den mecklenburgischen VS tätig war laut Berliner Zeitung
vom 11. Juli 2000 von 1998 bis zum Jahr 2000 Matthias Meier, der
stellvertretender Landesvorsitzender der NPD und Gründer einer
Wehrsportgruppe namens »Kampfbund Nord« wurde. Der
Thüringer Verfassungsschutz führte unter seinem Chef Helmut
Roewer jahrelang den damals bundesweit bekannten Neonazi Thomas Dienel
als V-Mann. In den Jahren 1996/97 erhielt Dienel für seine
bei rund 80 Kontakten überbrachten Informationen rund 25000 DM.
Diesen Agentenlohn habe er als Spende für die Herstellung
rechtsextremer Propagandamaterialien genutzt, gab Dienel an. Von seinen
Agentenführern erhielt er nach eigenen Angaben auch Tips zu
Polizeieinsätzen und Ermittlungsverfahren. An V-Leute
flossen allein in Thüringen zwischen 1994 und 2000 über 1,5
Millionen Mark an Spitzelgehältern. 2007 wurde Sebastian Seemann,
der Rechtsrock-Konzerte für das verbotene Blood &
Honour-Netzwerk organisierte, als V-Mann des
NRW-Verfassungsschutzes entlarvt. Seemann handelte zudem mit harten
Drogen und war in einen Raubüberfall auf einen Supermarkt
verwickelt, bei dem ein Kunde schwer verletzt wurde. Bei Seemann fand
die Polizei ein Waffendepot. »Seit einigen Jahren hat Sebastian
Seemann jedem, den er kannte, scharfe Waffen und Sprengstoff angeboten
und diese auch mit- und vorgeführt«, bestätigten
Seemanns Nazikameraden (AIB 77, 4/2007). Der Verfassungsschutz deckte
die kriminellen Aktivitäten seines V-Mannes und warnte ihn
vor polizeilichen Ermittlungen wegen Drogenhandels. Als dies bekannt
wurde, untersagte der damalige NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP)
Ermittlungen gegen Seemanns V-Mann-Führer. »Reaktionäre Hilfstruppen« Verfassungsschutzpräsidenten
und Unionsinnenpolitiker rechtfertigen den V-Mann-Einsatz
innerhalb der Neonaziszene immer wieder mit dem Argument, andernfalls
keine Informationen aus dem Inneren dieser Kreise bekommen zu
können. Dem steht entgegen, daß kaum eine neofaschistische
Straftat durch die V-Leute verhindert werden konnte und oftmals jede
Antifagruppe besseres Wissen über örtliche Nazistrukturen hat
als die Sicherheitsbehörden. Dagegen haben die Geheimdienste
über ihre V-Leute neofaschistische Strukturen zum Teil erst
initiiert, sie haben sie finanziell und personell erheblich
gestärkt, Verbote und effektive Strafverfolgung verhindert,
Neonazis erst zu Straftaten animiert oder diese gar selber begangen.
Unter dem Strich bleibt so eine Stärkung der faschistischen
Rechten in der Bundesrepublik durch das Wirken der Geheimdienste. Daß
der Verfassungsschutz pro forma auch die Neonazis – wohlweislich
aber nicht solche Bindeglieder zwischen offenen Nazis und der
bürgerlichen Rechten wie die völkisch ausgerichtete Deutsche
Burschenschaft und die revanchistischen Vertriebenenverbände
– in seinen Verfassungsschutzberichten benennt und die
Sicherheitsbehörden zur Beruhigung der Öffentlichkeit von
Zeit zu Zeit auch repressiv gegen Faschisten vorgehen, ist kein
Widerspruch dazu. Dies hat schon Franz-Josef Strauß am 16.
September 1970 im Bad Reichenhaller Vertrautenkreis
geäußert. »Man muß sich der nationalen
Kräfte bedienen, auch wenn sie noch so reaktionär sind.
Hinterher ist es immer möglich, sie elegant abzuservieren. Denn
mit Hilfstruppen darf man nicht zimperlich sein« (Der Spiegel
12/1970). Faschisten dienen den bürgerlichen Parteien als
Pressure Group bei der Durchsetzung einer autoritäreren Politik.
Exemplarisch läßt sich dies an der faktischen Abschaffung
des Asylrechts 1992 aufzeigen. Vorangegangen war eine von der
Springer-Presse und den Unionsparteien getragene Kampagne gegen
angeblichen Asylmißbrauch und eine »Asylantenflut«.
Neonazis konnten sich mit einer solchen Rückendeckung bei ihren
Anschlägen auf Asylheime und Migranten als Vollstrecker des
»gesunden Volksempfindens« in Szene setzen. Unter Verweis
auf den Naziterror konnten dann wiederum Unionspolitiker für die
Abschaffung des Asylrechts eintreten. Unter dem so entfachten
»Druck der Straße« knickte schließlich die SPD
vor dem Hintergrund des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen ein und
stimmte schließlich dem sogenannten Asylkompromiß zu. Bekanntlich
scheute sich einst selbst die SPD mit ihrem Kriegsminister Gustav Noske
zu Beginn der Weimarer Republik nicht, im Kampf gegen die radikale
Linke auf die Hilfe faschistoider Freikorps zurückzugreifen.
Tausende Arbeiter und ihre politischen Führer – Karl
Liebknecht und Rosa Luxemburg – fielen diesen Freikorps zum
Opfer. Angesichts der momentanen Schwäche der radikalen Linken
steht ein solcher Einsatz von Neonazis in der Bundesrepublik nicht auf
der Tagesordnung. Doch für Krisen- und Notzeiten ist eine
derartige Option, Faschisten als Straßenkampfreserve einzusetzen,
niemals auszuschließen. Rechtsextreme Parteien sind zudem
für die Herrschenden ein willkommenes Mittel, um den Einfluß
der Linken zu schmälern. Parteien wie die NPD fangen mit ihrem
völkischen Schein-Antikapitalismus die Stimmen von Unzufriedenen
und Opfern der Wirtschaftskrise auf. Fremdenfeindlichkeit,
Antisemitismus und Islamhaß sollen von den wirklichen
Krisenursachen und damit vom Klassenkampf ablenken. Gleichzeitig binden
Faschisten durch ihre Provokationen viele Kräfte auf der Linken
– etwa bei der Organisierung von Blockaden gegen bundesweite
Naziaufmärsche. Dadurch fehlt das Engagement dieser Linken an
anderer Stelle, der Kampf gegen den Kapitalismus wird durch
natürlich notwendige antifaschistische Aktivitäten
verdrängt. Noch beweist das deutsche Parteiensystem – anders
als in anderen europäischen Staaten – eine große
Stabilität. Doch Umfragen und einzelne Landtagswahlergebnisse
zeigen immer wieder, daß grundsätzlich ein Potential
für eine Partei rechts von CDU/CSU existiert. Die Erfahrungen aus
anderen europäischen Staaten belegen, daß die
bürgerlichen Parteien keine Scheu haben, auf rechtsextreme
Parteien als parlamentarische Mehrheitsbeschaffer zurückzugreifen.
Es gibt für die Herrschenden also eine ganze Reihe von
Gründen, nicht dauerhaft und entschieden gegen die Faschisten
vorzugehen, sondern zumindest kleine faschistische Kerne am Leben zu
halten und zu protegieren. (…) Wer es also mit dem
Antifaschismus ernst meint, kann nicht vor derjenigen Behörde
haltmachen, die immer wieder eine effektive Verfolgung der Faschisten
blockiert und sich oft genug als deren Förderin erwiesen hat. Die
von großen Teilen der Linkspartei erhobene Forderung nach
Abschaffung des Verfassungsschutzes als Geheimdienst und seiner
Umwandlung in eine offen arbeitende wissenschaftliche Informations- und
Dokumentationsstelle hat damit eine explizit antifaschistische
Stoßrichtung. Mit freundlicher Genehmigung der Jungen Welt http://www.jungewelt.de/2012/11-21/026.php Vorabdruck aus Markistische Blätter 06/2012 http://www.marxistische-blaetter.de/ |