Logo VVN/BdA NRW

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

12.11.2012

Als die Industrie nach Hitler rief

„Das wirtschaftspolitische und allgemeinpolitische Programm der (Industriellenvereinigung) Ruhrlade schrie geradezu nach einem Mann wie Hitler“, heißt es zusammenfassend in dem Buch „Von Arisierung bis Zwangsarbeit. Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945“, das von Ulrich Sander herausgegeben wurde und die Geschichtsforschung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) über die schuldhaften Verstrickungen der Ruhr-Industrie in die Naziverbrechen darlegt. In „Freitag“ (Berlin) und „Der Metzger“ (Duisburg) sind neue Rezensionen zu dem Buch erschienen.

Von Steigbügelhaltern und Profiteuren

Das Buch „Von Arisierung bis Zwangsarbeit“ belegt die Mitschuld der deutschen Wirtschaft an den Nazi-Verbrechen.

von Jakop Heinn

Deutsche Kalenderdaten: Wer vom 30. Januar 1933 spricht, sollte vom 26. Januar 1932 nicht schweigen. An dem Tag traf sich Hitler im Düsseldorfer Industrie-Club mit der Elite der Unternehmer an Rhein und Ruhr.

Hitler, begleitet von Hermann Göring und seinem Terror-Beauftragten Röhm, legte den Herren der Schwerindustrie und der Banken seine Pläne dar: Er werde, erst einmal an der Macht, den Marxismus ausrotten, die Gewerkschaften zerschlagen und den Unternehmern paradiesische Bedingungen bieten. Davon erfreut, ließen die Industriellen sich nicht lumpen und griffen tief in ihre Taschen, so daß Hitlers NSDAP für ihren Kampf um die Macht bestens ausgestattet war.

Diese Darstellung trifft zu, aber sie greift zu kurz. Was da am 26. Januar 1932 in Düsseldorf stattfand, war nicht bloß Spendenwerbung. Vollends in Schieflage gerät die Geschichtsschreibung, wenn etwa davon die Rede ist, die Industriellen hätten Hitler falsch eingeschätzt, und aus tiefer Sorge vor einer kommunistischen Machtergreifung hätten sie keinen anderen Ausweg mehr gesehen.

Hitlers Versprechungen gingen weiter, ebenso die Erwartungen an ihn. Hitler versprach, die Parteien zu verbieten und Wahlen abzuschaffen. Er versprach, die Reichswehr auszubauen und aufzurüsten. Und er versprach, „Lebensraum im Osten“ zu erobern. Vor den Industriellen wurde vollumfänglich ausgebreitet, was in den folgenden Jahren werden und wüten sollte. Und genau das entsprach ihren Wünschen.

1928 hatten sich Industriebosse zu einer Vereinigung zusammengeschlossen, die sie „Ruhrlade“ nannten. Zum „engeren Kreis“ gehörten Krupp, Klöckner, Reusch (Gutehoffnungshütte), Springorum (Hoesch), Thyssen, Vögler (Vereinigte Stahlwerke) und Poensgen (Phönix AG). Ihr Programm: Keine überbetrieblichen Tarifverträge mehr, Beschränkung aller sozialen Ausgaben, Verringerung der Arbeitslosenunterstützung und „Kampf mit den Gewerkschaften mit aller Schärfe“, die „Pflege des nationalen Gedankens“, ein „großdeutsches Reich“ (Zusammenfassung aller geschlossen siedelnden Deutschen und Anschluß Deutsch-Österreichs), Bekämpfung des „Systems von Versailles“ und der ,Kriegsschuldlüge’, Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit, Revision der Ostgrenzen (Korridorfrage), Ablehnung des demokratisch-parlamentarischen Systems von Weimar, schärfste Bekämpfung des Marxismus, Unantastbarkeit des Privateigentums.

„Das wirtschaftspolitische und allgemeinpolitische Programm der Ruhrlade schrie geradezu nach einem Mann wie Hitler“, heißt es zusammenfassend in dem Buch „Von Arisierung bis Zwangsarbeit. Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945“, das von Ulrich Sander herausgegeben wurde und die Geschichtsforschung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) über die schuldhaften Verstrickungen der Ruhr-Industrie in die Naziverbrechen darlegt.

Der Untertitel dieses Buches erinnert an die „Wehrmachtsausstellung“: Verbrechen der Wehrmacht. Das ist kein Zufall. Denn zum einen erscheint es erforderlich, dem Mythos eines Unternehmertums, das sich gern mit den „Aufbauleistungen“ nach 1945 schmückt, ebenso zu widersprechen wie dem Mythos der „sauberen Wehrmacht“. Zum anderen ist „die Rolle der Wirtschaft für die Errichtung und Etablierung der faschistischen Herrschaft mindestens ebenso wichtig für das Verständnis der Etablierung und Funktionsfähigkeit faschistischer Herrschaft in Deutschland wie die Wehrmacht, die aktive Beteiligung von Wirtschaftsführern und Unternehmen an der Umsetzung der faschistischen Politik in allen ihren Schattierungen, als Stichwortgeber faschistischer Kriegsplanungen, als Akteure und insbesondere als Profiteuere.“

An jenem 26. Januar 1932 – so kann man sagen – wurden die Weichen für den Krieg gestellt, der in seiner Grausamkeit alles Gekannte übertraf. Es war ein Vernichtungskrieg und ein Raubkrieg, der nicht nur andere Völker unterwerfen, sondern auch versklaven sollte.

Dem Mythos, Kriegszüge und -ziele wären allein Ausgeburten des Größenwahns eines Mannes gewesen, widerspricht Kurt Pätzold in seinem Beitrag zu dem Buch. „In Wahrheit vollzog sich unter Hitlers Führung die Wiederaufnahme, Fortsetzung, Umprägung und Erweiterung traditioneller Pläne, die in Machteliten des Reiches nach dessen Gründung 1871 sukzessive formuliert und gehegt worden waren und schon in den Ersten Weltkrieg geführt hatten.“

Im Raubkrieg wurden die Pläne umgesetzt. Deutsche Industriekonzerne waren die Nutznießer der Ausplünderung okkupierter Länder. Sklavenarbeit, die Ausplünderung von KZ-Häftlingen, Verschleppungen zur Zwangsarbeit waren ein Massenphänomen der deutschen Wirtschaft. 1999 wurde im Neuen Deutschland eine Liste von 2500 deutschen Unternehmen veröffentlicht, in denen Zwangsarbeiter eingesetzt waren. Das Vernichtungslager Auschwitz, so kann man ohne Übertreibung sagen, war auf die Interessen und Bedürfnisse der IG Farben ausgerichtet.

Nach dem Ende des Krieges wurden einige seiner Profiteure vor Gericht gestellt. In der Folge des Nürnberger Prozesses gegen die Hauptschuldigen fanden der Flick-Prozeß, der IG-Farben-Prozeß und der Krupp-Prozeß statt. Sofern die Angeklagten verurteilt wurden, mußten sie nur eine geringen Teil ihrer Haftstrafen verbüßen. Der Kalte Krieg und die Restauration hatten begonnen.

Ulrich Sander: „Wir stellen zu recht fest, daß der Faschismus an der Macht auch andere als ökonomischen Wurzeln hat und daß der Kapitalismus nicht zwangsläufig im Faschismus einmünden muß.“ Diese Erkenntnis ist wichtig, um nicht in ein eindimensionales Verständnis vom Faschismus zu verfallen. Aber 1933 ist der Kapitalismus in den Faschismus eingemündet.

Der Präsident des Bundesverbandes der Industrie (BDI), Michael Rogowski meint: Der Rüstungsetat müsse vergrößert werden. Die NPD sei nicht so beunruhigend wie die PDS. Das „Phänomen Rechtsextremismus“ solle nicht überbewertet werden. (Freie Presse, Chemnitz, 20.09.2004).

http://www.verbrechen-der-wirtschaft.de

Von Ulrich Sander, dem Herausgeber des Buches, erschienen Beiträge in DER METZGER 70, 76, 77, 78, 81, 92, 95, 98 und 99.

Mit freundlicher Genehmigung von DER METZGER Nr. 102, Oktober 2012

Verbrechen wirtschaftlicher Eliten 1933-1945

Wirtschaft und Nazis Ulrich Sander hat es unternommen, sich speziell mit den Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933-1945 zu befassen. Von A wie Arisierung bis Z wie Zwangsarbeit.

Verbrechen wirtschaftlicher Eliten 1933-1945

Ulrich Sander (Jahrgang 1941), Journalist und freier Autor, Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN – BdA) hat es dankenswerterweise unternommen, sich speziell mit den Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr zu befassen. Der in Dortmund lebende Sander hat ein Buch dazu herausgegeben.

Dass der deutsche Faschismus letzlich nicht ohne Kumpanei mit oder zumindest Duldung seitens Teilen des deutschen Kapitalismus, namentlich Großindustrielle und Banken hervorgebracht werden konnte, dürfte als Tatsache gelten. Schließlich ließen sich Vertreter des deutschen Kapitals offenbar relativ schnell von deutschen Faschisten davon überzeugen, dass man vom Nationalsozialismus profitieren würde, käme er denn an die Hebel der Macht. Ein Stichwort sei hier genannt: Die Aussicht auf wichtige Rohstoffe im zu erobernden Osten.

Und als diese Macht dann deutschen Faschisten tatsächlich in den Schoss fiel, wurde sie eben auch ergriffen. So herum wird nämlich ein Schuh aus der angeblich stattgefundenen “Machtergreifung” seitens der Nazis. Ein Begriff, der immer wieder gern (verharmlosend) Verwendung fand und findet. Gerade so, als habe sonst niemand mit der In-den-Sattel-Hebung der Nationalsozialisten zutun gehabt, als einzig diese braune Truppe um Hitler selbst. Es wird dabei gern übersehen, dass die Macht, um ergriffen werden zu können, ja auch erst einmal sozusagen ergreifbar gemacht werden musste.

Hitler präsentierte im Januar 1932 seine Pläne im Industrieklub Düsseldorf

Ein Jahr davor, am 26. Januar 1932, wurde eine Grundlage dazu gelegt. Und zwar im Düsseldorfer Industrieclub, als Adolf Hitler seine Pläne vor über 500 Bankern und Industriellen präsentieren durfte. So viel kann man sicherlich sagen: Der spätere Reichskanzler und Diktator stieß am Rhein auf viel Zustimmung bei den anwesenden Industriellen. Zwar sollen über das Treffen im Industrieklub Düsseldorf keine sicheren Aussagen existieren. Weshalb offenbar auch immer wieder die Behauptung von der Unwissenschaftlichkeit der Darstellung von den Ursprüngen des Faschismus im Kapitalismus noch in weiten Teilen der Gedenkstättenarbeit und in den Berichten von Verfassungsschutzämtern fröhliche Urstände feiern kann. Da wird diese angebliche “Unwissenschaftlichkeit” dann rasch zur Verfassungsfeindlichkeit. Der bayerischen Verfassungsbericht etwa kündete davon. Als “linksextremistisch” eingestufte, antifaschistische Organisationen werden aus diesem Grund bespitzelt und von Fördermitteln und Gemeinnützigkeit ausgeschlossen.

Wie auch immer: Zwischen deutschem Kapitalismus und deutschem Faschismus lässt sich manche Verbindung nachzeichnen. Und erkennen. Jedenfalls für diejenigen, welche gewillt sind, erkennen zu wollen. Bestimmte diesbezügliche Auffälligkeiten sind eben nicht wegzudiskutieren. Auch nicht durch den großen Geschichtsdarsteller Guido Knop im Zweiten Deutschen Fernsehen.

Ulrich Sander befasste sich mit den Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr

Ulrich Sander (Jahrgang 1941), Journalist und freier Autor, Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN – BdA) hat es dankenswerterweise unternommen, sich speziell mit den Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr zu befassen. Der in Dortmund lebende Sander hat ein Buch dazu herausgegeben. Es ist unter dem Titel “Von Arisierung bis Zwangsarbeit. Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr” im PappyRossa Verlag erschienen.

Aus der Buchankündigung des Verlages:

„Zum Beispiel Krupp. Der Konzern habe sich stets um einen humanen Kapitalismus bemüht, berichtete das Fernsehen zum 200jährigen Firmenjubiläum. Ob da auch an die zwölf Jahre nach 1933 gedacht war? Das letzte Tabu sei gebrochen, hatte es mit Blick auf die verdienstvolle Ausstellung “Die Verbrechen der Wehrmacht” geheißen. Aber “blinde” Flecken blieben trotzdem. So in einem Bereich, der weniger lautstark diskutiert wird, jedoch mindestens ebenso wichtig war für die Funktionsweise der faschistischen Herrschaft in Deutschland wie die Wehrmacht: Die Rolle von Wirtschaftsführern und Unternehmen bei faschistischen Planungen für Krieg und Massenmord, als Akteure und insbesondere als Profiteure. Das Buch stützt sich auf selbstrecherchiertes Material von Geschichtswerkstätten und VVN-BdA, um an Verbrechen der wirtschaftlichen Eliten an Rhein und Ruhr zu erinnern: Von Abs bis Zangen, von Flick bis Quandt, von IG Farben bis Oetker-Pudding, von Arisierung bis Zwangsarbeit. Und auch Krupp wird nicht vergessen.“

Ulrich Sander (Hrsg.): “Von Arisierung bis Zwangsarbeit. Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr”, PapyRossa Verlag, 348 Seiten, 16,90 €

Mit freundlicher Genehmigung von DER FREITAG, 08.11.2012