11.11.2012 Die Abschaffung des Verfassungsschutzes auf
die Tagesordnung setzen Vor dem
Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln-Chorweiler
fand am 10. November 2012 eine Kundgebung und Demonstration
für die Abschaffung des Verfassungsschutzes statt, zu der
über 100 Organisationen aufgerufen hatten. Unter den Rednern
waren Betroffene der Machenschaften des Geheimdienstes, darunter die
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten und
zahlreiche Migrantenvereinigungen. VVN-BdA-Bundessprecher
Ulrich Sander hielt folgende Rede. Sie wurde wiederholt durch von der
Polizei ausgelöste Unruhe gestört. Ich
danke für die Einladung, hier zu sprechen. Ich bin einer der
Bundessprecher der VVN-BdA und 71 Jahre alt. Als ich 17 Jahre alt war,
habe ich mit meiner Jugendgruppe „Geschwister
Scholl“ in Hamburg versucht, das Andenken an den Widerstand
unserer Eltern zu bewahren, bekannt zu machen und die NS-Täter
zu benennen. Diese saßen aber in allen Behörden,
allen voran im Verfassungsschutz. Deren Chef war beispielsweise ein
Hubert Schrübbers, der zahlreiche NS-Terrorurteile
gefällt hatte. Somit verbreitete der VS über uns
Lügen, nannte uns extremistisch und vom Osten gesteuert. Meine
erste journalistische Arbeit galt dem Andenken an den jüngsten
zum Tode verurteilten und mit 17 Jahren hingerichteten
Widerstandskämpfer Helmuth Hübener. Die Akteneinsicht
wurde mir vom Innensenator verweigert, weil ich Leiter einer verbotenen
Jugendgruppe sei. Ich beschaffte mir Informationen aus der DDR, und es
kann sein, dass es darüber einer Notiz in der
Stasi-Unterlagenbehörde gibt. Mit allem was dazu
gehört. Die Fortsetzung meiner Bespitzelung
durch den Verfassungsschutz ist mit dem Datum 17. Dezember 1960
verbunden, an dem Tag wurde die Deutsche Friedensunion
gegründet und ich habe zu ihrer Unterstützung
aufgerufen. In jenen Tagen verteilte ich auch Flugblätter zur
Werbung für den Ostermarsch. Das führte dazu, dass
die SPD-Parteigruppe in meinem Lehrbetrieb Auerdruck/Morgenpost in
Hamburg versuchte, mich zu entlassen. Die SPD hatte gerade den
Nato-Kurs eingeschlagen. Und nun sollten alle ausgeschaltet werden, die
noch immer gegen Atomrüstung und in der Friedensbewegung
wirkten. Verantwortlich war zur Zeit der versuchten Entlassung der
spätere BND-Vize Dieter Blötz, damals
SPD-Geschäftsführer. | Wer antifaschistisch unter der Jugend wirkte, wurde diffamiert. Die Hinweise gab der Verfassungsschutz. Hier: Bildzeitung vom 29. 02. 1961. Sie schrieb zu dem Foto: "Viele gehen an diesem Baum in Hamburg-Eppendorf vorbei. Er trägt das Bild von Sophie und Hans Scholl, die sich gegen das Unrecht im Nazi-Reich empörten und am 22. Februar 1943 hingerichtet wurden. Die Straße in Eppendorf trägt ihren Namen seit Kriegsende. Anhänger des Unrechtsstaates in der Sowjetzone, die sogenannte Geschwister Scholl Jugend, sind es, die heute das Freiheitsstreben der beiden Toten für ihre Zwecke mißbrauchen. Sie können sich dagegen nicht mehr wehren..." |
Ich hatte noch
Glück. Ich verlor meinen Arbeitsplatz nicht wie andere
tausende Kommunisten und Linke. Ich wurde nicht eingesperrt wie es
zehntausend meiner Genossinnen und Genossen erging. Gegen sie wurde mit
Hilfe des VS operiert. In den Prozessen wurden Spitzelberichte
„vom Hörensagen“ für bare
Münze genommen. „Erkenntnisse“ des
Verfassungsschutzes führten zu weit über 2000
Entfernungen von Beamten aus dem öffentlichen Dienst, zu
Berufsverboten in den 70er und 80er Jahren. Nach dem
„Blitzgesetz“ und 131er Gesetzen Adenauers wurden
zuvor schon tausende Antifaschisten entlassen und tausende Faschisten
in den öffentlichen Dienst hineingenommen. In
den Verfassungsschutzberichten in Bayern und Baden-Württemberg
wurde noch bis vor kurzem mir und meiner Organisation, der Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes/VVN-BdA vorgeworfen, wir seien
„linksextremistisch“, denn wir agierten "auf der
Basis des klassischen kommunistischen
Faschismusverständnisses, das einen untrennbaren Zusammenhang
zwischen Faschismus und Kapitalismus herstellt". Damit komme ich zu der
Hauptbeschäftigung des Verfassungsschutzes: Schutz des
Kapitalismus auch in seiner verbrecherischsten Form und Verbot seiner
Kritik – auch dann, wenn damit der Schutz von Faschisten,
Sklavenhaltern und Mördern verbunden ist. Der Kapitalismus
wird mit dem Grundgesetz gleichgesetzt, was natürlich Unsinn
ist. Ich sage: Der Kapitalismus muss nicht zum
Faschismus führen. Aber bei uns ist es geschehen. Und es kann
wieder geschehen. Und deshalb müssen wir wachsam sein. Und
deshalb müssen wir die Meinungsfreiheit und die
Wissenschaftsfreiheit gegen den Verfassungsschutz erkämpfen. In
der VVN-BdA gibt es unterschiedliche Zugänge zum
Antifaschismus. Uns eint das Ringen um Demokratie, um Frieden
– im Sinne des Nie wieder! Es ist
allerdings historisch durchaus korrekt, dass es einen engen
Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapital als Förderer und
Profiteure des Faschismus und des Krieges gab. Dazu haben wir jetzt ein
Buch geschrieben; dessen Titel lautet „Von Arisierung bis
Zwangsarbeit – Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr
1933-1945“. Und mit diesem Buch werde ich wohl nun wieder
ganz groß im bayerischen Verfassungsschutzbericht herauskommen. Ich bin darauf nicht stolz. Ich bin
empört wie am ersten Tag. Denn mir werden
Grundrechte genommen, ich wurde beruflich benachteiligt, man hat mich
kriminalisiert. Redaktionen, die mir Aufträge geben wollten,
wurden verwarnt. Der Verfassungsschutz spielt sich
auf als höchste Instanz in Meinungs- und Gesinnungsfragen.
Kritik am Verfassungsschutz stellt er als Angriffe auf die Verfassung
dar. Seine Beweise sind absurd. 1964 versuchte man
mich unter Druck zu setzen. Wenn ich nicht gesprächswillig
sei, wolle man meinem Redaktionsleiter über mich berichten.
Kurze Zeit darauf wurde mir richterlich vorgehalten, einzelne Exemplare
von Zeitungen aus der DDR erhalten zu haben, für die Deutsche
Friedens-Union gearbeitet zu haben, eine Rede auf einer
Geschwister-Scholl-Gedenkfeier gehalten und gegen die Ermordung des
Antifaschisten Julian Grimau durch die Franco-Faschisten protestiert zu
haben. Letzterer Protest war dem VS durch die faschistische spanische
Polizei zugeleitet worden. So geriet der Protest in „meine
Akte“. Und so hat man seit Jahren dann
meine antifaschistischen Aktivitäten als höchst
verdächtig eingestuft. Das macht derselbe Verfassungsschutz,
der die Meinungsfreiheit der Nazis hoch hält und die Losung
„Faschismus ist keine Meinung sondern ein
Verbrechen“ für verfassungsfeindlich
erklärt. Derselbe Verfassungsschutz, der offenbar seine
schützende Hand über Mörder und Verbrecher
hält, wie am Fall NSU abzulesen ist. Es wird immer mehr
sichtbar, dass das „Amt“ die Nazis
gewähren ließ und lässt, wenn sie ihren
Terror sowohl gegen Linke als auch sog. Ausländer richten. Es
gibt übrigens kaum einen Schutz gegen Lügen, die der
Inlandsgeheimdienst über demokratische Bürger
verbreitet. Als ich einmal beim Bundesamt eine Akteneinsicht erbat, da
sandte man mir einen Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis einer
„meiner“ Akten zu. Danach soll ich u.a. 1992 an
einer DKP-Konferenz in Bielefeld teilgenommen haben. Ich war offenbar
von einem Verfassungsschutz-V-Mann verwechselt worden. Nachweislich war
ich zu jener Zeit in den USA, und – auf den Irrtum aufmerksam
gemacht – teilte man mir mit, man werde die Akten nicht
ändern, aber meine Beschwerde zu den Akten nehmen. So wurde
ich dann noch zum Informanten. Es kommt immer wieder
vor, dass sogar gewerkschaftliche Veranstaltungen vom VS
überwacht werden. Das richte sich nicht gegen die
Gewerkschaften, erklären dazu VS-Sprecher. Sondern dies diene
den Gewerkschaften, die man so vor extremistischer Unterwanderung
schütze. Es wird über die
Unverschämtheit des Verfassungsschutzamtes berichtet, der ganz
normale Mitgliederversammlungen der VVN beobachtet und dann die Liste
der Teilnehmer in deren Akten einträgt. Meine
Eintragungen in die VS-Berichte werden von Nazis mit Behagen
aufgenommen. Sie setzten mich auf bedrohliche Schwarze Listen. Diese
wurden von VS-Ämtern fahrlässig als
verständliche Antwort auf Angriffe von Linken auf Rechte
dargestellt. Es hieß, Links sei gleich Rechts, und man
schaukele sich gegenseitig hoch, wobei die Initiative von Links
ausgeht. Nazis schreiben in der pro faschistischen
„Jungen Freiheit“ über die VVN-BdA, die
laut VS „alle nicht-marxistischen Systeme als faschistisch
definiert.“ So werden die Lügen des VS
übernommen. Die Verteidigung der Grundrechte
und des Grundgesetzes gehörten und gehören jedoch zu
den Wesensmerkmalen der Politik und Praxis der VVN. Es
wird gesagt, die VVN arbeite mit „offen
verfassungsfeindlichen Kräften zusammen“, so mit der
Deutschen Kommunistischen Partei. Dass die Kommunisten einen
erheblichen Anteil am Widerstand gegen den Faschismus hatten und somit
auch einen großen Anteil an der Mitgliedschaft einer
Verfolgtenorganisation wie der VVN-BdA, lässt der
Verfassungsschutz unerwähnt. Eine Widerstandsorganisation kann
sich nicht von Widerstandskämpfern distanzieren. Wir
können uns nicht von unseren Eltern distanzieren. Wir haben
uns immer von den Verfolgern, den Tätern distanziert. Die
VS-Geschichte ist die Geschichte der alten Nazis, die als V-Leute und
als offizielle Mitarbeiter ungestört agieren konnten. Sogar
die der CDU nahestehende Zeitung „Rheinischer
Merkur” schrieb damals über den
Schrübbers-VS: „Der Verfassungsschutz scheint das
verfassungswidrige Treiben völkischer Ideologen, das auf die
Rehabilitierung der Kernstücke des Nationalsozialismus zielt,
nicht so wichtig zu nehmen.” Schuldig
machten und machen sich alle, die darauf verzichten, wenigstens zu
versuchen, die Sache der Demokratie in die eigenen Hände zu
nehmen. Sowohl die Abschaffung der NPD und anderer Nazibanden wie auch
des Verfassungsschutzes sind auf die Tagesordnung zu
setzen. |