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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

02.11.2012

Jugendwiderstand im Krieg und seine Bedeutung für uns heute am Beispiel der Helmuth Hübener Gruppe

Im Rahmen der Ausstellung „Es lebe die Freiheit“ über den Jugendwiderstand hielt VVN-BdA-Bundessprecher Ulrich Sander am 31. 10. 12 in der Campelle auf dem Hochschulcampus Flensburg einen Vortrag. Das Thema war „Jugendwiderstand im Krieg und seine Bedeutung für uns heute am Beispiel der Helmuth Hübener Gruppe“. Die Ausstellung wird vom Studienkreis Deutscher Widerstand verantaltet.

Vortrag von Ulrich Sander in der Campelle auf dem Hochschulcampus Flensburg  am 31. 10. 12 zum Thema „Jugendwiderstand im Krieg und seine Bedeutung für uns heute am Beispiel der Helmuth Hübener Gruppe“  (Im Rahmen der Ausstellung „Es lebe die Freiheit“ über den Jugendwiderstand)

Sehr selten wird hierzulande so etwas wie der Jugendwiderstand thematisiert. Es gab die Weiße Rose, es gab die Edelweißpiraten. Die einen werden geachtet, man kann nicht an ihnen vorbeisehen, weil sie schon vor 1945 international bekannt wurden. Die anderen wurden lange Zeit als Kleinkriminelle dargestellt und erst sehr spät begann man, sie wegen ihres Kampfe gegen die Nazis anzuerkennen.

Jürgen Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte in München hat eine kleine Schar von unabhängig wirkenden „Rundfunk“-Widerständlern ausgemacht, und ich selbst habe viel zur Jugendwiderstandsgruppe um Helmuth Hübener aus dieser Spezies gearbeitet. Diese „Rundfunkverbrecher“ wurden von den Nazis als Feinde des Reiches behandelt, weil die die Rundfunkpropaganda des Auslands, die als Kriegswaffe anzusehen war, im Reich verbreiteten. Dies galt als Landesverrat, weil es die Wehrkraft des deutschen Volkes zersetzte.

Weiße Rose, Edelweißpiraten und jugendliche Rundfunkverbrecher zählt Prof. Karl Heinz Jahnke (1934-2009), der größte Kenner und Erforscher des Jugendwiderstandes, zu den insgesamt 268 Jugendlichen, die von 1933 bis 1945 von den Nazis als Widerstandskämpferinnen und –kämpfer getötet wurden. (Siehe K.H.Jahnke „Jugend unter der NS-Diktatur 1933-1945“ 2003 Rostock)

Jahnke wies darauf hin, dass in der Zeit von der ersten Flugblattverteilung der Weißen Rose im Juni 1942 bis zur letzten Gerichtsverhandlung gegen Weißen-Rose-Mitglieder im Oktober 1943 49 ebenfalls sehr junge Widerstandskämpfer verurteilt und hingerichtet wurden. Sie seien weithin unbekannt geblieben.

Der Umgang mit diesen Widerstandsgruppen, die sich zumeist Teil dadurch auszeichneten, den Widerstand ohne Bezug zur demokratischen Kultur der Zeit vor 1933, ihrer frühen Kindheit, aufgenommen zu haben, und zwar ungeachtet des Siegesrausches, in dem sich Hitler und die meisten Volksgenossen noch befanden, ist eine Ausnahme. Danke für diese Veranstaltung!

Konnte die Nachkriegsgesellschaft an den Schriften der Anne Frank und Weißer Rose nicht vorbeikommen, deren sich „das Ausland" schon lange angenommen hatten, so wurden die Jugendgruppen um Helmuth Hübener (Hamburg), Walter Klingenbeck (München) und Josef Landgraf (Wien) – allesamt „Rundfunkverbrecher“ - nicht den nachwachsenden Generationen zum Vorbild gegeben. Zu leicht hätte die Frage aufkommen können: Wenn diese jungen Leute wussten und handelten, warum dann nicht die Menschen gleichen und höheren Alters, die nach 1945 die Nachkriegsgesellschaften politisch und kulturell anführten?

Grund genug, endlich die drei Gruppen den jungen Menschen von heute bekannt zu machen.

Jürgen Zarusky hat außer über den Hübener-Kreis über die zwei weiteren ähnlichen christlichen Gruppen junger Männer geforscht. Im „Lexikon des Deutschen Widerstandes" (Fischer-Verlag 1994) berichtet er: 1941 entstanden in Hamburg, München und Wien unabhängig und ohne Kenntnis voneinander kleine oppositionelle Jugendgruppen, die Auslandssender hörten und das Gehörte verbreiteten, in Flugblättern und Wandparolen für den Sturz des NS-Regimes wirkten. Es handelte sich jeweils um Vierergruppen männlicher Jugendlicher im Alter zwischen 16 und 18 Jahren mit einem sich deutlich abhebenden, aktivistischen und frühreifen Anführer. In Hamburg war dies Helmuth Hübener, in München Walter Klingenbeck, in Wien Josef Landgraf. Die Mitglieder aller drei Gruppen kamen vorwiegend aus christlich geprägten Familien der Unter- und unteren Mittelschicht. Bei allen spielte das Abhören sogenannter „Feindsender", insbesondere der Programme der BBC, eine entscheidende Rolle. Über eine ausformulierte politische Programmatik verfügte keine der drei Gruppen, jedoch setzten sie alle mehr oder weniger entschieden auf einen Sieg der westlichen Kriegsgegner, Hübener auch auf den der Sowjetunion.

Der Hamburger Verwaltungslehrling Helmuth Hübener war durch Kontakte zu Jugendlichen aus kommunistischen Elternhäusern zum Abhören der deutschsprachigen Programme der BBC und möglicherweise auch anderer Sender angeregt worden. Seit Ende April 1941 verfügte er über ein eigenes Empfangsgerät. Im Sommer 1941 lud Hübener jeweils einzeln, ohne daß sie voneinander wussten, seine Freunde Karl-Heinz Schnibbe und Rudi Wobbe ferner Gerhard Düwer zum Hören der Auslandssender ein. Schnibbe und Wobbe gehörten ebenso wie Hübener der Hamburger Gemeinde der Mormonen an; Düwer war ein Arbeitskollege von der Hamburger Sozialbehörde, wo Hübener Lehrling war. Die Mormonen verstanden es im Gegensatz zu den meisten anderen christlichen Religionsgemeinschaften relativ gut, sich mit dem NS-Regime zu arrangieren. Durch Schnibbes Bitte, Nachrichten von Sendungen, die er versäumte, für ihn mitzustenographieren, scheint Hübener dazu angeregt worden zu sein, das Gehörte zu Flugblättern zu verarbeiten, die er heimlich auf einer Schreibmaschine der Mormonengemeinde schrieb. Anfang August 1941 bewog er Schnibbe und Wobbe dazu, bei der Verteilung der Flugblätter in Briefkästen, Telephonzellen und Hausgängen der Hamburger Ortsteile Hammerbrook und Rothenburgsort zu helfen. Unabhängig davon gewann er auch seinen Arbeitskollegen Gerhard Düwer dafür. Die von Hübener hergestellten Flugblätter – insgesamt rund 60 mit einer Auflage von mindestens fünf Stück – ferner zahlreiche kleine Handzettel, kontrastierten unter anderem die amtlichen Wehrmachtberichte mit Nachrichten aus den Programmen der „Feindsender", wandten sich gegen antireligiöse NS-Propaganda, kritisierten den als Jugendstrafe eingeführten „Wochenendkarzer" oder brachten Spottverse auf Joseph Goebbels. In dem wegen seiner Verhaftung nicht mehr fertiggestellten Flugblatt „Wer hetzt wen?" hob Hübener die defensiven Motive des amerikanischen Kriegseintritts hervor.

Anfang Februar 1942 wurde Hübener von seinem Vorgesetzten denunziert, der beobachtet hatte, wie er erfolglos einen Mitlehrling dafür gewinnen wollte, ein Flugblatt zur Verbreitung an Zwangsarbeiter ins Französische zu übersetzen. Am 11. August 1942 wurde Hübener in Berlin vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat und anderer Delikte zum Tode verurteilt. Seine drei Mitangeklagten Schnibbe, Wobbe und Düwer erhielten Gefängnisstrafen zwischen vier und zehn Jahren. Am 27. Oktober 1942 wurde Hübener in Berlin-Plötzensee enthauptet.

Walter Klingenbeck aus München entwickelte unter dem Eindruck der Sendungen von Radio Vatikan, die er bis Kriegsbeginn gemeinsam mit seinem Vater hörte, und der zwangsweisen Auflösung seiner katholischen Jugendgruppe schon sehr frühzeitig eine kritische Einstellung zum NS-Regime. Obwohl das Abhören von Auslandssendern im September 1939 verboten und mit drakonischen Strafen bedroht wurde, hörte Klingenbeck weiter Radio Vatikan, den deutschsprachigen Dienst der BBC und andere „Feindsender". Im Frühjahr und Sommer 1941 erzählte er seinen Freunden Hans Haberl und Daniel von Recklinghausen von diesen Sendungen und lud sie zum gemeinsamen Abhören ein.

Klingenberg griff im Sommer 1941 den Appell der BBC auf, das V-Zeichen als Symbol des Sieges der Alliierten zu verbreiten, und brachte, unterstützt durch Recklinghausen, dieses Zeichen groß mit Lackfarbe an etwa 40 Gebäuden in München an. Er plante die Verbreitung von Flugblättern mit dem Motto „Hitler kann den Krieg nicht gewinnen, sondern nur verlängern" und arbeitete zusammen mit seinen Freunden, die nicht nur denselben katholischen Hintergrund hatten wie er, sondern auch seine Radiobastelleidenschaft teilten, am Bau eines eigenen Senders zur Ausstrahlung antinazistischer Propaganda.

Am 26. Januar 1942 wurde Klingenbeck, nachdem er sich leichtsinnigerweise mit der V-Aktion gebrüstet hatte, denunziert und verhaftet, kurz darauf auch Habers und von Recklinghausen. Der Volksgerichtshof verurteilte die drei am 24. September 1942 zum Tode, einen vierten, am Rande beteiligten Jugendlichen zu acht Jahren Zuchthaus. Während Haberl und von Recklinghausen am 2. August 1943 zu acht Jahren Zuchthaus begnadigt wurden, wurde Klingenbeck am 5. August 1943 in München-Stadelheim hingerichtet.

Der Wiener Gymnasiast Josef Landgraf hörte seit Kriegsbeginn Sendungen der BBC, aber auch den von sozialistischen Emigranten geprägten Sender der Europäischen Revolution. Anfang September 1941 begann er, das Gehörte zu Flugblättern zu verarbeiten. Obwohl er bereits nach drei Wochen denunziert und festgenommen wurde, produzierte er auf der Schreibmaschine seines Vaters nicht weniger als 70 Flugschriften von einer halben bis zu einer Seite Umfang sowie etwa dieselbe Anzahl von Flug- und Klebezetteln.

Ähnlich wie Hübener hielt er der deutschen Kriegspropaganda die BBC-Meldungen über deutsche Verluste entgegen und verurteilte die antireligiösen Aktivitäten der NSDAP. Wie Klingenbeck nahm auch Landgraf die V-Aktion auf und proklamierte in einem seiner Flugblätter: „Die V-Armee hat lediglich die Befreiung von Hitler und seinem Krieg zum Ziel." Bei der Herstellung und Verbreitung der Flugblätter halfen Landgraf in allerdings eher geringem Ausmaß seine Schulkameraden Ludwig Igalffy, Friedrich Fexer und Anton Brunner.

Landgraf und Brunner wurden am 23. August 1942 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, die anderen beiden Angeklagten zu acht bzw. sechs Jahren Gefängnis. Landgraf wurde ein Jahr später zu sieben Jahren Gefängnis begnadigt, Brunner erhielt in der Wiederaufnahme seines Verfahrens fünf Jahre Gefängnis.

Von den drei jugendlichen Feindsenderhörergruppen ist nur die von Helmuth Hübener in einem bestimmten Umfang bekannt geworden – aber doch auch nicht wirklich. Günter Grass hat Helmuth Hübener ein literarisches Denkmal gesetzt. Hübener ist 1942 als 17jähriger in Plötzensee als jüngster vom VGH Verurteilter enthauptet worden, weil er angeblich die Wehrkraft zersetzte, den Hochverrat plante, den „Feind begünstigte“ und tatsächlich ausländische Rundfunkmeldungen auf Flugblättern verbreitete. Grass schrieb über ihn in seinem 68er Roman "Örtlich betäubt", und er zitierte einen Gedenkartikel aus der Gewerkschaftszeitung "Deutsche Post", den ich damals geschrieben hatte. Als Grass' Buch erschien, löste es größte Aufregung aus, weil ein 17jähriger Schüler darin das Verbrennen eines deutschen Langhaardackels als Protest gegen die Hinnahme des verbrecherischen Vietnam-Krieges der USA durch die westdeutsche Öffentlichkeit anpries. Der Schüler präsentierte eines Tages seinem Studienrat, der insgeheim hoffte, sein Lieblingsschüler würde ihn wegen seiner Vergangenheit als Jugendbandenführer (meinte sich Grass damit selbst?) zum Vorbild auserwählen, meinen Zeitschriftenartikel mit den Worten: „Das hat es gegeben. Da ist Ihre Jugendbande nix gegen. Über ein Jahr haben die Flugblätter gedruckt und verteilt. Schon als Sechzehnjähriger fing er damit an. Nix von Frühanarchismus."

Im weiteren Verlauf der Szene kommen der Lehrer und der Schüler auf den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) zu sprechen, auf seine hohe Nazifunktion als Auslandsrundfunkchef des Auswärtigen Amtes. Der Schüler sagt: „Den will ich nicht. Der stinkt doch. Wenn ich den sehe, im Fernsehen und so, könnte ich kotzen. Der, genau der hat den Hübener umgebracht, auch wenn der anders hieß, der ihn umgebracht hat.“

Grass und Hübener waren fast gleichaltrig. Die Gleichaltrigen von damals handelten sehr unterschiedlich: Rudolf Augstein wurde noch im Krieg Journalist und umgab sich später in der „Spiegel“-Redaktion mit den Leuten des SS-Reichssicherheitshauptamtes, die dort Naziverbrechen, z.B.  den Reichstagsbrand leugneten oder in Taten der Linken umfälschten. Helmut Kohl wusste von nichts und tat nichts und lehnte sich angesichts der „Gnade der späten Geburt“ zurück, später rehabilitierte er die SS mit seinem Gang zum Friedhof Bitburg. Franz-Josef Strauß baute mit Hilfe der Waffen-SS und der Wehrmachtsgeneräle die Bundeswehr auf. Günter Grass meldete sich freiwillig zur Wehrmacht – was er nie verschwieg, was aber niemand ihm vorwarf! - und wurde dort zur Waffen-SS weitergereicht, wie Tausende auch. Letzteres verschwieg er leider lange. Aber Grass hat wenigstens auf jenen Gleichaltrigen aufmerksam gemacht, der handelte: So auf Helmuth Hübener! Über ihn hat kein Augstein geschrieben und kein Kohl und Strauß hat ihm einen Kranz gewidmet. Deren Generation hat den Jugendwiderstand 1933 bis 1945 verdrängt, weil er nachwies: Man konnte wissen und man konnte handeln.

Grass hat immer wieder – nicht nur in „Örtlich betäubt“ - den Jugendkonflikt aus dem Krieg thematisiert und das in einer antifaschistischen, Vorbild gebenden Weise.  Die einseitige Betonung der Geschichtsschreibung zum Widerstand vor allem des "Offiziershintergrunds", des Adels und der Weimarer Politiker (Grass) war ihm zuwider, wie er im US-Fernsehen sagte. Er sah darin den Versuch, den Widerstand als eine exklusive Handlungsweise großer Helden darzustellen, um von der eigenen Untätigkeit der Zeitgenossen abzulenken. Dass da einer war, der wie Hübener nicht einmal Flakhelfer sein wollte, der in seinen Flugblättern erklärte, dass die Bombardierung Hamburgs die Frucht des Hitlerschen Krieges war, der unzähligen Deutschen das Leben kosten wird, das hatte wohl Grass im Kopf, als er in dem Film „Truth and Conviction – Huebener Story“ sagte: "Diese Geschichte nagt an uns, die wir zu jung waren, um das ganz und gar kapieren zu können, aber doch alt genug waren, um die Symptome des Unrechts zu erkennen. Warum haben wir nicht nachgefragt, warum sind wir nicht bohrender gewesen." So wie Helmuth Hübener. Am 27. Oktober war sein 70. Todestag. Ich erwartete eine Gedenkveranstaltung auf Bundesebene – natürlich gab es sie nicht. Wohl aber eine seiner heutigen Arbeitskollegen. Hübener war Lehrling in der Hamburger Sozialbehörde und der Personalrat nebst Senator haben am 29. 10. vormittags seiner in Hamburg gedacht.

Helmuth Hübener und auch Rudolf Richter – über den zu reden sein wird -gehören zu den rund 50 ermordeten Jugendlichen, die in der Zeit der Tätigkeit der Weißen Rose 1942/1943 vor Gericht gestellt und hingerichtet wurden, weil sie Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatten.

Hübener und Richter gehörten noch einer weiteren zufälligen Gruppe an: Der Gruppe derer der am 27. Oktober 1942 in Plötzensee Hingerichteten.

An diesem Tag geschah in der Hinrichtungsstätte in Berlin-Plötzensee – neben der Hinrichtung von neun weiteren ausländischen Verurteilten - etwas Ungewöhnliches. Kurze Zeit hintereinander wurden der 22jährige Schriftmaler Rudolf Richter (geb. 20.7.1920 in Dresden) und sein Vater, der Arbeiter Gustav Richter (geb. 27.3.1890 in Dresden), hingerichtet. Der 2. Senat des Volksgerichtshofes hatte am 21. August 1942 die Todesurteile über Rudolf und Gustav Richter gesprochen. In der Begründung heißt es: „Der Angeklagte Rudolf Richter hat als Dienstverpflichteter in einem Rüstungsbetrieb seine Arbeitskameraden angereizt, durch Verminderung der Rüstungserzeugung zur Beendigung des Krieges beizutragen. Auch hat er marxistische Bücher und zersetzende Aufzeichnungen verbreitet [...]“ Dem kommunistischen Arbeiter Gustav Richter warf die Anklage vor, dass er seinen Sohn nicht „anders erzogen“ und ihn in seinem Widerstand bestärkt habe.

Jüngere Arbeitskollegen versuchte Rudolf Richter zum „Langsamarbeiten zu gewinnen, um so die Produktion der Flugzeuge zu verzögern,“ berichtet Jahnke. Durch die Verbreitung von verbotenen Gedichten, u.a. von Kurt Tucholsky und Alfred Polgar, trug er zur Stärkung des Widerstandsgeistes bei. Im Frühjahr 1941 bekam der 20jährige den Gestellungsbefehl zur Wehrmacht. Er schrieb darauf an einen Freund und äußerte offen seine Ablehnung. In dem Brief heißt es: „Überlege, ich soll in absehbarerer Zeit das Mörderkleid einer militärischen Macht tragen, welche zu den am rationellsten arbeitenden der ganzen Welt gehört.“ Am 31. Oktober 1941 ist Rudolf Richter festgenommen worden und fünf Tage später sein Vater.

Jahnke schrieb über Rudolf Richter: „Als Folge der Rüstungspolitik des Hitlerregimes musste er in der Flugzeugindustrie, zunächst in den Junkerswerken in Dessau und später bei den Vereinigten Motorenwerken in Leipzig arbeiten. Wie seine Eltern lehnte er den NS-Staat ab und bemühte sich, Widerstand zu organisieren.

Wir erleben in der Erinnerungsarbeit die einseitige Betonung vor allem der beiden Widerstandsgruppen 20. Juli und Weiße Rose. Dies hat offenbar seine Begründung in der Geringschätzung des Arbeiterwiderstandes durch die bürgerliche Gesellschaft und Geschichtsschreibung und in dem Versuch, den Widerstand als eine exklusive Handlungsweise großer Helden darzustellen, um von der eigenen Untätigkeit abzulenken.

Erinnert werden muss an den Ausspruch der Schwester von Hans und Sophie Scholl, Elisabeth Hartnagel, die nicht möchte, dass ihre Geschwister als „Helden“ verehrt werden, denn „das wäre eine Entschuldigung für die anderen“, die sich nicht zum Helden geboren sehen.

Höchste Gerichte der BRD haben Widerstand an ihre Erfolgschancen geknüpft, das heißt nur der Widerstand wurde geachtet, der auch den realen Sturz des Regimes betrieb. Dafür ein Beispiel:

Ein Kriegsdienstverweigerer und Sozialdemokrat hatte seinen Einberufungsbefehl zerrissen und hatte am Krieg gegen Polen nicht teilgenommen. Ein Kriegsgericht verurteilte ihn im Herbst 1939 und steckte ihn jahrelang in die Festung Torgau und ins Strafbataillon. Er weigerte sich Minen zu verlegen, wurde nochmals verurteilt. Seinen Antrag auf Haftentschädigung lehnte der Bundesgerichtshof letztinstanzlich ab. Auch politisch motiviertes Handeln könne „nur dann als rechtmäßig und demgemäß eine diesen Widerstand ahndende staatliche Maßnahme nur dann als Unrecht im Rechtssinne angesehen werden ..., wenn die Widerstandshandlung nach ihren ... Erfolgsaussichten als ein ernsthafter und sinnvoller Versuch zu werten ist, den (damals) bestehenden Unrechtszustand zu beseitigen.“ Ob die Weigerung, Minen zu legen „irgendwie geeignet war, die militärische Niederringung des NS-Regimes zu fördern oder zu beschleunigen“, konnte das Gericht nicht erkennen. Möglicherweise wären sogar Wehrmachtsangehörige gefährdet gewesen. (Militärische Niederringung also nur, wenn Deutsche nicht gefährdet werden.) (Zitiert nach „Furchtbare Juristen“, von Ingo Müller, Kindler 1987.)

Die Ungerechtigkeit im Umgang mit dem Andenken an den Widerstand ist hierzulande gewaltig. Das wurde nicht an diesem Urteil deutlich, sondern auch an einem, dass mit Helmuth Hübeners Fall zu tun hat.

In den neunziger Jahren verweigerte die Staatsanwaltschaft Hamburg Karl Heinz Schnibbe, Mitstreiter von Helmuth Hübener, Einsicht in die Akten des Falls Mohns, des Nazis und Denunzianten, der Hemuth Hübener seinen Henkern ausgeliefert hat. Von 1950 bis 1953 wurde dieser Fall verhandelt. Diese Verweigerung war nicht nur empörend, weil mit Schnibbe einem Opfer des Mohns Rehabilitierung verwehrt wurde, sondern auch, weil die Staatsanwaltschaft sich zur Zeit der Abfassung des Briefes an Schnibbe schon lange der Aktenvernichtung schuldig gemacht hatte. Die Spuren des skandalösen Freispruchs des Mohns von

1953 waren verwischt, wie sich nach zwei weiteren Schreiben herausstellte, die ich im Frühjahr an die Hamburger Justizsenatorin und die Hamburger Generalstaatsanwaltschaft richtete. Man teilte mir im Sommer 1992 mit, daß ich berechtigt sei, die Akten einzusehen, jedoch seien diese Akten seit 1975 vernichtet. Im übrigen liege eine Eintragung vor, daß der Mohns freigesprochen wurde, mehr wisse man nicht.

Frau Senatorin Peschel-Gutzeit bedauerte am 1.7.1992 in einem Brief an mich, "daß eine weitere Aufklärung des Verfahrens gegen Heinrich Mohns leider im Hinblick auf die Vernichtung der Akte nicht mehr möglich ist."

Nicht vernichtet ist zum Glück das Urteil des Bundesgerichtshofes, den Heinrich Mohns 1950 angerufen hatte, nachdem er in erster Instanz in Hamburg wenigstens zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden war, - einer Strafe, die nach Prozeßbeobachtern viel zu gering war, zumal Mohns sich als "alter Kämpfer" und völlig uneinsichtig gab. 1953 hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf und das Schwurgericht in Hamburg kam dann zum Freispruch des Herrn Mohns. Das Urteil des Bundesgerichtshofes liest sich heute wie eine erneute Verurteilung von Helmuth Hübener. Mohns wurde "Notstand" bescheinigt und die Auffassung nahegelegt, daß die Jungen um Helmuth uneinsichtig waren, die Denunziation jedoch gesetzlich vorgeschrieben gewesen sei.

Das höchste Strafgericht des Nach-Nazi-Deutschland bestätigte somit die Nazijustiz! Dabei war der Hinweis auf Nazigesetze nicht nur deshalb empörend, weil es eben Nazigesetze waren, sondern auch, weil es nur Verordnungen waren! Hübener war aufgrund von Verordnungen, nicht von Gesetzen, von Verordnungen gegen das Abhören feindlicher Sender und über die Anwendung der Höchststrafe gegenüber jugendlichen Schwerverbrechern zum Tode verurteilt worden. Den Nazis selbst muß es irgendwann unheimlich gewesen sein, Jugendliche nach einer Verordnung besonders hart und nach dem Erwachsenenstrafrecht zu bestrafen. Aber sie warfen Hübener seine Reife und Intelligenz vor und die „Boshaftigkeit“, die Flugblä#tter in Arbeitervierteln mit „marxistisch beeinflusster“ Bevölkerung verteilt zu haben.

Deshalb hoben sie die Verordnung auf - und fügten sie wortwörtlich im Jahre 1943 in ein Gesetz über die Jugendgerichtsbarkeit ein.

Und noch einen Skandal der Nachkriegsgerichtsbarkeit entdeckte ich bei meiner Spurensuche nach Helmuth Hübener. Nicht nur, daß in Hamburg Akten vernichtet und in Karlsruhe Naziurteile gerechtfertigt wurden, es wurde auch das Jugendgerichtsgesetz, in das die Nazis ihre Verordnung über die Bestrafung Jugendlicher nach dem Erwachsenenstrafrecht eingearbeitet hatten, in bundesdeutsches Recht übernommen. Es konnte ein Jugendlicher zwar nicht mehr zum Tode verurteilt werden, weil es die Todesstrafe nicht mehr gab, aber er konnte zur Höchststrafe nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden, weil diese Bestimmung von den Nazis übernommen wurde; er konnte sogar wegen "schädlicher Neigungen" bestraft werden, auch so ein Begriff, der sich von den Nazis in die späteren Gesetze herübergerettet hat und der direkt aus dem Urteil gegen Hübener stammen könnte, wo dessen "auffallende Gehässigkeit" und "Gefährlichkeit", ja "Ehrlosigkeit" angeprangert wird.

Wie gesagt: Im Falle jugendlichen Widerstandes fällt noch eine Besondertheit auf: Wer zu reif und zu klug erschien, wurde verschärft bestraft. In der Begründung zum Todesurteil gegen Helmuth Hübener wurde betont, der Angeklagte sei wegen seiner Klugheit und Reife nach dem Erwachsenenstrafrecht wegen „Hochverrats und landesverräterischer Feindbegünstigung“ zum Tode zu verurteilen.

Kann man daher sagen, Hübener habe zusätzlich „für seine Verurteilung nicht viel tun müssen“, wie Julia Albrecht es am 29. Oktober 1992 in der taz-Tageszeitung ausdrückte? Helmuth Hübener hat in weniger als einem halben Jahr als 16jähriger über 60 Flugschriften herausgegeben, und zwar lange vor dem Niedergang der Nazikriegsmaschinerie. Hitler siegte noch im Jahre 1941 bis Februar 1942, als die Verhaftung der vier Jungen erfolgte. Da sie keine Vervielfältigungsmöglichkeit besaßen, schrieb Hübener die Texte wieder und wieder mit der Schreibmaschine mit zahlreichen Durchschriften ab, um sie gemeinsam mit seinen Freunden zu verteilen. Im März 1948 schrieb der Widerstandskämpfer Franz Ahrens in der ersten Veröffentlichung über Hübener – und ich finde, dass Ahrens die Gewaltlosigkeit Hübeners besonders hervorhebt, sehr wichtig:

„Die Jugend, gewohnt mit Maschinengewehren und Panzerfäusten zu kämpfen, wird vielleicht befremdet, vielleicht gar verächtlich auf diese Kampfmittel schauen und fragen: War das denn der ganze Kampf des Widerstandes? Nun, ihr sei entgegengehalten die Antwort eines Gestapobeamten, dem ein SS-Mann von einer Haussuchung Pistole und Schreibmaschine brachte. 'Pistole? Die ist nicht so wichtig wie die Schreibmaschine. Suchen Sie den Abziehapparat, der ist für die Brüder heute wichtiger als ein Maschinengewehr.' Wir wollen die Bedeutung dieser Kampfmittel nicht geringer schätzen als die Gestapo.“ (Freiheitskämpfer der Jugend, Hamburg 1948)

Und Gerhard Bauer schreibt über die Hübener-Gruppe in „Sprache und Sprachlosigkeit im 'Dritten Reich'“ (Köln 1988): „Vom Gericht wurde die Gruppe als bloßes Anhängsel der 'Feindpropaganda' behandelt. In Wirklichkeit war ein außergewöhnliches Maß an Selbständigkeit, Erkenntnisarbeit, Überzeugungsarbeit, Kooperation und (durch keine politische Organisation angeleitete) Konspiration erforderlich, um das aus dem 'Feindsender' Gehörte auf bedrucktes Papier und an Erfolg versprechende Adressaten zu bringen. Die fünf von Brecht beschriebenen 'Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit' und noch einige mehr wurden von der Gruppe gemeistert, und zwar aus eigener Kraft, auf eigene Verantwortung. Selten wurde das Weitergeben so engagiert und konsequent zum Lebensinhalt gemacht. Noch seltener läßt es sich so personell verfolgen wie hier 'dank' der Verurteilung vor Gericht. Aber dieser Fall kann dazu dienen, daß wir uns überhaupt das Geflüster und Getuschel im Dritten Reich stärker als eine bewußt ausgeübte, verantwortete Tätigkeit vorstellen.“

Helmuth Hübener und seine Freunde waren bei der Machtübertragung an Hitler noch Grundschüler. Sie hatten keine Kontakte zur Arbeiterbewegung und zu demokratischen Kräften aus der Zeit vor 1933. Selbständig gelangten sie zu ihrem Urteil. Besonders prägend für die Ablehnung des Naziregimes war der Drill bei der Hitlerjugend, der Antisemitismus – bis hin zur  Ausgrenzung der Juden auch aus ihrer Kirchengemeinde der „Mormonen“ und das Erleben der „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938. Im Winter 1941 sehen sie bereits die militärische Niederlage des NS-Reiches voraus. Sie wollen deshalb nicht mehr allein mit kurzen Parolen auf Streuzetteln zum Kampf gegen das NS-Regime auffordern, sondern die Menschen über den Ernst der Lage aufklären. Innerhalb von sechs Wochen konzipiert Hübener über zwanzig ausführliche Flugblätter. Diese werden hergestellt, indem die Texte immer wieder mit vielen Durchschlägen abgeschrieben werden.

Der Dichter Stefan Hermlin fand in seinem Buch „Die erste Reihe“ diese Worte der Würdigung für Helmuth Hübener:

„Dieser Sechzehnjährige erweist sich in seinen Flugblättern als unerschrockener und ständig nach weiteren Kenntnissen strebender Kämpfer. Geschickt wie ein alter Illegaler, tarnt er seine Flugblätter mit faschistischen Überschriften. Er wirft gereimte Parolen unter die Menschen, z.B. Jetzt trägt der Soldat für den Irrtum die Leiden, / während Hitler verspricht: ‚Dies Jahr wird entscheiden.’ / Es wird entscheiden, wenn alles sich rührt! / Und dann hat Hitler auskalkuliert.“

Helmuth Hübeners Widerstand erwuchs weniger aus religiösen Motiven, denn aus dem Widerspruch zwischen dem Anspruch seiner Gemeinde, die Wahrheit zu sagen und zugleich der Obrigkeit zu gehorchen. Er erfuhr die Wahrheit und sprach sie aus. Wer seine Texte liest, erkennt einen jungen begabten Journalisten. Vergleichbares gab es wenig im Widerstand. Wir wissen, dass Hübener auch Kontakte hatte zu Jugendlichen, deren Opposition sich darin zeigte, sich der HJ zu widersetzen, Jugendführer zu verprügeln und Nazi-Zeitungskästen zu zerstören. Er aber setzte auf das Wort.

1967 wollte uns der aus dem Kriegsverbrechergefängnis freigelassene Baldur von Schirach mittels seiner Illustrierten-Memoiren einreden, alle seien vom "Glauben an den Führer" beseelt gewesen. Hübener zeigte uns, die wir erschüttert seine Akte und die Berichte von Zeitzeugen lasen, etwas anderes:

  • Auch in Zeiten von Hitlers Siegen gab es Widerstand - und zwar auch zu Zeiten, da der übrige Widerstand mit Ausnahme solcher Gruppen wie Bästlein-Jacob-Abshagen (Hamburg), Lechleiter (Mannheim) und Urig (Berlin) sowie "Friedenskämpfer" (Düsseldorf) infolge von Hitlers "Blitzsiegen" eher rückläufig war. (Die Weiße Rose arbeitete nach der Niederlage von Stalingrad 1943 und der 20. Juli war erst 1944.)
  • Hübener zeigte uns: Die Menschen konnten wissen, was in Deutschland vor sich ging und was von den Nazis verbrochen wurde.
  • Und es gab Menschen, die ganz auf sich gestellt und ohne Anleitung gegen die Verbrechen angingen, die nicht schwiegen und nicht untätig blieben.

Das was uns viele Ältere und viele aus Helmuths Generation immer wieder sagten: Man konnte nichts wissen und nichts tun! das wurde von Helmuth und seinen Freunden widerlegt. Allerdings zeigte ihr Schicksal auch, welche Gefahren denen drohte, die sich wehrten. Deshalb ist für uns eine Lehre aus jener Zeit auch immer gewesen: Es gilt, sich rechtzeitig gegen alte und neue Nazis, gegen die Beseitigung der Demokratie, gegen Kriegspolitik zu wehren, damit das sich Wehren nie mehr lebensgefährlich wird wie in jener Zeit.

In „Das Leben des Galilei“ antwortet Bert Brecht auf den Satz „Unglücklich das Land, dass keine Helden hat“ mit den Worten: „Nein, unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“

In der Auseinandersetzung mit alten und neuen Nazis spielt das Beispiel des Jugendwiderstandes eine vergleichsweise geringe Rolle. Das muss nicht so bleiben. Man denke nur daran, wie es wäre, das Flugblatt „Wochenendkarzer“ gegen die Hitlerjugend bei Antinazidemos zu verteilen – um zu sagen; Das, junge Leute, haben die Nazis mit Euch vor! Es muss immer wieder zur Vermittlung des Wissens über den Widerstand an die schulische wie außerschulische Jugend aufgerufen werden. Auch das ist  ein wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem Neonazismus, der sich gern als aktuelle Jugendbewegung ausgibt, obwohl die Jugend unter Hitler eine besondere Leidensgeschichte aufwies. Die Aktion Stolpersteine, bei der vor dem früheren Wohnsitz von Ermordeten kleine Erinnerungssteine gesetzt werden, kann sich als eine wirkungsvolle Form des Erinnerns erweisen, die weit über Jahrestage hinaus wirkt. Alternative Stadtrundgänge, nun zumeist ohne Vertreter der Zeitzeugengeneration durchgeführt, sind ebenso weiterhin Lernformen wie die weitere Arbeit mit Ausstellungen aktuell bleibt. Die Erinnerungsarbeit mit den Beispielen jugendlicher antifaschistischer Widerstandskämpfer soll daher verstärkt werden. Der Studienkreis hat daher diese Ausstellung zum Jugendwiderstand präsentiert.

Ein letztes Beispiel: Ebenfalls 17jährige wurde 1941 der französische junge Kommunist und antifaschistische Widerstandskämpfer Guy Móquet von den deutschen Faschisten hingerichtet. In seinem Abschiedsbrief hat er etwas geschrieben, was auch von Helmuth Hübener stammen könnte. „17 ½ Jahre, mein Leben ist kurz gewesen, aber ich bereue nichts, außer, dass ich Euch verlassen muß,“ heißt es darin. Präsident Nicolai Sarkozy hat, nachdem ihm eine Schülerin diesen Brief vorgelesen hat, angeordnet, dass der Brief des jungen Kommunisten Guy Móquet jedes Jahr in allen Schulen vor Schulbeginn vorgelesen wird. Etwas Vergleichbares hat es in unserem Land nicht gegeben. Dabei würden sich die Texte von Helmuth Hübener sehr dafür eignen.

Das „Hamburger Abendblatt“ berichtete am  30.10.12 über das Gedenken an Helmuth Hübener in der Hamburger Sozialbehörde, unterstützt u.a. von der VVN-BdA. Hier der Bericht:

Erinnerung an jungen Hamburger Nazi-Gegner

Helmuth Hübener, vermutlich 1941 (Foto: VVN Hamburg/Ulrich Sander)Barmbek-Süd. Die Hände auf dem Rücken gefesselt, mit entblößtem Oberkörper wurde der Jugendliche vor das Fallbeil geführt. "Er war ruhig und gefasst", heißt es im Bericht des Ersten Staatsanwalts. Dann, etwa um 20.13 Uhr am 27. Oktober 1942, vollstreckte der Scharfrichter in Berlin-Plötzensee das Todesurteil an dem Hamburger Helmuth Hübener. Gerade 17 Jahre alt war der Lehrling der Sozialbehörde, der jüngste deutsche Widerstandskämpfer, der während der Nazi-Herrschaft hingerichtet wurde.

Mit drei Freunden hatte Hübener britische Rundfunknachrichten abgehört und in Hammerbrook Flugblätter verteilt, in denen die vier Hitler Volksverhetzung vorwarfen und vor den Folgen des Krieges warnten. 70 Jahre nach der Vollstreckung des Todesurteils erinnerte gestern die Sozialbehörde gemeinsam mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in einer Gedenkstunde an ihren jungen, früheren Mitarbeiter. "Wir wollen dazu beitragen, dass dieser außergewöhnliche junge Mann nicht in Vergessenheit gerät", sagte Sozialsenator Detlef Scheele. Ein solcher Mensch verdiene einen Platz in der deutschen Geschichte.

Dabei war Helmuth Hübener eigentlich ein relativ normaler Hamburger Junge, der zunächst sogar wie so viele der Hitlerjugend beigetreten war: Er wird am 8. Januar 1925 geboren und wächst in einer Arbeiterfamilie auf. Wie die Mutter und Großmutter gehört er der Glaubensgemeinschaft der Mormonen an. Das Hetzen gegen Juden lässt ihn schon mit 16 Jahren zweifeln, beschreibt Hübener-Biograf Ulrich Sander den Beginn des Widerstands. Hübener kann sich 1941, schon als Verwaltungslehrling, ein Radio besorgen, um deutschsprachige Sendungen der BBC zu hören. Die Infos daraus stellt er in Kontrast zu den offiziellen deutschen Verlautbarungen über das Kriegsgeschehen. In den Hausfluren Hammerbrooks verteilen die vier Jugendlichen dann Flugblätter. Zunächst sind die Schriften eher kurz: "Nieder mit Hitler", heißt es da. Später informieren die vier Hamburger Jugendlichen über die vielen zivilen Opfer der deutschen Luftwaffe - etwa in Rotterdam oder Warschau. Als der junge Verwaltungslehrling im Februar 1942 einem Kollegen von der gefährlichen Flugblattverteilung erzählt, wird er von seinem Vorgesetzten beobachtet und denunziert. Die Gestapo verhaftet die vier, verhört sie brutal - weil man erwachsene Hintermänner vermutet. Am 11. August fällt der Volksgerichtshof in Berlin sein Urteil. Die Freunde werden zu langen Haftstrafen verurteilt, Hübener zum Tode. Sein gnadenloser Richter wird nach dem Krieg nie zur Rechenschaft gezogen, sein Vorgesetzter, der ihm an die Gestapo verraten hat, wird in den 1950er-Jahren freigesprochen.

Heute erinnert unter anderem die Helmuth-Hübener-Stadtteilschule in Barmbek-Nord an den jungen Hamburger. Helmuth Hübener sei für die Schüler heute ein großes Vorbild, weil er sich so "mutig und konsequent gegen Unrecht gewehrt hat", sagte die Schülerin Ashley Dandzo während der Gedenkveranstaltung.

(at)

Auf der Veranstaltung am 29. 10. 12 in der Hamburger Sozialbehörde

Ulrich Sander, VVN-BdA-Bundessprecher, am 29. 10. in der Sozialbehörde Hamburg diese Rede zum 70. Todestag von Helmuth Hübener, der am 27.10.42 als jüngster vom VGH verurteilter Widerstandskämpfer in Plötzensee ermordet wurde. 

Als ich zum ersten Mal von Helmuth Hübener hörte, war ich so alt wie er war, als er begann, seine Flugblätter zu schreiben. Also 16 Jahre.

Ich las das Todesurteil vom 11. August 1942 in einem Heft, das ein Mitstreiter meiner Lehrerin Lisa Niebank, der Journalist und Widerstandskämpfer Franz Ahrens herausgegeben hat, Das Urteil hatte er in den Wiedergutmachungsakten gefunden.

Das Urteil hat mich sehr beeindruckt. Die Nazirichter schilderten darin sehr genau die große Widerstandsleistung und den Mut wie die Klugheit Helmuth Hübeners. Er war ein so gefährlicher Gegner für sie, dass sie ihn zum Tode verurteilten. Er war mit 17 Jahren ihr jüngstes Opfer. Er war – wie es hieß – wie ein Erwachsener zu behandeln. Ja, man vermutete eine große Widerstandsbewegung hinter Helmuth Hübener, hinter Rudolf Wobbe, Karl-Heinz Schnibbe und Gerd Düwer.

Wir haben dann in der Geschwister Scholl Jugend Hamburg, einer Jugendgruppe von Kindern von NS-Verfolgten und Widerstandskämpfern, darüber gesprochen. 1960 bildeten wir eine Arbeitsgruppe, um Kurzbiographien junger Widerstandskämpfer zu verfassen. Ich übernahm es, über Helmuth Hübener zu schreiben. Es begann eine Spurensuche, die nun schon über fünfzig Jahre währt.

Ich habe Lehrer und Mitschüler, Geschwister und Mitkämpfer Hübeners interviewt, und fand zusammen mit Franz Ahrens Material über die Kontakte Hübeners zu jungen Arbeitern in Altona, die aus kommunistischen Familien kamen. Als diese sämtlich in die Wehrmacht eingezogen worden waren, machte Hübener allein weiter: Er hörte Auslandssender ab. Bald ging er einen Schritt weiter, er verbreitete die Nachrichten schriftlich mit vielen Durchschlägen. Und er suchte sich neue Mitstreiter.

Ich schrieb namens unserer Jugendgruppe Briefe an viele Leute und Institutionen, von denen wir uns Hilfe erhofften: "Wir sind der Ansicht, daß Hübeners Taten gegen Krieg und Faschismus sicher genauso bemerkenswert ist, wie die der `Weißen Rose'. Wie die Münchener Studenten fand auch er, der 17jährige Hamburger Junge, zu den Idealen der Menschlichkeit und verteidigte diese inmitten einer Welt der Gewalt und des Krieges. Sein Handeln ist heute fast vergessen. Keine Straße wurde nach ihm benannt, kein Stein wurde ihm gesetzt, kein Buch für ihn geschrieben. Was in unseren Kräften steht, wollen wir tun, damit der Mantel des Vergessens sich nicht ganz über ihn und jene Zeit ausbreitet, damit der heutigen Jugend ein Vorbild erhalten bleibt, welches endlich den Weg weist zu einer Zukunft des Friedens und der Menschlichkeit. Bitte helfen Sie uns dabei." Soweit unser Brief der Geschwister Schpll Jugend von 1960.

Manche halfen und manche auch nicht, eher nicht. Und das Buch wurde geschrieben, zwei Straßen in Hamburg nach ihm benannt. Die Dauerausstellung in der Zentralen Ausbildungsstätte kam hinzu. Und dann vor einem Jahr eine Schule! Und dann das Lesebuch! (Es erschien zu Jahresanfang mit einem Abschnitt über „Widerstand“ und „Hübener“ in der Reihe doppel-klick bei Cornelsen) Schließlich gründeten Traute Sander geb. Burmester und andere Töchter von vor wie nach 1945 verfolgten Antifaschisten die Gruppe „Kinder des Widerstandes“, damit unsere Eltern nicht vergessen oder weiter in ein faslsches Licht gerückt werden.

Damals las ich die "Reportage unterm Strang geschrieben" von Julius Fucik, dem Prager Journalisten und Widerstandskämpfer, den die Nazis – wie Helmuth - in Plötzensee ermordeten. In seiner insgeheim in Gestapohaft geschriebenen Reportage heißt es an einer Stelle: "Die ihr diese Zeit überlebt, vergeßt nicht. Vergeßt die Guten nicht und nicht die Schlechten. Sammelt geduldig die Zeugnisse über die Gefallenen. Ich möchte, daß man weiß, daß es keine namenlosen Helden gegeben hat. Sucht euch wenigstens einen von ihnen aus und seid stolz auf ihn.“

Ich suchte mir Helmuth Hübener als einen solchen Menschen aus. Und ich möchte dafür danken, dass er auch bei seinen Arbeitskolleginnen und –kollegen, bei Euch also nicht vergessen wurde. Schon seit den 50er Jahren veranstaltete die Jugendbehörde Gedenktage für Helmuth Hübener, allerdings wurde dieser Brauch nicht über die sechziger Jahre hinaus beibehalten. Doch nun haben wir wieder so eine Veranstaltung hier in der Behörde.

Drei lange Jahre dauerte es, bis ich Helmuths Akten kennenlernen durfte. Die Behörden in Hamburg und in Berlin/West, wo die Akten lagerten, weigerten sich zu helfen. Es war die Zeit, da hohe Nazis noch in allen Ämtern saßen. Da war man nicht daran interessiert, dass Namen bekannt würden – nicht von Opfern, schon gar nicht von Tätern. Einen Teil der Akten besorgte das Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer aus Beständen der DDR. In Hamburg aber redeten die Behörden sich darauf raus, daß die Geschwister Scholl Jugend nicht „anerkannt" sei. Ein Amtsrat Bugdahn vom Personalamt des Hamburger sagte mir, die dortige Hübener-Akte sei "top secret".

Die Behandlung unserer Jugendgruppe als „extremistisch“, löste den Protest des Vaters der Geschwister Scholl, Oberbürgermeister i.R. Robert Scholl, aus. Dieses Vorgehen, so schrieb er uns, "zeigt, daß die restaurativen Kräfte aus dem Dritten Reich sich wieder überall regen dürfen und salonfähig geworden sind. Desto wichtiger ist es, daß Sie die Jugend ... darüber aufklären, was heute schon wieder gespielt wird und sie dabei zu selbständigem, kritischem Denken erziehen."

Ich gab nicht auf, beschaffte mir Akteneinsicht. Aber das war schwierig. Es war nicht erwünscht. Das was uns viele Ältere und viele aus Helmuths Generation immer wieder sagten: Man konnte nichts wissen und nichts tun! das wurde von Helmuth und seinen Freunden widerlegt. Allerdings zeigte ihr Schicksal auch, welche Gefahr jenen drohte, die sich wehrten. Deshalb ist für uns eine Lehre aus jener Zeit auch immer gewesen: Es gilt, sich rechtzeitig gegen alte und neue Nazis, gegen die Beseitigung der Demokratie und gegen den Krieg zu wehren, damit das sich Wehren nie mehr lebensgefährlich wird. Denn dann ist es zu spät.

Helmuth Hübener ist sehr aktuell. Er hatte in Flugblättern gewarnt: „Zu Tausenden wird Hitler Eure Frauen und Kinder zu Witwen und Waisen machen, und der von Hitler begonnene Bomberkrieg wird unzähligen Deutschen das Leben kosten.“ Die da Hübeners Flugblätter 1941 und 1942 bei der Polizei abgaben und ihre Nachbarn verdächtigten, sie geschrieben zu haben, sie lebten zumeist 1943 nicht mehr. 35.000 Menschen aus Hamm, Hammerbroock und Rothenburgsort starben in einer Nacht ein knappes Jahr nachdem das Urteil gegen Hübener vollstreckt worden war. Wenn wir heute durch diese Stadtteile gehen, finden wir an vielen Häusern die Tafel "Zerstört 1943, wiederaufgebaut 195.." Auf mich wirken diese zahllosen Tafeln wie ein einziges großes Antikriegsdenkmal. Die Summe dieser Tafeln bestätigt die Warnung Hübeners.

Ja, die Mahnung von Helmuth Hübener ist heute aktuell: „Wenn alles sich rührt, haben die Nazis auskalkuliert,“ heißt es einem Gedicht von ihm: Daher meine ich, es gilt sich gegen neuen Ungeist, neue Nazis, neuen Rassismus, neue Kriege zu rühren. In seinem Sinne sollten wir wachsam sein.