02.11.2012 Jugendwiderstand im Krieg und seine Bedeutung
für uns heute am Beispiel der Helmuth Hübener Gruppe Im Rahmen der Ausstellung „Es lebe
die Freiheit“ über den Jugendwiderstand hielt
VVN-BdA-Bundessprecher Ulrich Sander am 31. 10. 12 in der Campelle auf
dem Hochschulcampus Flensburg einen Vortrag. Das Thema war
„Jugendwiderstand im Krieg und seine Bedeutung für
uns heute am Beispiel der Helmuth Hübener Gruppe“.
Die Ausstellung wird vom Studienkreis Deutscher Widerstand verantaltet. Vortrag
von Ulrich Sander in der Campelle auf dem Hochschulcampus
Flensburg am 31. 10. 12 zum Thema „Jugendwiderstand
im Krieg und seine Bedeutung für uns heute am Beispiel der
Helmuth Hübener Gruppe“ (Im Rahmen der
Ausstellung „Es lebe die Freiheit“ über
den Jugendwiderstand) Sehr selten wird hierzulande so
etwas wie der Jugendwiderstand thematisiert. Es gab die Weiße
Rose, es gab die Edelweißpiraten. Die einen werden geachtet,
man kann nicht an ihnen vorbeisehen, weil sie schon vor 1945
international bekannt wurden. Die anderen wurden lange Zeit als
Kleinkriminelle dargestellt und erst sehr spät begann man, sie
wegen ihres Kampfe gegen die Nazis anzuerkennen. Jürgen
Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte in München
hat eine kleine Schar von unabhängig wirkenden
„Rundfunk“-Widerständlern ausgemacht, und
ich selbst habe viel zur Jugendwiderstandsgruppe um Helmuth
Hübener aus dieser Spezies gearbeitet. Diese
„Rundfunkverbrecher“ wurden von den Nazis als
Feinde des Reiches behandelt, weil die die Rundfunkpropaganda des
Auslands, die als Kriegswaffe anzusehen war, im Reich verbreiteten.
Dies galt als Landesverrat, weil es die Wehrkraft des deutschen Volkes
zersetzte. Weiße Rose,
Edelweißpiraten und jugendliche Rundfunkverbrecher
zählt Prof. Karl Heinz Jahnke (1934-2009), der
größte Kenner und Erforscher des Jugendwiderstandes,
zu den insgesamt 268 Jugendlichen, die von 1933 bis 1945 von den Nazis
als Widerstandskämpferinnen und –kämpfer
getötet wurden. (Siehe K.H.Jahnke „Jugend unter der
NS-Diktatur 1933-1945“ 2003 Rostock) Jahnke
wies darauf hin, dass in der Zeit von der ersten Flugblattverteilung
der Weißen Rose im Juni 1942 bis zur letzten
Gerichtsverhandlung gegen Weißen-Rose-Mitglieder im Oktober
1943 49 ebenfalls sehr junge Widerstandskämpfer verurteilt und
hingerichtet wurden. Sie seien weithin unbekannt geblieben. Der
Umgang mit diesen Widerstandsgruppen, die sich zumeist Teil dadurch
auszeichneten, den Widerstand ohne Bezug zur demokratischen Kultur der
Zeit vor 1933, ihrer frühen Kindheit, aufgenommen zu haben,
und zwar ungeachtet des Siegesrausches, in dem sich Hitler und die
meisten Volksgenossen noch befanden, ist eine Ausnahme. Danke
für diese Veranstaltung! Konnte die
Nachkriegsgesellschaft an den Schriften der Anne Frank und
Weißer Rose nicht vorbeikommen, deren sich „das
Ausland" schon lange angenommen hatten, so wurden die Jugendgruppen um
Helmuth Hübener (Hamburg), Walter Klingenbeck
(München) und Josef Landgraf (Wien) – allesamt
„Rundfunkverbrecher“ - nicht den nachwachsenden
Generationen zum Vorbild gegeben. Zu leicht hätte die Frage
aufkommen können: Wenn diese jungen Leute wussten und
handelten, warum dann nicht die Menschen gleichen und höheren
Alters, die nach 1945 die Nachkriegsgesellschaften politisch und
kulturell anführten? Grund genug, endlich
die drei Gruppen den jungen Menschen von heute bekannt zu machen. Jürgen
Zarusky hat außer über den Hübener-Kreis
über die zwei weiteren ähnlichen christlichen Gruppen
junger Männer geforscht. Im „Lexikon des Deutschen
Widerstandes" (Fischer-Verlag 1994) berichtet er: 1941 entstanden in
Hamburg, München und Wien unabhängig und ohne
Kenntnis voneinander kleine oppositionelle Jugendgruppen, die
Auslandssender hörten und das Gehörte verbreiteten,
in Flugblättern und Wandparolen für den Sturz des
NS-Regimes wirkten. Es handelte sich jeweils um Vierergruppen
männlicher Jugendlicher im Alter zwischen 16 und 18 Jahren mit
einem sich deutlich abhebenden, aktivistischen und frühreifen
Anführer. In Hamburg war dies Helmuth Hübener, in
München Walter Klingenbeck, in Wien Josef Landgraf. Die
Mitglieder aller drei Gruppen kamen vorwiegend aus christlich
geprägten Familien der Unter- und unteren Mittelschicht. Bei
allen spielte das Abhören sogenannter „Feindsender",
insbesondere der Programme der BBC, eine entscheidende Rolle.
Über eine ausformulierte politische Programmatik
verfügte keine der drei Gruppen, jedoch setzten sie alle mehr
oder weniger entschieden auf einen Sieg der westlichen Kriegsgegner,
Hübener auch auf den der Sowjetunion. Der
Hamburger Verwaltungslehrling Helmuth Hübener war durch
Kontakte zu Jugendlichen aus kommunistischen Elternhäusern zum
Abhören der deutschsprachigen Programme der BBC und
möglicherweise auch anderer Sender angeregt worden. Seit Ende
April 1941 verfügte er über ein eigenes
Empfangsgerät. Im Sommer 1941 lud Hübener jeweils
einzeln, ohne daß sie voneinander wussten, seine Freunde
Karl-Heinz Schnibbe und Rudi Wobbe ferner Gerhard Düwer zum
Hören der Auslandssender ein. Schnibbe und Wobbe
gehörten ebenso wie Hübener der Hamburger Gemeinde
der Mormonen an; Düwer war ein Arbeitskollege von der
Hamburger Sozialbehörde, wo Hübener Lehrling war. Die
Mormonen verstanden es im Gegensatz zu den meisten anderen christlichen
Religionsgemeinschaften relativ gut, sich mit dem NS-Regime zu
arrangieren. Durch Schnibbes Bitte, Nachrichten von Sendungen, die er
versäumte, für ihn mitzustenographieren, scheint
Hübener dazu angeregt worden zu sein, das Gehörte zu
Flugblättern zu verarbeiten, die er heimlich auf einer
Schreibmaschine der Mormonengemeinde schrieb. Anfang August 1941 bewog
er Schnibbe und Wobbe dazu, bei der Verteilung der Flugblätter
in Briefkästen, Telephonzellen und Hausgängen der
Hamburger Ortsteile Hammerbrook und Rothenburgsort zu helfen.
Unabhängig davon gewann er auch seinen Arbeitskollegen Gerhard
Düwer dafür. Die von Hübener hergestellten
Flugblätter – insgesamt rund 60 mit einer Auflage
von mindestens fünf Stück – ferner
zahlreiche kleine Handzettel, kontrastierten unter anderem die
amtlichen Wehrmachtberichte mit Nachrichten aus den Programmen der
„Feindsender", wandten sich gegen antireligiöse
NS-Propaganda, kritisierten den als Jugendstrafe eingeführten
„Wochenendkarzer" oder brachten Spottverse auf Joseph
Goebbels. In dem wegen seiner Verhaftung nicht mehr fertiggestellten
Flugblatt „Wer hetzt wen?" hob Hübener die
defensiven Motive des amerikanischen Kriegseintritts hervor. Anfang
Februar 1942 wurde Hübener von seinem Vorgesetzten denunziert,
der beobachtet hatte, wie er erfolglos einen Mitlehrling dafür
gewinnen wollte, ein Flugblatt zur Verbreitung an Zwangsarbeiter ins
Französische zu übersetzen. Am 11. August 1942 wurde
Hübener in Berlin vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum
Hochverrat und anderer Delikte zum Tode verurteilt. Seine drei
Mitangeklagten Schnibbe, Wobbe und Düwer erhielten
Gefängnisstrafen zwischen vier und zehn Jahren. Am 27. Oktober
1942 wurde Hübener in Berlin-Plötzensee enthauptet. Walter
Klingenbeck aus München entwickelte unter dem Eindruck der
Sendungen von Radio Vatikan, die er bis Kriegsbeginn gemeinsam mit
seinem Vater hörte, und der zwangsweisen Auflösung
seiner katholischen Jugendgruppe schon sehr frühzeitig eine
kritische Einstellung zum NS-Regime. Obwohl das Abhören von
Auslandssendern im September 1939 verboten und mit drakonischen Strafen
bedroht wurde, hörte Klingenbeck weiter Radio Vatikan, den
deutschsprachigen Dienst der BBC und andere „Feindsender". Im
Frühjahr und Sommer 1941 erzählte er seinen Freunden
Hans Haberl und Daniel von Recklinghausen von diesen Sendungen und lud
sie zum gemeinsamen Abhören ein. Klingenberg
griff im Sommer 1941 den Appell der BBC auf, das V-Zeichen als Symbol
des Sieges der Alliierten zu verbreiten, und brachte,
unterstützt durch Recklinghausen, dieses Zeichen
groß mit Lackfarbe an etwa 40 Gebäuden in
München an. Er plante die Verbreitung von
Flugblättern mit dem Motto „Hitler kann den Krieg
nicht gewinnen, sondern nur verlängern" und arbeitete zusammen
mit seinen Freunden, die nicht nur denselben katholischen Hintergrund
hatten wie er, sondern auch seine Radiobastelleidenschaft teilten, am
Bau eines eigenen Senders zur Ausstrahlung antinazistischer Propaganda. Am
26. Januar 1942 wurde Klingenbeck, nachdem er sich leichtsinnigerweise
mit der V-Aktion gebrüstet hatte, denunziert und verhaftet,
kurz darauf auch Habers und von Recklinghausen. Der Volksgerichtshof
verurteilte die drei am 24. September 1942 zum Tode, einen vierten, am
Rande beteiligten Jugendlichen zu acht Jahren Zuchthaus.
Während Haberl und von Recklinghausen am 2. August 1943 zu
acht Jahren Zuchthaus begnadigt wurden, wurde Klingenbeck am 5. August
1943 in München-Stadelheim hingerichtet. Der
Wiener Gymnasiast Josef Landgraf hörte seit Kriegsbeginn
Sendungen der BBC, aber auch den von sozialistischen Emigranten
geprägten Sender der Europäischen Revolution. Anfang
September 1941 begann er, das Gehörte zu Flugblättern
zu verarbeiten. Obwohl er bereits nach drei Wochen denunziert und
festgenommen wurde, produzierte er auf der Schreibmaschine seines
Vaters nicht weniger als 70 Flugschriften von einer halben bis zu einer
Seite Umfang sowie etwa dieselbe Anzahl von Flug- und Klebezetteln. Ähnlich
wie Hübener hielt er der deutschen Kriegspropaganda die
BBC-Meldungen über deutsche Verluste entgegen und verurteilte
die antireligiösen Aktivitäten der NSDAP. Wie
Klingenbeck nahm auch Landgraf die V-Aktion auf und proklamierte in
einem seiner Flugblätter: „Die V-Armee hat lediglich
die Befreiung von Hitler und seinem Krieg zum Ziel." Bei der
Herstellung und Verbreitung der Flugblätter halfen Landgraf in
allerdings eher geringem Ausmaß seine Schulkameraden Ludwig
Igalffy, Friedrich Fexer und Anton Brunner. Landgraf
und Brunner wurden am 23. August 1942 vom Volksgerichtshof zum Tode
verurteilt, die anderen beiden Angeklagten zu acht bzw. sechs Jahren
Gefängnis. Landgraf wurde ein Jahr später zu sieben
Jahren Gefängnis begnadigt, Brunner erhielt in der
Wiederaufnahme seines Verfahrens fünf Jahre Gefängnis. Von
den drei jugendlichen Feindsenderhörergruppen ist nur die von
Helmuth Hübener in einem bestimmten Umfang bekannt geworden
– aber doch auch nicht wirklich. Günter Grass hat
Helmuth Hübener ein literarisches Denkmal gesetzt.
Hübener ist 1942 als 17jähriger in
Plötzensee als jüngster vom VGH Verurteilter
enthauptet worden, weil er angeblich die Wehrkraft zersetzte, den
Hochverrat plante, den „Feind begünstigte“
und tatsächlich ausländische Rundfunkmeldungen auf
Flugblättern verbreitete. Grass schrieb über ihn in
seinem 68er Roman "Örtlich betäubt", und er zitierte
einen Gedenkartikel aus der Gewerkschaftszeitung "Deutsche Post", den
ich damals geschrieben hatte. Als Grass' Buch erschien, löste
es größte Aufregung aus, weil ein
17jähriger Schüler darin das Verbrennen eines
deutschen Langhaardackels als Protest gegen die Hinnahme des
verbrecherischen Vietnam-Krieges der USA durch die westdeutsche
Öffentlichkeit anpries. Der Schüler
präsentierte eines Tages seinem Studienrat, der insgeheim
hoffte, sein Lieblingsschüler würde ihn wegen seiner
Vergangenheit als Jugendbandenführer (meinte sich Grass damit
selbst?) zum Vorbild auserwählen, meinen Zeitschriftenartikel
mit den Worten: „Das hat es gegeben. Da ist Ihre Jugendbande
nix gegen. Über ein Jahr haben die Flugblätter
gedruckt und verteilt. Schon als Sechzehnjähriger fing er
damit an. Nix von Frühanarchismus." Im
weiteren Verlauf der Szene kommen der Lehrer und der Schüler
auf den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) zu sprechen,
auf seine hohe Nazifunktion als Auslandsrundfunkchef des
Auswärtigen Amtes. Der Schüler sagt: „Den
will ich nicht. Der stinkt doch. Wenn ich den sehe, im Fernsehen und
so, könnte ich kotzen. Der, genau der hat den Hübener
umgebracht, auch wenn der anders hieß, der ihn umgebracht
hat.“ Grass und Hübener waren fast
gleichaltrig. Die Gleichaltrigen von damals handelten sehr
unterschiedlich: Rudolf Augstein wurde noch im Krieg Journalist und
umgab sich später in der
„Spiegel“-Redaktion mit den Leuten des
SS-Reichssicherheitshauptamtes, die dort Naziverbrechen, z.B.
den Reichstagsbrand leugneten oder in Taten der Linken
umfälschten. Helmut Kohl wusste von nichts und tat nichts und
lehnte sich angesichts der „Gnade der späten
Geburt“ zurück, später rehabilitierte er
die SS mit seinem Gang zum Friedhof Bitburg. Franz-Josef
Strauß baute mit Hilfe der Waffen-SS und der
Wehrmachtsgeneräle die Bundeswehr auf. Günter Grass
meldete sich freiwillig zur Wehrmacht – was er nie
verschwieg, was aber niemand ihm vorwarf! - und wurde dort zur
Waffen-SS weitergereicht, wie Tausende auch. Letzteres verschwieg er
leider lange. Aber Grass hat wenigstens auf jenen Gleichaltrigen
aufmerksam gemacht, der handelte: So auf Helmuth Hübener!
Über ihn hat kein Augstein geschrieben und kein Kohl und
Strauß hat ihm einen Kranz gewidmet. Deren Generation hat den
Jugendwiderstand 1933 bis 1945 verdrängt, weil er nachwies:
Man konnte wissen und man konnte handeln. Grass hat
immer wieder – nicht nur in „Örtlich
betäubt“ - den Jugendkonflikt aus dem Krieg
thematisiert und das in einer antifaschistischen, Vorbild gebenden
Weise. Die einseitige Betonung der Geschichtsschreibung zum
Widerstand vor allem des "Offiziershintergrunds", des Adels und der
Weimarer Politiker (Grass) war ihm zuwider, wie er im US-Fernsehen
sagte. Er sah darin den Versuch, den Widerstand als eine exklusive
Handlungsweise großer Helden darzustellen, um von der eigenen
Untätigkeit der Zeitgenossen abzulenken. Dass da einer war,
der wie Hübener nicht einmal Flakhelfer sein wollte, der in
seinen Flugblättern erklärte, dass die Bombardierung
Hamburgs die Frucht des Hitlerschen Krieges war, der
unzähligen Deutschen das Leben kosten wird, das hatte wohl
Grass im Kopf, als er in dem Film „Truth and Conviction
– Huebener Story“ sagte: "Diese Geschichte nagt an
uns, die wir zu jung waren, um das ganz und gar kapieren zu
können, aber doch alt genug waren, um die Symptome des
Unrechts zu erkennen. Warum haben wir nicht nachgefragt, warum sind wir
nicht bohrender gewesen." So wie Helmuth Hübener. Am 27.
Oktober war sein 70. Todestag. Ich erwartete eine Gedenkveranstaltung
auf Bundesebene – natürlich gab es sie nicht. Wohl
aber eine seiner heutigen Arbeitskollegen. Hübener war
Lehrling in der Hamburger Sozialbehörde und der Personalrat
nebst Senator haben am 29. 10. vormittags seiner in Hamburg gedacht. Helmuth
Hübener und auch Rudolf Richter – über den
zu reden sein wird -gehören zu den rund 50 ermordeten
Jugendlichen, die in der Zeit der Tätigkeit der
Weißen Rose 1942/1943 vor Gericht gestellt und hingerichtet
wurden, weil sie Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatten. Hübener
und Richter gehörten noch einer weiteren zufälligen
Gruppe an: Der Gruppe derer der am 27. Oktober 1942 in
Plötzensee Hingerichteten. An diesem Tag
geschah in der Hinrichtungsstätte in
Berlin-Plötzensee – neben der Hinrichtung von neun
weiteren ausländischen Verurteilten - etwas
Ungewöhnliches. Kurze Zeit hintereinander wurden der
22jährige Schriftmaler Rudolf Richter (geb. 20.7.1920 in
Dresden) und sein Vater, der Arbeiter Gustav Richter (geb. 27.3.1890 in
Dresden), hingerichtet. Der 2. Senat des Volksgerichtshofes hatte am
21. August 1942 die Todesurteile über Rudolf und Gustav
Richter gesprochen. In der Begründung heißt es:
„Der Angeklagte Rudolf Richter hat als Dienstverpflichteter
in einem Rüstungsbetrieb seine Arbeitskameraden angereizt,
durch Verminderung der Rüstungserzeugung zur Beendigung des
Krieges beizutragen. Auch hat er marxistische Bücher und
zersetzende Aufzeichnungen verbreitet [...]“ Dem
kommunistischen Arbeiter Gustav Richter warf die Anklage vor, dass er
seinen Sohn nicht „anders erzogen“ und ihn in
seinem Widerstand bestärkt habe. Jüngere
Arbeitskollegen versuchte Rudolf Richter zum „Langsamarbeiten
zu gewinnen, um so die Produktion der Flugzeuge zu
verzögern,“ berichtet Jahnke. Durch die Verbreitung
von verbotenen Gedichten, u.a. von Kurt Tucholsky und Alfred Polgar,
trug er zur Stärkung des Widerstandsgeistes bei. Im
Frühjahr 1941 bekam der 20jährige den
Gestellungsbefehl zur Wehrmacht. Er schrieb darauf an einen Freund und
äußerte offen seine Ablehnung. In dem Brief
heißt es: „Überlege, ich soll in
absehbarerer Zeit das Mörderkleid einer militärischen
Macht tragen, welche zu den am rationellsten arbeitenden der ganzen
Welt gehört.“ Am 31. Oktober 1941 ist Rudolf Richter
festgenommen worden und fünf Tage später sein Vater. Jahnke
schrieb über Rudolf Richter: „Als Folge der
Rüstungspolitik des Hitlerregimes musste er in der
Flugzeugindustrie, zunächst in den Junkerswerken in Dessau und
später bei den Vereinigten Motorenwerken in Leipzig arbeiten.
Wie seine Eltern lehnte er den NS-Staat ab und bemühte sich,
Widerstand zu organisieren. Wir erleben in der
Erinnerungsarbeit die einseitige Betonung vor allem der beiden
Widerstandsgruppen 20. Juli und Weiße Rose. Dies hat offenbar
seine Begründung in der Geringschätzung des
Arbeiterwiderstandes durch die bürgerliche Gesellschaft und
Geschichtsschreibung und in dem Versuch, den Widerstand als eine
exklusive Handlungsweise großer Helden darzustellen, um von
der eigenen Untätigkeit abzulenken. Erinnert
werden muss an den Ausspruch der Schwester von Hans und Sophie Scholl,
Elisabeth Hartnagel, die nicht möchte, dass ihre Geschwister
als „Helden“ verehrt werden, denn „das
wäre eine Entschuldigung für die anderen“,
die sich nicht zum Helden geboren sehen. Höchste
Gerichte der BRD haben Widerstand an ihre Erfolgschancen
geknüpft, das heißt nur der Widerstand wurde
geachtet, der auch den realen Sturz des Regimes betrieb. Dafür
ein Beispiel: Ein Kriegsdienstverweigerer und
Sozialdemokrat hatte seinen Einberufungsbefehl zerrissen und hatte am
Krieg gegen Polen nicht teilgenommen. Ein Kriegsgericht verurteilte ihn
im Herbst 1939 und steckte ihn jahrelang in die Festung Torgau und ins
Strafbataillon. Er weigerte sich Minen zu verlegen, wurde nochmals
verurteilt. Seinen Antrag auf Haftentschädigung lehnte der
Bundesgerichtshof letztinstanzlich ab. Auch politisch motiviertes
Handeln könne „nur dann als
rechtmäßig und demgemäß eine
diesen Widerstand ahndende staatliche Maßnahme nur dann als
Unrecht im Rechtssinne angesehen werden ..., wenn die
Widerstandshandlung nach ihren ... Erfolgsaussichten als ein
ernsthafter und sinnvoller Versuch zu werten ist, den (damals)
bestehenden Unrechtszustand zu beseitigen.“ Ob die Weigerung,
Minen zu legen „irgendwie geeignet war, die
militärische Niederringung des NS-Regimes zu fördern
oder zu beschleunigen“, konnte das Gericht nicht erkennen.
Möglicherweise wären sogar
Wehrmachtsangehörige gefährdet gewesen.
(Militärische Niederringung also nur, wenn Deutsche nicht
gefährdet werden.) (Zitiert nach „Furchtbare
Juristen“, von Ingo Müller, Kindler 1987.) Die
Ungerechtigkeit im Umgang mit dem Andenken an den Widerstand ist
hierzulande gewaltig. Das wurde nicht an diesem Urteil deutlich,
sondern auch an einem, dass mit Helmuth Hübeners Fall zu tun
hat. In den neunziger Jahren verweigerte die
Staatsanwaltschaft Hamburg Karl Heinz Schnibbe, Mitstreiter von Helmuth
Hübener, Einsicht in die Akten des Falls Mohns, des Nazis und
Denunzianten, der Hemuth Hübener seinen Henkern ausgeliefert
hat. Von 1950 bis 1953 wurde dieser Fall verhandelt. Diese Verweigerung
war nicht nur empörend, weil mit Schnibbe einem Opfer des
Mohns Rehabilitierung verwehrt wurde, sondern auch, weil die
Staatsanwaltschaft sich zur Zeit der Abfassung des Briefes an Schnibbe
schon lange der Aktenvernichtung schuldig gemacht hatte. Die Spuren des
skandalösen Freispruchs des Mohns von 1953
waren verwischt, wie sich nach zwei weiteren Schreiben herausstellte,
die ich im Frühjahr an die Hamburger Justizsenatorin und die
Hamburger Generalstaatsanwaltschaft richtete. Man teilte mir im Sommer
1992 mit, daß ich berechtigt sei, die Akten einzusehen,
jedoch seien diese Akten seit 1975 vernichtet. Im übrigen
liege eine Eintragung vor, daß der Mohns freigesprochen
wurde, mehr wisse man nicht. Frau Senatorin
Peschel-Gutzeit bedauerte am 1.7.1992 in einem Brief an mich,
"daß eine weitere Aufklärung des Verfahrens gegen
Heinrich Mohns leider im Hinblick auf die Vernichtung der Akte nicht
mehr möglich ist." Nicht vernichtet ist zum
Glück das Urteil des Bundesgerichtshofes, den Heinrich Mohns
1950 angerufen hatte, nachdem er in erster Instanz in Hamburg
wenigstens zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden war, -
einer Strafe, die nach Prozeßbeobachtern viel zu gering war,
zumal Mohns sich als "alter Kämpfer" und völlig
uneinsichtig gab. 1953 hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf und das
Schwurgericht in Hamburg kam dann zum Freispruch des Herrn Mohns. Das
Urteil des Bundesgerichtshofes liest sich heute wie eine erneute
Verurteilung von Helmuth Hübener. Mohns wurde "Notstand"
bescheinigt und die Auffassung nahegelegt, daß die Jungen um
Helmuth uneinsichtig waren, die Denunziation jedoch gesetzlich
vorgeschrieben gewesen sei. Das höchste
Strafgericht des Nach-Nazi-Deutschland bestätigte somit die
Nazijustiz! Dabei war der Hinweis auf Nazigesetze nicht nur deshalb
empörend, weil es eben Nazigesetze waren, sondern auch, weil
es nur Verordnungen waren! Hübener war aufgrund von
Verordnungen, nicht von Gesetzen, von Verordnungen gegen das
Abhören feindlicher Sender und über die Anwendung der
Höchststrafe gegenüber jugendlichen Schwerverbrechern
zum Tode verurteilt worden. Den Nazis selbst muß es
irgendwann unheimlich gewesen sein, Jugendliche nach einer Verordnung
besonders hart und nach dem Erwachsenenstrafrecht zu bestrafen. Aber
sie warfen Hübener seine Reife und Intelligenz vor und die
„Boshaftigkeit“, die Flugblä#tter in
Arbeitervierteln mit „marxistisch beeinflusster“
Bevölkerung verteilt zu haben. Deshalb hoben
sie die Verordnung auf - und fügten sie wortwörtlich
im Jahre 1943 in ein Gesetz über die Jugendgerichtsbarkeit
ein. Und noch einen Skandal der
Nachkriegsgerichtsbarkeit entdeckte ich bei meiner Spurensuche nach
Helmuth Hübener. Nicht nur, daß in Hamburg Akten
vernichtet und in Karlsruhe Naziurteile gerechtfertigt wurden, es wurde
auch das Jugendgerichtsgesetz, in das die Nazis ihre Verordnung
über die Bestrafung Jugendlicher nach dem
Erwachsenenstrafrecht eingearbeitet hatten, in bundesdeutsches Recht
übernommen. Es konnte ein Jugendlicher zwar nicht mehr zum
Tode verurteilt werden, weil es die Todesstrafe nicht mehr gab, aber er
konnte zur Höchststrafe nach dem Erwachsenenstrafrecht
verurteilt werden, weil diese Bestimmung von den Nazis
übernommen wurde; er konnte sogar wegen "schädlicher
Neigungen" bestraft werden, auch so ein Begriff, der sich von den Nazis
in die späteren Gesetze herübergerettet hat und der
direkt aus dem Urteil gegen Hübener stammen könnte,
wo dessen "auffallende Gehässigkeit" und
"Gefährlichkeit", ja "Ehrlosigkeit" angeprangert wird. Wie
gesagt: Im Falle jugendlichen Widerstandes fällt noch eine
Besondertheit auf: Wer zu reif und zu klug erschien, wurde
verschärft bestraft. In der Begründung zum
Todesurteil gegen Helmuth Hübener wurde betont, der Angeklagte
sei wegen seiner Klugheit und Reife nach dem Erwachsenenstrafrecht
wegen „Hochverrats und landesverräterischer
Feindbegünstigung“ zum Tode zu verurteilen. Kann
man daher sagen, Hübener habe zusätzlich
„für seine Verurteilung nicht viel tun
müssen“, wie Julia Albrecht es am 29. Oktober 1992
in der taz-Tageszeitung ausdrückte? Helmuth Hübener
hat in weniger als einem halben Jahr als 16jähriger
über 60 Flugschriften herausgegeben, und zwar lange vor dem
Niedergang der Nazikriegsmaschinerie. Hitler siegte noch im Jahre 1941
bis Februar 1942, als die Verhaftung der vier Jungen erfolgte. Da sie
keine Vervielfältigungsmöglichkeit besaßen,
schrieb Hübener die Texte wieder und wieder mit der
Schreibmaschine mit zahlreichen Durchschriften ab, um sie gemeinsam mit
seinen Freunden zu verteilen. Im März 1948 schrieb der
Widerstandskämpfer Franz Ahrens in der ersten
Veröffentlichung über Hübener –
und ich finde, dass Ahrens die Gewaltlosigkeit Hübeners
besonders hervorhebt, sehr wichtig: „Die
Jugend, gewohnt mit Maschinengewehren und Panzerfäusten zu
kämpfen, wird vielleicht befremdet, vielleicht gar
verächtlich auf diese Kampfmittel schauen und fragen: War das
denn der ganze Kampf des Widerstandes? Nun, ihr sei entgegengehalten
die Antwort eines Gestapobeamten, dem ein SS-Mann von einer Haussuchung
Pistole und Schreibmaschine brachte. 'Pistole? Die ist nicht so wichtig
wie die Schreibmaschine. Suchen Sie den Abziehapparat, der ist
für die Brüder heute wichtiger als ein
Maschinengewehr.' Wir wollen die Bedeutung dieser Kampfmittel nicht
geringer schätzen als die Gestapo.“
(Freiheitskämpfer der Jugend, Hamburg 1948) Und
Gerhard Bauer schreibt über die Hübener-Gruppe in
„Sprache und Sprachlosigkeit im 'Dritten Reich'“
(Köln 1988): „Vom Gericht wurde die Gruppe als
bloßes Anhängsel der 'Feindpropaganda' behandelt. In
Wirklichkeit war ein außergewöhnliches Maß
an Selbständigkeit, Erkenntnisarbeit,
Überzeugungsarbeit, Kooperation und (durch keine politische
Organisation angeleitete) Konspiration erforderlich, um das aus dem
'Feindsender' Gehörte auf bedrucktes Papier und an Erfolg
versprechende Adressaten zu bringen. Die fünf von Brecht
beschriebenen 'Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit' und noch
einige mehr wurden von der Gruppe gemeistert, und zwar aus eigener
Kraft, auf eigene Verantwortung. Selten wurde das Weitergeben so
engagiert und konsequent zum Lebensinhalt gemacht. Noch seltener
läßt es sich so personell verfolgen wie hier 'dank'
der Verurteilung vor Gericht. Aber dieser Fall kann dazu dienen,
daß wir uns überhaupt das Geflüster und
Getuschel im Dritten Reich stärker als eine bewußt
ausgeübte, verantwortete Tätigkeit
vorstellen.“ Helmuth Hübener und
seine Freunde waren bei der Machtübertragung an Hitler noch
Grundschüler. Sie hatten keine Kontakte zur Arbeiterbewegung
und zu demokratischen Kräften aus der Zeit vor 1933.
Selbständig gelangten sie zu ihrem Urteil. Besonders
prägend für die Ablehnung des Naziregimes war der
Drill bei der Hitlerjugend, der Antisemitismus – bis hin
zur Ausgrenzung der Juden auch aus ihrer Kirchengemeinde der
„Mormonen“ und das Erleben der
„Reichskristallnacht“ am 9. November 1938. Im
Winter 1941 sehen sie bereits die militärische Niederlage des
NS-Reiches voraus. Sie wollen deshalb nicht mehr allein mit kurzen
Parolen auf Streuzetteln zum Kampf gegen das NS-Regime auffordern,
sondern die Menschen über den Ernst der Lage
aufklären. Innerhalb von sechs Wochen konzipiert
Hübener über zwanzig ausführliche
Flugblätter. Diese werden hergestellt, indem die Texte immer
wieder mit vielen Durchschlägen abgeschrieben werden. Der
Dichter Stefan Hermlin fand in seinem Buch „Die erste
Reihe“ diese Worte der Würdigung für
Helmuth Hübener: „Dieser
Sechzehnjährige erweist sich in seinen Flugblättern
als unerschrockener und ständig nach weiteren Kenntnissen
strebender Kämpfer. Geschickt wie ein alter Illegaler, tarnt
er seine Flugblätter mit faschistischen
Überschriften. Er wirft gereimte Parolen unter die Menschen,
z.B. Jetzt trägt der Soldat für den Irrtum die
Leiden, / während Hitler verspricht: ‚Dies Jahr wird
entscheiden.’ / Es wird entscheiden, wenn alles sich
rührt! / Und dann hat Hitler auskalkuliert.“ Helmuth
Hübeners Widerstand erwuchs weniger aus religiösen
Motiven, denn aus dem Widerspruch zwischen dem Anspruch seiner
Gemeinde, die Wahrheit zu sagen und zugleich der Obrigkeit zu
gehorchen. Er erfuhr die Wahrheit und sprach sie aus. Wer seine Texte
liest, erkennt einen jungen begabten Journalisten. Vergleichbares gab
es wenig im Widerstand. Wir wissen, dass Hübener auch Kontakte
hatte zu Jugendlichen, deren Opposition sich darin zeigte, sich der HJ
zu widersetzen, Jugendführer zu verprügeln und
Nazi-Zeitungskästen zu zerstören. Er aber setzte auf
das Wort. 1967 wollte uns der aus dem
Kriegsverbrechergefängnis freigelassene Baldur von Schirach
mittels seiner Illustrierten-Memoiren einreden, alle seien vom "Glauben
an den Führer" beseelt gewesen. Hübener zeigte uns,
die wir erschüttert seine Akte und die Berichte von Zeitzeugen
lasen, etwas anderes: - Auch in Zeiten von
Hitlers Siegen gab es Widerstand - und zwar auch zu Zeiten, da der
übrige Widerstand mit Ausnahme solcher Gruppen wie
Bästlein-Jacob-Abshagen (Hamburg), Lechleiter (Mannheim) und
Urig (Berlin) sowie "Friedenskämpfer" (Düsseldorf)
infolge von Hitlers "Blitzsiegen" eher rückläufig
war. (Die Weiße Rose arbeitete nach der Niederlage von
Stalingrad 1943 und der 20. Juli war erst 1944.)
- Hübener
zeigte uns: Die Menschen konnten wissen, was in Deutschland vor sich
ging und was von den Nazis verbrochen wurde.
- Und es
gab Menschen, die ganz auf sich gestellt und ohne Anleitung gegen die
Verbrechen angingen, die nicht schwiegen und nicht untätig
blieben.
Das was uns viele
Ältere und viele aus Helmuths Generation immer wieder sagten:
Man konnte nichts wissen und nichts tun! das wurde von Helmuth und
seinen Freunden widerlegt. Allerdings zeigte ihr Schicksal auch, welche
Gefahren denen drohte, die sich wehrten. Deshalb ist für uns
eine Lehre aus jener Zeit auch immer gewesen: Es gilt, sich rechtzeitig
gegen alte und neue Nazis, gegen die Beseitigung der Demokratie, gegen
Kriegspolitik zu wehren, damit das sich Wehren nie mehr
lebensgefährlich wird wie in jener Zeit. In
„Das Leben des Galilei“ antwortet Bert Brecht auf
den Satz „Unglücklich das Land, dass keine Helden
hat“ mit den Worten: „Nein, unglücklich
das Land, das Helden nötig hat.“ In
der Auseinandersetzung mit alten und neuen Nazis spielt das Beispiel
des Jugendwiderstandes eine vergleichsweise geringe Rolle. Das muss
nicht so bleiben. Man denke nur daran, wie es wäre, das
Flugblatt „Wochenendkarzer“ gegen die Hitlerjugend
bei Antinazidemos zu verteilen – um zu sagen; Das, junge
Leute, haben die Nazis mit Euch vor! Es muss immer wieder zur
Vermittlung des Wissens über den Widerstand an die schulische
wie außerschulische Jugend aufgerufen werden. Auch das
ist ein wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem
Neonazismus, der sich gern als aktuelle Jugendbewegung ausgibt, obwohl
die Jugend unter Hitler eine besondere Leidensgeschichte aufwies. Die
Aktion Stolpersteine, bei der vor dem früheren Wohnsitz von
Ermordeten kleine Erinnerungssteine gesetzt werden, kann sich als eine
wirkungsvolle Form des Erinnerns erweisen, die weit über
Jahrestage hinaus wirkt. Alternative Stadtrundgänge, nun
zumeist ohne Vertreter der Zeitzeugengeneration durchgeführt,
sind ebenso weiterhin Lernformen wie die weitere Arbeit mit
Ausstellungen aktuell bleibt. Die Erinnerungsarbeit mit den Beispielen
jugendlicher antifaschistischer Widerstandskämpfer soll daher
verstärkt werden. Der Studienkreis hat daher diese Ausstellung
zum Jugendwiderstand präsentiert. Ein
letztes Beispiel: Ebenfalls 17jährige wurde 1941 der
französische junge Kommunist und antifaschistische
Widerstandskämpfer Guy Móquet von den deutschen
Faschisten hingerichtet. In seinem Abschiedsbrief hat er etwas
geschrieben, was auch von Helmuth Hübener stammen
könnte. „17 ½ Jahre, mein Leben ist kurz
gewesen, aber ich bereue nichts, außer, dass ich Euch
verlassen muß,“ heißt es darin.
Präsident Nicolai Sarkozy hat, nachdem ihm eine
Schülerin diesen Brief vorgelesen hat, angeordnet, dass der
Brief des jungen Kommunisten Guy Móquet jedes Jahr in allen
Schulen vor Schulbeginn vorgelesen wird. Etwas Vergleichbares hat es in
unserem Land nicht gegeben. Dabei würden sich die Texte von
Helmuth Hübener sehr dafür eignen. Das „Hamburger
Abendblatt“ berichtete am 30.10.12 über
das Gedenken an Helmuth Hübener in der Hamburger
Sozialbehörde, unterstützt u.a. von der VVN-BdA. Hier
der Bericht: Erinnerung
an jungen Hamburger Nazi-Gegner Barmbek-Süd.
Die Hände auf dem Rücken gefesselt, mit
entblößtem Oberkörper wurde der Jugendliche
vor das Fallbeil geführt. "Er war ruhig und gefasst",
heißt es im Bericht des Ersten Staatsanwalts. Dann, etwa um
20.13 Uhr am 27. Oktober 1942, vollstreckte der Scharfrichter in
Berlin-Plötzensee das Todesurteil an dem Hamburger Helmuth
Hübener. Gerade 17 Jahre alt war der Lehrling der
Sozialbehörde, der jüngste deutsche
Widerstandskämpfer, der während der Nazi-Herrschaft
hingerichtet wurde. Mit drei Freunden hatte
Hübener britische Rundfunknachrichten abgehört und in
Hammerbrook Flugblätter verteilt, in denen die vier Hitler
Volksverhetzung vorwarfen und vor den Folgen des Krieges warnten. 70
Jahre nach der Vollstreckung des Todesurteils erinnerte gestern die
Sozialbehörde gemeinsam mit der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes in einer Gedenkstunde an ihren jungen, früheren
Mitarbeiter. "Wir wollen dazu beitragen, dass dieser
außergewöhnliche junge Mann nicht in Vergessenheit
gerät", sagte Sozialsenator Detlef Scheele. Ein solcher Mensch
verdiene einen Platz in der deutschen Geschichte. Dabei
war Helmuth Hübener eigentlich ein relativ normaler Hamburger
Junge, der zunächst sogar wie so viele der Hitlerjugend
beigetreten war: Er wird am 8. Januar 1925 geboren und wächst
in einer Arbeiterfamilie auf. Wie die Mutter und Großmutter
gehört er der Glaubensgemeinschaft der Mormonen an. Das Hetzen
gegen Juden lässt ihn schon mit 16 Jahren zweifeln, beschreibt
Hübener-Biograf Ulrich Sander den Beginn des Widerstands.
Hübener kann sich 1941, schon als Verwaltungslehrling, ein
Radio besorgen, um deutschsprachige Sendungen der BBC zu
hören. Die Infos daraus stellt er in Kontrast zu den
offiziellen deutschen Verlautbarungen über das
Kriegsgeschehen. In den Hausfluren Hammerbrooks verteilen die vier
Jugendlichen dann Flugblätter. Zunächst sind die
Schriften eher kurz: "Nieder mit Hitler", heißt es da.
Später informieren die vier Hamburger Jugendlichen
über die vielen zivilen Opfer der deutschen Luftwaffe - etwa
in Rotterdam oder Warschau. Als der junge Verwaltungslehrling im
Februar 1942 einem Kollegen von der gefährlichen
Flugblattverteilung erzählt, wird er von seinem Vorgesetzten
beobachtet und denunziert. Die Gestapo verhaftet die vier,
verhört sie brutal - weil man erwachsene Hintermänner
vermutet. Am 11. August fällt der Volksgerichtshof in Berlin
sein Urteil. Die Freunde werden zu langen Haftstrafen verurteilt,
Hübener zum Tode. Sein gnadenloser Richter wird nach dem Krieg
nie zur Rechenschaft gezogen, sein Vorgesetzter, der ihm an die Gestapo
verraten hat, wird in den 1950er-Jahren freigesprochen. Heute
erinnert unter anderem die Helmuth-Hübener-Stadtteilschule in
Barmbek-Nord an den jungen Hamburger. Helmuth Hübener sei
für die Schüler heute ein großes Vorbild,
weil er sich so "mutig und konsequent gegen Unrecht gewehrt hat", sagte
die Schülerin Ashley Dandzo während der
Gedenkveranstaltung. (at) Auf der Veranstaltung am 29. 10. 12 in der Hamburger Sozialbehörde Ulrich
Sander, VVN-BdA-Bundessprecher, am 29. 10. in der Sozialbehörde
Hamburg diese Rede zum 70. Todestag von Helmuth Hübener, der am
27.10.42 als jüngster vom VGH verurteilter Widerstandskämpfer
in Plötzensee ermordet wurde. Als ich zum ersten Mal
von Helmuth Hübener hörte, war ich so alt wie er war, als er
begann, seine Flugblätter zu schreiben. Also 16 Jahre. Ich
las das Todesurteil vom 11. August 1942 in einem Heft, das ein
Mitstreiter meiner Lehrerin Lisa Niebank, der Journalist und
Widerstandskämpfer Franz Ahrens herausgegeben hat, Das Urteil
hatte er in den Wiedergutmachungsakten gefunden. Das Urteil hat
mich sehr beeindruckt. Die Nazirichter schilderten darin sehr genau die
große Widerstandsleistung und den Mut wie die Klugheit Helmuth
Hübeners. Er war ein so gefährlicher Gegner für sie,
dass sie ihn zum Tode verurteilten. Er war mit 17 Jahren ihr
jüngstes Opfer. Er war – wie es hieß – wie ein
Erwachsener zu behandeln. Ja, man vermutete eine große
Widerstandsbewegung hinter Helmuth Hübener, hinter Rudolf Wobbe,
Karl-Heinz Schnibbe und Gerd Düwer. Wir haben dann in der
Geschwister Scholl Jugend Hamburg, einer Jugendgruppe von Kindern von
NS-Verfolgten und Widerstandskämpfern, darüber gesprochen.
1960 bildeten wir eine Arbeitsgruppe, um Kurzbiographien junger
Widerstandskämpfer zu verfassen. Ich übernahm es, über
Helmuth Hübener zu schreiben. Es begann eine Spurensuche, die nun
schon über fünfzig Jahre währt. Ich habe Lehrer
und Mitschüler, Geschwister und Mitkämpfer Hübeners
interviewt, und fand zusammen mit Franz Ahrens Material über die
Kontakte Hübeners zu jungen Arbeitern in Altona, die aus
kommunistischen Familien kamen. Als diese sämtlich in die
Wehrmacht eingezogen worden waren, machte Hübener allein weiter:
Er hörte Auslandssender ab. Bald ging er einen Schritt weiter, er
verbreitete die Nachrichten schriftlich mit vielen Durchschlägen.
Und er suchte sich neue Mitstreiter. Ich schrieb namens unserer
Jugendgruppe Briefe an viele Leute und Institutionen, von denen wir uns
Hilfe erhofften: "Wir sind der Ansicht, daß Hübeners Taten
gegen Krieg und Faschismus sicher genauso bemerkenswert ist, wie die
der `Weißen Rose'. Wie die Münchener Studenten fand auch er,
der 17jährige Hamburger Junge, zu den Idealen der Menschlichkeit
und verteidigte diese inmitten einer Welt der Gewalt und des Krieges.
Sein Handeln ist heute fast vergessen. Keine Straße wurde nach
ihm benannt, kein Stein wurde ihm gesetzt, kein Buch für ihn
geschrieben. Was in unseren Kräften steht, wollen wir tun, damit
der Mantel des Vergessens sich nicht ganz über ihn und jene Zeit
ausbreitet, damit der heutigen Jugend ein Vorbild erhalten bleibt,
welches endlich den Weg weist zu einer Zukunft des Friedens und der
Menschlichkeit. Bitte helfen Sie uns dabei." Soweit unser Brief der
Geschwister Schpll Jugend von 1960. Manche halfen und manche auch
nicht, eher nicht. Und das Buch wurde geschrieben, zwei Straßen
in Hamburg nach ihm benannt. Die Dauerausstellung in der Zentralen
Ausbildungsstätte kam hinzu. Und dann vor einem Jahr eine Schule!
Und dann das Lesebuch! (Es erschien zu Jahresanfang mit einem Abschnitt
über „Widerstand“ und „Hübener“ in
der Reihe doppel-klick bei Cornelsen) Schließlich gründeten
Traute Sander geb. Burmester und andere Töchter von vor wie nach
1945 verfolgten Antifaschisten die Gruppe „Kinder des
Widerstandes“, damit unsere Eltern nicht vergessen oder weiter in
ein faslsches Licht gerückt werden. Damals las ich die
"Reportage unterm Strang geschrieben" von Julius Fucik, dem Prager
Journalisten und Widerstandskämpfer, den die Nazis – wie
Helmuth - in Plötzensee ermordeten. In seiner insgeheim in
Gestapohaft geschriebenen Reportage heißt es an einer Stelle:
"Die ihr diese Zeit überlebt, vergeßt nicht. Vergeßt
die Guten nicht und nicht die Schlechten. Sammelt geduldig die
Zeugnisse über die Gefallenen. Ich möchte, daß man
weiß, daß es keine namenlosen Helden gegeben hat. Sucht
euch wenigstens einen von ihnen aus und seid stolz auf ihn.“ Ich
suchte mir Helmuth Hübener als einen solchen Menschen aus. Und ich
möchte dafür danken, dass er auch bei seinen
Arbeitskolleginnen und –kollegen, bei Euch also nicht vergessen
wurde. Schon seit den 50er Jahren veranstaltete die Jugendbehörde
Gedenktage für Helmuth Hübener, allerdings wurde dieser
Brauch nicht über die sechziger Jahre hinaus beibehalten. Doch nun
haben wir wieder so eine Veranstaltung hier in der Behörde. Drei
lange Jahre dauerte es, bis ich Helmuths Akten kennenlernen durfte. Die
Behörden in Hamburg und in Berlin/West, wo die Akten lagerten,
weigerten sich zu helfen. Es war die Zeit, da hohe Nazis noch in allen
Ämtern saßen. Da war man nicht daran interessiert, dass
Namen bekannt würden – nicht von Opfern, schon gar nicht von
Tätern. Einen Teil der Akten besorgte das Komitee der
antifaschistischen Widerstandskämpfer aus Beständen der DDR.
In Hamburg aber redeten die Behörden sich darauf raus, daß
die Geschwister Scholl Jugend nicht „anerkannt" sei. Ein Amtsrat
Bugdahn vom Personalamt des Hamburger sagte mir, die dortige
Hübener-Akte sei "top secret". Die Behandlung unserer
Jugendgruppe als „extremistisch“, löste den Protest
des Vaters der Geschwister Scholl, Oberbürgermeister i.R. Robert
Scholl, aus. Dieses Vorgehen, so schrieb er uns, "zeigt, daß die
restaurativen Kräfte aus dem Dritten Reich sich wieder
überall regen dürfen und salonfähig geworden sind. Desto
wichtiger ist es, daß Sie die Jugend ... darüber
aufklären, was heute schon wieder gespielt wird und sie dabei zu
selbständigem, kritischem Denken erziehen." Ich gab nicht
auf, beschaffte mir Akteneinsicht. Aber das war schwierig. Es war nicht
erwünscht. Das was uns viele Ältere und viele aus Helmuths
Generation immer wieder sagten: Man konnte nichts wissen und nichts
tun! das wurde von Helmuth und seinen Freunden widerlegt. Allerdings
zeigte ihr Schicksal auch, welche Gefahr jenen drohte, die sich
wehrten. Deshalb ist für uns eine Lehre aus jener Zeit auch immer
gewesen: Es gilt, sich rechtzeitig gegen alte und neue Nazis, gegen die
Beseitigung der Demokratie und gegen den Krieg zu wehren, damit das
sich Wehren nie mehr lebensgefährlich wird. Denn dann ist es zu
spät. Helmuth Hübener ist sehr aktuell. Er hatte in
Flugblättern gewarnt: „Zu Tausenden wird Hitler Eure
Frauen und Kinder zu Witwen und Waisen machen, und der von Hitler
begonnene Bomberkrieg wird unzähligen Deutschen das Leben
kosten.“ Die da Hübeners Flugblätter 1941 und 1942 bei
der Polizei abgaben und ihre Nachbarn verdächtigten, sie
geschrieben zu haben, sie lebten zumeist 1943 nicht mehr. 35.000
Menschen aus Hamm, Hammerbroock und Rothenburgsort starben in einer
Nacht ein knappes Jahr nachdem das Urteil gegen Hübener
vollstreckt worden war. Wenn wir heute durch diese Stadtteile gehen,
finden wir an vielen Häusern die Tafel "Zerstört 1943,
wiederaufgebaut 195.." Auf mich wirken diese zahllosen Tafeln wie ein
einziges großes Antikriegsdenkmal. Die Summe dieser Tafeln
bestätigt die Warnung Hübeners. Ja, die Mahnung von
Helmuth Hübener ist heute aktuell: „Wenn alles sich
rührt, haben die Nazis auskalkuliert,“ heißt es einem
Gedicht von ihm: Daher meine ich, es gilt sich gegen neuen Ungeist,
neue Nazis, neuen Rassismus, neue Kriege zu rühren. In seinem Sinne sollten wir wachsam sein. |