03.09.2012 Endlich ohne Naziaufmarsch Dortmund:
Polizei setzt Verbot des »Nationalen Antikriegstag« durch /
Oberbürgermeister Sierau warf Antifas und Rechte in einen Topf Zum
ersten Mal seit acht Jahren blieb Dortmund der gleichsam schon
traditionelle »Nationale Antikriegstag« nebst
Großaktionen von Nazis erspart: Das Bundesverfassungsgericht
ließ ein Aufmarschverbot bestehen, die Polizei setzte es durch. Von Marcus Meier, Dortmund, Neues Deutschland vom 03.09.2012 Sieben
Jahre lang hatten Anhänger des »Nationalen Widerstands
Dortmund« zusammen mit Kameraden aus allen Teilen der Republik
durch Dortmunds Straßen marschieren und Parolen wie
»Nationaler Sozialismus jetzt« skandieren dürfen.
Sieben Mal beklagten sich danach Nazi-Gegner aus allen Lagern, die
Polizei sei allzu manisch darauf erpicht, den Nazis einen
ungestörten Aufmarsch zu ermöglichen oder gehe allzu rabiat
mit Menschen um, die dagegen protestieren. Und nun war alles so
einfach: Mitte August wurden die drei wichtigsten Nazi-Organisationen
in NRW, darunter der 62 Mitglieder starke »Nationale Widerstand
Dortmund«, verboten. Am Freitag ließ das
Bundesverfassungsgericht das Aufmarschverbot diverser niederrangiger
Gerichte bestehen. Ein eher ungewöhnlicher Schritt, doch der
Anmelder kam aus dem verbotenen »Nationalen Widerstand«. Offenbar
wollte auch Christian Worch - nicht mehr gänzlich unumstrittener
Mastermind der Ultrarechten - nicht für seine Kameraden in die
Bresche springen. Gerüchte, denen zufolge der im Versammlungsrecht
Erfahrene als Ersatz-Demonstrationsanmelder einspringen und so ein
Verbot umgehen könnte, bewahrheiteten sich nicht. So blieb
Dortmunds Innenstadt tatsächlich beinahe nazifrei. Die
Polizei setzte das Verbot eines Konzerts am Freitag und einer
Demonstration am Samstag durch, hatte Bereitschaftspolizisten aus
mehreren Bundesländern angefordert und musste lediglich zwei Nazis
festnehmen. Mit dem Anlass entfielen auch die ganz großen
Gegenaktionen. Dennoch demonstrierten ein- bis zweitausend Menschen am
Samstag gegen Nazis und für Demokratie und Toleranz. Im von Nazis
stark heimgesuchten Stadtteil Dorstfeld fand zudem ein
»Friedensfest« statt. Das Bündnis »Dortmund
nazifrei«, das von Menschen aus Gewerkschaften, Kirchen, SPD,
Grünen, Linkspartei und Piraten unterstützt wird, freute sich
über einen »sehr bunten und friedlichen Tag«. Herrscht
nun eitel Sonnenschein? Nicht ganz. Die wissenschaftliche Leiterin von
»Back Up«, der ortsansässigen Beratungsstelle für
Opfer von Nazigewalt, wirft den Behörden vor, zu spät
repressiv gegen die Dortmunder Naziszene vorgegangen zu sein. Zwar
stünden die Dortmunder Nazis nach dem Verbot ihrer Organisation
zunächst »vor dem Nichts«. Doch habe »die
Polizei hier jetzt nichts gemacht, was sie vor drei Jahren nicht schon
hätte tun können. Das war ein schweres
Versäumnis!«, so Claudia Luzar gegenüber der
»Westdeutschen Allgemeinen Zeitung«. Nach Luzars Aussage
sind viele der von »Back Up« beratenen Opfer
tatsächlich von Tätern aus dem Umfeld des »Nationalen
Widerstandes« angegriffen worden. Am Samstag schoss zudem
Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) einen kapitalen Bock.
Dortmund brauche in Sachen Antifaschismus keine Belehrungen von
auswärtigen Demonstranten, rief er autonomen Antifas zu, die
Sieraus Rede auf dem Dorstfelder Friedensfest mit
»Heuchler!«-Rufen störten. Sierau hatte zuvor ein
zehntägiges Antifacamp massiv be-, Aktionen zum Teil verhindern
lassen. »Wir können auch Mitgliedern aus dem
Alerta!-Bündnis helfen, aus der Szene auszusteigen«, warf
Sierau Linke aus dem antifaschistischen Bündnis und Nazis in einen
Topf. Jahrelang hatten Nazis Andersdenkende terrorisiert, mehrere
Morde gingen auf ihr Konto. Von den Behörden mit Samthandschuhen
angefasst, proklamierten die Gewalt-Nazis Dortmund als »unsere
Stadt«. Doch der zivilgesellschaftliche Widerstand wuchs, teils
von oben unterstützt. Anfang des Jahres wurde der als extrem
unfähig empfundene Polizeipräsident durch einen neuen Besen
namens Norbert Wesseler ersetzt. Das Verbot des »Nationalen
Widerstandes« und des »Nationalen Antikriegstages«
seien begrüßenswert, aber »auch das Ergebnis von
sieben Jahren kontinuierlicher antifaschistischer Arbeit in
Dortmund«, betonte eine Sprecherin des
»Alerta!«-Bündnisses. Stadt und Polizei seien
gezwungen gewesen, auf den Druck von antifaschistischer Seite zu
reagieren. Nun sei eine »inhaltlich-politische Auseinandersetzung
mit den Nazis sowie dem Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft«
erforderlich. |