03.09.2012 Wer sind die „Kinder des Widerstandes“ Rede
von Traute Sander, Mitinitiatorin der Gruppe „Kinder des
Widerstandes, am 1.9.12 – Antikriegstag – in
Dortmund-Hörde. Wer sind wir? Unsere Gruppe entstand
auf Initiative von vier Frauen, alle vier Töchter von
Widerstandskämpfern und –kämpferinnen. Der Name der
Gruppe ist Programm: „Kinder des Widerstandes“ wollen dem
antifaschistischen Kampf ein persönliches Gesicht geben, zeigen
was Widerstand, Verfolgung, Inhaftierung, Folter und Terror für
den einzelnen Menschen und dessen Familien bedeutete. Und zwar vor wie
nach 1945. Unsere Eltern waren empört darüber, dass
Altnazis auf allen Ebenen z.B. Richter, Staatsanwälte, Minister
– sogar als Staatsoberhaupt – nach 1945 wieder in Amt und
Würden kamen. Sie waren empört darüber, dass es erneut
zu einer Wiederbewaffnung kam. Viele unserer Eltern und
Großeltern wurden in der Zeit des Kalten Krieges nochmals
verfolgt. Warum melden wir uns jetzt? - Weil die Zeitzeugen zumeist nicht mehr unter uns sind und wir in ihrem Sinne weitermachen wollen.
Wir melden uns jetzt - Weil viel Unkenntnis über den Widerstand im Faschismus besteht und die Geschichte oft verfälscht wird.
Wir melden uns jetzt - Weil die Nazis immer mehr und aggressiver werden.
- Wir müssen vor dem geschichtlichen Hintergrund verdeutlichen, was Faschismus bedeutet.
Was wollen wir? - Wir als Nachkommen wollen die Erfahrungen und Einschätzungen im Kampf gegen Faschismus und Neofaschismus weitergeben.
- Viele
unserer Eltern sind nach 1945 weiter diskriminiert worden. Wir setzen
uns dafür ein, dass sie ihre Würde und Anerkennung
zurückerhalten und rehabilitiert werden.
- Wir suchen weiter
nach Nachkommen von Widerstandskämpfern, um ihre persönlichen
Geschichten zu hören, aufzuschreiben. Aber auch um weitere
Mitstreiter zu bekommen.
Wir mischen uns ein. Auch
die Kinder und Enkel der Betroffenen hatten - infolge der Leiden ihrer
Verwandten - mitzuleiden: Denn die Familien der Opfer litten oft
materielle Not, die Kinder und Enkel, also die aus der 2. und 3.
Generation, waren betroffen von psychischen Schäden und
Traumatisierungen, sie waren im Bildungswesen, in Schule und
Gesellschaft Diskriminierungen bis hin zu Berufsverboten ausgesetzt.
Sie galten als Kinder von "Vorbestraften". Auch in der
Erinnerungsarbeit der Gedenkstätten für Opfer des NS-Unrechts
werden die Vertreter der 2. und 3. Generation oftmals abgewiesen. Man
erklärt ihnen ungeschminkt: Euer Anspruch auf Mitsprache in der
Gedenkarbeit ist verwirkt. Genugtuung darüber, dass Zeitzeugen
sich nicht mehr einmischen können, ist unverkennbar. Doch wir
mischen uns ein. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
Beschluss vom 4. November 2009 erklärt: "Angesichts des
einzigartigen Unrechts und des Schreckens, die die
nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile der
Welt gebracht hat", sind das Grundgesetz und die Entstehung der
Bundesrepublik Deutschland "geradezu als Gegenentwurf" zum
nationalsozialistischen Regime zu verstehen.“ "Das bewusste
Absetzen von der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus war
historisch zentrales Anliegen aller an der Entstehung wie
Inkraftsetzung des Grundgesetzes beteiligten Kräfte." (Aus den
Leitsätzen zum Beschluss des Ersten Senats vom 04.11.2009 - 1 BvR
2150/08). Die Gegnerschaft zur Naziherrschaft ist demnach Verfassungsgebot und Staatsdoktrin. Dem sehen wir uns verpflichtet. „1933
wäre verhindert worden, wenn alle Hitlergegner die Einheitsfront
geschaffen hätten. Dass sie nicht zustande kam, dafür gab es
(…) nur eine einzige Entschuldigung: Sie hatten keine Erfahrung,
was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht ist. Aber heute
haben wir alle diese Erfahrung. Heute muss jeder wissen, was Faschismus
bedeutet. Für alle zukünftigen Generationen gibt es keine
Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus nicht
verhindern.“ (Peter Gingold, der Vater von Alice Czyborra,
in seinen Lebenserinnerungen) |