30.08.2012 Mit Panzern gegen Demonstranten – Der Kampf der Bundeswehr im Landesinnern Das
Bundesverfassungsgericht hat den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im
Landesinneren für verfassungsgemäß erklärt. Es
überschritt seine Kompetenzen, denn die Verfassungsänderung
– und dies ist eine – ist dem Bundestag mit zwei Drittel
Mehrheit vorbehalten. Im Folgenden habe ich nachgezeichnet, wie die
Bundeswehr seit Jahren illegal Aufgaben okkupiert, die mit der
Verfassung nicht im Einklang stehen. Diese meine Darstellung ist
unvollständig, z.B. konnte der große Bereich der faktischen
Wehrkunde an Bildungseinrichtungen hier nicht behandelt werden. Von Ulrich Sander »Jederzeit, an jedem Ort« Es
war kurz vor Mitternacht im Reichstagsgebäude. Gewichtiges war zu
verhandeln, dennoch wurde es in der Tagesordnung des Bundestages ganz
nach hinten geschoben. An diesem 17. Februar 2005 wurde das Gesetz
über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur
Rechtsbereinigung des Wehrpflichtgesetzes beschlossen. Kern des
Gesetzes: Das Alter, bis zu dem Reservisten einberufen werden
können, steigt von 45 auf 60 Jahre. Aber geregelt wird darin auch
der Einsatz von Reservisten im Krieg und im Inneren des Landes. Ohne
mündliche Aussprache - und fast ohne Berichterstattung der Medien
- ging der Beschluss im Bundestag über die Bühne. Im Ergebnis
zeigt sich, dass die Bundeswehr mit der Aussetzung der Wehrpflicht
nicht kleiner, sondern größer wird. Und sie wird auch nicht
billiger. Petra Pau, eine der beiden damaligen PDS-Abgeordneten,
führte in ihrer schriftlich einge-reichten Rede aus:
»Reservistinnen und Reservisten sollen in den Umbau der
Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer weltweit agierenden
Interventionsarmee aktiv einbezogen werden.« Es handelt sich laut
Bundeswehr um mindestens 550.000 einsatzbereite Reservisten. Pau
weiter: »Mit (dem) Gesetzentwurf wollen Sie (die
Befürworter) den Einsatz der Bundeswehr im Inneren der
Bundesrepublik Deutschland vorbereiten. Sie weisen Reservistinnen und
Reservisten entsprechende Aufgaben zu.« Über zwei Jahre
später meldet die Bundeswehrzeitschrift »Y«:
»Seit Jahresbeginn stellt sich die Bundeswehr in der Fläche
der Republik neu auf.« Sie zitiert den damaligen Minister Franz
Josef Jung (CDU): »Die flächendeckende Einführung der
Zivilmilitärischen Zusammenarbeit im Inland stellt sicher, dass
die Bundeswehr in unsrer Heimat jederzeit und an jedem Ort unseres
Landes Hilfe und Unterstützung leisten kann.« Der
Einsatz der Bundeswehr im Innern kam durch die Hintertür und auf
leisen Sohlen. Doch sie ist inzwischen längst auf die Situation
eingestellt, für die das Bundesverfassungsgericht nun den Weg
freigemacht hat: den bewaffneten Einsatz im Innern. Im Artikel 35 des
Grundgesetzes ist für den Einsatz der Bundeswehr im Innern nur
vorgesehen: »Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem
besonders schweren Unglücksfall« (Artikel 35, Absatz 2). Die
Regierung arbeitet nun mit dem schwammigen Begriff
»Terroranschläge«, bei denen Reservisten zur Waffe
greifen sollen. Spätestens am 29. August 2009 wäre
folgende Schlagzeile in den Medien fällig gewesen:
»Bundesregierung will mit Bundeswehr Streiks
bekämpfen«. Eine Antwort der Bundesregierung an die LINKE
vom 28. August legt den Schluss nahe, dass die Kampfbedingungen der
Gewerkschaften eingeschränkt werden sollen. Denn zumindest im
öffentlichen Dienst ist nun auch der Einsatz von Streikbrechern
aus den Reihen der Bundeswehr denkbar geworden. Das
Bundesverteidigungsministerium schließt in der Antwort nicht aus,
dass Zivil-Militärische-Zusammenarbeits-Kommandos bei
Demonstrationen zum Einsatz kommen. Sie umfassen derzeit 4.380
Dienstposten, ihre Aufstockung und der Zugriff auf andere Reservisten
in ungenannter Zahl stehen bevor. Ein solcher Einsatz obliege allein
den Landesbehörden, heißt es. Selbst der Militäreinsatz
anlässlich von Streiks im Transport-, Energie- oder
Gesundheitswesen sowie bei der Müllabfuhr wird nicht
ausgeschlossen - eine Entscheidung darüber sei »dem
jeweiligen Einzelfall vorbehalten«. Die Bundestagsabgeordnete der
LINKEN, Ulla Jelpke, sagte dazu: »Die Bundesregierung hält
sich damit alle Optionen für den Militäreinsatz im Inneren
offen. Die ZMZ-Kommandos wirken gleichsam als militärische
Vorauskommandos, die schleichend in die zivilen Verwaltungsstrukturen
einsickern. Das Konzept der ZMZ läuft damit letzten Endes auf
einen offenen Verfassungsbruch hinaus.« Mit Panzern gegen Demonstranten Als
verheißungsvoll wird die Änderung der
Wehrpflichtgesetzgebung seit 2005 vom Deutschen Reservistenverband
aufgenommen. 123.000 der willigsten und aktivsten Militaristen sind in
ihm - gesponsert von der Bundeswehr - vereinigt. Sie versichern,
»sich militärisch, körperlich und geistig fit zu
halten«, um sich jederzeit in den Streitkräften zu
engagieren, ob im In- oder Ausland. In allen Landkreisen und
kreisfreien Städten gibt es inzwischen ZMZ-Inneres-Kommandos der
Bundeswehr. Der Reservistenverband hat sich in diesen Kommandos
verankert, in denen er Einfluss nimmt auf Polizei, Feuerwehr und
Verwaltung. Er hat darin eine Hausmacht, und mit ihr viele
rechtslastige Kader. Diese Kommandos mit 4.500 Reserveoffizieren sind
innerhalb einer Stunde einsatzbereit. Die
»Zivilmilitärische Zusammenarbeit« von Bundeswehr,
Polizei, Geheimdiensten, Katastrophenschutzorganisationen und anderen
Institutionen ist in den letzten Jahren mit Krisenstäben und
Kreiskommandos in allen deutschen Landkreisen und kreisfreien
Städten etabliert worden. Wer heute einsatzfähiger und
ausgebildeter Reservist ist, und das sind weit über eine halbe
Million Männer im Alter bis zu 60 Jahren, der muss nicht nur wie
bisher mit Einberufungen zu Übungen rechnen, sondern mit
Einsätzen wie in Heiligendamm im Jahr 2007 - die Süddeutsche
Zeitung titelte: »Mit Panzern und Jets gegen Demonstranten«
- und am Hindukusch. Reservisten gehörten bereits zu den
Gefallenen. Neben dem Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum in Berlin-Treptow
wurde im Bundesinnenministerium für die »Zuständigkeit
für Terrorismus und Extremismus die neue Abteilung
>Öffentliche Sicherheit geschaffen« (FAZ vom 20.7.08).
Die Befehlshaber der Wehrbereichskommandos der Bundeswehr befehligen
als Landeskommandeure gleichzeitig die Beauftragten der Bundeswehr
für zivilmilitärische Zusammenarbeit (BeaBwZMZ) in allen
Landkreisen und kreisfreien Städten. Ohne viel Aufhebens zu
machen, erobert somit die Bundeswehr Positionen in Ministerien,
Rathäusern und Landratsämtern. Die letzten
Verteidigungsbezirkskommandos der Bundeswehr aus der Zeit der
Blockkonfrontation sind in den westlichen Bundesländern in den
Jahren 2006 und 2007 aufgelöst worden. Im »Ernstfall«
sollten sie helfen, die Reserven zu mobilisieren und den Objektschutz
und den Luftschutz zu gewährleisten. An ihre Stelle sind die
Bezirks- und Kreisverbindungskommandos in den Städten und
Landkreisen getreten - der Begriff Verteidigung taucht nicht mehr auf,
dafür heißt es jetzt »Heimatschutz«. Ein
Oberst vermittelt nun den Regierungspräsidenten, Landräten
und Oberbürgermeistern den sogenannten militärischen Service.
»Das ist die militärische Kompetenz, auf die sie sich bei
Katastrophen und besonders schweren Unglücksfällen
stützen können«, wird in Bundeswehr-Publikationen
bestätigt. Die Urkunden für die ZMZ Inneres wurden in der
Regel Oberstleutnants der Reserve, möglichst solchen, die im
öffentlichen Dienst tätig und somit innerhalb einer Stunde
abkömmlich sind, überreicht. Praktischerweise beziehen sie
Büros in Rathäusern und Landratsämtern. Die einzelnen
Verbindungskommandos bestehen aus jeweils zwölf Soldaten, die in
der Region leben und die zivilen Verwaltungen in militärischen
Fragen beratend unterstützen, wie es heißt. In Bremen wurde
jetzt erstmals ein Modell erprobt, mit dem das ZMZ-Landeskommando RSU
(Regionale Sicherungs- und Unterstützungskräfte aus
Reserveangehörigen) in erheblicher Zahl heranziehen kann. So soll
es in allen Bundesländern gemacht werden. Dafür haben sich
bundesweit bis Juli über 3.200 Männer und Frauen gemeldet.
Sie sind Grundstock für Heimatschutzverbände unter dem Motto
»Tu was für Dein Land«. Nun heißt es innerer Friede Die
Regierenden haben in den letzten Jahren immer wieder betont: Die
Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit seien von
gestern. Verteidigungsminister Thomas de Maiziere übernahm von
seinen Vorgängern - darunter Wolfgang Schäuble - die
Konzepte, geht aber vorsichtiger zu Werke, besonders mit Worten: Innere
Sicherheit heißt nun innerer Friede. Die Pläne für den
Abschuss von Zivilflugzeugen, die unter »Terrorverdacht«
stehen, schreiten voran. Die »Neue Rhein/Ruhrzeitung« aus
der WAZ-Gruppe berichtete von der Herbstübung 2011 im
Luftstreitkräfte-Hauptquartier Kalkar-Uedem: »Wir haben sie
abgeschossen«, sagte der General über die Vernichtung eines
angeblich von Terroristen gekaperten Zivilflugzeugs. Dass dies illegal
ist, interessiert offenbar nicht. Auf Bundesebene wurden
integrierte Polizei-, Geheimdienst- und Militärbehörden wie
das »Gemeinsame Terrorabwehrzentrum« in Berlin geschaffen.
Erstmals seit 1945 sind dort wieder Militär, Geheimdienste und
Polizei zusammengefasst. Auf den Ebenen darunter wurden zahlreiche
Gremien zur »Beratung« geschaffen. Doch die
»Beratung« ist höchst verbindlich. In den
Krisenstäben der Städte und Kreise haben die
Verbindungskommandeure auf ihre militärischen Vorgesetzten zu
hören, nicht aber auf die Bürgermeister und Landräte.
Ȇbergeordnete Stellen sind der Kommandeur des
Landeskommandos, der Befehlshaber des Wehrbereichskommandos, der
Befehlshaber des Streitkräfteunterstützungskommandos
Köln und der Bundesverteidigungsminister in Berlin«, teilte
der Göttinger Landrat Reinhard Schermann den fragenden
Abgeordneten der LINKEN im Kreistag mit (Brief vom 26.11.2007). Gegenüber
den zivilen Behörden werden die Bundeswehrstellen per
»Amtshilfe« tätig. Das ist ein Begriff aus dem Artikel
35 GG zur gegenseitigen Unterstützung von Behörden. Der
Einsatzchef der Polizei durfte beim G-8-Gipfel in Heiligendamm 2007 die
Tornados anfordern - und zwar »per Amtshilfe«. Der
höchst brisante Vorgang, dass erstmals bewaffnete
militärische Kräfte gegen Demonstrationen eingesetzt wurden,
wurde nicht etwa der Bundesregierung zur Entscheidung vorgelegt. Die
Polizeieinsatzführung durfte gemäß der rot-roten
mecklenburg-vorpommerschen Polizeigesetzgebung Tornados anfordern. Im
Unklaren wird die Öffentlichkeit noch gelassen, auf welche
Ausrüstung die Kommandos der Zivilmilitärischen
Zusammenarbeit zurückgreifen dürfen. Bemerkenswert ist,
dass die Mehrzahl der Reservistenübungen bei den Feldjägern,
aber auch bei den Pionieren abgehalten wird. Auf die Planung von
Maßnahmen gegen Demonstranten - angeblich dürfen sie auch
nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht militärisch
bekämpft werden - entwickeln Bundeswehr- und Reservistenkader
erhebliche Aktivitäten. Aus Blättern der
Reservistenverbände aus Kulmbach und Jena erfuhren wir am 12.
No-vember 2009: Ein Bürgerkriegsmanöver im bayerischen
Schwarzenbach am Wald fand mit großer Reservistenbeteiligung
statt. Dabei wurde der Umgang mit demonstrierenden Friedensaktivisten
sowie die Verteidigung einer inländischen Radarstation gegen
schwer bewaffnete Terroristen trainiert. Das Manöver widerlegte
die von Berlin vorgebrachte Behauptung, die Zivilmilitärische
Zusammenarbeit im Inland diene nur der Hilfeleistung bei besonders
schweren Unglücksfällen und Naturkatastrophen. Soldaten gegen
Demokraten - das hatten wir schon. Der
Beitrag von Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA, wurde im
„Neuen Deutschland“ vom 28./29./30. August
veröffentlicht, und er erscheint hier mit freundlicher Genehmigung
des ND und des Autors. |