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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

18.08.2012

Urteil des Bundesverfassungsgerichts kippt bisherige Rechtslage

Einfallstor für Bundeswehreinsätze im Inneren

Das Urteil des BVerfG zu den Bundeswehreinsätzen im Inneren wird in der Friedensbewegung heftig verurteilt. Hier die Erklärung de Bundesausschusses Friedensratschlag. Darunter die der dfg/vk, der Deutschen Friedensgesellschaft.

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Urteil des Bundesverfassungsgerichts kippt bisherige Rechtslage

Einfallstor für Bundeswehreinsätze im Inneren

Kassel, 17. August 2012 - Zum heutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)  erklärte der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag in einer ersten Stellungnahme:

Mit dem heutigen Urteil macht das BVerfG eine Kehrtwende in seiner eigenen Rechtsprechung: Noch vor sechs Jahren hatte das höchste deutsche Gericht ausgeschlossen, dass bewaffnete Streitkräfte auch im Inneren eingesetzt werden dürften. Damit kassierte das Gericht das Luftsicherheitsgesetzes des Bundes, das es der Bundeswehr erlauben sollte, in Zusammenhang mit der Terrorbekämpfung notfalls auch Luftfahrzeuge abzuschießen, in denen sich unbeteiligte Zivilpersonen befinden. "Die Regelung", so hieß es unzweideutig, "ist in vollem Umfang verfassungswidrig und infolgedessen ... nichtig."

Zwei Grundsätze des damaligen Urteils waren den Richter/innen besonders wichtig:

Erstens wurde eine  Relativierung des Lebensrechts der Passagiere strikt ablehnt. In Randziffer 124 hieß es unzweideutig: "Sie (die Passagiere) werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht; indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt."

Zweitens verneinte das Urteil ein Recht der Bundesregierung, Bundeswehr auch im Inneren einzusetzen. Das Grundgesetz (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1) erlaubt es dem Bund nicht einmal, "Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen mit spezifisch militärischen Waffen einzusetzen", heißt es im zweiten Leitsatz des Gerichts.

Das alles soll seit heute nicht mehr gelten. Dieses Urteil ist verfassungspolitisch verheerend. Es besteht die dringende Gefahr, dass damit ein entscheidender Schritt getan ist, die strikte Trennung von Polizei und Bundeswehr, von innerer und äußerer Sicherheit aufzuheben. Diese Trennung gehört zu den wichtigsten Prinzipien des Bonner Grundgesetzes und war über 60 Jahre verfassungspolitischer Konsens in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist darüber hinaus ein Kennzeichen demokratischer Rechtsstaatlichkeit.

Auch politisch ist das Urteil verheerend. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte den Einsatz der Bundeswehr Im Inneren in ihrer Koalitionsvereinbarung festgeschrieben. Wenn jetzt zwar das BVerfG beschwichtigend darauf verweist, dass mit dem heutigen Urteil ein Bundeswehreinsatz z.B. gegen Großdemonstrationen nicht gemeint sei, werden die Versuche zunehmen, die Grenze zwischen Polizei- und Bundeswehreinsätzen zunehmend zu verwischen. Die Bundesrepublik Deutschland steht vor einem weiteren Schritt ihrer inneren Militarisierung. Dazu sagt die Friedens- und Demokratiebewegung eindeutig uns lautstark NEIN.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:

Peter Strutynski (Sprecher)

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Bundesausschuss Friedensratschlag
Germaniastrasse 14
34119 Kassel
Tel.: +49 (0)561 93717974

Website: http://www.ag-friedensforschung.de

Salamitaktik - Militarisierung schreitet voran

„Mit der heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, unter bestimmten Bedingungen bewaffnete Einsätze der Bundeswehr im Innern der Bundesrepublik für verfassungskonform zu erklären, schreitet die Militarisierung des Lebens der Bundesrepublik weiter voran.“ erklärte der Politische Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Monty Schädel.

„Nachdem in den vergangenen Jahrzehnten die Auslandseinsätze der Bundeswehr stetig ausgeweitet wurden und das Bundesverfassungsgericht ohne Änderung des Grundgesetzes dieses immer abgesegnet hat, findet jetzt eine weitere schleichende Uminterpretation des Verfassungstextes durch das oberste deutsche Gericht statt. Das Bundesverfassungsgericht schafft so erneut Fakten. Selbst wenn heute noch Bedingungen für Inlandseinsätze der Bundeswehr formuliert werden, bleibt zu befürchten, dass diese Bedingungen in Zukunft ähnlich aufgeweicht werden, wie seinerzeit die Bedingungen für die Auslandskriegseinsätze. Das Bundesverfassungsgericht hat wieder einmal seine Kompetenzen überschritten und mit der neue Interpretation die Verfassung geändert.“

Der DFG-VK-Bundessprecher wies darauf hin, dass es zum Einsatz der Bundeswehr in den vergangenen Jahrzehnten keinerlei Änderungen im Text des Grundgesetzes gegeben hat. Allein mit neuen Interpretationen des Textes durch das Bundesverfassungsgericht wurden Out-of-Area-Einsätze und Teilnahmen an Kriegen weltweit möglich - nach dem es militäraußenpolitisch so formuliert worden war. „Jetzt soll es offensichtlich um die gezielte Ausweitung von Militäreinsätzen im Innern gehen“ vermutet Schädel. In den vergangenen Jahren wurde immer wieder offen darüber diskutiert, gegen Massenproteste, Arbeitskämpfe oder Occupy Militär auch im Innern einzusetzen um politische Regierungsentscheidungen so zu untermauern. Teilweise fand der Einsatz von Bundeswehrsoldaten bereits mit fadenscheinigen Begründungen statt. „Offensichtlich haben die Regierenden die vielbeschworenen freiheitlich demokratische Grundordnung bereits aufgegeben, wenn sie offen mit Inlandseinsätzen des Militärs zur Lösung von Konflikten spekulieren. Das Bundesverfassungsgericht hat mit der heutigen Entscheidung eher zum Abbau der Demokratie in der Bundesrepublik beigetragen, als dass es das Grundgesetz geschützt hätte.“

Durch die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes fühlt die DFG-VK sich in ihrer Forderung nach Abschaffung es Militärs bestätigt. Das Vorhandensein des Militärs verführt Politik offensichtlich immer wieder dazu, das System von Befehl und Gehorsam für die Durchsetzung ihrer Interessen zu nutzen – selbst wenn sie sich demokratisch gebärdet.