07.08.2012 Der Verfassungsschutz als oberster Zensor im
Land Geheimdienstanschlag
auf die Förderungswürdigkeit der Demokratie Der Journalist und Bundessprecher der VVN-BdA
Ulrich Sander schrieb für die sozialistische Wochenzeitung
„Unsere Zeit“ die folgende Kolumne, die am 10. 8.
12 erscheinen wird. Er thematisiert die Bemühungen der
Bundesregierung wie auch einzelner Landesregierungen, die
Verfassungsschutzämter zu ermächtigen, demokratische
Organisationen und Bündnisse als „linksextremistisch
beeinflusst“ einzustufen, auf dass diese dann von der
Förderungswürdigkeit und von Steuerbefreiung
ausgeschlossen werden. Die Aufnahme einer Organisation und einer Person
in den VS-Bericht kann erhebliche Nachteile mit sich bringen
– der Gemeinnützigkeitsstatus kann abhanden kommen
und den Mitgliedern drohen existenzielle Probleme. Zudem wird dem
deutschen Widerstand der Respekt verweigert, aus dem die
VVN-BdA hervorging. Und all dies von einem VS-Amt, das von alten Nazis
aufgebaut wurde und derzeit im Fokus der Kritik steht, weil es neuen
Nazis sogar bei verbrecherischen Handlungen half. Nachfolgend
die Kolumne zu den demokratiefeindlichen VS-Aktivitäten und
drohenden gesetzlichen Regelungen gegen
„Linksextreme“. Geheimdienstanschlag auf die
Förderungswürdigkeit der Demokratie Von
Ulrich Sander In den Verfassungsschutzberichten der
Länder Bayern und Baden-Württemberg wird der
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/VVN-BdA vorgeworfen, sie sei
„linksextremistisch beeinflusst“. Dies wird mit
Formulierungen begründet wie: Sie agiere "auf der Basis des
klassischen kommunistischen Faschismusverständnisses, das
einen untrennbaren Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus
herstellt". Daher sei die aus dem Widerstand hervorgegangene
Organisation nicht förderungswürdig,
erklären Regierende. Es ist historisch durchaus korrekt, dass
es einen engen Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapital als
Förderer und Profiteure des Faschismus und des Krieges gab.
Aber „untrennbar“, unvermeidbar? Wir meinen: Der
Kapitalismus muss nicht zum Faschismus führen, aber bei uns
ist es geschehen. Und somit kann es wieder geschehen. Daher
heißt es aufzupassen und aufzuklären, sich zu wehren. Das
antikapitalistische Faschismusverständnis, das tabuiert werden
soll, war bis in die Gründungszeit der BRD das allgemein
gültige, bis im Kalten Krieg die Gleichsetzung von Kommunismus
und Faschismus mittels der Totalitarismusdoktrin durchgesetzt werden
sollte. Die Versuche dazu erhalten gegenwärtig Auftrieb. Denn
in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die
Lösung der Krise ist es für die konservativen
Kräfte wichtig, den „Linksextremismus“ zu
verteufeln. Der Tabubruch, der in der
antikapitalistischen Anwendung des authentischen Faschismusbegriffs
gesehen wird, ist den etablierten politischen Kräften heute
höchst unbequem. Es soll in der heutigen Krise nicht warnend
auf die damaligen Krisenauswege des Kapitals hingewiesen werden.
1932/1933 entschied sich das vorherrschende Kapital so, wie es sich
entschied; es wollte Krieg und Diktatur. Auch derzeit wird immer mehr
offenkundig, dass der heutige pro-kapitalistische Krisenausweg nur mit
autoritären Mitteln, mit antidemokratischen Regelungen
– wenn auch nicht unbedingt mit faschistischen -
möglich ist. Es bedarf daher eines demokratischen Auswegs.
Eines Auswegs ohne Gewalt, ohne Nazis, ohne Rechtsentwicklung. Ihn
zu erreichen, darin sehen wir unsere Aufgabe. Bündnisse, die
dieser Aufgabe verpflichtet sind, wollen mehrere Ministerien jedoch
ausschalten. Dazu gehören das Innen- und das
Jugendministerium. Sie bieten Extremismusklauseln gegen eine
demokratische Jugendförderung auf und bringen die
völlig diskreditierten Verfassungsschutzämter in
Stellung. Der frühere Bundesfinanzminister
Peer Steinbrück (SPD) hatte zu Zeiten der Großen
Koalition eine Verordnung erlassen, daß
„extremistischen“ Organisationen der
Gemeinnützigkeitsstatus aberkannt wird. Wer laut
Verfassungsschutz zum „Extremismus“
gehört, soll mit schweren Nachteilen rechnen. Jetzt soll die
Aberkennung der Gemeinnützigkeit einer Organisation bei ihrer
Erwähnung in nur einem einzigen Verfassungsschutzbericht eines
Bundeslandes gesetzlich verschärft und kaum widerlegbar
gemacht werden. Es soll die Möglichkeit der Widerlegbarkeit
(zu den Einschätzungen des VS) entfallen, was zur Folge hat,
dass allein die Einschätzungen des Verfassungsschutzes die
künftige Gewährung von Steuervorteilen aus der
Gemeinnützigkeit regelt. Und die Betroffenen sollen kein
Klagerecht bei den Finanzgerichten und kein Beschwerderecht beim
Finanzamt haben. Nur ein jahrelanger Prozess vor den
Verwaltungsgerichten kann dann eine Herausnahme der Organisation aus
dem VS-Bericht bringen, was fast unmöglich erscheint. Die
Verfassungsschutzämter als höchste Instanz in
Meinungs- und Gesinnungsfragen! Das ist derselbe Verfassungsschutz, der
die Meinungsfreiheit der Nazis hoch hält, den Polizeieinsatz
gegen Antifaschisten propagiert und die Losung „Faschismus
ist keine Meinung sondern ein Verbrechen“ für
verfassungsfeindlich erklärt. Derselbe Verfassungsschutz, der
offenbar seine schützende Hand über Mörder
und Verbrecher hält, wie am Fall NSU abzulesen ist. Aber
es tut sich etwas. Bislang haben 109 zivilgesellschaftliche
Organisationen einen offenen Brief gegen den drohenden Machtzuwachs des
Verfassungsschutzes und gegen die Extremismusverordnungen unterzeichnet. Allerdings
handeln auch die Nazis. Sie verlagern ihre Organisationen mal wieder
hinein in eine parteiförmige Institution. Sie gründen
jetzt die Partei „Die Rechte“. Das Parteienprivileg
birgt hierzulande von vornherein die Gemeinnützigkeit und
Förderungswürdigkeit. Die Nazis sorgen vor, die
Regierung wird vermutlich – wie bei der NPD –
helfen. Vorabdruck aus sozialistische Wochenzeitung
„Unsere Zeit“. |