19.07.2012 Für
das enge Zusammengehen von Antifaschismus und Antimilitarismus
plädiert Bundessprecher Ulrich Sander in
„Friedensforum“ In
Heft August / September 2012 der Zeitschrift
„Friedensforum“ erscheint ein Artikel von Ulrich Sander
(VVN-BdA) über das Verhältnis von Antifaschismus und
Antimilitarismus nach 1945 in Deutschland. Er stellt fest, dass es seit
1999 (Scharping/Fischer: Statt Nie Wieder Krieg und Faschismus! nun Nie
wieder Auschwitz und daher wieder deutsche Kriege!) eine
Aufspaltung dieser Bewegungen gab. Der Mainstream-Antifaschismus
„bunt statt braun“ hat mit dem Friedenskampf „gegen
braun und olivgrün“ nicht viel im Sinn, die VVN-BdA
bemüht sich um eine erneute Verklammerung von Antifaschismus und
Antimilitarismus. Der 21jährige katholische Matrose Heinrich
Glasmacher - am 5.5.45 erschossen von der deutschen Marinejustiz unter
der Aufsicht der britischen Befreier - und weitere 13 Opfer
symbolisieren die letzten ermordeten Widerstandskämpfer und
zugleich ersten gefallenen Kämpfer im Kalten Krieg. Auch daran
erinnert der Autor. Umgang mit Vergangenheit Antifaschismusarbeit
zwei Generationen nach Ende des NS-Regimes – was ist sie heute,
wie kann sie sich in Zukunft weiterentwickeln? Der
Mainstream-Antifaschismus von heute wendet sich gegen Gewalt und
Intoleranz, steht für „Bunt statt Braun“. Es ist gut,
dass es diesen Konsens in der Gesellschaft gibt, aber es reicht nicht.
Wir brauchen wieder einen Antifaschismus in den Farben „Bunt
statt Braun und Olivgrün“. Die sich selbst befreienden
Häftlinge von Buchenwald schworen am 19. April 1945 ganz radikal:
„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige
vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus
mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des
Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren
gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig." Mit seinen
Wurzeln, d.h. radikal. Zu den Wurzeln gehören das
Rüstungskapital, die uralte Militärtradition und -logik, der
Drang nach Absatzmärkten, der jahrhundertealte Antisemitismus, der
Rassismus. Wir brauchen die Wiedervereinigung von Antifaschismus
und Antimilitarismus. Diese Einheit wurde spätestens 1999 mit dem
auch von Deutschen geführten Krieg gegen Serbien zerstört:
Man müsse die neuen Hitlers in der Welt bekämpfen und daher
gelte das „Nie wieder Krieg“ nicht mehr, hieß es
geschichtsrevisionistisch. Die Neonazis und die anderen
Rechtsextremen sind – und da unterscheiden sie sich nicht von der
offiziellen deutschen Militärpolitik – für eine starke
Bundeswehr, gegen Abrüstung, für den „Kampf um deutsche
Interessen“. Sie drängen in die Bundeswehr, allein schon um
das „Waffenhandwerk“ im „Ringen für
Deutschland“ zu erlernen. Sie sind zahlreich in den
Reservistenverbänden vertreten. Sie stehen in der Tradition
der Wehrmacht des deutschen Faschismus. „Gegen eine von der
extremen Rechten imaginierte Funktion der Einkreisung als Mittel der
Schwächung und Niederhaltung Deutschlands fordert sie
Deutschlands ‚Lebensrecht’ und Mission,“ schreibt
Prof. Fabian Virchow in seiner Studie über „Internationale
Beziehungen und Militär in den politischen Konzeptionen der
extremen Rechten“, die der Neofaschismusexperte der
Universität Düsseldorf unter dem Titel „Gegen den
Zivilismus“ herausbrachte (Wiesbaden 2006). Die mit der
„kleinstdeutschen Einheit vom Rhein zur Oder“ verbundenen
Gebietsverluste werden beklagt: „Was ist schon ein Deutschland
ohne Schlesien, Ostpreußen, Österreich oder
Südtirol?“ (S.112 bei Virchow) Die extreme Rechte, so
Virchow, strebt mit ihrer Friedensrhetorik die Durchsetzung eines
völkisch-arrondierten und mit umfassenden Gewaltmitteln
ausgestatteten Groß-Deutschlands an. „Dieses soll nach
weitreichender Militarisierung von Militär und Gesellschaft
als imperiale europäische Ordnungsmacht und weltpolitisch als
Gegenpol gegenüber den USA auftreten.“ Rechte „Antikriegsaktionen“ Seit
acht Jahren begeht die rechte Szene in Dortmund am ersten
Septemberwochenende – analog zum Antikriegstag der Friedens- und
Gewerkschaftsbewegung - ihren bundesweiten „nationalen
Antikriegstag“. Das ist eine der dreistesten
„Diskurspiraterien“ – neben der sozialen Demagogie.
Denn sie sind wie eh und je für den Krieg, nur nicht für die
gegenwärtig von Deutschland mit geführten Kriege, denn
diese seien US-amerikanische und israelfreundlich. Muslime mögen
sie nicht als Nachbarn, aber als Mitstreiter gegen den
„amerikanischen Imperialismus“. Den 11. 9. 2001 haben sie
bejubelt. Erstmals haben sich ältere Antifaschisten im Jahr
2008 diesem Treiben mit sowohl antifaschistischen als auch
antimilitaristischen Äußerungen entgegengestellt. Eine
„Aktion 65 plus“ führte am 6. September 2008 in
Dortmund einen 700köpfigen spontanen Demonstrationszug an. Ihre
Erklärung lautete u.a.: „Aktion
65 plus – Wir haben es erlebt. Nie wieder. Bombennächte.
Ständige Angst. Hausdurchsuchungen. Die Eltern im KZ.
Verwandte sterben im Krieg. Nachbarn mit dem gelben Stern werden
abgeholt. Nachts träumen wir davon. Die Nachfolger der Nazibande,
die das verschuldete, erheben wieder ihr Haupt. Jahr für Jahr
kommen sie nach Dortmund. Sie rufen ‚Nie wieder Krieg’ und
fügen hinzu: ‚ ... nach unserem Sieg, dem Sieg des
‚nationalen Sozialismus’. Das Maß ist voll. Sie reden
von Frieden, Antikapitalismus, ja Sozialismus. Das taten Hitler und
Goebbels auch. Es kam zum furchtbarsten aller Kriege. Zur schlimmsten
Form des Kapitalismus: Nicht nur Ausbeutung durch Arbeit, sondern
Vernichtung durch Arbeit. Es kam zur Versklavung und zum
Holocaust.“ Bundeswehr als Staat im Staate Die
Bundeswehr war und ist eine Art Staat im Staate. Ihre Diskurse sind in
der Republik unbekannt und werden von den Medien nicht hinterfragt.
Rudolf Augstein hat vor 50 Jahren festgestellt: ”Die neue Armee
wurde nicht gegründet, um den Bonner Staat zu schützen,
sondern der neue Staat wurde gegründet, um eine Armee gegen die
Sowjets ins Feld zu stellen.” Die Generalität der Bundeswehr
– es waren im Wesentlichen auch die Generäle Hitlers - nahm
ihre Arbeit auf, indem sie die Politiker erpresste. Sie sagte vor
62 Jahren in ihrer Himmeroder Denkschrift sinngemäß: Wir
wollen eine Ehrenerklärung für die Wehrmacht. Diese erfolgte
durch Politik und Medien. Weiter: Wir stellen uns nur zur
Verfügung, wenn die neue „Wehrmacht“, so nannten sie
diese, uns annimmt wie wir sind, wenn niemand für die Verbrechen
im Zweiten Weltkrieg zur Verantwortung gezogen wird und die Täter
sozial abgesichert werden. Die öffentliche Meinung gelte es
„umzustellen“. Der große Adenauer erklärte
zynisch, woher soll ich all die unbelasteten 18jährigen
Generäle nehmen, die ich brauche? Und er nahm auch die
Organisatoren des „Bandenkrieges“, wie die Vernichtung von
Millionen Juden und Slawen genannt wurde. In der Bundeswehr
kursieren immer noch Papiere ehemaliger Generale, die die Abkehr von
der Distanzierung zur Wehrmacht verlangen. Damals geschahen
„Überreaktionen“, wie die Kriegsverbrechen in
diesen Papieren genannt werden, und heute können diese wieder
geschehen – und die Truppe muss von dem Risiko befreit werden,
dass sie dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Es hat in
Afghanistan unzählige Fälle von Körperverletzungen und
Tötungen durch die Bundeswehr gegeben, zahlreiche Frauen und
Kinder wurden getötet – und nicht ein einziges Verfahren
führten die zuständigen Staatsanwaltschaften gegen
Bundeswehrsoldaten durch. Das Massaker von Kunduz soll ebenfalls
ohne Konsequenzen bleiben. Neue Formen der Militarisierung Militarismus
und Demokratie schließen sich gegenseitig aus. Mit den
Notstandsgesetzen von 1968 wurde festgelegt, die Bundeswehr auch gegen
die eigene Bevölkerung einzusetzen, wenn der Spannungsfall es
verlangt und die eigene Bevölkerung sich nicht mehr fügt.
Junge Menschen haben sich diesem Militarismus durch
Kriegsdienstverweigerung entzogen. Die Wehrpflicht der Reservisten
wurde 2005 auf das Alter von 60 Jahre verlängert. Mittels
Zivilmilitärischer Zusammenarbeit im Inneren wie
Äußeren sollen die Reservisten verfügbar gehalten
werden. Die Wehrpflicht wurde für die
Reservistenjahrgänge ab 1951 beibehalten, nur ab Jahrgang 1993
wurde sie „ausgesetzt“. Neue Formen der Militarisierung der
Jugend werden erprobt. Heute engagieren sich weit weniger
Menschen in Deutschland für den Frieden, als es vor 1989 der Fall
war. Bemerkenswert ist gar die mangelnde Bereitschaft, die wirklich
ernsten sozialen Probleme mit der Abrüstungsfrage in
Verbindung zu bringen. So erklärten in einer Leipziger Studie
(vorgelegt 2008 von Prof. Dr. Elmar Brähler, dem Leiter der
Selbständigen Abteilung für Medizinische Psychologie und
Soziologie der Universität Leipzig) trotz der grundsätzlichen
Ablehnung von Kriegen 44 Prozent der Ostdeutschen, die Bundeswehr
solle mit besserer Technik ausgerüstet werden, was lediglich
23 Prozent rundweg ablehnten (Westdeutschland: 36 zu 25 Prozent).
Die Arbeitsplatzsicherheit in der Rüstungsindustrie scheint vielen
wichtiger zu sein als die Bewahrung und Schaffung sozialer Standards
durch Abrüstung. Ein Drittel der Menschen in Ostdeutschland
(35 Prozent) meinte zudem, dass Krieg ethisch gerechtfertigt sein
könne, um Freiheit und Menschenrechte zu schützen. Dieser
Aussage stimmten nur 27 Prozent der befragten Westdeutschen zu.
Das schwierige Verhältnis zum Militär wurde auch darin
deutlich, dass 40 Prozent der Ostdeutschen meinten, der Staat
müsse über militärische Stärke verfügen, um
bei internationalen Konflikten glaubhaft verhandeln zu
können. Im Westen schlossen sich nur 33 Prozent dieser
Aussage an. Dies sind nationalistische und rechte Positionen, die
sich in der Leipziger Studie äußern. Sie müssen in
Beziehung gesetzt werden zu den rund 20 Prozent Deutschen, die ein mehr
oder weniger geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben. Antifaschistischer Protest Es
ergab sich, dass im September vor vier Jahren nicht nur in Stuttgart
und Berlin für den Frieden und den Abzug der deutschen Truppen aus
Afghanistan demonstriert wurde, sondern auch in Köln gegen ein
internationales Treffen von Rassisten und Ausländerfeinden, die
sich auf Einladung der rechtsextremen „pro NRW“-Bewegung
eingefunden hatten, um sich unter dem Vorwand der Islamkritik und
der Ablehnung von Moscheen für die nächsten Wahlen zu
positionieren. Über 50.000 Menschen aus Nordrhein-Westfalen
bereiteten dem rechten Treffen eine schwere Niederlage. Antifaschistischer
Protest wird also stärker, antimilitaristischer schwächer?
Das könnte man meinen. Es muss aber auch beachtet werden,
dass „pro NRW“ auf einer Welle schwimmt mit jener
kriegshetzerischen Position der Mitte, die unter dem Vorwand des
Kampfes gegen den islamistischen Terrorismus für den Krieg
agiert. Antifaschistischer Protest wird also damit auch zum
Friedensengagement. Schlussbemerkung Ich
möchte diesen Beitrag für das „Friedensforum“ dem
jungen Christen Heinrich Glasmacher und 13seiner Kameraden widmen. Am
5. Mai 1945 starben er, der 21jährige Bootsmannsmaat aus Neuss,
und etwas später seine Kameraden als letzte
Widerstandskämpfer. Das Mitglied der katholischen Jugend
wurde mit Billigung der Briten, die seine Einheit schon gefangen
genommen hatten, von Deutschen erschossen, weil er den
Matrosenaufstand auf dem Minensuchboot M 612 Nahe der
schleswig-holsteinischen Küste angeführt hatte. Er und seine
Kameraden wollten nicht nach Ostpreußen fahren, um weiter gegen
den „Bolschewismus“ – nun mit Billigung der Briten
– zu kämpfen. Die Ermordeten wollten Frieden. Sie wurden die
ersten Toten im sich abzeichnenden Kalten Krieg. Wir sollten ihrer in
den gemeinsam handelnden Antifa- und Friedensbewegungen von heute
gedenken. Von den 14 neben Heinrich Glasmacher ermordeten jungen
Materosen, ermordet von Marinejuristen, die allesamt nach Kriegsende in
der BRD weiter Dienst taten, sind uns die Namen bekannt: Wilhelm
Bretzke, Alfred Gail, Rüdiger Hubertus Gumm, Gustav Kölle,
Reinhold Kolenda, Helmut Nuckelt, Rolf Peters, Gerhard Prenzler, Gustav
Ritz, Anton Roth, Bruno Rust, Martin Schilling, Fritz Wehrmann und
Heinz Wilkowski. Siehe http://forum-marinearchiv.de/smf/index.php?topic=11638.15;wap2 Ulrich
Sander, Ostermarschierer seit 1960, ist einer der Bundessprecher
der Vereinigung der Verfolgten den Naziregimes/Bund der
Antifaschisten, gegr. 1947 in Frankfurt am Main. Ein Film über Heinrich Glasmacher Die furchtbaren Wehrmachtsrichter und ihre Opfer http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0317_neuss.htm Offener Brief an die Minister Fischer und Scharping Gegen eine neue Art der Auschwitz-Lüge Holocaust-Überlebende verurteilen Äußerungen der Bundesregierung zu Parallelen Auschwitz / Kosovo http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/auschwitz-lu_ge.htm Das Magazin FriedensForum http://www.friedenskooperative.de/ff.htm |