29.04.2012 Wie lange wollen die verantwortlichen
Politiker dem Treiben der Neofaschisten noch untätig zusehen? "Müssen noch mehr Straftaten und Morde geschehen bevor reagiert
wird?" fragt Werner Faeskorn, VVN-BdA
Remscheid, in seiner Rede
zur
Wenzelnberg-Gedenkfeier am 22. April 2012 und fordet das Verbot der NPD
und anderer neofaschistischer Organisationen. "Gemeinsam mit allen
Gegnern der Neofaschisten müssen wir diese Verbote erreichen",
so Werner Faeskorn. Sehr geehrte Damen und Herren, verehrte
Anwesende, liebe Freundinnen und Freunde Jedes Jahr
im April findet hier am Wenzelnberg eine Gedenkfeier für die
ermordeten 71 Opfer des Faschismus statt. „Wir werden euch
nie Vergessen“, ist eine oft benutzte Redewendung bei
Gedenkveranstaltungen. Dieses Versprechen allein reicht nicht. Die
Tausenden, von Faschisten ermordeten Opfer, „nie
Vergessen“, heißt alles zu tun, dass sich solche
Verbrechen nicht wiederholen. Wer in unseren Tagen meint, so etwas gibt
es bei uns nie wieder, übersieht die täglichen
Medien-Meldungen über neofaschistische Aufmärsche und
Straftaten, bis hin zu Brandstiftungen und Morden. „Nie
wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ war 1945 die Forderung,
der aus Gefängnissen und KZ - Lagern befreiten
Häftlinge. Diese Forderung gilt auch heute noch. Sie ist
Auftrag und Verpflichtung unserer jährlichen Treffen hier am
Wenzelnberg. Verehrte Anwesende Die heute hier anwesenden jungen
Menschen, veranlassen mich, über meinen Vater, Fritz Faeskorn,
zu berichten. Sein Schicksal prägte unsere Familie,
prägte mein Leben als Kind und Jugendlicher. In
den Jahren vor 1933 war mein Vater in Hagen Mitglied der KPD und
aktiver Gegner der faschistischen Gefahr für Deutschland. Er
verteilte Flugblätter gegen die Nazis in einem Polizei
Ausbildungslager. Ende 1932 wurde er dabei verhaftet und im
März 1933 wegen Hochverrat, zu eineinhalb Jahren
Gefängnis verurteilt. Nach der
„Strafverbüßung“, wurde er Ende
1934 aus der Haft entlassen. Zu den Genossen der KPD
in Hagen, hatte er wieder Kontakt und spendete eine Mark /
fünfzig für die „Rote Hilfe“,
einer Hilfsorganisation für inhaftierte Genossen und ihre
Familien. Am 27. Mai 1935 wurde er mit vielen anderen Genossen, nachts
erneut verhaftet. Meine Mutter lag im Krankenhaus,
meine ältere Schwester war bei Verwandten, mich ließ
die Polizei mit 4 Jahren, nachts allein in der Wohnung zurück.
Als Kind hatte ich viele Jahre Angst vor der Polizei. Am
nächsten Tag erfolgte die Überführung der
Verhafteten nach Dortmund, in die berüchtigte
„Steinwache“. Bei den Verhören konnte man
meinem Vater nur die Spende für die - „Rote
Hilfe“ - beweisen. Das reichte für ein neues
Strafverfahren gegen ihn. September 1935 war der Prozess gegen 24
Angeklagte aus Hagen vor dem Oberlandesgericht in Hamm. Mein Vater
wurde als „Wiederholungstäter“ zu 15
Jahren Zuchthaus verurteilt. Von Ende 1935 bis Dezember 1943 war mein
Vater acht Jahre im Zuchthaus Münster in Haft. Auch Paul
Claasen aus Solingen war dort lange inhaftiert. Kurz vor Weihnachten
1943 wurden sie mit einer großen Gruppe Häftlingen,
mehrere Wochen mit unbekanntem Ziel, durch Deutschland transportiert.
Mitte Januar 1944 kamen sie im KZ - Mauthausen bei Linz in
Österreich an. In den Begleitpapieren der Häftlinge
stand: „RU“, das hieß, -
„Rückkehr unerwünscht“. Nach etwa
acht Wochen wurden mein Vater und Paul Claasen in das Nebenlager KZ -
Ebensee überführt. Das KZ war 1943, in einer
schönen Landschaft am Traunsee bei Bad Ischl, auf Befehl der
obersten SS-Führung, für die Raketen - und
Rüstungsproduktion errichtet worden. Die Häftlinge
mussten in kurzer Zeit riesige Stollen in die Berge treiben. Im
KZ -Ebensee waren von 1943 bis 1945 mehr als 27.000 Häftlinge
aus vielen Ländern in Haft, ca. 8.400 von ihnen sind durch die
schwere Arbeit beim Stollenbau, durch Unfälle, Hunger und
Krankheit gestorben oder wurden von der SS direkt ermordet. Mein schwer
erkrankter Vater hätte ohne die Hilfe von Paul Claasen, der im
Krankenrevier arbeitete, das KZ nicht überlebt. Am
6. Mai 1945 wurde das KZ - Ebensee von der amerikanischen Armee
befreit. Paul Claasen und mein Vater sind nach der Befreiung aus dem
KZ, von Ebensee bis Solingen und Hagen, zu Fuß in ihre Heimat
zurückgekehrt. Als mein Vater 1933 zum
erstenmal verhaftet wurde war ich drei Jahre, als er 1945 krank
zurück kam, war ich 15 Jahre. Wurde ich als Kind gefragt, wo
mein Vater war, hatte ich darauf keine andere Antwort, als zu sagen, er
ist tot. Diese traumatischen Erlebnisse, die mein Leben mit
prägten, möchte ich den nachfolgenden Generationen
ersparen. Auch deshalb spreche ich heute hier. Verehrte
Anwesende Die 1945 aus den KZ-Lagern,
Zuchthäusern und andern Folterstätten befreiten
Häftlinge, die Menschen vieler Länder, wollten ein
neues Leben ohne Krieg und Faschismus. Ihre Forderung war eine harte
Bestrafung der Verantwortlichen und der an den Verbrechen beteiligten
Nazis. Die Nachkriegsgeschichte verlief leider anders. Viele
SS-Offiziere und Naziverbrecher sind mit Hilfe der US-Geheimdienste und
des Vatikan über die sogenannte
„Rattenlinie“ ihrer Strafe entkommen. Sie fanden
Unterschlupf in den USA oder in südamerikanischen
Ländern. Ihrer Ausbildung in der SS
entsprechend wurden sie dort wieder tätig. Aber auch in der
„alten Bundesrepublik“, waren nach 1945 Nazis
führend tätig. Kein Richter, der in den Jahren der
Nazidiktatur, Angeklagte zum Tode oder zu langjährigen
Haftstrafen verurteilte, wurde bestraft oder aus seinem Amt entfernt.
Der in Hamm und anderen Gerichten bis 1945 verantwortliche Staatsanwalt
Hubert Schrübbers war ab 1956 Präsident des
Bundesamtes für Verfassungsschutz. Der SS -Offizier Reinhard
Gehlen, war vor und nach 1945 Leiter der Auslandgeheimdienste, zum
Beispiel des BND. In der Industrie, in Politik und Verwaltungen, in
Schulen, Polizei und der Bundeswehr, waren SS-Leute, oder Offiziere der
faschistischen Wehrmacht und Nazifunktionäre, in
führenden Positionen beschäftigt. Ihre faschistische
Überzeugung gaben sie an junge Menschen weiter. Verehrte
Anwesende In der Endphase des faschistischen Krieges
wurden, so wie hier am Wenzelnberg, Tausende Menschen ermordet. Von den
vielen Mordstellen in Deutschland nenne ich nur zwei Orte: Dortmund,
Rombergpark: Vom 7. März bis 12. April 1945 wurden dort 300
deutsche und ausländische Menschen erschossen. Hagen,
Steinbruch -Donnerkuhle: Anfang April 1945 wurden 12 sowjetische
Zwangsarbeiter, am 12 April 1945, 12 Häftlinge aus Hagener
Gefängnissen, dort ermordet. Auch der Antifaschist August
Schumacher aus Wermelskirchen wurde in der
„Donnerkuhle“ von der Gestapo erschossen. Von den
beteiligten Verbrechern dieser Endfasenmorde wurde nach 1945 fast
keiner bestraft. Verehrte Anwesende. Wir
verfolgen mit großer Sorge, dass neofaschistische
Aufmärsche und Provokationen, zunehmend das
Straßenbild unserer Städte bestimmen. Diese
Aufmärsche werden mit großem Polizeiaufgeboten,
unter Berufung auf Artikel 8/Absatz 1 (Versammlungsgesetz) und Artikel
5/Absatz 1 (freie Meinungsäußerung), gegen den
erklärten Willen der Bevölkerungsmehrheit, gewaltsam
durchgesetzt. Sorge bereiten uns auch die Mordtaten
der Neonazis. Nach aktuellen Berichten der Amadeu - Antonio - Stiftung
gibt es seit 1990 über 200 Todesopfer in Deutschland. Von der
Bundesregierung werden diese auf „nur 58“ herunter
manipuliert. Eine unhaltbare Situation ist, dass,
anstatt gegen Neofaschisten wegen Verbreitung faschistischer
Propaganda, zu ermitteln, gegen junge Menschen ermittelt wird, die sich
den Neonazis in den Weg stellen. Es ist nicht zu
verstehen, dass am 8. 12. 2010 das Bundesverfassungsgericht ein
Publikationsverbot für die „Verbreitung
rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen
Gedankenguts“ ablehnte, und ein solches Verbot, als eine
Verletzung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit, bezeichnete. Fast
unglaublich ist, dass das NRW-Innenministerium an Schulen eine
Broschüre verbreiten lässt, in der die Losung der
VVN-BdA „Der Faschismus ist keine Meinung - sondern ein
Verbrechen!“ als Aufforderung zum Gesetzesbruch diffamiert
wird. Damit würden wir dem politischen Gegner demokratische
Rechte absprechen. Ein Skandal ist, dass der
gültige Artikel 139 des Grundgesetzes, wonach alle Nachfolge -
und Tarnorganisationen der NSDAP zu verbieten und aufzulösen
sind, keine Anwendung findet. Wir verstehen nicht,
dass Bemühungen die neofaschistische NPD zu verbieten, von der
Bundesregierung sorgsam umgangen wird. 175.000 Unterschriften
für ein NPD-Verbot vermodern seit Jahren im Keller des
Bundestages. Uns bereitet es große Sorge,
dass Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und
Militarismus bereits in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen sind. Wir
haben kein Verständnis für die Zulassung
neofaschistischer, rassistischer und ausländerfeindlicher
Parteien zu den Landtagswahlen in NRW. Deshalb
möchten wir hier und heute, statt eines stillen Gedenkens,
protestieren gegen die staatliche Duldung faschistischer Propaganda und
dem Polizeischutz neofaschistischer Aufmärschen. Das sind wir
den hier beigesetzten 71 Toten schuldig. Verehrte
Anwesende. Wir übersehen nicht das der
Widerstand gegen neofaschistische Aktivitäten bei uns,
politisch und weltanschaulich, größer geworden ist.
Viele, vor allem junge Menschen, beteiligen sich an Kundgebungen gegen
Neofaschisten. In immer mehr Städten gibt es
Bündnisse gegen rechtsradikale Gruppen. Aber: die
rechtsradikale Gruppe Pro NRW will dieses Jahr am 1.Mai in Remscheid,
Solingen, Wuppertal und anderen Städten mit
ausländerfeindlichen, neofaschistischen Parolen demonstrieren.
Die friedlichen Maikundgebungen der Gewerkschaften sollen
gestört werden. Von den Behörden und der Polizei
verlangen wir ein Verbot dieser provokativen Demonstrationen. Wie lange
wollen die verantwortlichen Politiker dem Treiben der Neofaschisten
noch untätig zusehen? Müssen noch mehr Straftaten und
Morde geschehen bevor reagiert wird? Das können und wollen wir
nicht weiter dulden. Verehrte Anwesende. Die
„Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der
Antifaschisten“ fordert seit viele Jahre das Verbot der NPD
und anderer neofaschistischer Organisationen. Gemeinsam mit allen
Gegnern der Neofaschisten müssen wir diese Verbote erreichen. Mit
einem Zitat aus dem Schwur der befreiten Häftlinge des KZ -
Buchenwald, möchte ich meine Ausführungen beenden: Die
Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der
Aufbau einer neuen Welt des Friedens ist unser Ziel. Das sind wir
unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig. Von
der Verwirklichung dieses Schwurs, sind wir in der Bundesrepublik
Deutschland, noch weit entfernt. Ich danke Ihnen
für Ihre Aufmerksamkeit. |