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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

01.02.2012

„Kinder des Widerstandes“ berieten über ihren Beitrag zur Erinnerungsarbeit

Die 30. landesweite Konferenz antifaschistischer Initiativen und Organisationen in NRW befasste sich auch mit fder Erinnerungs- und Gedenkarbeit im Lande. In einer der Arbeitsgemeinschaften hielt Christa Bröcher (Duisburg)  das Referat zur Einleitung. Sie sagte: „Nachdem die Zeitzeugen fast alle verstorben sind oder gesundheitlich so eingeschränkt sind, dass sie nicht mehr selbst aktiv werden können, ist es uns ein Anliegen, ihr Andenken zu bewahren und vor Verunglimpfung zu schützen. Kinder des Widerstandes wollen dem antifaschistischen Kampf ein persönliches Gesicht geben, zeigen was Widerstand, Verfolgung, Inhaftierung, Folter und Terror für den einzelnen Menschen und dessen Familien bedeutete.“ Betroffene aus den Familien der Zeitzeugen berieten darüber, wie sie das Andenken an die Opfer bewahren und vermitteln können.

Kinder des Widerstandes – Antifaschisms als Auftrag: diesen Namen gaben wir unserer Gruppe: Sie entstand auf Initiative von vier Frauen, alle vier Töchter von Widerstandskämpfern und -kämpferinnen: Alice Czyborra (Gingold), Traute Sander (Burmester), Inge Trambowsky (Kutz) und Klara Tuchscherer (Schabrod), unterstützt von der VVN/BdA

Der Name der Gruppe ist Programm:

Kinder des Widerstandes wollen dem antifaschistischen Kampf ein persönliches Gesicht geben, zeigen was Widerstand, Verfolgung, Inhaftierung, Folter und Terror für den einzelnen Menschen und dessen Familien bedeutete.

Immerhin gab es nach 1945 allein in den Regierungsbezirken Köln,Aachen und Düsseldorf 26.920 politisch Geschädigte, für deren soziale und politische Rechte sich die 1946 gegründete VVN einsetzte

Nachdem die Zeitzeugen fast alle verstorben sind oder gesundheitlich so eingeschränkt sind, dass sie nicht mehr selbst aktiv werden können, ist es uns ein Anliegen, ihr Andenken zu bewahren und vor Verunglimpfung zu schützen.

Doch dies nicht nur aus möglicherweise als sentimental abgestempelten Gründen:

Viele unserer Eltern und Großeltern leisteten schon während der Weimarer Republik Widerstand gegen den aufkommenden Faschismus, klar benennend wer ein Interesse an der Machtergreifung der Nazis hatte und welche Ziele diese verfolgten.

Ihre Erkenntnisse sind angesichts des Erstarkens des Rechtsradikalismus in unserem Land brennend aktuell. Ihr Wirken, ihr Kampf ist für uns Beispiel und Verpflichtung.

Die AG "Kinder des Widerstands" (Foto: J. Vogler)Noch im Oktober 1946 erklärte Ministerpräsident Amelunxen anlässlich der Gründung der VVN-NRW:

„Als ganz Deutschland ein Zuchthaus war, waren Sie diejenigen, die ihre Pflicht gegenüber ihrem Vaterland erfüllt haben und dafür viel Bitternis erdulden mussten. Nichts wäre verkehrter, als die Behauptung, Sie seien Märtyrer geworden aus Mangel an Bürgersinn. Das Gegenteil trifft zu. Es hat nämlich immer zwei Sorten von Bürgern gegeben, die Philister und Spießer auf der einen Seite und diejenigen Menschen auf der anderen Seite, die den Begriff des Bürgers nicht als Standesbezeichnung,sondern als einen öffentlichen Ehrennamen betrachten, ihre Verantwortung kennen und sich ihrer geistigen Verantwortung bewusst sind. Niemand hat sein Volk mehr geliebt, als die von den Nationalsozialisten Verfolgten, Verfemten und Verachteten. Sie ließen sich beschimpfen und verleumden, weil sie ihrem Gewissen mehr gehorchten als der Gewalt. Für ihre Haltung und für ihr Beispiel schuldet das deutsche Volk und ganz Europa ihnen Dank.“

Im weiteren Verlauf seiner Rede bezeichnete Ministerpräsident Amelunxen als Grundlage eines neu zu errichtenden deutschen Volksstaates die Toleranz, allerdings mit einer Ausnahme:

„Keine Freiheit für die Mörder der Freiheit“.

Diese Worte – von ihm damals wahrscheinlich ehrlich gemeint – müssen uns heute angesichts des erstarkenden Neofaschismus wie Hohn in den Ohren klingeln.

Auch nach der Niederschlagung des Faschismus waren die Überlebenden der  nationalsozialistischen Verfolgung und des Terrors  trotz der erlittenen physischen und oft auch psychischen Schäden wieder aktiv für ein demokratisches, friedliebendes Deutschland.

Ein Beitrag der von der offiziellen BRD Politik heute fast völlig unterschlagen wird – im Gegenteil, diejenigen, die mit Einsatz ihres Lebens gegen Faschismus und Krieg gekämpft hatten, fanden sich recht bald wegen ihres neuerlichen Einsatzes für Frieden und Demokratie neuen Diffamierungen und Verfolgungen ausgesetzt.

Als nach dem 8. Mai 1945 - dem Tag ….. der Befreiung von Krieg und Faschismus …. viele Menschen begannen, den Schutt in den Straßen und in den Köpfen fort zuräumen, waren darunter an hervorragender Stelle Frauen und Männer, die aktive Gegner des Nationalsozialismus gewesen waren. In vielen Städten und Gemeinden waren sie die ersten, die in dem von den Faschisten und ihren finanzstarken Steigbügelhaltern verursachten Chaos versuchten, das Leben der Menschen erträglicher zu gestalten. Sie, die aus unterschiedlichen politischen, gesellschaftlichen und religiösen Kreisen kamen, waren aktiv beteiligt an der Gründung demokratischer Organisationen, wie z.B. der Parteien und der Gewerkschaften.

Auch war es nur konsequent, wenn unsere Eltern und Großeltern sich gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands, einsetzten....was bereits 1951 als Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung gewertet wurde.

Der „Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ wurde damit begründet, dass die VVN die Volksbefragung unterstützt habe. Die Fragestellung dieser Volksbefragung lautete: „Sind Sie gegen die Remilitarisierung Deutschlands und für den Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland noch im Jahre 1951?“

Diese Volksbefragung, störte die Remilitarisierungspläne der Regierung Adenauer.

Erinnern möchte ich hier daran, dass vor 60 Jahren, am 11. Mai 1952, in Essen Philipp Müller durch zwei Kugeln starb, als die Polizei in Essen auf Teilnehmer einer Demonstration gegen die bundesdeutsche Wiederbewaffnung schoss. Dies war das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, dass ein Demonstrant durch die Polizei getötet wurde.

Durch Polizeikugeln schwer verletzt wurden außerdem der Sozialdemokrat Bernhard Schwarze aus Kassel und der Gewerkschafter Albert Bretthauer aus Münster.

Die Schüsse sind mit Urteil vom 2. Oktober 1952 vom Dortmunder Landgericht als Notwehr eingestuft worden. Schusswaffengebrauch von Demonstranten konnte nicht nachgewiesen werden. Dutzende Jugendliche wurden festgenommen, elf von ihnen später zu Gefängnisstrafen bis zu zwei Jahren verurteilt. Ministerpräsident Arnold erklärte:

„Da der Widerstand durch den Gebrauch des Polizeischlagstocks nicht gebrochen werden konnte … musste von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden. Vor dem Schusswaffengebrauch wurde die Menge dreimal aufgefordert, das Werfen einzustellen“

(zitiert nach Wikipedia)

Übrigens derselbe Karl Arnold, der noch 1946 als Oberbürgermeister von Düsseldorf den Widerstand als „lebendige Revolution gegen den Nationalsozialismus“ bezeichnete.

Besonders empört waren unsere Eltern und Großeltern darüber, dass und wie schnell Altnazis auf allen Ebenen z. B. als Richter, Staatsanwälte, Minister, sogar als Staatsoberhaupt, wieder in Amt und Würden kamen.

Während sich viele Altnazis in einflussreichen Stellen tummelten, wurde am 19. September 1950 von der Bundesregierung ein Erlass veröffentlicht, wonach Mitglieder der VVN nicht staatliche Angestellte sein könnten. In den Ländern setzte man diesen Erlass um, und der Ministerialdirigent MARCEL FRENKEL wurde daraufhin aus dem Landesdienst von NRW entlassen.

Juristen – die schon während des „Dritten Reiches“ sogenanntes „Recht“ gesprochen hatten, wurden dagegen weiter beschäftigt und sogar befördert.

Und sprachen wieder „Recht“ in politischen Prozessen u. a. gegen Mitglieder der VVN.

Alle Welt ist seit Bekanntwerden des Terror-Trios aus Zwickau „beunruhigt“ und „alarmiert“. Das war ja „unvorstellbar“! Von wegen!

Wenn heute so überrascht getan wird angesichts der Morde und des Terrors des Nationalsozialistischen Untergrundes NSU, dann müssen gerade wir „Kinder des Widerstandes“ daran erinnern, dass die Überlebenden des Naziterrors bereits nach 1945 und besonders in den Anfängen der BRD, in den 50 und 60 Jahren, den Kampf gegen die Refaschisierung aufnahmen.

Und heute müssen wir mit großer Bestürzung festgstellen dass sich ein Richtungswechsel in mehreren nordrhein-westfälischen Gedenkstätten für die Opfer des Faschismus vollzogen hat. Bis vor zehn Jahren galt „Den Opfern gewidmet – Auf Zukunft gerichtet“ – so der Titel der Broschüre zur Darstellung der Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in NRW.

In Essen und Oberhausen wurden die politischen Opfer des NS-Regimes aus den Dauerausstellungen fast vollkommen verbannt.

Es erfolgte die Tilgung der VVN-BdA-Dauerausstellung von Duisburg (Dokumentationszentrum „Wilhelmine Struth / Mathias Thesen“Duisburg im Widerstand 1933-1945) aus den Veröffentlichungen der Landeszentrale für politische Bildung.

Unsere Gruppe möchte u. a. der Ausgrenzung unserer Eltern und Großeltern aus der Gedenkarbeit entgegenwirken.

Diesen aktiven Widerstandskämpferinnen und –kämpfern – wie allen anderen Opfern des Faschismus - fühlen wir uns verpflichtet.

Wir als Nachkommen zumeist politisch Verfolgter sehen es als unsere Aufgabe, die hervorragenden Beiträge unserer Eltern und  Großeltern, die Zeit ihres Lebens für ein demokratisches und friedliebendes Deutschland eingetreten sind, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, eben weil sich an ihrem Leben, ihrem Kampf deutlich zeigt, welche Kräfte dem immer entgegenstanden und stehen.

Zusammenfassend zitiere ich aus dem Aufruf der vier Frauen, mit dem sie sich an die Öffentlichkeit gewandt haben:

In der Bundesrepublik konnten Eliten der Nazizeit aus Wirtschaft, Militär und dem Staats- und Terrorapparat des Naziregimes, darunter Justiz, Gesundheitswesen, Polizei und Geheimdienste wieder tätig werden, Einfluss nehmen und dabei weiterhin gegen Antifaschisten vorgehen.

Gerichte verfolgten Teilnehmer des Arbeiterwiderstandes, vornehmlich des kommunistischen Widerstandes, um sie - auch unter Hinweis auf Vorstrafen aus politischen Prozessen von 1933 bis 19vier5 - wegen ihrer politischen Tätigkeit erneut einzusperren und ihnen die Rechte auf Entschädigung abzusprechen.

Ärzte aus der NS-Zeit wurden als Gutachter eingesetzt, um die Entschädigungsrechte der oft schwer geschädigten politisch, rassisch und religiös Verfolgten in Zweifel zu ziehen.

Ehemalige Gestapobeamte fanden in der Polizei der BRD wieder Verwendung, und man setzte sie auch ein, um die demokratischen Rechte der Verfolgten erneut anzutasten.

Organisationsverbote führten zur Bestrafung der Widerstandskämpferinnen und -kämpfer, während Naziorganisationen wie die NPD sich ungehindert entfalten konnten.

Berufsverbote wurden gegen die Kinder von Antifaschisten ausgesprochen. Das Versammlungsrecht von Antifaschisten wurde eingeschränkt.

Die VVN-BdA setzt sich dafür ein, dass eine Wiedergutmachung für die so Benachteiligten erfolgen muss. Vor allem geht es um die Rehabilitierung der Opfer. Ende der sechziger Jahre gab es zwar ein Strafrechtsänderungsgesetz, das zahlreichen Verfolgungen ein Ende setzte, eine Rehabilitierung der Betroffenen erfolgte jedoch nicht.

Auch die Kinder und Enkel der Betroffenen hatten - infolge der Leiden ihrer Verwandten – mit zuleiden: Denn die Familien der Opfer litten oft materielle Not, die Kinder und Enkel, also die aus der 2. und 3. Generation, waren betroffen von psychischen Schäden und Traumatisierungen, sie waren im Bildungswesen, in Schule und Gesellschaft Diskriminierungen bis hin zu Berufsverboten ausgesetzt. Sie galten als Kinder von "Vorbestraften".

Die personellen Kontinuitäten aus der Zeit vor und nach 1945 müssen zu Konsequenzen führen. Doch die Gelegenheiten, die sich dazu bieten, werden nicht genutzt. Der Umgang des Deutschen Bundestages mit dem Antrag "Widerstand von Kommunistinnen und Kommunisten gegen das NS-Regime" (Drucksache 17/2201), eingebracht von der Fraktion DIE LINKE am 16. 6. 2010, ist ein Skandal, ja ein Schlag ins Gesicht der NS-Opfer. Ohne mündliche Aussprache, nur mit schriftlichen Wortbeiträgen, die seitens der CDU, CSU und FDP, aber auch der SPD den Geist der Restauration und des Kalten Krieges atmeten, wurde der Antrag am 11. November 2010 zu später Stunde beerdigt. Die CDU/CSU-Reaktion ist unfassbar und, ähnlich wie bei den vielen Debatten zum Kriegsverrat, sprachlich und argumentativ stark in der Nähe von rechtsextremen Organisationen.

Auch in der Erinnerungsarbeit der Gedenkstätten für Opfer des NS-Unrechts werden die Vertreter der 2. und 3. Generation oftmals abgewiesen. Man erklärt ihnen ungeschminkt: Euer Anspruch auf Mitsprache in der Gedenkarbeit ist verwirkt. Genugtuung darüber, dass Zeitzeugen sich nicht mehr einmischen können, ist unverkennbar.

Doch, wir mischen uns ein!

Wie tun wir das?

Was können wir  tun?

Dazu gibt es aus der AG Kinder des Widerstandes - Antifaschismus als Auftrag ganz konkrete Vorschläge. Die Umsetzung dieser Vorschläge richtet sich natürlich nach den vorhandenen Kräften.

  1. Wir suchen nach weiteren „Kindern des Widerstandes“
    Wir bitten sie,
    a) den Aufruf zu unterschreiben
    b) in unserem Arbeitskreis mitzuwirken.
  2. Wir erarbeiten einen Fragebogen, der sich an die Kinder und Enkelkinder der Verfolgten richtet.
  3. Wir führen Interviews auf Grundlage des Fragebogens durch.
  4. Wir mischen uns als Gruppe ein mit
    a) Veröffentlichungen in der Antifa und anderen Zeitungen
    b) Richtigstellungen, Leserbriefen
    c) Einmischung in Gedenkstättenarbeit
    d) Mitarbeit in Organisationen, die sich mit dem Thema befassen
  5. Wir versuchen, die Erlebnisse und Erfahrungen der Verfolgtengeneration auf unsere Gegenwart zu übertragen.
  6. Wir versuchen – möglichst gemeinsam mit anderen Organisationen – alternative Stadtführungen auf den Spuren des Widerstandes durchzuführen.

Es wäre gut, in möglichst vielen Städten und Kreisen zu diesem Thema Treffen und Diskussionen durchzuführen.

Es sollte auch diskutiert werden, ob die „Kinder des Widerstandes“ ein „Zeitzeugenersatz“ sein können und ebenfalls in Schulen, Jugendeinrichtungen, Kirchengemeinden und Vereinen das Gespräch über Faschismus und Neofaschismus suchen sollten.

Christa Bröcher

28. Januar, 2012