29.01.2012 Antifaschisten als Verfassungsschutzopfer Obwohl Bürger von Nordrhein-Westfalen
wird Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA, von den bayerischen und
baden-württembergischen Verfassungsschutzbehörden
beobachtet und in ihren Jahresberichten als
„Linksextremist“ ausgewiesen. Er gehöre zu
den Bürgern, die angeblich mittels „diffamierender
Beschreibung der Verfassungswirklichkeit“ und scharfer Kritik
„ein grundsätzliches Infragestellen der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ erkennen lassen. So
meint es das Bayerische Staatsministerium des Innern
ausdrücken zu müssen. Hier die Antwort des Opfers der
wahrheitswidrigen Geheimdienstveröffentlichungen. (Aus einer
Rede aus Anlass der 30. Landeskonferenz Antifaschistischer Initiativen
und Organisationen am 28.1.12 in Dortmund) Obwohl
Bürger von Nordrhein-Westfalen werde ich von den bayerischen
und baden-württembergischen Verfassungsschutzbehörden
beobachtet und in ihren Jahresberichten als
„Linksextremist“ ausgewiesen. Außer mir werden dort
auch Heinrich Fink, Ernst Grube und Kurt Pätzold diffamiert. Wir
gehörten
zu den Bürgern, die angeblich mittels
„diffamierender Beschreibung der
Verfassungswirklichkeit“ und scharfer Kritik „ein
grundsätzliches Infragestellen der freiheitlich-demokratischen
Grundordnung“ erkennen lassen. So meint es das Bayerische
Staatsministerium des Innern ausdrücken zu müssen,
weshalb ich in einer Antwort an Bürgerinnen und
Bürger falsch zitiert werde, die wissen wollen, warum die
VVN-BdA im bayerischen Verfassungsschutzbericht erwähnt und
warum diese Organisation vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Die
„diffamierende Beschreibung der
Verfassungswirklichkeit“ stammt nicht von mir, aber wird mir
und der VVN-BdA, deren Bundessprecher ich bin, untergeschoben. Die
„Diffamierung“, die mir unterstellt wird, laufe
darauf hinaus, daß der „Kapitalismus, die
bestehende freiheitliche demokratische Staats- und Gesellschaftsordnung
und mit ihr letztlich die parlamentarische Demokratie“ zu
bekämpfen sei. Wer als Antifaschist den Kapitalismus
kritisiert, sei ein Anhänger der
„Dimitroff-Thesen“ und bekämpfe die
Demokratie, so der bayerische Verfassungsschutz. Daß in
Deutschland mit der NSDAP auch die ökonomischen Eliten
siegten, die Hitler brauchten und förderten, ist keine
Erfindung von Georgi Dimitroff, sondern das war Kenntnisstand aller
politisch klar denkenden Beobachter in jener Zeit. Die
allgemeine Schlußfolgerung der Antifaschistinnen und
Antifaschisten seit den Jahren 1933/34 war jedoch auch, die
Errungenschaften der demokratischen und parlamentarische
Gesellschaftsordnung zu verteidigen und auf ihrer Grundlage die
Menschen in den gemeinsamen Kampf gegen Krieg und Faschismus zu
führen. Gerade die Fehleinschätzung, daß
der bürgerliche Staat nur dominierende faschistische Elemente
enthält, trug zur Niederlage der Arbeiterbewegung 1933 bei.
Deshalb war die Errichtung der demokratischen Republik nach 1945 die
Hauptlosung als Schlußfolgerung aus dem Faschismus, und unter
dieser Losung einigten sich die Antifaschistinnen und Antifaschisten
vieler Richtungen in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Die
Verteidigung der Grundrechte und des Grundgesetzes gehörten
und gehören zu den Wesensmerkmalen der Politik und Praxis des
Antifaschismus. Das schließt Kapitalismuskritik der
Antifaschisten nicht aus, setzt sie aber nicht voraus. Deshalb
forderten ich und Freunde von mir in den letzten Monaten den
bayerischen Verfassungsschutz und den Innenminister öffentlich
und in Briefen wiederholt auf, die diffamierenden Behauptungen
über mich und die VVN sowie meine namentliche Nennung im
Verfassungsschutzbericht und im Portal über
„Linksextremismus“ zu löschen. Eine
Antwort blieb aus. Nun klagt die VVN-BdA Bayern gegen das Land. Es
gibt keinen Schutz gegen Lügen, die der Inlandsgeheimdienst
über demokratische Bürger verbreitet. Wenn
kürzlich mal wieder das Stasi-Unterlagen-Gesetz
verlängert wurde, das 21 Jahre nach Ende der
„kommoden Diktatur“ (Günter Grass) noch
immer existiert, so sei daran erinnert, daß es nach Ende der
grauenvollsten Diktatur in der Menschheitsgeschichte, der NS-Diktatur,
nicht einen Tag lang ein – sagen wir mal –
Gestapo-Unterlagen-Gesetz gegeben hat. Stattdessen hat es schon bald
ein Gesetz zum Artikel 131 des Grundgesetzes gegeben, das vorsah, die
im Rahmen der Entnazifizierung entlassenen Beamten möglichst
wieder beim Staat einzustellen, wobei sie sogar den jungen
Hochschulabsolventen vorgezogen wurden. Aus dem Jahr
1966 stammt ein Gutachten eines der höchsten 131-er und
Nazi-Mediziner, Hans Bürger-Prinz, der nach dem Krieg in
Hamburg der allein zuständige Gutachter in
Wiedergutmachungsfällen war. Er bescheinigte meinem
Schwiegervater, daß ihm keine Entschädigung zukomme,
denn „der Kläger nahm die Risiken einer Verfolgung
im Sinne einer mehr oder weniger bewußt gewählten
Selbstbewährung im Einsatz für die Idee auf sich,
unterscheidet sich darin also gegenüber der unausweichlich
Situationen eines rassisch Verfolgten“. Der Kommunist Artur
Burmester war also selbst schuld, er hätte den Widerstand
unterlassen sollen, dann hätten ihm die Nazis nichts angetan.
Dabei wird in dem Gutachten durchaus deutlich, wie der Junge gelitten
hat, der bereits 1933 mit 17 Jahren in die Fänge der Gestapo
geriet und insgesamt dreieinhalb Jahre Haft und
„Bewährungseinheit 999“ sowie Zwangsarbeit
durchlitt. In der Haft wurde er mißhandelt, getreten,
gefoltert, um „Geständnisse“ von ihm zu
erzwingen. Die Täter wurden nicht bestraft, sie hatten nach
1945 ein Recht auf Weiterbeschäftigung. Die Organisation des
Artur Burmester war die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Sie
war in Hamburg in den sechziger Jahren verboten, so auch in einigen
anderen Bundesländern. In Rheinland-Pfalz,
wo dieses Verbot damals auch galt, kehrte man jetzt
vorübergehend zu den damaligen Praktiken zurück. Der
Opferorganisation wurde vor einigen Wochen der Status der
Gemeinnützigkeit aberkannt, weil sie im bayerischen (nicht im
rheinland-pfälzischen) Verfassungsschutzbericht steht. Sich um
die Belange der Gestapoopfer zu kümmern sei nicht
förderungswürdig, meinten die Behörden im
SPD-Bundesland Rheinland-Pfalz. Allerdings nur vorübergehend,
denn kürzlich wurde der VVN-BdA in Rheinland-Pfalz dann doch
die Gemeinnützigkeit wieder zuerkannt. Nicht so in Bayern.
Auch dort wurde der VVN-BdA der Gemeinnützigkeitsstatus
aberkannt. Der frühere Bundesfinanzminister Peer
Steinbrück (SPD) hatte zu Zeiten der Großen
Koalition eine Verordnung erlassen, daß Organisationen, die
im Verfassungsschutzbericht auch nur eines Bundeslandes stehen, in
allen Bundesländern keinen Gemeinnützigkeitsstatus
haben sollen. Angeblich sollte sich das gegen Nazis richten, es wird
jedoch auch gegen Linke praktiziert. Wer der VVN-BdA angehört,
soll mit schweren Nachteilen rechnen. Es werden wieder
Zustände wie im Kalten Krieg hergestellt. Aber
sogar während Kalten Krieges gab es Bürgerliche,
Demokraten, die den linken Berufsverbotsopfern und anderen
Verfassungsschutzopfern halfen. Derzeit hört man von
Solidarität mit diesen wenig. |