27.01.2012 Breites Bündnis
von „Linksextremisten“ traf sich vor dem
Industrieclub in Düsseldorf Erinnerung in
Düsseldorf und Oberhausen an Hitlers Treffen mit der Industrie
vor 80 Jahren Vorm
Düsseldorfer Industrieclubgebäude und im Linken
Zentrum in Oberhausen hat der Bundessprecher der VVN-BdA Ulrich Sander
zur Mahnung und Erinnerung an den 26. Januar 1932 gesprochen, an dem
Hitler sich Zustimmung von der Industrie holte. In seinen
Ausführungen wies Sander nach, dass derzeit alle
seriösen Historiker wieder eindeutig von der Schuld,
wenigstens Mitschuld der Großindustrie und Finanzwelt
Deutschlands an Faschismus und Krieg sprechen. Er legte dazu
Auszüge aus der Literatur vor. Der deutsche
Faschismus als eine Hervorbringung des deutschen Kapitalismus ist eine
Tatsache. Spätestens am 26. Januar 1932 wurde die Grundlage
dazu im Industrieclub in Düsseldorf gelegt, als Hitler seine
Pläne vor über 500 Bankern und Industriellen
ausbreiten durfte und auf viel Zustimmung stieß. Für
die deutsche Politik und Geschichtsschreibung galt diese Tatsache viele
Jahre als unumstößlich, und dann galt sie nur noch
als „Marotte der Marxisten“ (wie es Kurt
Pätzold seinen bürgerlichen Kollegen vorhielt). Die
Behauptung von der Unwissenschaftlichkeit der Darstellung von den
Ursprüngen des Faschismus im Kapitalismus gilt noch in weiten
Teilen der Gedenkstättenarbeit und in den Berichten
von Verfassungsschutzämtern. Dort wird allerdings die
„unwissenschaftliche Marotte“ zur
Verfassungsfeindlichkeit, so im bayerischen Verfassungsbericht, wo von
einer verfassungsfeindlichen Dimitroff-These die Rede ist, der die
Linksextremisten anhängen. Mit Folgen: Ihre Organisationen
werden bespitzelt und von Fördermitteln und
Gemeinnützigkeit ausgeschlossen. So konnte
vorm Düsseldorfer Industrieclubgebäude der
Bundessprecher der VVN-BdA Ulrich Sander den vielen anwesenden
Gewerkschaftern, Linken, Sozialdemokraten und Kommunisten sowie
VVN-BdA-Mitgliedern am Abend des 26. 1. 12, am 80. Jahrestag des
Treffens im Industrieclub, ironisch vorhalten, sie seien hier im
Linksextremismus vereint. In seiner Rede wie etwas später in
einem Vortrag auf einer Veranstaltung in Oberhausen wies Sander nach,
dass derzeit wieder alle seriösen Historiker eindeutig von der
Schuld, wenigstens Mitschuld der Großindustrie und Finanzwelt
Deutschlands an Faschismus und Krieg sprechen. Er legte dazu
Auszüge aus der Literatur vor. Seine Ausführungen in
Düsseldorf und Oberhausen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe
Freundinnen und Freunde! Ein kleines bisschen meiner
Redezeit möchte ich unserem vor zwei Jahren verstorbenen
Landessprecher der VVN/BdA Jupp Angenfort abgeben. Ich habe mit ihm
hier – ungefähr an dieser Stelle – ein
Interview geführt, in dem er zum letzten Mal über die
Bedeutung dieses Ortes sprach. Er sagte:
„Hier im Industrieclub im heutigen Steigenberghotel legte
Hitler in einem Vortrag vor 500 Unternehmern sein Programm dar. Er
sprach davon, dass der Marxismus ausgerottet werden solle, die
Gewerkschaften zerschlagen, das Parteiwesen, das Parteiunwesen
beseitigt, also die Demokratie, abgeschafft, die Reichswehr
aufgerüstet wird, und er wolle sich um Lebensraum im Osten
kümmern. Im Grund genommen hat Hitler das ganze Programm
dargelegt, das dann zur Nazi-Diktatur und in die Katastrophe des
Zweiten Weltkrieges geführt hat. Die Zeitungen schrieben am
nächsten Tag, dass lang anhaltender Beifall Hitler
für seine Ausführungen belohnt hat. Und im Grunde
genommen müsste an den Seitenflügeln des
Steigenberger Hotels eine Tafel mit der Aufschrift: ‚1932
– Hier bekam Hitler von der Industrie Beifall und Geld. Hier
wurden die Weichen zum Krieg gestellt.’ Arbeiter
Düsseldorfs protestierten während der Veranstaltung.
Sie wurden von der Polizei vertrieben.“ Irgendwie
kommt uns das bekannt vor. Die Polizei schützt die Nazis auch
heute leider oft vor Kritik und Protest. Übrigens
schützt auch der Verfassungsschutz die Nazis vor Kritik. Auch
heute noch. Denn das, was wir hier machen, die Erinnerungsarbeit zu
leisten, an die große Verantwortung und Mitschuld des
Kapitals für Krieg und Faschismus zu erinnern, das
führt noch heute dazu, im bayerischen Verfassungsschutzbericht
diffamierende Erwähnung zu finden. Und dieser Eintrag kann
dann dazu führen, dass antifaschistische Organisationen ihren
Staus der Gemeinnützigkeit verlieren. Früher
wusste es auch die Union besser. "Das kapitalistische Wirtschaftssystem
ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes
nicht gerecht geworden", lautete einst der erste Satz des CDU-Programms
für Nordrhein-Westfalen (das sogenannten Ahlener Programm vom
3.2.1947). An die Stelle des Kapitalismus gelte es, "eine
gemeinwirtschaftliche Ordnung" zu setzen. "Die neue Struktur der
deutschen Wirtschaft muß davon ausgehen, daß die
Zeit der unumschränkten Herrschaft des privaten Kapitalismus
vorbei ist.“ Das waren kluge Worte, an die
zu erinnern ist. Gerade jetzt erleben wir, wie der ungezügelte
Kapitalismus unserem Land wieder großen Schaden
zufügt. Wir erleben, dass alles für die Reichen getan
wird und die kleinen Leute die Zeche zahlen. Noch zahlen sie nicht mit
ihrem Blut, aber das Blut anderer Völker wird schon wieder
geopfert, damit die Profite der Rüstungsindustrie stimmen. Jupp
Angenfort hat vorgeschlagen, eine Mahntafel an diesem Haus anzubringen.
Ich darf heute mitteilen, dass unsere Organisation, die VVN-BdA
Düsseldorf, in Kürze einen Antrag an den Rat der
Stadt Düsseldorf richten wird, damit hier am Ort, da
das Bündnis von Faschismus und Kapital, geschlossen wurde,
eine Mahntafel angebracht wird. Solche Mahntafeln gibt es bereits in
Köln, es soll sie geben in Leverkusen, Gelsenkirchen und
Dortmund. So wird es neben den Erinnerungsstolpersteinen für
die Opfer auch Mahntafeln geben, mit denen deutlich wird: Wir
dürfen dem Profitstreben nie wieder eine so großen
Einfluss auf die Politik geben, dass vom Sozialstaat, vom Frieden, von
der Demokratie schließlich nichts übrig bleibt. Alle
Mahntafeln zusammen, die wir schaffen wollen, können dann ein
nordrhein-westfälisches Gesamtdenkmal bilden. Wir legen in den
nächsten Wochen mit unserem Buch „Von Arisierung bis
Zwangsarbeit“ – Verbrechen der Wirtschaft an Rhein
und Ruhr 1933 – 1945 eine Bilanz der Bemühungen um
eine antikapitalistische, antimilitaristische und antifaschistische
Erinnerungsarbeit vor und rufen dazu auf, in allen Orten
ähnliches zu initiieren. Denn unser Buch
ist nicht abgeschlossen. Wer weitere Spuren suchen und benennen will,
möge zum Beispiel die Liste der Firmen, die
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigten und
ausbeuteten, mit der Liste der Firmen vergleichen, die wirklich in die
Stiftung zur Zwangsarbeiterentschädigung einzahlten. Die
Angaben in diesen Listen sind jedoch nur Anhaltspunkte. Denn die
Wirtschaft hat es versäumt, vollständige Angaben zu
machen. Zudem stehen wir alle in der Schuld der Opfer der deutschen
NS-Wirtschaft. Der Ökonom und Historiker Prof. Dietrich
Eichholz schrieb »Die westdeutsche Industrie ist
gestärkt aus dem Krieg hervorgegangen; sie hat nicht den
Krieg, wohl aber am Krieg gewonnen. Ihr Anlagevermögen war bei
Kriegsende erheblich höher als bei Kriegsbeginn, selbst unter
Anrechnung der Zerstörungen und Demontagen. Heute
zählen die deutschen Großkonzerne zu den
mächtigsten der Welt.“ „Ihre heutige
Machtstellung ist zum Teil aus den Kriegsprofiten erwachsen: Dazu hat
auch die Zwangsarbeit beigetragen. (aus »Neues
Deutschland«, 22. 10. 1998) Auch der
Freiburger Prof. Ulrich Herbert, Verfasser mehrerer
Veröffentlichungen zum Thema Sklavenarbeit in der NS-Zeit, hat
auf die Frage: Wie begründet ist der Verdacht, unser Reichtum
beruhe auch auf der Ausplünderung von Zwangsarbeitern? dies
geantwortet: »Es gibt Analysen, die zeigen, dass ein
erheblicher Teil unseres Wirtschaftswunders auf der Entwicklung in
diesen Kriegsjahren beruht, auf der Ausbeutung Europas und der
Zwangsarbeiter (…).« (Aus
»Süddeutsche Zeitung«, 29.12.1998) Die
Zwangsarbeiterentschädigung hat nicht einmal ansatzweise das
ergeben, was erforderlich war. Vor allem sei daran erinnert, dass die
Zwangsarbeiter, die als Kriegsgefangene aus der Sowjetunion und aus
Italien nach Deutschland kamen, nicht einen Pfennig oder Cent
Entschädigung gesehen haben. Die größte
Gruppe der Nichtentschädigten stellen die sowjetischen
Kriegsgefangenen dar. Fünf Millionen sowjetischer Soldaten
waren in deutscher Kriegsgefangenschaft, von denen nur 1,7 Millionen
überlebten und dies zumeist in qualvoller Zwangsarbeit. Den
Überlebenden zu ihrem Recht zu verhelfen, an ihr Leiden zu
erinnern und vor ihren Peinigern zu warnen, soll uns Verpflichtung
sein. Heute gehört dazu, vor allem die
Allmacht der großen Konzerne und Banken anzugreifen und zu
überwinden, darunter diejenigen, die an Rüstung und
Krieg verdienten. Und immer noch verdienen. Damit würde ein
wichtiger Beitrag geleistet werden, um in Zukunft
Unterdrückung und Krieg auszuschließen. Verbrecherische geheime Ruhrlade Um
sich im engsten Kreise vertraulich über wichtige Fragen
abzustimmen, schlossen sich im Januar 1928 zwölf Industrielle
zusammen, die sich selbst als die „maßgebenden
Herren der westlichen Industrie“ bezeichneten. Ihre
Vereinigung nannten sie die „Ruhrlade“. Mit ihr und
ihrem „engeren Kreis“, dem Krupp,
Klöckner, Reusch, Springorum, Thyssen, Vögler und
Poensgen angehörten, hat sich der langjährige
Dortmunder Stadtarchivar Gustav Luntowski in seinem Buch
„Hitler und die Herren an der Ruhr –
Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich“
befaßt. Er konnte aus bisher ungenutzten Quellen, darunter
den Privatarchiven der Herren der Ruhrlade, schöpfen und kam
nicht umhin festzustellen, daß „eine
Mitverantwortung der Industriellen für das
nationalsozialistische Unrechtssystem“ nicht zu verneinen
sei. Stärkere Urteile wären aufgrund des
zusammengetragenen Materials möglich gewesen, erschienen dem
Historiker aber wohl nicht opportun. Das
wirtschaftspolitische und allgemeinpolitische Programm der Ruhrlade
schrie geradezu nach einem Mann wie Hitler: Tarifverträge
allenfalls im Betrieb, also nicht überbetrieblich,
Beschränkung aller sozialen Ausgaben, Verringerung der
Arbeitslosenunterstützung und „Kampf mit den
Gewerkschaften mit aller Schärfe“, so Paul Reusch
(Gutehoffnungshütte), der zusammen mit Albert Vögler
(Vereinigte Stahlwerke) als Scharfmacher wirkt. Reusch weist im Jahre
1932 als Mitbesitzer die Münchner Neusten Nachrichten an,
hinter dem NSDAP-Organ Völkischer Beobachter nicht sehr
zurückzustehen, und erklärt namens des Aufsichtsrates
zur „vornehmsten Aufgabe des Blattes“ die Pflege
des „nationalen Gedankens“. Seine Weisungen
enthielten „die damals in konservativen Kreisen allgemein
vertretenen Positionen“ (so Luntowski), als da waren:
„Ein ,großdeutsches Reich' (Zusammenfassung aller
geschlossen siedelnden Deutschen und Anschluß
Deutsch-Österreichs), Bekämpfung des ,Systems von
Versailles’ und der ,Kriegsschuldlüge’,
Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit, Revision der Ostgrenzen
(Korridorfrage), Ablehnung des demokratisch-parlamentarischen Systems
von Weimar, schärfste Bekämpfung des Marxismus,
Unantastbarkeit des Privateigentums usf.“. Ähnliche
Töne hatte Hitler im Januar 1932 im Düsseldorfer
Industrieklub angeschlagen. Zur Entlastung des
Großkapitals wird heute gern angeführt: Die
Industrielleneingabe von 1932 an Reichspräsident Hindenburg
zugunsten Hitlers sei ohne Wirkung geblieben, erst nach dem 30. Januar
1933 seien die Industriellen auf die Gegebenheiten eingeschwenkt,
vorher hätten sie die Zusammenarbeit mit der NSDAP verweigert.
Tatsächlich aber standen für die Nazipartei wie
für einzelne Nazis schon Jahre vor 1933 unzählige
Finanztöpfe bereit. Von der Eingabe an Hindenburg
veröffentlichte Luntowski in einer Ausstellung des Dortmunder
Stadtarchivs ein Begleitschreiben, mit dem die Herren Albert
Vögler, Paul Reusch und Fritz Springorum unter dem
Eingangsstempeldatum des Büros des Reichspräsidenten
vom 22. 11. 32 mitteilen, daß sie „voll und ganz
auf dem Boden der Eingabe stehen“. Durch Otto
Köhlers Recherche wissen wir von den gegenseitigen Hilfen von
IG Farben und NSDAP im Sommer 1932, und Luntowski benennt einen
wichtigen Deal aus dem Bereich der Schwerindustrie. Als Friedrich Flick
– kein Mitglied der Ruhrlade – seine wertlos
gewordenen Gelsenbergaktien weit überteuert an das Reich
verkaufte und die Ruhrlade darin eine Bevorzugung Flicks durch die
Regierung Brüning und ein Stück
„Sozialisierung“ sah, da konnte Flick auf die
Zustimmung Görings und dann auch Hitlers verweisen, weil sonst
ein deutsches Werk unter Umständen in polnische Hände
geraten wäre. Es wird erkennbar, daß die Harzburger
Front vom Oktober 1931, bestehend aus Nazis und Nationalisten aller
Schattierungen, von Reusch und Co. begeistert aufgenommen wurde und die
Rede des Reichsbankpräsidenten a.D. Hjalmar Schacht
(„Möge der nationale Sturmwind, der durch
Deutschland geht, nicht ermatten“) auch die Rede der
Ruhrindustriellen war. Auf die
„nationalsozialistischen Wirtschaftsideen“ mit all
ihrer antikapitalistischen Demagogie mußten sie jedoch noch
mit „Vernunft“ Einfluß nehmen. Reusch,
Schacht und Vögler vereinbarten 1932, „erprobte
Herren“ einzustellen und zu bezahlen, um die
Wirtschaftspolitik der Nazis „zu formen“. Dabei
wußten die drei Herren nicht, daß Hitler bereits
ein Jahr zuvor den badischen Chemiefabrikanten Wilhelm Keppler und
dessen zahlungskräftige Freunde gewonnen hatte, ihre
„wirtschaftspolitischen Anschauungen“ auf die NSDAP
wirken zu lassen. „Sie sollten zur Verfügung der
Partei stehen, ‚wenn wir zur Macht
kommen’.“ Und sie standen alle zur
Verfügung: 1932 beim Treffen im Düsseldorfer
Industrieklub, am 4. Januar 1933 beim Bankier von Schröder in
Köln und dann am 20. Februar 1933 in Berlin. Bereits im
Dezember 1932 war in einem vertraulichen Bericht aus dem
„Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen
Interessen in Rheinland und Westfalen“ (Langnamverein)
konstatiert worden, „daß fast die gesamte Industrie
die Berufung Hitlers, gleichgültig unter welchen
Umständen, wünscht“. (Aufgefunden im
Bundesarchiv, bei Luntowski S. 80) Eine
Gedenktafel der Stadt Köln befindet sich seit 1996 vor dem
Hause Stadtwaldgürtel 35. Sie trägt im Stile der
Stolpersteine die Inschrift: „Hier, im Haus des
Privatbankiers Kurt Freiherr von Schröder, trafen sich am 4.
Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von Papen, um über eine
Regierungsbildung zwischen Nationalsozialisten und Rechtskonservativen
zu beraten. In einem Gespräch wurden die Weichen für
Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 gestellt und die
Voraussetzungen für die menschenverachtende Diktatur der
Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder
unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des
Nationalsozialismus und organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen
der deutschen Wirtschaft an die SS.“ Als
sich schließlich am 20. Februar 1933 Hitler und
Göring in Berlin mit der Spitze des Reichsverbandes der
Deutschen Industrie (Vorsitzender: Gustav Krupp von Bohlen und Halbach)
treffen, sagt Hitler: „Wir stehen jetzt vor der letzten Wahl.
Sie mag ausgehen wie sie will ... Wenn die Wahl nicht entscheidet,
muß die Entscheidung eben auf einem anderen Wege fallen ...
oder es wird ein Kampf mit anderen Waffen geführt werden, der
vielleicht größere Opfer fordert ...“ Nach
dieser offenen Darlegung seiner Putschpläne für den
Fall einer Wahlniederlage spenden die rund 20 geladenen Industriellen
für den Wahlkampf der NSDAP drei Millionen Reichsmark. Krupp
fertigt abends eine Notiz über die Begegnung an:
„Ruhe in der inneren Politik: keine weiteren Wahlen. ...
Ermöglichung der Kapitalbildung. ... Dementsprechend
Entlastung von Steuern und öffentlichen Lasten.“ Die
Aufrüstung, die Vorbereitung auf den Krieg und die Eroberung
neuen „Lebensraums“ konnten beginnen. Sodann die
Sklavenarbeit von Millionen Menschen, die nach Kriegsbeginn
„ins Reich“ geholt wurden, wo sie die Profite der
Industriellen mehrten. Luntowski findet am Schluß
für alles eine Entschuldigung: „Vielmehr scheint ihr
Handeln letztlich fast allein von der Sorge um Bestand und Fortexistenz
ihrer Unternehmen bestimmt gewesen zu sein.“ Diese
„Fortexistenz“ des Kapitalismus brachte 55
Millionen Menschen den Tod. Gustav
Luntowski: „Hitler und die Herren an der Ruhr –
Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich“, Peter
Lang Frankfurt am Main/Bern, Europäischer Verlag der
Wissenschaften, 2000, 315 Seiten, 52,-- Euro Jedes menschliche
Gefühl erstickt: Flick ging über Leichen Als
die VVN-BdA von Nordrhein-Westfalen Anfang 2008 die Aktion
„Spurensuche ’Verbrechen der Wirtschaft
1933-1945’“ startete, um eine Publikation und eine
Ausstellung über ein bisher unbeackertes Feld der
Geschichtsarbeit vorzubereiten, da schrieb sie einen Brief an den
Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers aus dem
Land an Rhein und Ruhr, das wohl die meiste Veranlassung zu einem
solchen Tun hat. Es wurden Mittel für die Spurensuche erbeten
und die Notwendigkeit einer solchen Aktion auch mit der
Bürgerinitiative „Flick-ist-kein-Vorbild“
begründet, die von ehemaligen Schülern des
Friedrich-Flick-Gymnasiums in Kreuztal/Siegerland geschaffen werden
musste, um endlich die Schule vom Namen eines „ruchlosen
Kriegsverbrechers“, so die
Formulierung auf einer erregten Bürgerversammlung, zu befreien. Der
Ministerpräsident ließ durch die Landeszentrale
für politische Bildung antworten, deren Dr. Hans Wupper-Tewes
darauf hinwies, es sei eine Unterstellung zu behaupten, „dass
die Wirtschaft bislang nichts unternommen habe, ihre Geschichte
während der NS-Zeit aufzuarbeiten“, denn
„eine Reihe von Unternehmen unterschiedlicher
Größenordnung haben in den letzten 20 Jahren selbst
Studien zu Fragen, wie dem Umgang mit Zwangsarbeitern im eigenen
Unternehmen, in Auftrag gegeben.“ Dies ist unbestritten
richtig. Falsch sind aber die Warnungen der Landeszentrale vor einer
„Pauschalisierung der Fragestellung, wie sie Ihr Projekttitel
nahe legt“. Es gibt die betrieblichen Studien, von denen
Wupper-Tewes spricht, aber sie können nicht darüber
hinwegtäuschen, dass „die Wirtschaft“ eben
nichts zustande gebracht hat, was etwa den Bemühungen der
Berufsgruppen von den Ärzten bis zu den Juristen
ähneln würde. Ganz abgesehen von der
Geschichtsschreibung der kleinen Leute aus den sechziger Jahren, da die
VVN-BdA die Geschichte des Widerstands, auch des Arbeiterwiderstandes
für die BRD schrieb und dann erst professionelle Historiker
einstiegen. Nun liegt wieder eine Einzelstudie vor.
Zunächst galt Friedrich Flick (geb. 1883 Kreuztal-Ernsdorf,
gest. 1972 Konstanz) neben Krupp von Bohlen und Halbach als der
ökonomische Kriegsverbrecher schlechthin, quasi der das
Verbrechen der Wirtschaft in seiner Gesamtheit verkörpernde
Unternehmer. So wurde er in Nürnberg vor Gericht gestellt
– und als solcher empfing er die Solidarität seiner
Klasse, die ganz froh war, dass er pars pro toto genommen wurde. Seine
Klassenbrüder, erleichtert nicht vor Gericht gestellt zu
werden, setzten sich dann auch für ihn ein, nannten ihn einen
unschuldig Verfolgten, und er stellte schon in der Haft seine Kontakte
wieder her, um nach seiner Karriere in der Weimarer Republik und der
Nazizeit nun einen dritten Aufstieg unter Adenauer zu organisieren. So
fühlten sich denn auch seine Erben überhaupt nicht
zuständig, als im Jahr 2000 die wichtigsten Konzerne Geld
einzahlen mussten, um einen Zwangsarbeiterentschädigungsfonds
zu speisen. Es waren nur noch diese Enkel da, und die kauften vom
Blutgeld Gemäldesammlungen und besaßen ein
gewaltiges Anlagevermögen. Die Gemälde stellten sie
großzügig als Dauerleihgaben zur Verfügung,
bis der Protest gegen eine solche, auch noch vom Bundeskanzler Gerhard
Schröder geförderte Haltung zu groß wurde.
Da zahlten die Enkel noch immer nichts ein in die Stiftung
„Erinnerung Verantwortung Zukunft“, aber sie
gründeten eine eigene „F. C. Flick Stiftung gegen
Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz“, Sitz
Potsdam, und sie rüsteten sie mit 10 Millionen Mark aus. Davon
wurde nun einiges für die Herausgabe des Buches “Der
Flick-Konzern im Dritten Reich” bereitgestellt, das in diesem
Jahr das Licht der Welt erblickte. Es unterscheidet
sich, das sei vorausgeschickt, sehr von den übrigen Betriebs-
und Konzernstudien. Jeder Anflug von Reinwaschung des Konzerns von
Schuld unterbleibt. Andere Studien waren zu einer Zeit erschienen, da
es noch ratsam war, vor allem in der Zwangsarbeiterfrage den Eindruck
zu erwecken, die Sklavenarbeit sei dem Unternehmer sehr fremd gewesen,
sie seien sogar Opfer einer NS-Wirtschaftspolitik geworden, die ihnen
Sollzahlen und damit die „Fremdarbeiter“ aufzwang. In
dieser Studie wird nun schonungslos mit all den Mythen und
Lügen abgerechnet, die Friedrich Flick über sich in
die Welt setzen ließ. Allerdings entsteht ein Bild des
Einzeltäters; auch diese Studie stellt sich nicht in den
Dienst einer Aufarbeitung der Verbrechen der Klasse, sondern gerade
Flicks ausgeprägter eiskalter Egoismus, sein verbrecherisches
Handeln auch gegen andere Konzerne und Konkurrenten lassen ihn als
Ausnahme von der Regel erscheinen. Da ist nichts mehr von pars pro toto. Friedrich
Flick hat wie kein anderer Mythen um sich verbreitet, bis hin zur
Behauptung, er sei Opfer des NS-Systems und guter Chef der
ihm zugewiesenen Zwangsarbeiter gewesen. Nun wurden neue Quellen
erschlossen. Kaum einer war 1933-45 so erfolgreich wie Flick. Dabei war
er 1932/33 pleite und beinahe vom Sockel gestürzt. Der Staat
– der untergehende von Weimar und der aufstrebende der Nazis
– rettete ihn. Als Friedrich Flick – kein Mitglied
etwa der „Ruhrlade“ der großen
Herren von Rhein und Ruhr – im Jahre 1932 seine
wertlos gewordenen Gelsenbergaktien, und damit seine Aktienmehrheit an
den Vereinigten Stahlwerken weit überteuert an das Reich, an
die Regierung Brüning, verkaufte und die
„Ruhrlade“ darin eine Bevorzugung Flicks durch die
Regierung Brüning und ein Stück
„Sozialisierung“ sah, da konnte Flick auf die
Zustimmung Görings und dann auch Hitlers verweisen, weil sonst
ein deutsches Werk unter Umständen in polnische oder
französische Hände geraten wäre. Flick bekam
den Nennwert von 99 Millionen, obwohl der Börsenwert nur 24
Millionen betrug. Flick hatte sich abgesichert, er hatte seinen
Vertrauten Otto Steinbrinck in den NSDAP-nahen Keppler-Kreis von
Nazi-freundlichen Unternehmern gesandt. Steinbrinck stand schon seit
den 20er Jahren mit Göring und den Generalen in Verbindung. Zweifellos
wollte Flick den Krieg. Er drängte „ab
Frühjahr 1933 in das Rüstungsgeschäft. Er
gehörte schon bald zu den Unternehmern, die besonders resolut
und hartnäckig um Rüstungsaufträge
warben,“ schreibt Johannes Bähr. Im Herbst 1933
startete Flick eine erfolgreiche
„Informationskampagne“. Sein Konzern füge
sich besser in die rüstungswirtschaftlichen Planungen als die
Ruhrindustrie, gab er den neuen Herren zu verstehen und verwies darauf,
dass er Kohle- und Erzbergbau und Stahlproduktion betreibe, nicht auf
Rohstoffimporte angewiesen sei. Ab 1933 stieg die Zahl der
Beschäftigten. Und des Profits: Von 1933 225 Mio auf 1 Mrd.
Reichsmark Flicks Arisierungspolitik
gehörte neben der Kriegstreiberei zu weiteren großen
Verbrechenskomplexen, die Ausbeutung von Zwangsarbeitern und die
Ausplünderung besetzter Gebiete sollten folgen. Für
die Arisierung der Petschek-Konzerne lässt er ein Gesetz
entwerfen, das dann von Göring am 3. Dezember 1938 in der
Verordnung über den Einsatz jüdischen
Vermögens befolgt wird. Flick hatte argumentiert: Der
Ignaz-Petschek-Konzern dürfe nur solchen Unternehmen zufallen,
„deren Interesse aus nationalsozialistischen Gesichtspunkten
zu begründen ist.“ Aus dieser Formulierung
machte Flick später einen NS-Auftrag an ihn, dem er sich nicht
entziehen konnte; er habe unter Druck gehandelt, wäre so etwas
wie ein NS-Opfer. Jedoch: “Von den Arisierungen,“
so Axel Drecoll, „profitierte der Konzern quantitativ wie
kein anderes privates Unternehmen.“ Zu den
Mythen um Flick gehört die Behauptung von seinem
unternehmerischen Geschick. CDU-Kreise in Südwestfalen halten
an der Gymnasiumsbenennung fest, weil doch Friedrich Flick so ein
vorbildlicher heimatverbundener Unternehmer war. Doch das bis zu
80-prozentige Wachstum seines Konzerns in der NS-Zeit war nicht durch
unternehmerisches Geschick erreicht worden, sondern durch staatliche
Wirtschaftspolitik der Nazis ermöglicht. Das Wachstum
übertraf bei weitem das vieler Konkurrenten. Seine
Entscheidung, unter dem brutalen deutschen Besatzungsregime in
Lothringen eine Firma zu leiten, schreibt Johannes Bähr,
machte ihn „zum Komplizen dieser Politik“ Allerdings
gab es auch konzerninterne Instrumente, die nur Flick besaß
und seinen „Erfolg“ mit begründeten: Da
war Flicks dezentrale und zentrale Macht sein Holdingprinzip. Er musste
auf keine Aktionäre Rücksicht nehmen. Er war
„autark“. Zur Montanindustrie des Flick kam der
Ausbau des Maschinenbaus - und der Rüstungsproduktion. Vor
allem: Flick herrschte über alles selbst – wie
Krupp. Er hatte ein System der Informationsbeschaffung und
Informationsverbreitung aufgebaut wie kein zweiter. So schrieb er
indirekt mit am Vierjahresplan 1936. Hatte beste Kontakte zu
Göring, er hat ihn bestochen. Harald
Wixforth wies die Flick-Freunde in einem Streitgespräch in
Kreuztal zurück: Der Nationalsozialismus bot gute
Rahmenbedingungen für Flick, – er war nicht einfach
„tüchtig“ und
„erfolgreich“, sondern er war erfolgreich in der
Diktatur und wegen der Diktatur. Wixforth wies auf
einen wenig erforschten Teil der Geschichte hin, den er den
NS-Antikapitalismus nannte. Die staatlichen Reichswerke Hermann
Göring, erwiesen sich als Gegenspieler der Ruhrindustrie
– und dann auch Flicks. Im Krieg ging Flick bisweilen leer
aus; anders die Banken und die Chemie – sie profitieren
extrem im Osten, wenngleich auch Flick in der Ukraine auf Erfolge
verweisen konnte. Im Westen klappte es besser, so in Lothringen. Zeitweilig
waren 50 Prozent der bei Flick Beschäftigten Zwangsarbeiter.
In einzelnen Flick-Betrieben lag der Anteil der Zwangsarbeiter bei bis
zu 85 Prozent. Die neue Studie belegt bisher nicht Gekanntes zu den
Arbeits- und Lebensbedingungen der „Fremdarbeiter“.
Sie waren am schlechtesten bei Flick. So geht es jedenfalls aus den
Aussagen einzelner Autoren und Kapitel des Buches, weniger aus dem
kollektiven „Fazit“ der Autoren (ab Seite 721)
hervor. Wixforth: „Flick hat seine 65.000 Zwangsarbeiter so
schlecht behandelt wie kein anderer deutscher Unternehmer und
überzog dabei sogar in den Augen des Regimes: Er war bereit,
über Leichen zu gehen. Das Streben nach Profit, ließ
bei ihm jegliches menschliches Mitgefühl im Keim
ersticken.“ Im Nürnberger Prozess sagte
Flick aus, er habe von allem nichts gewusst. Das ist eine
Legendenbildung. Sein Konzern war zu straff geführt, er wusste
alles. Zum Beispiel die Selbstmorde durch
verzweifelte Zwangsarbeiter in Flicks Betrieben. Dazu finden sich im
Buch Fotos – gefunden in Konzernunterlagen. Es gab
für die Zwangsarbeiter weniger Kalorien als bei der
Konkurrenz. Warum? Es galt Kosten zu senken. So war das Flick-System
schlimmer als die Sklaverei, denn der Sklave wird nicht
zerstört durch die Arbeit, er ist wichtig für die
Produktion. Doch Flick ließ die Menschen zerstören.
Er hätte auch anders handeln können, er hatte
Freiräume, wie andere Konzerne auch. Er wollte sie nicht
nutzen. Das Resultat in dem Streitgespräch: Er kann kein
Vorbild sein in der heutigen Gesellschaft. Nach dem
Krieg blieben Flick nur 25 Prozent des Konzerns, weil er im Osten
enteignet wurde. Daraus erwuchs sein Mitleidsmythos. Im Westen blieb er
von Entflechtungen verschont. Der bayerische Staat zahlte gar 20
Millionen Euro quasi als Entschädigung. Weit
vor Ende der Haftzeit, zu der er verurteilt wurde, kam Flick aus dem
Gefängnis Landsberg frei. Wixforth: „Viele weitere
Industrielle hätten eingesperrt werden müssen. Sie
waren ganz froh, dass Flick quasi als Symbol der Industrie
galt. Es hagelte Solidarität.“ Die
„Ungerechtigkeit“, dass Flick eingesperrt wurde,
andere nicht, sie wurde nicht dadurch gelöst, dass weitere
eingesperrt wurden, sondern dadurch, dass Flick eher entlassen wurde.
Wixforth erinnert an Josef Neckermann, diese Lichtgestalt des
Wirtschaftswunders und der Olympischen Bewegung. Es war ein Verbrecher,
der mit den Kleidungsstücken der Juden von Auschwitz seinen
ersten schwunghaften Handel betrieb. Fazit:
„Der Flick-Konzern im Dritten Reich“ legt
detailreich strategisch-ökonomische Entscheidungen,
Lobbymethoden gegenüber der NS-Politik und interne
Entscheidungsstrukturen der Flick KG dar. Kein Unternehmer hat die
Wirtschaftspolitik der Nationalsozialisten so produktiv genutzt wie
Friedrich Flick. In den zwölf Jahren der NS-Diktatur
verzehnfachte er die Zahl der Beschäftigten und baute seinen
Konzern zum zweitgrößten privatwirtschaftlichen
Stahlerzeuger des Deutschen Reiches aus. Oft wird gesagt: Ein
Nationalsozialist war Flick nicht, er trat erst 1937 in Hitlers Partei
ein. Ist das wichtig? Wichtig ist: Er suchte und gewann 1933 die Gunst
der neuen Machthaber und profitierte in großem
Ausmaß von „Arisierungen“, Zwangsarbeit
und dem immensen Bedarf an Rüstungsgütern.
Dafür wurden die Führungskräfte des Konzerns
vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg
zur Verantwortung gezogen, der Konzernchef Flick als Kriegsverbrecher
verurteilt. Doch trotzdem konnte er nach 1945 seinen dritten Aufstieg
realisieren und seine Verbrechen verschleiern. Der
Erfolgsgeschichte Flick und Weimar sowie Flick und die Nazis wurde jene
nach Gründung der Bundesrepublik hinzugefügt. Die
aber müsste in einem anderen Buch geschildert werden. Und auch
die der deutschen Industrie und der Verschleierung ihrer Verbrechen im
Ditten Reich. Eine neue Rüstungsbranche wurde gebraucht, die
alten Besitz- und Machtverhältnisse wurden wieder hergestellt
(DGB-Programmaussage). Da konnte die Geschichte des Mordmanagements und
der Mordsprofite nur stören. Johannes Böhr, Axel
Drecoll, Bernhard Gotto, Kim Christian Priemel und Harald Wixforth:
“Der Flick-Konzern im Dritten Reich”, Hrsg. durch
das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im
Auftrag der Stiftung preußischer Kulturbesitz. Oldenbourg
Verlag, München 2008, 1.018 Seiten, 60 Abb., 20 Graf., Leinen,
64,80 €. Adam
Tooze stellt die Wahrheit in der Geschichtsschreibung wieder her Ende
2008 wurde von der VVN-BdA beantragt, an der Hainalallee (vormalige
Hitlerallee, vormalige Rathenauallee) in Dortmund eine Mahntafel
anzubringen, mit dem Text: »Hier an der Ecke
Eintrachtstraße/Hainallee, in der Villa Springorum trafen
sich am 7. Januar 1933 Franz v. Papen und führende
Ruhrindustrielle, um die Machtübertragung an Hitler
herbeizuführen. Viele Ruhrindustrielle unterstützten
bereits vor 1933 die Ziele der Nazis. Sie profitierten von Krieg,
Faschismus und Holocaust«. Am 3. Februar
2009 wurde der Vorschlag für eine Mahntafel zur
»Ruhrlade«-Tagung vom 7. Januar 1933 im Rathaus
Dortmund erörtert. Dem Antrag wurde nicht zugestimmt. Der
Leiter der Gedenkstätte in der Steinwache, Dr. Stefan
Mülhofer, begründete dies so: Der Ablauf der Beratung
am 7. Januar 1933 sei nicht bekannt, jedoch keinesfalls vergleichbar
mit dem Treffen vom 4. Januar in der Villa Schröder in
Köln. Nach dieser Logik, so sagte ich für die
Antragsteller, kann es nur eine Warntafel geben, jene in Köln.
Zugestimmt wurde einem Vorschlag des Dezernenten der Stadt Dortmund
Jörg Stüdemann, der besagt: Der genannte
Textvorschlag eigne sich »eher für ein
wissenschaftliches Diskussionsforum (Kolloquium), ... denn für
die Verstetigung in Form einer ›Mahntafel‹ oder
auch Informationstafel. Wissenschaftlich gesicherte Ergebnisse
über den lokalhistorischen Zusammenhang (Ruhr)Industrie und
Machtergreifung Hitlers – Rüstungsindustrie im
Ruhrgebiet und Ausbeutung von Zwangsarbeitern – sollten
perspektivisch betrachtet in die ständige, wissenschaftlich
fundierte Ausstellung ›Widerstand und Verfolgung in Dortmund
1933–1945‹, dem zentralen Gedenk- und
Erinnerungsort der Stadt Dortmund, einfließen.« In
der Antragsbegründung von Ulrich Sander (VVN-BdA)
gegenüber dem zuständigen Ausschuss für
Bürgerdienste, öffentliche Ordnung, Anregungen und
Beschwerden des Rates der Stadt Dortmund führte er aus: „Unsere
Mahngänge führten uns immer wieder zu den
Stolpersteinen für die Opfer des NS-Regimes. Wir sind der
Meinung, dass es auch Erinnerungstafeln an die Täter geben
sollte. Darunter jene aus der Wirtschaft. Zunächst lassen Sie
mich betonen: Die Meldungen über die Dortmunder
Kirdorf-Siedlung – um ein regionales Beispiel der Ehrung
für einen finanzkräftigen Förderer des
Nationalsozialismus zu nennen (die allerdings außer in
Mülheim in allen Städten mit Kirdorf-Bezug in Frage
gestellt werden) – und die alarmierenden Berichte
über die starke unkontrollierte Stellung der
Großbanken, die derzeit eine ohnmächtige
Öffentlichkeit bis ins Mark trifft, mögen uns alle
auf eine Lücke in der Erinnerungsarbeit aufmerksam machen. Es
sei daran erinnert, wie Anfang der dreißiger Jahre
große Teile der Wirtschaft die Krise mit einer Hinwendung zur
Diktatur lösten – als Mahnung für das
Heute. Zur Vorgeschichte der Geschehnisse an der
Hainallee: Es schlossen sich im Januar 1928 zwölf
maßgebende Industrielle zur „Ruhrlade«
zusammen. Mit ihr hat sich der langjährige Dortmunder
Stadtarchivar Gustav Luntowski in seinem Buch »Hitler und die
Herren an der Ruhr – Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im
Dritten Reich« befasst. Er konnte aus bisher ungenutzten
Quellen, darunter den Privatarchiven der Herren der
»Ruhrlade«, schöpfen und stellte fest,
dass »eine Mitverantwortung der Industriellen für
das nationalsozialistische Unrechtssystem« nicht zu verneinen
ist. Das wirtschaftspolitische und
allgemeinpolitische Programm der »Ruhrlade«, die am
7. Januar 1933 in der Springorum-Villa an der Hainallee tagte,
verlangte nach einem Führer wie Hitler. Das belegt das Buch. Großindustrie rief
schon vor 1933 nach Hitler als Kanzler Zur
Entlastung des Großkapitals wird heute gern
angeführt: Die Zahl derer aus der Wirtschaft, die schon vor
1933 Hitler und seine Partei förderten, sei gering gewesen. Es
wird gesagt: Die Großwirtschaft habe noch im Januar 1933 eine
Regierung Papen gewollt, keine Regierung Hitler. Bereits im Dezember
1932 war aber in einem vertraulichen Bericht aus dem »Verein
zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland
und Westfalen« (Langnamverein) konstatiert worden,
»dass fast die gesamte Industrie die Berufung Hitlers,
gleichgültig unter welchen Umständen,
wünscht«. (Aufgefunden im Bundesarchiv, bei
Luntowski S. 80) Zu unserem Antrag hier in Dortmund
hat uns die Tafel am Stadtwaldgürtel in Köln ebenso
angeregt wie die Erkenntnis, dass eine Lücke der
Geschichtsdarstellung zu schließen ist. Die Tafel am
Stadtwaldgürtel lautet: Wenn gesagt wird,
das Engagement der Großunternehmen beim Aufstieg des NS werde
von der Geschichtswissenschaft der letzten Jahre als gering eingestuft.
In den allerletzten Jahren ist das jedoch nicht mehr so. Ich verweise
auf Adam Tooze. Dieser britische Historiker schrieb das Buch
»Ökonomie der Zerstörung«
über die enge Kooperation der deutschen Industrie mit Hitler.
Das entlockte dem Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler eine
begeisterte Rezension. (»Außergewöhnliche
Forschungs- und Interpretationsleistung«, über Adam
Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Geschichte der
Wirtschaft im Nationalsozialismus, Siedler Verlag, München
2007, 927 S., 44 Euro) Wehler: »Die westdeutsche
Zeitgeschichte hatte bisher ebenso wenig wie die
westeuropäische oder amerikanische Forschung ein solches Werk
hervorgebracht, das sich auf der Höhe des
gegenwärtigen Kenntnisstandes und Reflexionsniveaus
bewegt«. Schwerindustrie
wollte die Abschaffung der Demokratie und der Linken Ich
verweise auf Seite 129 bei Tooze über das wenig bekannte
»Spenden-Rendezvous« Hitlers mit der
Schwerindustrie drei Wochen nach der Machtübergabe in
Görings Reichtagspräsidentenpalais: »Einmal
ganz abgesehen von den Folgen, zählt dieses Treffen vom 20.
Februar [1933] zu den berüchtigtsten Beispielen für
die Bereitschaft des deutschen Großunternehmertums, Hitler
bei der Aufstellung seines diktatorischen Regimes
beizustehen.« ... »Krupp und Konsorten (wurden) von
Hitler nie gezwungen, sich seinem gewalttätigen Antisemitismus
oder sich seinen Eroberungsplänen
anzuschließen.« Entscheidend
war das, was Hitler den Industriellen versprochen und
schließlich auch durchgesetzt hatte: »Das Ende der
parlamentarischen Demokratie und die Vernichtung der deutschen
Linken« (S. 129). Die »gesunden Profite«
lockten. Tooze eindeutig: »Und für genau dieses
Versprechen leistete ein hoher Prozentsatz der deutschen
Großindustrie gerne eine gehörige
Anzahlung« (ebd.). Allein bei diesem Treffen waren es drei
Millionen Reichsmark für den Fonds zur Wahl im März,
die – das war korrekt versprochen – nun wirklich
die letzte sein sollte. Der britische Historiker: »Krupp und
Konsorten waren willige Partner bei der Vernichtung des politischen
Pluralismus in Deutschland« (ebd.). Tooze:
»Faktisch aber waren es die Spenden vom Februar und
März 1933 gewesen, die einen wirklich entscheidenden Beitrag
leisteten. Denn sie waren für die Partei just in dem Moment
eine kräftige Finanzspritze, als die ungemein knapp bei Kasse
war und, wie Göring so richtig vorausgesagt hatte, vor der
letzten Wahl ihrer Geschichte stand.« Am
Ende seines Buches stellte Tooze die Frage, warum die Lobby der
deutschen »Privatwirtschaft« dann den
»drastischen Eingriff der Staatsmacht nach 1933«
überhaupt tolerierte, immerhin habe doch das
Großunternehmertum zuvor das
»Reformstreben« der Weimarer Republik noch massiv
behindert (S. 757). Tooze: Zwar widersprach die
»autokratische nationalsozialistische Wende«
deutlich der »internationalen Agenda« –
den Exportinteressen –, die die deutsche Privatwirtschaft
pflegte, doch der »autoritäre Stil«, den
Hitlers Koalition in der Innenpolitik pflegte, »gefiel ihr
dafür ausnehmend gut, nicht weniger gut als die gesunden
Profite, die seit Mitte der dreißiger Jahre auf sie
zurollten« (ebd.). Wer an das Dogma glaubt,
dass die Unterstützung der Großindustrie
für Hitler ein »Mythos« sei, dem macht
Tooze deutlich, dass sie sich 1933 »dem politischen Wandel
nicht entgegen [stellte], wie während der ersten Revolution in
Deutschland 1918/19, sondern sich Hitlers ›Nationaler
Revolution‹ in vielen entscheidenden Punkten als
willfähriger Partner« anbot (S. 166). Selbst an
privatwirtschaftlichen Schauplätzen, wo man eigentlich
»etwas Widerstand« erwartet hätte,
stießen die Vertreter der Nazipolitik, schreibt der Autor in
seiner »Ökonomie der Zerstörung«,
auf »bereitwillige Kollaborateure«. Ob
Autarkieprogramm, die Aufrüstung oder sogar die
große Zahl neuer Überwachungsbehörden
– »alles fand den Beifall und die
tatkräftige Unterstützung von erfahrenen Firmenchefs,
deren Fachwissen dem Regime mit freundlicher Genehmigung der gesamten
deutschen Industrie zur Verfügung gestellt wurde«
(ebd.). Es trifft zu, dass in der historischen
Literatur die Treffen Hitlers und seiner Leute, wozu ab Dezember 1932
zweifellos auch Papen gehörte, mit der
Großindustrie, vernachlässigt werden. Das Treffen im
Februar 1933 we-niger, das Treffen am 7. Januar in Dortmund mehr. Die
Teilnehmer dieser Treffen waren zumeist nach 1945 wieder aufgestiegen
und es war nicht üblich, ihnen Vorhaltungen zu machen. Aber
das ändert nichts an den Tatsachen. Schon im Januar sammelte
die »Ruhrlade« für Hitlers Wahlkampf.
Einige Tage nach dem Zusammentreffen in Köln vom 4. Januar
1933 zur Machtübertragung an Hitler trafen sich die Teilnehmer
des Treffens in Dortmund und Mülheim (hier auch mit Emil
Kirdorf und Adolf Hitler!). Papen informierte über das geheime
Konferenzergebnis von Köln. Bei diesen Gesprächen
wurde eine Million Reichsmark für die NSDAP bewilligt. (lt.
George W. F. Hallgarten). Die Aussicht, dass es auf lange Zeit keine
Wahlen mehr geben sollte, verlockte schon vor dem 30. Januar viele der
großen Finanz- und Industriemänner zur Zustimmung
zur Hitlerkanzlerschaft. Diese Zahlungen waren gegen die letzte
Weimarer Reichs¬regierung und für die Diktatur
bewilligt worden. Zitiert sei aus dem Buch
Hallgarten/Radkau »Deutsche Industrie und Politik«,
Reinbek/Hamburg 1981, weiter: »Am 7. Januar – drei
Tage nach dem Treffen mit Hitler bei von Schröder in
Köln – machte Papen auf der Fahrt nach Berlin, wo er
Hindenburg zu bearbeiten plante, in Dortmund halt und besprach seine
Pläne mit von ihm rasch zusammengerufenen Mitgliedern der
›Ruhrlade‹ – jenes geheimen Kreises
ganz weniger industrieller Potentaten, der seit 1928 faktisch die
Geschicke der deutschen Schwerindustrie leitete.« ...
»Die ›Ruhrlade‹ wusste, dass Papen, den
sie als ihren politischen Sachwalter ansah, auf eine Diktatur mit
Hitlers Beteiligung hinsteuerte, wie auch immer das Kabinett im
einzelnen aussehen mochte.« Berichtet wird, »dass
die Sitzung in Dortmund unter anderem von Vögler und von
Springorum (Hoesch) besucht war.« Die Hitler-Partei wurde
»damals unmittelbar nach
›Köln‹ von einem Konsortium unter
Leitung der beiden genannten Industriellen aus finanziellen
Nöten gerettet«. (S. 217/218) Die Wertigkeit des
Treffens vom 7. 4. 1933 in der Villa Springorum in Dortmund war daher
erheblich. Adam
Tooze „Ökonomie der Zerstörung. Geschichte
der Wirtschaft im Nationalsozialismus, Siedler Verlag, München
2007, 927 S., 44 Euro |