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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

27.01.2012

Breites Bündnis von „Linksextremisten“ traf sich vor dem Industrieclub in Düsseldorf

Erinnerung in Düsseldorf und Oberhausen an Hitlers Treffen mit der Industrie vor 80 Jahren

Vorm Düsseldorfer Industrieclubgebäude und im Linken Zentrum in Oberhausen hat der Bundessprecher der VVN-BdA Ulrich Sander zur Mahnung und Erinnerung an den 26. Januar 1932 gesprochen, an dem Hitler sich Zustimmung von der Industrie holte. In seinen Ausführungen wies Sander nach, dass derzeit alle seriösen Historiker wieder eindeutig von der Schuld, wenigstens Mitschuld der Großindustrie und Finanzwelt Deutschlands an Faschismus und Krieg sprechen. Er legte dazu Auszüge aus der Literatur vor.

Der deutsche Faschismus als eine Hervorbringung des deutschen Kapitalismus ist eine Tatsache. Spätestens am 26. Januar 1932 wurde die Grundlage dazu im Industrieclub in Düsseldorf gelegt, als Hitler seine Pläne vor über 500 Bankern und Industriellen ausbreiten durfte und auf viel Zustimmung stieß. Für die deutsche Politik und Geschichtsschreibung galt diese Tatsache viele Jahre als unumstößlich, und dann galt sie nur noch als „Marotte der Marxisten“ (wie es Kurt Pätzold seinen bürgerlichen Kollegen vorhielt). Die Behauptung von der Unwissenschaftlichkeit der Darstellung von den Ursprüngen des Faschismus im Kapitalismus gilt noch in weiten Teilen der Gedenkstättenarbeit  und in den Berichten von Verfassungsschutzämtern. Dort wird allerdings die „unwissenschaftliche Marotte“ zur Verfassungsfeindlichkeit, so im bayerischen Verfassungsbericht, wo von einer verfassungsfeindlichen Dimitroff-These die Rede ist, der die Linksextremisten anhängen. Mit Folgen: Ihre Organisationen werden bespitzelt und von Fördermitteln und Gemeinnützigkeit ausgeschlossen.

So konnte vorm Düsseldorfer Industrieclubgebäude der Bundessprecher der VVN-BdA Ulrich Sander den vielen anwesenden Gewerkschaftern, Linken, Sozialdemokraten und Kommunisten sowie VVN-BdA-Mitgliedern am Abend des 26. 1. 12, am 80. Jahrestag des Treffens im Industrieclub, ironisch vorhalten, sie seien hier im Linksextremismus vereint. In seiner Rede wie etwas später in einem Vortrag auf einer Veranstaltung in Oberhausen wies Sander nach, dass derzeit wieder alle seriösen Historiker eindeutig von der Schuld, wenigstens Mitschuld der Großindustrie und Finanzwelt Deutschlands an Faschismus und Krieg sprechen. Er legte dazu Auszüge aus der Literatur vor.

Seine Ausführungen in Düsseldorf und Oberhausen:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freundinnen und Freunde!

Ein kleines bisschen meiner Redezeit möchte ich unserem vor zwei Jahren verstorbenen Landessprecher der VVN/BdA Jupp Angenfort abgeben. Ich habe mit ihm hier – ungefähr an dieser Stelle – ein Interview geführt, in dem er zum letzten Mal über die Bedeutung dieses Ortes sprach.

Er sagte: „Hier im Industrieclub im heutigen Steigenberghotel legte Hitler in einem Vortrag vor 500 Unternehmern sein Programm dar. Er sprach davon, dass der Marxismus ausgerottet werden solle, die Gewerkschaften zerschlagen, das Parteiwesen, das Parteiunwesen beseitigt, also die Demokratie, abgeschafft, die Reichswehr aufgerüstet wird, und er wolle sich um Lebensraum im Osten kümmern. Im Grund genommen hat Hitler das ganze Programm dargelegt, das dann zur Nazi-Diktatur und in die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges geführt hat. Die Zeitungen schrieben am nächsten Tag, dass lang anhaltender Beifall Hitler für seine Ausführungen belohnt hat. Und im Grunde genommen müsste an den Seitenflügeln des Steigenberger Hotels eine Tafel mit der Aufschrift: ‚1932 – Hier bekam Hitler von der Industrie Beifall und Geld. Hier wurden die Weichen zum Krieg gestellt.’ Arbeiter Düsseldorfs protestierten während der Veranstaltung. Sie wurden von der Polizei vertrieben.“

Irgendwie kommt uns das bekannt vor. Die Polizei schützt die Nazis auch heute leider oft vor Kritik und Protest.  Übrigens schützt auch der Verfassungsschutz die Nazis vor Kritik. Auch heute noch. Denn das, was wir hier machen, die Erinnerungsarbeit zu leisten, an die große Verantwortung und Mitschuld des Kapitals für Krieg und Faschismus zu erinnern, das führt noch heute dazu, im bayerischen Verfassungsschutzbericht diffamierende Erwähnung zu finden. Und dieser Eintrag kann dann dazu führen, dass antifaschistische Organisationen ihren Staus der Gemeinnützigkeit verlieren.

Früher wusste es auch die Union besser. "Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden", lautete einst der erste Satz des CDU-Programms für Nordrhein-Westfalen (das sogenannten Ahlener Programm vom 3.2.1947). An die Stelle des Kapitalismus gelte es, "eine gemeinwirtschaftliche Ordnung" zu setzen. "Die neue Struktur der deutschen Wirtschaft muß davon ausgehen, daß die Zeit der unumschränkten Herrschaft des privaten Kapitalismus vorbei ist.“

Das waren kluge Worte, an die zu erinnern ist. Gerade jetzt erleben wir, wie der ungezügelte Kapitalismus unserem Land wieder großen Schaden zufügt. Wir erleben, dass alles für die Reichen getan wird und die kleinen Leute die Zeche zahlen. Noch zahlen sie nicht mit ihrem Blut, aber das Blut anderer Völker wird schon wieder geopfert, damit die Profite der Rüstungsindustrie stimmen.

Jupp Angenfort hat vorgeschlagen, eine Mahntafel an diesem Haus anzubringen. Ich darf heute mitteilen, dass unsere Organisation, die VVN-BdA Düsseldorf, in Kürze einen Antrag an den Rat der Stadt Düsseldorf richten wird,  damit hier am Ort, da das Bündnis von Faschismus und Kapital, geschlossen wurde, eine Mahntafel angebracht wird. Solche Mahntafeln gibt es bereits in Köln, es soll sie geben in Leverkusen, Gelsenkirchen und Dortmund. So wird es neben den Erinnerungsstolpersteinen für die Opfer auch Mahntafeln geben, mit denen deutlich wird: Wir dürfen dem Profitstreben nie wieder eine so großen Einfluss auf die Politik geben, dass vom Sozialstaat, vom Frieden, von der Demokratie schließlich nichts übrig bleibt.

Alle Mahntafeln zusammen, die wir schaffen wollen, können dann ein nordrhein-westfälisches Gesamtdenkmal bilden. Wir legen in den nächsten Wochen mit unserem Buch „Von Arisierung bis Zwangsarbeit“ – Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 – 1945 eine Bilanz der Bemühungen um eine antikapitalistische, antimilitaristische und antifaschistische Erinnerungsarbeit vor und rufen dazu auf, in allen Orten ähnliches zu initiieren.

Denn unser Buch ist nicht abgeschlossen. Wer weitere Spuren suchen und benennen will, möge zum Beispiel die Liste der Firmen, die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigten und ausbeuteten, mit der Liste der Firmen vergleichen, die wirklich in die Stiftung zur Zwangsarbeiterentschädigung einzahlten.

Die Angaben in diesen Listen sind jedoch nur Anhaltspunkte. Denn die Wirtschaft hat es versäumt, vollständige Angaben zu machen. Zudem stehen wir alle in der Schuld der Opfer der deutschen NS-Wirtschaft. Der Ökonom und Historiker Prof. Dietrich Eichholz schrieb »Die westdeutsche Industrie ist gestärkt aus dem Krieg hervorgegangen; sie hat nicht den Krieg, wohl aber am Krieg gewonnen. Ihr Anlagevermögen war bei Kriegsende erheblich höher als bei Kriegsbeginn, selbst unter Anrechnung der Zerstörungen und Demontagen. Heute zählen die deutschen Großkonzerne zu den mächtigsten der Welt.“ „Ihre heutige Machtstellung ist zum Teil aus den Kriegsprofiten erwachsen: Dazu hat auch die Zwangsarbeit beigetragen. (aus »Neues Deutschland«, 22. 10. 1998)

Auch der Freiburger Prof. Ulrich Herbert, Verfasser mehrerer Veröffentlichungen zum Thema Sklavenarbeit in der NS-Zeit, hat auf die Frage: Wie begründet ist der Verdacht, unser Reichtum beruhe auch auf der Ausplünderung von Zwangsarbeitern? dies geantwortet: »Es gibt Analysen, die zeigen, dass ein erheblicher Teil unseres Wirtschaftswunders auf der Entwicklung in diesen Kriegsjahren beruht, auf der Ausbeutung Europas und der Zwangsarbeiter (…).« (Aus »Süddeutsche Zeitung«, 29.12.1998)

Die Zwangsarbeiterentschädigung hat nicht einmal ansatzweise das ergeben, was erforderlich war. Vor allem sei daran erinnert, dass die Zwangsarbeiter, die als Kriegsgefangene aus der Sowjetunion und aus Italien nach Deutschland kamen, nicht einen Pfennig oder Cent Entschädigung gesehen haben. Die größte Gruppe der Nichtentschädigten stellen die sowjetischen Kriegsgefangenen dar. Fünf Millionen sowjetischer Soldaten waren in deutscher Kriegsgefangenschaft, von denen nur 1,7 Millionen überlebten und dies zumeist in qualvoller Zwangsarbeit.

Den Überlebenden zu ihrem Recht zu verhelfen, an ihr Leiden zu erinnern und vor ihren Peinigern zu warnen, soll uns Verpflichtung sein.

Heute gehört dazu, vor allem die Allmacht der großen Konzerne und Banken anzugreifen und zu überwinden, darunter diejenigen, die an Rüstung und Krieg verdienten. Und immer noch verdienen. Damit würde ein wichtiger Beitrag geleistet werden, um in Zukunft Unterdrückung und Krieg auszuschließen.

Verbrecherische geheime Ruhrlade

Um sich im engsten Kreise vertraulich über wichtige Fragen abzustimmen, schlossen sich im Januar 1928 zwölf Industrielle zusammen, die sich selbst als die „maßgebenden Herren der westlichen Industrie“ bezeichneten. Ihre Vereinigung nannten sie die „Ruhrlade“. Mit ihr und ihrem „engeren Kreis“, dem Krupp, Klöckner, Reusch, Springorum, Thyssen, Vögler und Poensgen angehörten, hat sich der langjährige Dortmunder Stadtarchivar Gustav Luntowski in seinem Buch „Hitler und die Herren an der Ruhr – Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich“ befaßt. Er konnte aus bisher ungenutzten Quellen, darunter den Privatarchiven der Herren der Ruhrlade, schöpfen und kam nicht umhin festzustellen, daß „eine Mitverantwortung der Industriellen für das nationalsozialistische Unrechtssystem“ nicht zu verneinen sei. Stärkere Urteile wären aufgrund des zusammengetragenen Materials möglich gewesen, erschienen dem Historiker aber wohl nicht opportun.

Das wirtschaftspolitische und allgemeinpolitische Programm der Ruhrlade schrie geradezu nach einem Mann wie Hitler: Tarifverträge allenfalls im Betrieb, also nicht überbetrieblich, Beschränkung aller sozialen Ausgaben, Verringerung der Arbeitslosenunterstützung und „Kampf mit den Gewerkschaften mit aller Schärfe“, so Paul Reusch (Gutehoffnungshütte), der zusammen mit Albert Vögler (Vereinigte Stahlwerke) als Scharfmacher wirkt. Reusch weist im Jahre 1932 als Mitbesitzer die Münchner Neusten Nachrichten an, hinter dem NSDAP-Organ Völkischer Beobachter nicht sehr zurückzustehen, und erklärt namens des Aufsichtsrates zur „vornehmsten Aufgabe des Blattes“ die Pflege des „nationalen Gedankens“. Seine Weisungen enthielten „die damals in konservativen Kreisen allgemein vertretenen Positionen“ (so Luntowski), als da waren: „Ein ,großdeutsches Reich' (Zusammenfassung aller geschlossen siedelnden Deutschen und Anschluß Deutsch-Österreichs), Bekämpfung des ,Systems von Versailles’ und der ,Kriegsschuldlüge’, Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit, Revision der Ostgrenzen (Korridorfrage), Ablehnung des demokratisch-parlamentarischen Systems von Weimar, schärfste Bekämpfung des Marxismus, Unantastbarkeit des Privateigentums usf.“. Ähnliche Töne hatte Hitler im Januar 1932 im Düsseldorfer Industrieklub angeschlagen.

Zur Entlastung des Großkapitals wird heute gern angeführt: Die Industrielleneingabe von 1932 an Reichspräsident Hindenburg zugunsten Hitlers sei ohne Wirkung geblieben, erst nach dem 30. Januar 1933 seien die Industriellen auf die Gegebenheiten eingeschwenkt, vorher hätten sie die Zusammenarbeit mit der NSDAP verweigert. Tatsächlich aber standen für die Nazipartei wie für einzelne Nazis schon Jahre vor 1933 unzählige Finanztöpfe bereit. Von der Eingabe an Hindenburg veröffentlichte Luntowski in einer Ausstellung des Dortmunder Stadtarchivs ein Begleitschreiben, mit dem die Herren Albert Vögler, Paul Reusch und Fritz Springorum unter dem Eingangsstempeldatum des Büros des Reichspräsidenten vom 22. 11. 32 mitteilen, daß sie „voll und ganz auf dem Boden der Eingabe stehen“. Durch Otto Köhlers Recherche wissen wir von den gegenseitigen Hilfen von IG Farben und NSDAP im Sommer 1932, und Luntowski benennt einen wichtigen Deal aus dem Bereich der Schwerindustrie. Als Friedrich Flick – kein Mitglied der Ruhrlade – seine wertlos gewordenen Gelsenbergaktien weit überteuert an das Reich verkaufte und die Ruhrlade darin eine Bevorzugung Flicks durch die Regierung Brüning und ein Stück „Sozialisierung“ sah, da konnte Flick auf die Zustimmung Görings und dann auch Hitlers verweisen, weil sonst ein deutsches Werk unter Umständen in polnische Hände geraten wäre. Es wird erkennbar, daß die Harzburger Front vom Oktober 1931, bestehend aus Nazis und Nationalisten aller Schattierungen, von Reusch und Co. begeistert aufgenommen wurde und die Rede des Reichsbankpräsidenten a.D. Hjalmar Schacht („Möge der nationale Sturmwind, der durch Deutschland geht, nicht ermatten“) auch die Rede der Ruhrindustriellen war.

Auf die „nationalsozialistischen Wirtschaftsideen“ mit all ihrer antikapitalistischen Demagogie mußten sie jedoch noch mit „Vernunft“ Einfluß nehmen. Reusch, Schacht und Vögler vereinbarten 1932, „erprobte Herren“ einzustellen und zu bezahlen, um die Wirtschaftspolitik der Nazis „zu formen“. Dabei wußten die drei Herren nicht, daß Hitler bereits ein Jahr zuvor den badischen Chemiefabrikanten Wilhelm Keppler und dessen zahlungskräftige Freunde gewonnen hatte, ihre „wirtschaftspolitischen Anschauungen“ auf die NSDAP wirken zu lassen. „Sie sollten zur Verfügung der Partei stehen, ‚wenn wir zur Macht kommen’.“ Und sie standen alle zur Verfügung: 1932 beim Treffen im Düsseldorfer Industrieklub, am 4. Januar 1933 beim Bankier von Schröder in Köln und dann am 20. Februar 1933 in Berlin. Bereits im Dezember 1932 war in einem vertraulichen Bericht aus dem „Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen“ (Langnamverein) konstatiert worden, „daß fast die gesamte Industrie die Berufung Hitlers, gleichgültig unter welchen Umständen, wünscht“. (Aufgefunden im Bundesarchiv, bei Luntowski  S. 80)

Eine Gedenktafel der Stadt Köln befindet sich seit 1996 vor dem Hause Stadtwaldgürtel 35. Sie trägt im Stile der Stolpersteine die Inschrift: „Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt Freiherr von Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von Papen, um über eine Regierungsbildung zwischen Nationalsozialisten und Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurden die Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS.“

Als sich schließlich am 20. Februar 1933 Hitler und Göring in Berlin mit der Spitze des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (Vorsitzender: Gustav Krupp von Bohlen und Halbach) treffen, sagt Hitler: „Wir stehen jetzt vor der letzten Wahl. Sie mag ausgehen wie sie will ... Wenn die Wahl nicht entscheidet, muß die Entscheidung eben auf einem anderen Wege fallen ... oder es wird ein Kampf mit anderen Waffen geführt werden, der vielleicht größere Opfer fordert ...“ Nach dieser offenen Darlegung seiner Putschpläne für den Fall einer Wahlniederlage spenden die rund 20 geladenen Industriellen für den Wahlkampf der NSDAP drei Millionen Reichsmark. Krupp fertigt abends eine Notiz über die Begegnung an: „Ruhe in der inneren Politik: keine weiteren Wahlen. ... Ermöglichung der Kapitalbildung. ... Dementsprechend Entlastung von Steuern und öffentlichen Lasten.“

Die Aufrüstung, die Vorbereitung auf den Krieg und die Eroberung neuen „Lebensraums“ konnten beginnen. Sodann die Sklavenarbeit von Millionen Menschen, die nach Kriegsbeginn „ins Reich“ geholt wurden, wo sie die Profite der Industriellen mehrten. Luntowski findet am Schluß für alles eine Entschuldigung: „Vielmehr scheint ihr Handeln letztlich fast allein von der Sorge um Bestand und Fortexistenz ihrer Unternehmen bestimmt gewesen zu sein.“ Diese „Fortexistenz“ des Kapitalismus brachte 55 Millionen Menschen den Tod.

Gustav Luntowski: „Hitler und die Herren an der Ruhr – Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich“, Peter Lang Frankfurt am Main/Bern, Europäischer Verlag der Wissenschaften, 2000, 315 Seiten, 52,-- Euro

Jedes menschliche Gefühl erstickt: Flick ging über Leichen

Als die VVN-BdA von Nordrhein-Westfalen Anfang 2008 die Aktion „Spurensuche ’Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945’“ startete, um eine Publikation und eine Ausstellung über ein bisher unbeackertes Feld der Geschichtsarbeit vorzubereiten, da schrieb sie einen Brief an den Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers aus dem Land an Rhein und Ruhr, das wohl die meiste Veranlassung zu einem solchen Tun hat. Es wurden Mittel für die Spurensuche erbeten und die Notwendigkeit einer solchen Aktion auch mit der Bürgerinitiative „Flick-ist-kein-Vorbild“ begründet, die von ehemaligen Schülern des Friedrich-Flick-Gymnasiums in Kreuztal/Siegerland geschaffen werden musste, um endlich die Schule vom Namen eines „ruchlosen Kriegsverbrechers“, so    die Formulierung auf einer erregten Bürgerversammlung, zu befreien.

Der Ministerpräsident ließ durch die Landeszentrale für politische Bildung antworten, deren Dr. Hans Wupper-Tewes darauf hinwies, es sei eine Unterstellung zu behaupten, „dass die Wirtschaft bislang nichts unternommen habe, ihre Geschichte während der NS-Zeit aufzuarbeiten“, denn „eine Reihe von Unternehmen unterschiedlicher Größenordnung haben in den letzten 20 Jahren selbst Studien zu Fragen, wie dem Umgang mit Zwangsarbeitern im eigenen Unternehmen, in Auftrag gegeben.“ Dies ist unbestritten richtig. Falsch sind aber die Warnungen der Landeszentrale vor einer „Pauschalisierung der Fragestellung, wie sie Ihr Projekttitel nahe legt“. Es gibt die betrieblichen Studien, von denen Wupper-Tewes spricht, aber sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass „die Wirtschaft“ eben nichts zustande gebracht hat, was etwa den Bemühungen der Berufsgruppen von den Ärzten bis zu den Juristen ähneln würde. Ganz abgesehen von der Geschichtsschreibung der kleinen Leute aus den sechziger Jahren, da die VVN-BdA die Geschichte des Widerstands, auch des Arbeiterwiderstandes für die BRD schrieb und dann erst professionelle Historiker einstiegen.

Nun liegt wieder eine Einzelstudie vor. Zunächst galt Friedrich Flick (geb. 1883 Kreuztal-Ernsdorf, gest. 1972 Konstanz) neben Krupp von Bohlen und Halbach als der ökonomische Kriegsverbrecher schlechthin, quasi der das Verbrechen der Wirtschaft in seiner Gesamtheit verkörpernde Unternehmer. So wurde er in Nürnberg vor Gericht gestellt – und als solcher empfing er die Solidarität seiner Klasse, die ganz froh war, dass er pars pro toto genommen wurde. Seine Klassenbrüder, erleichtert nicht vor Gericht gestellt zu werden, setzten sich dann auch für ihn ein, nannten ihn einen unschuldig Verfolgten, und er stellte schon in der Haft seine Kontakte wieder her, um nach seiner Karriere in der Weimarer Republik und der Nazizeit nun einen dritten Aufstieg unter Adenauer zu organisieren.

So fühlten sich denn auch seine Erben überhaupt nicht zuständig, als im Jahr 2000 die wichtigsten Konzerne Geld einzahlen mussten, um einen Zwangsarbeiterentschädigungsfonds zu speisen. Es waren nur noch diese Enkel da, und die kauften vom Blutgeld Gemäldesammlungen und besaßen ein gewaltiges Anlagevermögen. Die Gemälde stellten sie großzügig als Dauerleihgaben zur Verfügung, bis der Protest gegen eine solche, auch noch vom Bundeskanzler Gerhard Schröder geförderte Haltung zu groß wurde. Da zahlten die Enkel noch immer nichts ein in die Stiftung „Erinnerung Verantwortung Zukunft“, aber sie gründeten eine eigene „F. C. Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz“, Sitz Potsdam, und sie rüsteten sie mit 10 Millionen Mark aus. Davon wurde nun einiges für die Herausgabe des Buches “Der Flick-Konzern im Dritten Reich” bereitgestellt, das in diesem Jahr das Licht der Welt erblickte.

Es unterscheidet sich, das sei vorausgeschickt, sehr von den übrigen Betriebs- und Konzernstudien. Jeder Anflug von Reinwaschung des Konzerns von Schuld unterbleibt. Andere Studien waren zu einer Zeit erschienen, da es noch ratsam war, vor allem in der Zwangsarbeiterfrage den Eindruck zu erwecken, die Sklavenarbeit sei dem Unternehmer sehr fremd gewesen, sie seien sogar Opfer einer NS-Wirtschaftspolitik geworden, die ihnen Sollzahlen und damit die „Fremdarbeiter“ aufzwang.

In dieser Studie wird nun schonungslos mit all den Mythen und Lügen abgerechnet, die Friedrich Flick über sich in die Welt setzen ließ. Allerdings entsteht ein Bild des Einzeltäters; auch diese Studie stellt sich nicht in den Dienst einer Aufarbeitung der Verbrechen der Klasse, sondern gerade Flicks ausgeprägter eiskalter Egoismus, sein verbrecherisches Handeln auch gegen andere Konzerne und Konkurrenten lassen ihn als Ausnahme von der Regel erscheinen. Da ist nichts mehr von pars pro toto.

Friedrich Flick hat wie kein anderer Mythen um sich verbreitet, bis hin zur Behauptung, er sei  Opfer des NS-Systems und guter Chef der ihm zugewiesenen Zwangsarbeiter gewesen. Nun wurden neue Quellen erschlossen. Kaum einer war 1933-45 so erfolgreich wie Flick. Dabei war er 1932/33 pleite und beinahe vom Sockel gestürzt. Der Staat – der untergehende von Weimar und der aufstrebende der Nazis – rettete ihn. Als Friedrich Flick – kein Mitglied etwa der „Ruhrlade“ der großen Herren  von Rhein und Ruhr – im Jahre 1932 seine wertlos gewordenen Gelsenbergaktien, und damit seine Aktienmehrheit an den Vereinigten Stahlwerken weit überteuert an das Reich, an die Regierung Brüning, verkaufte und die „Ruhrlade“ darin eine Bevorzugung Flicks durch die Regierung Brüning und ein Stück „Sozialisierung“ sah, da konnte Flick auf die Zustimmung Görings und dann auch Hitlers verweisen, weil sonst ein deutsches Werk unter Umständen in polnische oder französische Hände geraten wäre. Flick bekam den Nennwert von 99 Millionen, obwohl der Börsenwert nur 24 Millionen betrug. Flick hatte sich abgesichert, er hatte seinen Vertrauten Otto Steinbrinck in den NSDAP-nahen Keppler-Kreis von Nazi-freundlichen Unternehmern gesandt. Steinbrinck stand schon seit den 20er Jahren mit Göring und den Generalen in Verbindung.

Zweifellos wollte Flick den Krieg. Er drängte „ab Frühjahr 1933 in das Rüstungsgeschäft. Er gehörte schon bald zu den Unternehmern, die besonders resolut und hartnäckig um Rüstungsaufträge warben,“ schreibt Johannes Bähr. Im Herbst 1933 startete Flick eine erfolgreiche „Informationskampagne“. Sein Konzern füge sich besser in die rüstungswirtschaftlichen Planungen als die Ruhrindustrie, gab er den neuen Herren zu verstehen und verwies darauf, dass er Kohle- und Erzbergbau und Stahlproduktion betreibe, nicht auf Rohstoffimporte angewiesen sei. Ab 1933 stieg die Zahl der Beschäftigten. Und des Profits: Von 1933 225 Mio auf 1 Mrd. Reichsmark

Flicks Arisierungspolitik gehörte neben der Kriegstreiberei zu weiteren großen Verbrechenskomplexen, die Ausbeutung von Zwangsarbeitern und die Ausplünderung besetzter Gebiete sollten folgen. Für die Arisierung der Petschek-Konzerne lässt er ein Gesetz entwerfen, das dann von Göring am 3. Dezember 1938 in der Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens befolgt wird. Flick hatte argumentiert: Der Ignaz-Petschek-Konzern dürfe nur solchen Unternehmen zufallen, „deren Interesse aus nationalsozialistischen Gesichtspunkten zu begründen ist.“  Aus dieser Formulierung machte Flick später einen NS-Auftrag an ihn, dem er sich nicht entziehen konnte; er habe unter Druck gehandelt, wäre so etwas wie ein NS-Opfer. Jedoch: “Von den Arisierungen,“ so Axel Drecoll, „profitierte der Konzern quantitativ wie kein anderes privates Unternehmen.“

Zu den Mythen um Flick gehört die Behauptung von seinem unternehmerischen Geschick. CDU-Kreise in Südwestfalen halten an der Gymnasiumsbenennung fest, weil doch Friedrich Flick so ein vorbildlicher heimatverbundener Unternehmer war. Doch das bis zu 80-prozentige Wachstum seines Konzerns in der NS-Zeit war nicht durch unternehmerisches Geschick erreicht worden, sondern durch staatliche Wirtschaftspolitik der Nazis ermöglicht. Das Wachstum übertraf bei weitem das vieler Konkurrenten. Seine Entscheidung, unter dem brutalen deutschen Besatzungsregime in Lothringen eine Firma zu leiten, schreibt Johannes Bähr, machte ihn „zum Komplizen dieser Politik“

Allerdings gab es auch konzerninterne Instrumente, die nur Flick besaß und seinen „Erfolg“ mit begründeten: Da war Flicks dezentrale und zentrale Macht sein Holdingprinzip. Er musste auf keine Aktionäre Rücksicht nehmen. Er war „autark“. Zur Montanindustrie des Flick kam der Ausbau des Maschinenbaus - und der Rüstungsproduktion. Vor allem: Flick herrschte über alles selbst – wie Krupp. Er hatte ein System der Informationsbeschaffung und Informationsverbreitung aufgebaut wie kein zweiter. So schrieb er indirekt mit am  Vierjahresplan 1936. Hatte beste Kontakte zu Göring, er hat ihn bestochen.

Harald Wixforth wies die Flick-Freunde in einem Streitgespräch in Kreuztal zurück: Der Nationalsozialismus bot gute Rahmenbedingungen für Flick, – er war nicht einfach „tüchtig“ und „erfolgreich“, sondern er war erfolgreich in der Diktatur und wegen der Diktatur.

Wixforth wies auf einen wenig erforschten Teil der Geschichte hin, den er den NS-Antikapitalismus nannte. Die staatlichen Reichswerke Hermann Göring, erwiesen sich als Gegenspieler der Ruhrindustrie – und dann auch Flicks. Im Krieg ging Flick bisweilen leer aus; anders die Banken und die Chemie – sie profitieren extrem im Osten, wenngleich auch Flick in der Ukraine auf Erfolge verweisen konnte. Im Westen klappte es besser, so in Lothringen.

Zeitweilig waren 50 Prozent der bei Flick Beschäftigten Zwangsarbeiter. In einzelnen Flick-Betrieben lag der Anteil der Zwangsarbeiter bei bis zu 85 Prozent. Die neue Studie belegt bisher nicht Gekanntes zu den Arbeits- und Lebensbedingungen der „Fremdarbeiter“. Sie waren am schlechtesten bei Flick. So geht es jedenfalls aus den Aussagen einzelner Autoren und Kapitel des Buches, weniger aus dem kollektiven „Fazit“ der Autoren (ab Seite 721) hervor. Wixforth: „Flick hat seine 65.000 Zwangsarbeiter so schlecht behandelt wie kein anderer deutscher Unternehmer und überzog dabei sogar in den Augen des Regimes: Er war bereit, über Leichen zu gehen. Das Streben nach Profit, ließ bei ihm jegliches menschliches Mitgefühl im Keim ersticken.“  Im Nürnberger Prozess sagte Flick aus, er habe von allem nichts gewusst. Das ist eine Legendenbildung. Sein Konzern war zu straff geführt, er wusste alles.

Zum Beispiel die Selbstmorde durch verzweifelte Zwangsarbeiter in Flicks Betrieben. Dazu finden sich im Buch Fotos – gefunden in Konzernunterlagen. Es gab für die Zwangsarbeiter weniger Kalorien als bei der Konkurrenz. Warum? Es galt Kosten zu senken. So war das Flick-System schlimmer als die Sklaverei, denn der Sklave wird nicht zerstört durch die Arbeit, er ist wichtig für die Produktion. Doch Flick ließ die Menschen zerstören. Er hätte auch anders handeln können, er hatte Freiräume, wie andere Konzerne auch. Er wollte sie nicht nutzen. Das Resultat in dem Streitgespräch: Er kann kein Vorbild sein in der heutigen Gesellschaft.

Nach dem Krieg blieben Flick nur 25 Prozent des Konzerns, weil er im Osten enteignet wurde. Daraus erwuchs sein Mitleidsmythos. Im Westen blieb er von Entflechtungen verschont. Der bayerische Staat zahlte gar 20 Millionen Euro quasi als Entschädigung.

Weit vor Ende der Haftzeit, zu der er verurteilt wurde, kam Flick aus dem Gefängnis Landsberg frei. Wixforth: „Viele weitere Industrielle hätten eingesperrt werden müssen. Sie waren ganz froh, dass Flick quasi als  Symbol der Industrie galt. Es hagelte Solidarität.“ Die „Ungerechtigkeit“, dass Flick eingesperrt wurde, andere nicht, sie wurde nicht dadurch gelöst, dass weitere eingesperrt wurden, sondern dadurch, dass Flick eher entlassen wurde. Wixforth erinnert an Josef Neckermann, diese Lichtgestalt des Wirtschaftswunders und der Olympischen Bewegung. Es war ein Verbrecher, der mit den Kleidungsstücken der Juden von Auschwitz seinen ersten schwunghaften Handel betrieb.

Fazit: „Der Flick-Konzern im Dritten Reich“ legt detailreich strategisch-ökonomische Entscheidungen, Lobbymethoden gegenüber der NS-Politik und interne Entscheidungsstrukturen der Flick KG dar. Kein Unternehmer hat die Wirtschaftspolitik der Nationalsozialisten so produktiv genutzt wie Friedrich Flick. In den zwölf Jahren der NS-Diktatur verzehnfachte er die Zahl der Beschäftigten und baute seinen Konzern zum zweitgrößten privatwirtschaftlichen Stahlerzeuger des Deutschen Reiches aus. Oft wird gesagt: Ein Nationalsozialist war Flick nicht, er trat erst 1937 in Hitlers Partei ein. Ist das wichtig? Wichtig ist: Er suchte und gewann 1933 die Gunst der neuen Machthaber und profitierte in großem Ausmaß von „Arisierungen“, Zwangsarbeit und dem immensen Bedarf an Rüstungsgütern. Dafür wurden die Führungskräfte des Konzerns vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg zur Verantwortung gezogen, der Konzernchef Flick als Kriegsverbrecher verurteilt. Doch trotzdem konnte er nach 1945 seinen dritten Aufstieg realisieren und seine Verbrechen verschleiern.

Der Erfolgsgeschichte Flick und Weimar sowie Flick und die Nazis wurde jene nach Gründung der Bundesrepublik hinzugefügt. Die aber müsste in einem anderen Buch geschildert werden. Und auch die der deutschen Industrie und der Verschleierung ihrer Verbrechen im Ditten Reich. Eine neue Rüstungsbranche wurde gebraucht, die alten Besitz- und Machtverhältnisse wurden wieder hergestellt (DGB-Programmaussage). Da konnte die Geschichte des Mordmanagements und der Mordsprofite nur stören.

Johannes Böhr, Axel Drecoll, Bernhard Gotto, Kim Christian Priemel und Harald Wixforth: “Der Flick-Konzern im Dritten Reich”, Hrsg. durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung preußischer Kulturbesitz. Oldenbourg Verlag, München 2008, 1.018 Seiten, 60 Abb., 20 Graf., Leinen, 64,80 €.

Adam Tooze stellt die Wahrheit in der Geschichtsschreibung wieder her

Ende 2008 wurde von der VVN-BdA beantragt, an der Hainalallee (vormalige Hitlerallee, vormalige Rathenauallee) in Dortmund eine Mahntafel anzubringen, mit dem Text: »Hier an der Ecke Eintrachtstraße/Hainallee, in der Villa Springorum trafen sich am 7. Januar 1933 Franz v. Papen und führende Ruhrindustrielle, um die Machtübertragung an Hitler herbeizuführen. Viele Ruhrindustrielle unterstützten bereits vor 1933 die Ziele der Nazis. Sie profitierten von Krieg, Faschismus und Holocaust«.

Am 3. Februar 2009 wurde der Vorschlag für eine Mahntafel zur »Ruhrlade«-Tagung vom 7. Januar 1933 im Rathaus Dortmund erörtert. Dem Antrag wurde nicht zugestimmt. Der Leiter der Gedenkstätte in der Steinwache, Dr. Stefan Mülhofer, begründete dies so: Der Ablauf der Beratung am 7. Januar 1933 sei nicht bekannt, jedoch keinesfalls vergleichbar mit dem Treffen vom 4. Januar in der Villa Schröder in Köln. Nach dieser Logik, so sagte ich für die Antragsteller, kann es nur eine Warntafel geben, jene in Köln. Zugestimmt wurde einem Vorschlag des Dezernenten der Stadt Dortmund Jörg Stüdemann, der besagt: Der genannte Textvorschlag eigne sich »eher für ein wissenschaftliches Diskussionsforum (Kolloquium), ... denn für die Verstetigung in Form einer ›Mahntafel‹ oder auch Informationstafel. Wissenschaftlich gesicherte Ergebnisse über den lokalhistorischen Zusammenhang (Ruhr)Industrie und Machtergreifung Hitlers – Rüstungsindustrie im Ruhrgebiet und Ausbeutung von Zwangsarbeitern – sollten perspektivisch betrachtet in die ständige, wissenschaftlich fundierte Ausstellung ›Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933–1945‹, dem zentralen Gedenk- und Erinnerungsort der Stadt Dortmund, einfließen.« In der Antragsbegründung von Ulrich Sander (VVN-BdA) gegenüber dem zuständigen Ausschuss für Bürgerdienste, öffentliche Ordnung, Anregungen und Beschwerden des Rates der Stadt Dortmund führte er aus:

„Unsere Mahngänge führten uns immer wieder zu den Stolpersteinen für die Opfer des NS-Regimes. Wir sind der Meinung, dass es auch Erinnerungstafeln an die Täter geben sollte. Darunter jene aus der Wirtschaft. Zunächst lassen Sie mich betonen: Die Meldungen über die Dortmunder Kirdorf-Siedlung – um ein regionales Beispiel der Ehrung für einen finanzkräftigen Förderer des Nationalsozialismus zu nennen (die allerdings außer in Mülheim in allen Städten mit Kirdorf-Bezug in Frage gestellt werden) – und die alarmierenden Berichte über die starke unkontrollierte Stellung der Großbanken, die derzeit eine ohnmächtige Öffentlichkeit bis ins Mark trifft, mögen uns alle auf eine Lücke in der Erinnerungsarbeit aufmerksam machen. Es sei daran erinnert, wie Anfang der dreißiger Jahre große Teile der Wirtschaft die Krise mit einer Hinwendung zur Diktatur lösten – als Mahnung für das Heute.

Zur Vorgeschichte der Geschehnisse an der Hainallee: Es schlossen sich im Januar 1928 zwölf maßgebende Industrielle zur „Ruhrlade« zusammen. Mit ihr hat sich der langjährige Dortmunder Stadtarchivar Gustav Luntowski in seinem Buch »Hitler und die Herren an der Ruhr – Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich« befasst. Er konnte aus bisher ungenutzten Quellen, darunter den Privatarchiven der Herren der »Ruhrlade«, schöpfen und stellte fest, dass »eine Mitverantwortung der Industriellen für das nationalsozialistische Unrechtssystem« nicht zu verneinen ist.

Das wirtschaftspolitische und allgemeinpolitische Programm der »Ruhrlade«, die am 7. Januar 1933 in der Springorum-Villa an der Hainallee tagte, verlangte nach einem Führer wie Hitler. Das belegt das Buch.

Großindustrie rief schon vor 1933 nach Hitler als Kanzler

Zur Entlastung des Großkapitals wird heute gern angeführt: Die Zahl derer aus der Wirtschaft, die schon vor 1933 Hitler und seine Partei förderten, sei gering gewesen. Es wird gesagt: Die Großwirtschaft habe noch im Januar 1933 eine Regierung Papen gewollt, keine Regierung Hitler. Bereits im Dezember 1932 war aber in einem vertraulichen Bericht aus dem »Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen« (Langnamverein) konstatiert worden, »dass fast die gesamte Industrie die Berufung Hitlers, gleichgültig unter welchen Umständen, wünscht«. (Aufgefunden im Bundesarchiv, bei Luntowski S. 80)

Zu unserem Antrag hier in Dortmund hat uns die Tafel am Stadtwaldgürtel in Köln ebenso angeregt wie die Erkenntnis, dass eine Lücke der Geschichtsdarstellung zu schließen ist. Die Tafel am Stadtwaldgürtel lautet:

Wenn gesagt wird, das Engagement der Großunternehmen beim Aufstieg des NS werde von der Geschichtswissenschaft der letzten Jahre als gering eingestuft. In den allerletzten Jahren ist das jedoch nicht mehr so. Ich verweise auf Adam Tooze. Dieser britische Historiker schrieb das Buch »Ökonomie der Zerstörung« über die enge Kooperation der deutschen Industrie mit Hitler. Das entlockte dem Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler eine begeisterte Rezension. (»Außergewöhnliche Forschungs- und Interpretationsleistung«, über Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, Siedler Verlag, München 2007, 927 S., 44 Euro) Wehler: »Die westdeutsche Zeitgeschichte hatte bisher ebenso wenig wie die westeuropäische oder amerikanische Forschung ein solches Werk hervorgebracht, das sich auf der Höhe des gegenwärtigen Kenntnisstandes und Reflexionsniveaus bewegt«.

Schwerindustrie wollte die Abschaffung der Demokratie und der Linken

Ich verweise auf Seite 129 bei Tooze über das wenig bekannte »Spenden-Rendezvous« Hitlers mit der Schwerindustrie drei Wochen nach der Machtübergabe in Görings Reichtagspräsidentenpalais: »Einmal ganz abgesehen von den Folgen, zählt dieses Treffen vom 20. Februar [1933] zu den berüchtigtsten Beispielen für die Bereitschaft des deutschen Großunternehmertums, Hitler bei der Aufstellung seines diktatorischen Regimes beizustehen.« ... »Krupp und Konsorten (wurden) von Hitler nie gezwungen, sich seinem gewalttätigen Antisemitismus oder sich seinen Eroberungsplänen anzuschließen.«

Entscheidend war das, was Hitler den Industriellen versprochen und schließlich auch durchgesetzt hatte: »Das Ende der parlamentarischen Demokratie und die Vernichtung der deutschen Linken« (S. 129). Die »gesunden Profite« lockten. Tooze eindeutig: »Und für genau dieses Versprechen leistete ein hoher Prozentsatz der deutschen Großindustrie gerne eine gehörige Anzahlung« (ebd.). Allein bei diesem Treffen waren es drei Millionen Reichsmark für den Fonds zur Wahl im März, die – das war korrekt versprochen – nun wirklich die letzte sein sollte. Der britische Historiker: »Krupp und Konsorten waren willige Partner bei der Vernichtung des politischen Pluralismus in Deutschland« (ebd.).

Tooze: »Faktisch aber waren es die Spenden vom Februar und März 1933 gewesen, die einen wirklich entscheidenden Beitrag leisteten. Denn sie waren für die Partei just in dem Moment eine kräftige Finanzspritze, als die ungemein knapp bei Kasse war und, wie Göring so richtig vorausgesagt hatte, vor der letzten Wahl ihrer Geschichte stand.«

Am Ende seines Buches stellte Tooze die Frage, warum die Lobby der deutschen »Privatwirtschaft« dann den »drastischen Eingriff der Staatsmacht nach 1933« überhaupt tolerierte, immerhin habe doch das Großunternehmertum zuvor das »Reformstreben« der Weimarer Republik noch massiv behindert (S. 757). Tooze: Zwar widersprach die »autokratische nationalsozialistische Wende« deutlich der »internationalen Agenda« – den Exportinteressen –, die die deutsche Privatwirtschaft pflegte, doch der »autoritäre Stil«, den Hitlers Koalition in der Innenpolitik pflegte, »gefiel ihr dafür ausnehmend gut, nicht weniger gut als die gesunden Profite, die seit Mitte der dreißiger Jahre auf sie zurollten« (ebd.).

Wer an das Dogma glaubt, dass die Unterstützung der Großindustrie für Hitler ein »Mythos« sei, dem macht Tooze deutlich, dass sie sich 1933 »dem politischen Wandel nicht entgegen [stellte], wie während der ersten Revolution in Deutschland 1918/19, sondern sich Hitlers ›Nationaler Revolution‹ in vielen entscheidenden Punkten als willfähriger Partner« anbot (S. 166). Selbst an privatwirtschaftlichen Schauplätzen, wo man eigentlich »etwas Widerstand« erwartet hätte, stießen die Vertreter der Nazipolitik, schreibt der Autor in seiner »Ökonomie der Zerstörung«, auf »bereitwillige Kollaborateure«. Ob Autarkieprogramm, die Aufrüstung oder sogar die große Zahl neuer Überwachungsbehörden – »alles fand den Beifall und die tatkräftige Unterstützung von erfahrenen Firmenchefs, deren Fachwissen dem Regime mit freundlicher Genehmigung der gesamten deutschen Industrie zur Verfügung gestellt wurde« (ebd.).

Es trifft zu, dass in der historischen Literatur die Treffen Hitlers und seiner Leute, wozu ab Dezember 1932 zweifellos auch Papen gehörte, mit der Großindustrie, vernachlässigt werden. Das Treffen im Februar 1933 we-niger, das Treffen am 7. Januar in Dortmund mehr. Die Teilnehmer dieser Treffen waren zumeist nach 1945 wieder aufgestiegen und es war nicht üblich, ihnen Vorhaltungen zu machen. Aber das ändert nichts an den Tatsachen. Schon im Januar sammelte die »Ruhrlade« für Hitlers Wahlkampf. Einige Tage nach dem Zusammentreffen in Köln vom 4. Januar 1933 zur Machtübertragung an Hitler trafen sich die Teilnehmer des Treffens in Dortmund und Mülheim (hier auch mit Emil Kirdorf und Adolf Hitler!). Papen informierte über das geheime Konferenzergebnis von Köln. Bei diesen Gesprächen wurde eine Million Reichsmark für die NSDAP bewilligt. (lt. George W. F. Hallgarten). Die Aussicht, dass es auf lange Zeit keine Wahlen mehr geben sollte, verlockte schon vor dem 30. Januar viele der großen Finanz- und Industriemänner zur Zustimmung zur Hitlerkanzlerschaft. Diese Zahlungen waren gegen die letzte Weimarer Reichs¬regierung und für die Diktatur bewilligt worden.

Zitiert sei aus dem Buch Hallgarten/Radkau »Deutsche Industrie und Politik«, Reinbek/Hamburg 1981, weiter: »Am 7. Januar – drei Tage nach dem Treffen mit Hitler bei von Schröder in Köln – machte Papen auf der Fahrt nach Berlin, wo er Hindenburg zu bearbeiten plante, in Dortmund halt und besprach seine Pläne mit von ihm rasch zusammengerufenen Mitgliedern der ›Ruhrlade‹ – jenes geheimen Kreises ganz weniger industrieller Potentaten, der seit 1928 faktisch die Geschicke der deutschen Schwerindustrie leitete.« ... »Die ›Ruhrlade‹ wusste, dass Papen, den sie als ihren politischen Sachwalter ansah, auf eine Diktatur mit Hitlers Beteiligung hinsteuerte, wie auch immer das Kabinett im einzelnen aussehen mochte.« Berichtet wird, »dass die Sitzung in Dortmund unter anderem von Vögler und von Springorum (Hoesch) besucht war.« Die Hitler-Partei wurde »damals unmittelbar nach ›Köln‹ von einem Konsortium unter Leitung der beiden genannten Industriellen aus finanziellen Nöten gerettet«. (S. 217/218) Die Wertigkeit des Treffens vom 7. 4. 1933 in der Villa Springorum in Dortmund war daher erheblich.

Adam Tooze „Ökonomie der Zerstörung. Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, Siedler Verlag, München 2007, 927 S., 44 Euro