07.11.2011 „Wir sind Demokraten, wir sprechen
den Nazis das Recht ab, wieder die Demokratie anzutasten“ „Freie
Entfaltungsmöglichkeiten für Faschisten hat Millionen
Menschen das Leben gekostet. Das darf sich nicht wiederholen! Es bleibt
dabei: Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen! Nie
wieder!“ Aus der Ansprache des
Landesgeschäftsführers der VVN-BdA NRW,
Jürgen Schuh, zur Gedenkveranstaltung des 73. Jahrestages der Reichspogromnacht 1938 und des 70.
Jahrestages der Judendeportation im Rheinland 1941, Bergisch-Gladbach
am 6. November 2011. Liebe
Freundinnen und Freunde, sehr
geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir gedenken hier an dieser
Stelle aller Menschen, die unter Krieg und Faschismus litten, wir
gedenken der Millionen Ermordeten und Gequälten. An diesem Tag
erinnern wir aber auch besonders an diejenigen, die bereits 1932
warnten: „Wer
Hindenburg wählt, wählt
Hitler! Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!“
Das war die politische Linke. Sie und namentlich die Kommunisten
zahlten den höchsten Blutzoll im Widerstand. Im Standardwerk
„Widerstand als Hochverrat“ vom Verlag K.G. Saur
heißt es: “Politisch
motivierter
Widerstand war…zu 75 Prozent kommunistischer, zu 10 Prozent
sozialdemokratischer und nur zu 3 Prozent
christlich-bürgerlicher Widerstand.“ Wir
gedenken hier derjenigen 2011 MitbürgerInnen
jüdischen Glaubens aus dem Raum Köln, die 1941 in
Viehwaggons ins Ghetto und von da in die Gaskammern oder in die
Arbeitslager zur Profitmaximierung deutscher Konzerne verbracht wurden. Wir
gedenken aber auch der vielen namenlosen Opfer – darunter der
Sinti und Roma – die bis heute oft ohne Anerkennung und
Entschädigung blieben. Ich meine,
es sollte nicht um das gehen, was landläufig unter
Totengedenken verstanden wird. Gedenken an mehr als 50 Millionen Opfer
muss auch das „Warnen“ einschließen.
Bertolt Brecht’s Aphorismus ist immer noch aktuell: “Der
Schoß ist fruchtbar nach, aus dem das kroch!“ Ich
komme daher nicht umhin, an folgendes zu erinnern, an niemals
bewältigte Entwicklungen unserer Nachkriegsgeschichte.
Erinnern möchte ich an den Mitverfasser und Kommentator der
Nürnberger Rassegesetzgebung, Hans-Maria Globke. Dieses Gesetz
war die juristische Grundlage für millionenfache Verfolgung,
schließlich bis zum Mord. Dieser Schreibtischtäter
wurde unter Adenauer sein erster Staatssekretär.
Eine bösartigere Verhöhnung von Millionen Ermordeter
ist für mich schwer vorstellbar. Der
Verfassungsschutzpräsident ab 1956 war Hubert
Schrübbers. Er war während des Naziregimes
Generalstaatsanwalt in Hamm und war verantwortlich für
zahlreiche Terrorurteile gegen Antifaschisten und zeichnete sich wieder
durch die gnadenlose Verfolgung von Andersdenkenden in der
Adenauer-Ära aus. Dieser Verfassungsschutz,
der jetzt ein „Aussteigerprogramm für
Linke“ anbietet (ein Anwerbeprogramm für Spitzel),
hat mit seinem V-Mann-System einen NPD-Verbotsantrag der damaligen
Bundesregierung vereitelt und finanziert über die Bezahlung
seiner „V-Männer“ einen großen
Teil des Apparates der NPD. Einen absoluten
Höhepunkt stellt dann ein zehnseitiges Exposee der
Mitarbeiterin des Baden-Württembergischen Verfassungsschutzes
Bettina Blank über die VVN-BdA dar. Sie erklärt zum
„Schwur von Buchenwald“, (das illegale Lagerkomitee
hatte das KZ vor dem Eintreffen der US-Truppen selbst befreit)
folgendes: “Für die damals (an der
Befreiung) beteiligten nicht unbedingt erkennbar, war der am 19. April
1945 auf dem Appellplatz des Konzentrationslagers Buchenwald abgelegte
Schwur eine Inszenierung des kommunistisch dominierten
‚Internationalen Lagerkomitees’ “. Das
ist eine Geschichtsfälschung und Diffamierung der
Überlebenden der KZ’s. Sehr
geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, die
aktuelle Lage in Deutschland und in Europa ist Veranlassung,
darüber nachzudenken, dass Faschisten und Rassisten in vielen
europäischen Parlamenten, in zahlreichen deutschen Landtagen
und in ungezählten Kommunalparlamenten Sitz und Stimme haben. Rassismus
und Neofaschismus im Nadelstreifen haben längst in der Mitte
unserer Gesellschaft Platz genommen. In den sogenannten
„Volksparteien“ können sich Rassisten wie
Sarrazin und zahllose andere sicher fühlen. Das ist der Boden,
auf dem Neofaschismus gedeiht. Feindbilder
werden gebraucht. Was gestern die „Juden“ und die
„Bolschewisten“ waren, sind heute die
Ausländer, sind die „Islamisten“. Das
lenkt immer billig vom Problem ab. Der sogenannte
„islamistische Terror“ hat bisher in unserem Land
zwei tote US-Soldaten gefordert. Was sehr bedauerlich ist. Der
neofaschistische Terror, der in unseren Städten seit 1990 mehr
als 150 Mordopfer gefordert hat, wird dagegen kaum thematisiert. Er
wird gar von der Bundesregierung auf 49 Tote heruntergerechnet. Seit
2001 wurden mit Bundesgeldern Projekte gefördert, die dem
immer stärkeren Anstieg rechter Gewalt und dem weiteren
Vordringen der Neonazis entgegenwirken sollten. Familienministerin
Christina Schröder entschied nun, Mittel aus diesem Programm
in den Kampf gegen „Linksextremismus“ umzuleiten.
Sie führte aber auch gleich noch einen
„Gesinnungs-TÜV“ ein. Alle Projekte gegen
Rechts, die staatliche Gelder erhalten, müssen sich nun zur
„freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ bekennen
und sich verpflichten, alle Kooperationspartner auf ihre
Verfassungstreue zu überprüfen und sicherzustellen,
dass keine sog. Linksextremisten darunter sind. Der
CDU-Landtagsabgeordnete Olaf Lehne richtete an den Landtag die Anfrage,
ob der „historisch präzisere Begriff für
diese Zeit“, also den „Faschismus“ nicht
„Nationalsozialismus“ ist? Er hat vermutlich nicht
verinnerlicht, dass die Bezeichnung
„Nationalsozialismus“ eine Wortschöpfung
der Faschisten war, die damit zu vermitteln versuchten, dass ihre
faschistische Partei national und sozialistisch sei. Beides war sie
nicht. Bertolt Brecht verwies schon auf diese Frage und warnte: “Heute
beunruhigt, dass der Faschismus absichtsvoll immer häufiger
mit seinem zweiten Namen ‚Nationalsozialismus’
bezeichnet wird. Dahinter steckt, dass Faschismus und Sozialismus
gleich gemacht werden sollen“. Die
Zusammenrottung der Faschisten zu ihrem „Nazionalen
Antikriegstag“ im September in Dortmund wurde mit dem Einsatz
von 4.500 Polizisten ermöglicht. Die Polizei
setzte eine Bürgerkriegsarmee ein, damit 700 Nazis unbehindert
grölen konnten
„Nie wieder Krieg, nach unserem
Sieg!“ Halb Dortmund war im
Belagerungszustand. Mit Wasserwerfern, Räumpanzern,
Reizgas-Einsatz und Schlagstöcken ließ der
Dortmunder Polizeipräsident den Faschisten die
Straße frei räumen. Es war schon
merkwürdig, wie Oberbürgermeister Sierau auf der
Seite der Antifaschisten und der Polizeipräsident auf der
Seite der Neofaschisten gegenüberstanden. Die
Sprachregelung der Polizei lautete so: “Die
Polizei schützt nicht die Neonazis, sie schützt die
Versammlungsfreiheit!“ “Blockaden
stärken die Falschen“ hieß
es auf
Großflächenplakaten der Polizei. Wer
sich den Neofaschisten entgegenstellt, stärkt die Falschen? Der
Vorsitzende der Polizeigewerkschaft Frank Richter hat völlig
recht, wenn er sagt: “Dann
sollte man
besser politisch die Handhabe dafür schaffen, dass
Neo-Nazi-Demos untersagt werden“. In
politischen Kreisen wird ständig verbreitet, man
könne da nichts machen. Es ist nicht eine Frage des
„Könnens“ sondern des
„Wollens“. Nach Artikel
139 Grundgesetz, der die Fortgeltung des Verbots der NSDAP
betrifft, sind alle Nachfolge- und Tarnorganisationen verboten
und
aufzulösen. Dieser Artikel 139 ist nie vom Parlament
gelöscht worden. Der ehemalige
Präsident des Bundesverfassungsgerichts und spätere
Bundespräsident Roman Herzog hatte aber erklärt: “Mit
dem Abschluss der sogenannten Entnazifizierung ist Artikel 139 obsolet
geworden“. Die
„Entnazifizierung“ war für Roman Herzog
abgeschlossen und damit war die juristische Grundlage beseitigt,
faschistische Strukturen aufzulösen. Mit einem Federstrich
entsorgte Roman Herzog den antifaschistischen Auftrag des
Grundgesetzes. Dass sich die „Deutsche
Nationalzeitung“ „an
der Spitze des
höchsten deutschen Gerichtes keinen geeigneteren Fachmann als
Prof. Herzog“ vorstellen konnte, versteht sich. Aber
auch die rot-grüne NRW-Landesregierung zeigt kein rechtes
„Wollen“, dem Wunsch des Gewerkschaftsvorsitzenden
Frank Richter nachzukommen. Zum Beispiel wird in
einer Neuauflage der Broschüre „ANDI 3“
die Losung vieler junger Demonstrantinnen und Demonstranten
„Faschismus ist keine Meinung sondern ein
Verbrechen“ als Aufforderung zum Gesetzesbruch diffamiert. In
dieser Broschüre, die an den Schulen verteilt wird,
heißt es, mit dieser Losung würden die
„Linksextremisten“ ihrem politischen Gegner alle
demokratischen Rechte absprechen. Rechts und Links werden
gleichgesetzt. Antifaschisten mit den Nazis auf eine Stufe gestellt.
Wir sind Demokraten, wir sprechen den Nazis das Recht ab, wieder die
Demokratie anzutasten.Genau das tun wir! Und das erwarten wir auch von
den Volksvertretern! Der erste
Ministerpräsident des Landes NRW Dr. Rudolf Amelunxen (damals
Zentrum), erklärte auf dem Gründungskongress der
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes am 26. Oktober 1946 in
Düsseldorf vor 500 Delegierten: “In
der Ausübung der Toleranz darf und muss nur eine Ausnahme
gemacht werden, nämlich die, dass es keine Freiheit gibt
für die Mörder der Freiheit. Wir kennen diese und
werden alles tun, um sie nicht noch einmal zum Zuge kommen zu
lassen!“ 1933 haben die
Faschisten ihr Recht auf die Straße geltend gemacht. Die
entsetzlichen Ergebnisse sind bekannt. Nach den gemachten historischen
Erfahrungen sprechen wir hier und heute ausdrücklich
Neofaschisten aller Schattierungen das Recht zu demonstrieren und das
Recht auf ihre Propaganda ab! Und wenn wir uns damit nach Meinung von
Polizei, Justiz und Politik strafbar machen, dann sagen wir: Wir
verteidigen das Grundgesetz. Und das sind wir den Millionen Opfern
schuldig. Freie Entfaltungsmöglichkeiten
für Faschisten hat Millionen Menschen das Leben gekostet. Das
darf sich nicht wiederholen! Es bleibt dabei: Faschismus ist keine
Meinung sondern ein Verbrechen! Nie wieder! |