30.07.2011
Weltkriegsveteranen mit Hakenkreuz-Orden und
Bundeswehrgebirgsjäger mit Nazitradition
„Süddeutsche“ berichtet
über den Stand der Auseinandersetzung mit der Gebirgstruppe
Erstmals hat eine überregionale Zeitung die
jahrelangen von Antifaschisten geführten Auseinandersetzungen mit
den reaktionären und völkisch-militaristischen „Gebirgsjägern“
aus Bundeswehr und Wehrmacht nachgezeichnet. Eine wirkliche
Besserung der aus der kriegsverbrecherischen Tradition der
Nazi-Wehrmacht hervorgegangenen Vereinigung „Kameradenkreis
Gebirgstruppe e.V.“ konnte nicht festgestellt werden. Sie wird
auch nach wie vor von der Bundesregierung unterstützt. Wir
dokumentieren den auch aus Material der VVN-BdA-Website
aufbereiteten Studie der „Süddeutschen Zeitung“ hier:
Gebirgsjäger auf
Identitätssuche
Harte Kerle auf gefährlichem
Terrain
Süddeutsche Zeitung, 19.07.2011, 09:39
Von Frederik Obermaier
Die Gebirgsjäger laborieren an ihrer Vergangenheit.
"Stirb, du Jud!", brüllte noch vor wenigen Jahren ein
Soldat bei einer Übung, im Februar 2010 machte die Truppe mit
fragwürdigen Ritualen von sich reden. Jetzt sollen
Bundeswehrstandorte geschlossen werden - das schlechte Image der
Gebirgsjäger kann ihre Zukunft gefährden.
Das Hakenkreuz musste weg. Es prangte links oben, am Tor zur Bad
Reichenhaller Kaserne, die Krallen eines steinern Adler hatten es
fest im Griff. Handwerker schlugen das Nazi-Symbol aus dem Stein,
und als 1958 die Gebirgsjäger der neu gegründete Bundeswehr in die
Kaserne einzogen, ersetzten sie es durch ein Edelweiß. Aus der
Elite-Truppe der Wehrmacht wurde eine Elite-Truppe der
Bundeswehr.
Gebirgsjäger waren schon immer und sind immer noch eine Truppe
mit einem ganz besonderen Selbstverständnis. "Wo andere
aufhören, fangen wir erst an", lautet ihr Motto. Wenn im
Kosovo oder nun in Afghanistan deutsche Soldaten für Frieden sorgen
sollen, sind die Männer aus Mittenwald, Bad Reichenhall und Strub
bei Berchtesgaden immer dabei.
Eigentlich sind die Gebirgsjäger so, wie künftig die ganze
Bundeswehr sein soll: schnell einsetzbar, ob im Dschungel, im
Hochgebirge oder in der Wüste. "Wir bringen einzigartige
Fähigkeiten in die Streitkräfte ein", sagt der General von
Deutschlands einziger Gebirgsjägerbrigade, Johann Langenegger.
Ein heikles Traditionsverständnis, fragwürdige Rituale und
Soldaten, die Kinder mit Waffen hantieren lassen, gefährden jedoch
den Ruf der Gebirgsjäger. Und das in gefährlichen Zeiten: Das
Bundesverteidigungsministerium sucht nach Standorten, die sie im
Zuge der Wehrreform schließen kann.
Erst Anfang Juni gerieten Gebirgsjäger wieder einmal heftig in
die Kritik: Kinder durften beim Tag der offenen Tür der
Reichenhaller Kaserne mit Panzerfaust-Zielfernrohren auf ein
Modelldorf namens "Klein-Mitrovica" anlegen. Das sei nicht
zu tolerieren, sagte SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold, auch
wenn Gebirgsjäger während des KFOR-Einsatzes die Bevölkerung in
einem gleichnamigen Dorf im Kosovo beschützten. Sieben Jahrzehnte
zuvor waren Gebirgsjäger in einem Dorf gleichen Namens an einem
Massaker beteiligt.
Die Staatsanwaltschaft Traunstein ermittelte nach dem Tag der
offenen Tür, auch der Verteidigungsausschuss des Bundestags
beschäftigte sich mit dem Fall. General Langenegger entschuldigte
sich, die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen ein. Damit war
der Fall abgeschlossen. Die historische Dimension hätten die
einfachen Soldaten nicht ahnen können, erklärte Langenegger.
Schon im Februar 2010 hatten Gebirgsjäger ihre Truppe bundesweit
in ein schlechtes Licht gerückt. Erfahrene Soldaten aus der
Mittenwalder Kaserne hatten Neulinge über Jahre hinweg zu einem
Aufnahmeritual gezwungen: Sie mussten rohe Schweineleber essen und
trinken bis zum Erbrechen. Das Strafverfahren wurde eingestellt.
Zurück blieb nur der ramponierte Ruf, schließlich hatten die
Gebirgsjäger nicht zum ersten Mal Negativ-Schlagzeilen gemacht.
"Wir haben Fehler gemacht"
1993 grölten Soldaten im Zug nach Reichenhall rechte Parolen, in
Afghanistan posierten einige Jahre später zwei Soldaten mit
Totenschädeln für Erinnerungsfotos, 2007 wurde ein Hauptgefreiter
aus Mittenwald verurteilt, weil er bei einer Schießübung
"Stirb, du Jud'" gebrüllt hatte. Und in Afghanistan
erschoss ein Gebirgsjäger 2010 einen Kameraden. Der 21-Jährige
hatte mit der Waffe auf ihn gezielt, ein Schuss löste sich.
Alles Einzelfälle, darauf beharren die Befehlshaber der
Gebirgsjäger. In Zeiten, in denen die Wehrpflicht Geschichte und
die Bundeswehr zu einem Arbeitgeber unter vielen geworden ist,
könnten diese Einzelfälle jedoch Bewerber abschrecken - oder gar
die falschen anlocken. Selbst Ausbilder berichten davon, dass bei
Rechtsextremen der Dienst in der Reichenhaller Kaserne besonders
beliebt sei - und sie ist noch heute nach dem Nazi-General Rudolf
Konrad benannt.
Wir haben Fehler gemacht und es sind die Maßnahmen ergriffen
worden, die zu ergreifen sind", sagt General Langenegger wenige
Wochen nach der Kritik am Tag der offenen Tür. Die internen
Ermittlungen sind mittlerweile abgeschlossen, über ihr Ergebnis
erfährt man nichts. Der General hat gegen die Soldaten ermittelt,
die das Modelldorf aufgebaut haben, und gegen den Verantwortlichen
für den Tag - das war er selbst.
Die Soldaten der Gebirgsjägerbrigade 23 sprechen nur ungern
über jenen Tag der offenen Tür, sie sind genervt. Gerade erst sind
sie aus Afghanistan zurückgekommen. Sie waren monatelang in
Mazar-e- Sharif, Faizabad oder Baghlan stationiert, haben Taliban
bekämpft, in Gefechten ihr Leben riskiert. Über ihren
Rückkehrer-Appell schrieb dennoch nur die Lokalpresse, über den
verunglückten Tag der offenen Tür dagegen Zeitungen aus der
gesamten Republik. "Beim Schützenverein wird auch nichts
anderes gemacht, da stört es aber keinen", sagt ein
Oberfeldwebel, der anonym bleiben will.
Wie viele Kameraden wittert er hinter dem Ganzen eine Kampagne
von Linken. Schließlich hat das linkslastige Aktionsbündnis
"Rabatz" die Fotos vom Tag der offenen Tür an die
Zeitungen verschickt.
Schon seit Monaten fordern pazifistische, linke sowie autonome
Gruppierungen die "Entnazifizierung und
Entmilitarisierung" Bad Reichenhalls. Etwa 200 Menschen
marschierten im Mai durch die Kurstadt, sie demonstrierten gegen
"rechte Traditionspflege, Nazis und den militaristischen,
nationalistischen deutschen Normalzustand". Grund dafür: Die
Reichenhaller Ortsgruppe des Kameradenkreises der Gebirgsjäger
veranstaltet jährlich das sogenannte Kreta-Gedenken.
Die Kameraden treffen sich dafür an einer Brücke über die
Saalach, nicht weit von der Kaserne entfernt, an einem Gedenkstein.
Er erinnert an die 248 Reichenhaller Gebirgsjäger, die 1941 bei der
Eroberung Kretas starben. Die Brücke selbst hat Reichenhalls
Stadtrat in den 60er Jahren "Kreta-Brücke" taufen lassen.
Auf und vor Kreta starben jedoch nicht nur besonders viele Soldaten
aus Reichenhall, bei Massakern der Gebirgsjäger auf der Insel
starben auch Hunderte Einheimische. Für den Vorsitzenden des
örtlichen Kameradenkreises, Manfred Held, sind sie kein Thema:
"Ich will nicht über Kriegsverbrechen reden, wenn ich der
Gebirgsjäger gedenke." Weltkriegsveteranen mit
Hakenkreuz-Orden
Auch in Mittenwald treten einmal im Jahr Wehrmachtsveteranen und
Bundeswehraktive zu einer großen Soldatenfeier an, auf dem Hohen
Brendten. Vor zwei Betonstelen gedenken sie der Gefallenen der
Weltkriege, seit kurzem auch der Toten der Bundeswehr. Veranstalter
der Ehrenfeiern ist der Kameradenkreis der Gebirgstruppe.
8000 Veteranen hatten den Verein 1952 gegründet, er dient laut
Satzung der "Förderung der Volksbildung durch Wahrung und
Überlieferung der Geschichte und Tradition der Gebirgstruppe".
Tatsächlich aber hatte der Kameradenkreis jahrzehntelang Veteranen
mit dunkler Vergangenheit in den Reihen. Die meisten von ihnen sind
jetzt tot. "Kriegsverbrecher gibt es bei uns nicht mehr",
sagt Kameradenkreis-Präsident Manfred Benkel. Die Mitgliedschaft
des Wehrmachtsveteranen Josef Scheungraber ruhe, seit er 2009 wegen
eines Massakers in Italien verurteilt wurde.
Dass bei der Brendtenfeier auch schon mal Weltkriegsveteranen mit
Orden, auf denen noch Hakenkreuze der Wehrmacht prangen,
aufmarschierten, wertet General Langenegger als Einzelfall:
"Die Angehörigen der Bundeswehr haben damit nichts zu
tun."
Den Vorwurf, die Gebirgsjäger würden ihre
Wehrmachtsvergangenheit nicht angemessen aufarbeiten, weist der
oberste Gebirgsjäger zurück. Seine Soldaten seien keine Rechten in
Uniform, die die Gebirgsjäger in der Tradition der
NS-Gebirgssoldaten des Zweiten Weltkriegs sähen: "Den Bogen zu
spannen von der Gebirgstruppe der Wehrmacht zum vom Deutschen
Bundestag legitimierten Einsatz der Gebirgsjäger der Bundeswehr
halte ich für absurd und bösartig", sagt Langenegger.
Die Gemeinde Mittenwald setzte 2010 trotzdem ein Zeichen gegen
einseitiges Heldengedenken. Ein Mahnmal, das ihr Kritiker der
Gebirgsjäger schenkten, stellte sie mitten im Ort auf: Es erinnert
an die Opfer der Massaker der Gebirgsjäger im Zweiten Weltkrieg.
Seit es eingeweiht wurde, gibt es auch die Proteste gegen die
Gebirgsjäger dort nicht mehr - die Demonstranten sind weitergezogen
nach Bad Reichenhall. Die Bundeswehr ist hier, wie in Mittenwald,
der größte Arbeitgeber. Das Verhältnis zur Truppe ist
ungebrochen. "Zwischen die Gebirgsjäger und Bad Reichenhall
passt kein Blatt Papier", sagt Oberbürgermeister Herbert
Lackner.
Quelle:
http://www.sueddeutsche.de/bayern/gebirgsjaeger-auf-i
dentitaetssuche-harte-kerle-auf-gefaehrlichem-terrain-1.1121843
|