29.06.2011
Den Namen zurückgeben
Verein stellt Gedenkbuch mit
3100 von Nazis umgebrachten Wuppertalern ins Internet
Ein digitales Gedenkbuch mit den Namen von mehr als
3100 Wuppertaler Nazi-Opfern ist seit einiger Zeit im Internet
einsehbar. Die Liste ist nicht vollständig, und die Todesdaten und
vor allem die Todesursachen sind oft von den Mördern und ihren
Bürokraten gefälscht worden. Jetzt hoffen die Initiatoren des
Gedenkbuches auf weitere Hinweise zur Vervollständigung ihrer
Arbeit.
Nach langwierigen Aktenstudien und geduldigen Befragungen von
Zeitzeugen hat der Verein zur Erforschung sozialer Bewegungen
Wuppertals ein Gedenkbuch für die in der Stadt beheimateten Opfer
aus der Nazizeit ins Internet gestellt. Darin sind Namen von
reichlich 3100 Bürgern aufgelistet, die von Nazis ermordet wurden
beziehungsweise in Lagern, Gefängnissen, sogenannten Heil- und
Pflegeanstalten oder bei der Zwangsarbeit den Tod fanden.
»Wir möchten den NS-Opfern ihre Namen, ihre Gesichter, ihre
Lebensgeschichten und ein wenig ihre Würde zurückgeben«, sagt
Vize-Vorsitzender Stephan Stracke dem ND. Der 1999 gegründete
Verein, zu dem acht Wissenschaftler sowie weitere Mitglieder und
Förderer gehören, erforscht vor allem den Widerstand und die
Verfolgung in Wuppertal während der NS-Zeit. »Die Ergebnisse haben
wir in einer bisher elfbändigen Buchreihe vorgelegt«, so Stracke.
Das Gedenkbuch – in Deutsch, Englisch und Russisch
niedergeschrieben – beansprucht keineswegs, vollständig zu sein.
Die Autoren stießen vielfach auf Unstimmigkeiten. Manche
Lebensabschnitte ließen sich überhaupt nicht aufhellen. Was vor
allem damit zusammenhängt, dass sich die Täter und deren
Handlanger in der damaligen Staatsbürokratie bemühten, Spuren zu
verwischen, zu verfälschen, zu tilgen, unkenntlich zu machen. Das
betrifft oftmals konkrete Hinweise darauf, wer wann und vor allem
warum zu Tode kam.
Auch alliierte Soldaten
Manchmal wurden nicht einmal die Namen derer bekannt, die in
Wäldern hingerichtet oder nach dem Tod in den Gaskammern in
KZ-Öfen verbrannt wurden. Manche NS-Opfer gelten bis in unsere Tage
als verschollen, heißt es im Gedenkbuch. Was und wer ein
Wuppertaler im Sinne der Dokumentation ist, wird weit gefasst:
Leute, die hier geboren wurden oder gestorben sind, solche, die von
örtlichen Militärgerichten zum Tode verurteilt und anderswo
hingerichtet wurden, alliierte Soldaten, die in Kämpfen um die
Stadt ums Leben kamen. Auch Ehren-Wuppertaler sind vermerkt –
Niederländer, die sich 1935/1936 mit Arbeitern solidarisierten, die
in den Wuppertaler Gewerkschaftsprozessen verurteilt worden waren.
Nach der Besetzung der Niederlande 1940 kamen viele dieser
Aktivisten in Vernichtungslagern der Nazis um.
Die Schicksale der jüdischen Bürger und der Widerstandskämpfer
konnten größtenteils ergründet werden. Viel zu wenig sei aber
über die 1000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen bekannt, die in
der Stadt von der Gestapo erhängt, erschossen oder in
»Arbeitserziehungslagern« und KZ zu Tode geschunden wurden, meint
Stephan Stracke. »Die Mehrheit von ihnen starb beim ›Arbeitseinsatz‹
in Wuppertal, bei Bombenangriffen und Betriebsunfällen, sie starben
an Tuberkulose, Ruhr, Lungenentzündung und Unterernährung.«
Zeugen Jehovas, Sinti und Roma konnten benannt werden, dazu Opfer
der Militärjustiz, einstige politische Häftlinge, die in
Strafeinheiten den Tod fanden, erläutert Stracke, darüber hinaus
jene, die als Spanienkämpfer oder Partisanen Widerstand geleistet
hatten. Einbezogen wurden Bürger, die als »Asoziale«,
»Arbeitsscheue«, Homosexuelle, »Rasseschänder«,
»Berufsverbrecher«, »Plünderer« oder »Volksschädlinge«
festgenommen und in KZ eingeliefert wurden.
Mitwirkung erbeten
Das Gedenkbuch strebt Authentizität an. Deswegen wurden
Angehörige der Opfer und andere nach dem Wiki-Prinzip gebeten, mit
Fotos, Dokumenten und Erinnerungen beizusteuern, um sie mit »dem
Verein, der Wissenschaft und der Öffentlichkeit zu teilen«, so
Stracke. Nach dem Aufruf, der nunmehr zwei Monate alt ist, kamen
inzwischen einige Hinweise auf bislang kaum bekannte Details. Auch
neue Opfernamen wurden genannt, die man jetzt gegenrecherchiert.
Informationen im Internet unter:
www.gedenkbuch-wuppertal.de;
www.wuppertaler-widerstand.de;
www.gewerkschaftsprozesse.de
Rainer Funke
Zu erst erschienen im Neuen
Deutschland vom 16.06.2011
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