02.06.2011; aktualisiert am: 19.06.2011
NRZ: Gedenkhalle Oberhausen als emotionsfreie Zone
Die neue Rhein/Ruhr Zeitung NRZ (Ausgabe Oberhausen)
hat am 31. Mai über den Widerspruch der VVN-BdA zur neugestalteten
Gedenkhalle in Oberhausen berichtet. Dazu wurde auch im Internet ein
Kommentar abgegeben. Beide Texte sollen hier dokumentiert werden.
Konflikt: Gedenkhalle Oberhausen als
emotionsfreie Zone
Oberhausen, 31.05.2011, Andrea Micke
Oberhausen. Ulrich Sander von der Vereinigung der Verfolgten
des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten -
ist mit der neuen Konzeption der Gedenkhalle nicht einverstanden,
die nach zweijähriger Umbauzeit Mitte Dezember 2010 wieder
eröffnet worden war. Sander beschwört einen Konflikt herauf, in
dem es - kurz zusammengefasst - um Emotionalität versus
Rationalität geht.
Ihn stört besonders: „Die Erinnerung an den Arbeiterwiderstand
wie an die Rolle der ökonomischen Eliten in Nazizeit und Krieg
wurde aus dem Foyer und weitgehend auch aus der Ausstellung
verbannt. Sie ist für das Heute nicht mehr ‘zeittypisch’“.
In diesem Zusammenhang moniert Sander auch dass ein Bilderzyklus’
des Oberhausener Künstlers Walter Kurowski, der all das umfassend
festgehalten hatte, „in den Keller verbannt wurde“. Sander:
„Im Mittelteil des jetzt aus der Gedenkhalle verschwundenen
Wandbildes von Walter Kurowski waren die ehemaligen KPD- und
KJVD-Mitglieder zu sehen, die zum Widerstand gehörten: Fritz
Jahnke, Johann Grohnke, Willi Willig, Bruno Blank, Willi Bettinger
und Hans Müller. Sie halten die VVN-Fahne in Händen. Daneben ein
Bild der Sängerin Fasia Jansen, Überlebende des KZ Neuengamme.“
Entstehung des Faschismus dokumentiert
„Die alte Gestaltung der Ausstellung war sehr emotional“,
sagt der Künstler Walter Kurowski selbst. Die damals noch lebenden
aktiven Widerstandskämpfer aus Oberhausen hätten ihre Erlebnisse
geschildert. Zudem sei die Entstehung des Faschismus dokumentiert
worden. Kurowski missfällt an der neuen Ausstellungskonzeption: „Wie
der Faschismus in Oberhausen entstanden ist, wird nur noch am Rande
erwähnt.“
Clemens Heinrichs, der Leiter der Gedenkhalle, sieht nun
allerdings in der jüngsten E-Mail Sanders „die Spitze einer
Polemik“ gegen sein Haus. Heinrichs schildert einen Grundkonflikt:
Der VVN möchte eine ganz andere Ausstellung da drin haben als wir.“
Die Helden des Widerstandes sollten dargestellt und dadurch die
Emotionen der Besucher angesprochen werden.
Doch genau diese emotionale Auseinandersetzung mit der Geschichte
will man nicht. „Wir wollen keine Heldengeschichten“, stellt
Heinrichs klar. Ihr Ziel: die Befähigung der Menschen zur
eigenständigen analytischen Meinungsbildung.
Drei Grundprinzipien festgelegt
Dabei beruft sich Heinrichs auf den sogenannten Beutelsbacher
Konsens, Ergebnis einer Tagung der Landeszentrale für politische
Bildung zusammen mit Politikdidaktikern im Herbst 1976. Damals
wurden drei Grundprinzipien des Politikunterrichts festgelegt.
Danach soll Schülern keine Meinung aufgezwungen werden. Vielmehr
solle der Unterricht sie in die Lage versetzen, sich selbst eine
Meinung zu bilden. Dann müssen ebenfalls zum Zweck der freien
Meinungsbildung Themen kontrovers dargestellt und diskutiert werden.
Und als drittes Prinzip wird die „Schülerorientierung“ zitiert:
„Sie soll Schüler in die Lage versetzen, die politische Situation
der Gesellschaft und ihre eigenen Position zu analysieren und sich
aktiv am politischen Prozess zu beteiligen.“
Zum Bilderzyklus Kurowskis erklärt Heinrichs noch: „Er ist
nicht ganz verschwunden, ein Teil ist in der Medienstation im Foyer
zu sehen.“ Kurowskis Bilderzyklus sei nun ein Teil der
Rezeptionsgeschichte der Gedenkhalle.
Kulturdezernent Apostolos Tsalastras äußerte sich sehr
verwundert über Sanders Kritik. Zumal bei ihnen überhaupt nichts
angekommen sei. Und sie arbeiteten doch intensiv mit der Antifa
zusammen. Außerdem habe man über das neue Konzept der Gedenkhalle
lange beraten, es sei alles im Konsens vieler Beteiligter und unter
Berücksichtigung neuer Erkenntnisse entstanden.
1 Kommentare
1.
Ich bin etwas über die Äußerungen von Herrn Heinrichs
verwundert. Wenn es um die Aufarbeitung sogenannter Stasi-Verbrechen
geht, betreibt man Regelrecht Heldenverehrung und der Beutelsbacher
Konsens geht dabei jedem am .…. vorbei. Meines Erachtens gehört
sehr wohl Emotionalität und auch die Auseinandersetzung mit den
Ursachen des Dritten Reiches in die GEDENKhalle, sonst bräuchten
wir keine GEDENKhalle. Jeder sollte wissen, wer z.B. Paul Reusch
(Ein Industriemanager der GHH nach dem heute Straßen und Plätze
benannt werden) wirklich war und in welcher Beziehung er mit der
NS-Diktatur stand. Die GEDENKhalle hat doch einen Bildungsauftrag.
Wie kam es zum NS-Regime? Wer waren die Unterstützer? Welche Rolle
spielten dabei Oberhausener Unternehmer? Stattdessen entfernt man
die Hinweise für die Verantwortung der Unternehmer. Man entfernt
sogar die Abbildungen der Widerstandskämpfer. Sie gaben dem
Widerstand doch ein Gesicht!
#1 von donelvis , am 01.06.2011 um
19:33
2.
Natürlich soll SchülerInnen keine Meinung aufgezwungen werden
– von ihren LehrerInnen! In der „Zwangsveranstaltung“
Unterricht, also in einer ganz anderen Situation als die einer
Ausstellung. Da gibt es viel zu sehen, zu begehen, abgelenkt zu
werden. Überhaupt, ob Beeinflussung so einfach geht angesichts der
vielfältigen Einwirkungen auf junge Menschen heutzutage?!
Informiert leider nur durch Internetdarstellungen zur Ausstellung
stelle ich mir vor, dort zeitgenössische Alltagsgegenstände und
–berichte multimedial aufbereitet zu finden; an Computerstationen
vielleicht Zugriffsmöglichkeit auf einen immensen Fundus
zusätzlicher (textlastiger?) Informationen. Was wird die jungen
Menschen erreichen? Alles emotionslos?
Meine Unterrichtserfahrungen als Lehrer sind fast so alt wie der
Beutelsbacher Konsens. Ich stelle immer wieder fest, dass es gerade
die Darstellungen persönlicher Schicksale, konkreten Verhaltens von
Menschen sind, die SchülerInnen bewegen, „hängen bleiben“. Und
davon ausgehend durch Hinterfragen zur „eigenständigen
analytischen Meinungsbildung“ bringen. Heldengeschichten? Nein!
Aber vielleicht Geschichten von „Helden des Alltags“, des
Engagements in für uns unvorstellbaren Zeitläuften. Wo würde
Fasia heute auftreten? „Stuttgart 21“, Anti-AKW 2.0 vielleicht,
zusammen mit heute angesagten Künstlern. Viele junge Menschen
kennen die aktuellen Auseinandersetzungen. Und erführen in der
Ausstellung von vergangenen Bemühungen mündiger Bürger.
Vorbilder, Mutmacher vielleicht – keine „Helden“!
#2 von magisterpopuli , am 04.06.2011 um 08:48
3.
Ich habe überhaupt nichts gegen Heldenverehrung. Wenn es Helden
der Humanität und Nächstenliebe, der menschenfreundlichen
Wissenschaft und der Kultur sind; Helden auch der Grundlagen unserer
demokratischen Republik, Helden der Freiheit, Gleichheit und
Solidarität.
Machen wir uns nichts vor: Menschen suchen sich ohnehin Helden.
Zu zehntausenden pilgern sie in Fußballstadien und zu sogenannten
Fanmeilen, um die Helden von Leistung, Konkurrenz und Nation zu
vergötzen, die DFB und FIFA ihnen anbieten.
Es gibt ein menschliches Bedürfnis nach Integration in eine
Gemeinschaft und nach Anerkennung durch die Gemeinschaft. Wer den
Menschen keine Angebote macht, die ihnen eine Orientierung und eine
Aneignung von Wertvorstellungen ermöglichen, überlässt dies
schlicht anderen.
#3 von Stefan2
Historische Ausstellungen werden immer dann, wenn der
Forschungsstand sich verändert bzw. weiter entwickelt hat,
erneuert. Das ist in allen Museen der Fall und auch in der
Gedenkhalle Oberhausen, deren alte Ausstellung aus den 80er Jahren
stammte. In einer neuen Ausstellung sollten dann auch aktuelle Texte
und in den letzten Jahren gesammelte Exponate zu finden sein.
Desweiteren bleibt mir unverständlich, wieso das Nichterzählen
von Heldengeschichten von manchen Kommentatoren gleichgesetzt wird
mit Emotionslosigkeit. Z.B. die in der neuen Ausstellung gezeigten
Interviews sprechen meine Emotionen in hohem Maße an. Dankbar bin
ich dagegen, dass mir nicht mehr vorgegeben wird, wen ich als Helden
zu betrachten habe. Auf Grund des Gesehenen und Gehörten kann ich
mir selbst ein Bild davon machen, welche Menschen und deren
Reaktionen auf den Nationalsozialismus mich besonders beeindrucken.
So verstehe ich auch den Beutelsbacher Konsens.
#4 von Evamarie, am 07.06.2011 um 12:46
(aus DER WESTEN)
Ein Mann der Kulturszene schrieb
uns:
Ich denke, es war ein skandalöser Umgang mit der historischen
Gedenkhalle. Im Grunde wie mit einer Laden-Einrichtung, von der man
meint, daß sie mal einer neueren Mode nachkommen müsse. In diesem
Land genügt es vielen Leuten, weisse Wände zu haben. Eine
Gedenkhalle ohne Emotionen? Wo sind wir denn?
Das Thema ist in die Hände von Bürokraten gefallen.
Kuros Bilder sind
a) selbst historisch (und erfordern damit einen anderen Umgang)
und
b) Kunstwerk.
Ich würde ihm raten, sie zurückzufordern. Dann kann man einen
öffentlichen Ort suchen, wo die Würde gewahrt ist.
Für mich ist die Verwandlung der Gedenkhalle etwas, worüber
Kafka ein Stück hätte schreiben können.
R. G.
Ein Kunsthistoriker schrieb uns:
Der Vorgang heißt in der Kunstgeschichte Ikonoklasmus,
Bildersturm. In der Regel ist er mit heftigen Emotionen verbunden.
In Byzanz (um 900 herum), wollte der Kaiser die goldhaltigen
Bildwerke einschmelzen. Das war mit großem theologischen
Argumentationsaufwand verbunden (rational!). Die Bilderfreunde
setzten sich aber in dem Fall durch, was eine Bildergläubigkeit in
der Orthodoxie nach sich zog, die bis heute wirkt und erstaunt. Ein
anderer war 1566 in Flandern, der ging von den calvinistischen
Gläubigen aus, die mit den Schätzen in den Kirchen den Reichtum
der Kirche angriffen - antifeudal, hatte den 80-jährigen Krieg zur
Folge, der mit der Befreiung der nördlichen Niederlande endete.
Und die Nazis haben ab 1937 "entartete" Kunst entsorgt.
In Oberhausen indes ist der Ikonoklasmus vorgeblich sachlich,
kühl, unbeteiligt, rational - und bereitet die nächsten
Schandtaten vor. Es handelt sich selbstverständlich um Barbarei.
Übrigens war bis etwa 1990, vielleicht noch einige Jahre danach,
eine Ausstellung von DDR-Bildern im Schloß Oberhausen zu sehen.
Eine sehr gute Sammlung. Sammlung Ludwig. Einige der Künstler
hatten, nachdem schon vor der Wende für sie im Westen der Markt
sich öffnete, sich bald auch in den Westen absetzen können. Volker
Stelzmann ist mir in Erinnerung. Der bekam eine Professur im
Frankfurter Städel, wenn ich mich recht erinnere. Als die Sammlung
ihre Funktion erfüllt hatte, wurde sie in alle Winde verstreut. Ich
bin mal 1999 mit Archie Kuhnke und einem anderen Betriebsrat dort
gewesen, wähnend, sie wäre noch zu sehen. Vergeblich. Es müßte
mal erforscht werden, wann genau die DDR-Sammlung aus Oberhausen
verschwunden ist.
Und dann gab es doch mal eine Aktion in Bonn in den Räumen der
Parlamentarischen Gesellschaft, als einige
CDU/CSU-Bundestagsabgeordnete Plakate von Klaus Staeck abrissen und
darauf herumtrampelten. Das war am 30. März 1976. Der sogenannte
Bonner Bildersturm. Protagonist war seinerzeit Philipp Jenninger. Da
konnte sich die SPD noch aufregen, denn es betraf sie und einen
ihrer Künstler.
Klaus S.
Folgender Kommentar wurde gedruckt
in WAZ und NRZ Oberhausen
veröffentlicht
WAZ Oberhausen Leserbriefe 7. Juni 2011 (ähnlich gekürzt in
NRZ)
Emotionsfreie Zone – Besonders Mutige
Die Stadt Oberhausen war einmal stolz auf ihre Gedenkhalle zur
Entstehung und zum Verlauf des Faschismus in Deutschland und zur
Darstellung des antifaschistischen Widerstandes auch in Oberhausen.
Wenn nun der Leiter Heinrichs von der Notwendigkeit einer
emotionsfreien Betrachtung dieser geschichtlichen Tatsachen spricht,
so kann ich ihm darin genauso wenig folgen wie mein VVN-Freund
Ulrich Sander, der zu Recht das Weglassen wichtiger Fakten des
damaligen Widerstandes kritisiert. In Oberhausen waren es besonders
mutige, ihr Leben riskierende Männer und Frauen aus den Reihen der
KPD, SPD und kirchlicher Kreise, die das andere Deutschland
verkörpern.
Und wenn dann noch besonders die verhängnisvolle Rolle der
Großindustrie bei der Unterstützung der NSDAP ausgeblendet wird,
kann man schon von einer nicht objektiven Geschichtsbetrachtung
sprechen. Darum sollten sich die Verantwortlichen für die
inhaltliche Umgestaltung der Gedenkhalle mit der VVN als der immer
noch großen Verfolgtenorganisation an einen Tisch setzen, um eine
objektive und eben auch emotionale Ausstellung zu gestalten; so kann
es nicht bleiben.
Fritz Meinicke
Folgender Kommentar wurde noch nicht
veröffentlicht
Betreff: Artikel 31 5 11 in NRZ, „Beutelsbacher Konsens“ usw
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke für den Artikel vom 31. 5. 11 „Gedenkhalle
Oberhausen als emotionsfreie Zone“ (ohne Fragezeichen)
Ein Ort, der sich Gedenkhalle nennt, soll emotionsfrei sein? Das
kann doch nicht der Wille der Stadt Oberhausen sein.
Und auch da, wo es um Rationalität geht – die auch ihre
Berechtigung hat – möchte ich widersprechen. Herr Heinrichs
besteht auf dem sogenannten Beutelsbacher Konsens, Ergebnis einer
Tagung der Landeszentrale für politische Bildung zusammen mit
Politikdidaktikern im Herbst 1976. Danach soll bei strittigen
Positionen im Unterricht keine Indoktrination wallten. Die Sache ist
nur die: Der Faschismus ist unstrittig das größte
Menschheitsverbrechen. Soll Faschisten ein gleichberechtigter Platz
im Diskurs gewährt werden? Dazu verweisen junge Menschen bei
zahlreichen Demonstrationen gegen die Nazis auf die Erkenntnis: „Faschismus
ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen.“
Als die bisherige Ausstellung im Konsens mit den
Opferorganisationen geschaffen wurde, war der Beutelsbacher Konsens
schon zwölf Jahre alt. Niemand kam auf die absurde Idee, ihn gegen
die Gedenkhalle und jene, die sie gestalteten, ins Feld zu führen,
wie es jetzt geschieht. Die Neue Gedenkhalle wurde ohne Abstimmung
mit den Opferverbänden ausgestaltet. Jeder Gedanke an die
Opferverbände wurde sogar verbannt. Es fand ein Bildersturm statt,
um Kuros Werk aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Damit wurden
nicht nur die abgebildeten Repräsentanten des Arbeiterwiderstandes,
sondern auch die rassisch Verfolgten, es wurden Fasia Jansen, Anne
Frank und Sophie Scholl verbannt.
Ausgeblendet wurde auch der Hinweis auf die Schuldigen, die
Verursacher, die Nutznießer, darunter das Rüstungskapital. Max
Horkheimer sagte am Vorabend des Krieges: „Wer aber vom
Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“.
Es darf in dieser Sache nicht das letzte Wort gesprochen sein.
Der Opferverband Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der
Antifaschisten ist gesprächsbereit.
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Sander
Bundessprecher der VVN-BdA
Darum ging es:
http://nrw.vvn-bda.de/texte/0790_zweispa_ltig.htm
In der neuen Ausstellung |
Auch wesentliche Fakten wurden ausgespart.
Anders eine VVN-Dokumentation über Zwangsarbeit in Oberhausen |
Plakat zur neuen Ausstellung |
… aber außen ist die Gedenkhalle wenigstens
unverändert. |
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