07.05.2011
Heinrich Fink: Wie ich „unzumutbar“ wurde
Zu den am meisten behördlich und medial
diffamierten Personen gehört Prof. Dr. theol. Heinrich Fink aus
Berlin. Er ist Bundesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes (VVN-BdA). Die gegen ihn verbreiteten Darstellungen
beruhen auf Lügen. Was wirklich mit Heinrich Fink geschah,
schildert dieser in Nr. 9 von „Ossietzky“.
„Das ist keine ‚Affäre des Herrn Fink‘“, sagte Günter
Grass im Gespräch mit dem Journalisten Andreas B. Bengsch. „Die
eigentliche ‚Affäre‘ liegt darin, daß Stasiakten nahezu
ungeprüft den Wert von unbestreitbaren Dokumenten bekommen und der
jeweils Beschuldigte, ohne Einsicht nehmen zu können in diese
Dokumente, von sich aus den Beweis antreten muß, daß das, was dort
die Stasi geschrieben hat, nicht stimmt. Es ist eine
Ungeheuerlichkeit von einem Ausmaß, das noch kaum zu fassen ist.
Wenn ich es auf einen Satz bringen will, hieße der: Nie ist der
Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR so erfolgreich gewesen
wie nach seiner Abschaffung. Er wirkt jetzt fort. Das ist ein Gift,
das gesetzt worden ist und sich offenbar überträgt. Und das führt
zu peinlichen Dingen.“
Grass war einer der vielen, auf die der Berliner
Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) nicht hörte. Die
Kampagne gegen mich als gewählten Rektor der Berliner
Humboldt-Universität und als Kandidaten für eine zweite Amtszeit
duldete keinen Widerspruch.
Wie schon erwähnt (Ossietzky 8/11) hatten überregionale
Zeitungen am 22. November 1991 unter Berufung auf Erhardt gemeldet,
der künftige Rektor werde vermutlich nicht Fink heißen, denn laut
Gauck-Behörde sei ich informeller Mitarbeiter der Stasi gewesen.
Laut Aktennotiz erhielt der Senator dann am 25. November 1991 um
14.50 Uhr ein Schreiben der Gauck-Behörde, das eben diesen Vorwurf
enthielt. Während ich an diesem Nachmittag an der
Immatrikulationsfeier teilnahm, bestellte er mich für 19.30 Uhr in
sein Büro, um mir mitzuteilen, aufgrund dieses Schreibens, das er
mir aushändigte – ich fand darin nichts als eine allgemeine
Verdächtigung –, erübrige sich meine Kandidatur; mir stehe die
fristlose Entlassung bevor. Am nächsten Morgen meldete die Presse
„unzumutbare“ Stasi-Verstrickungen des Rektors der HU.
Für 13 Uhr an diesem 26. November berief ich den Akademischen
Senat ein. Vor den 20 teilnehmenden Senatsmitgliedern gab ich eine
Erklärung ab, in der ich den gegen mich erhobenen Vorwurf als
unrichtig zurückwies und folgendermaßen beantwortete: „Ich muß
davon ausgehen, daß es sich bei diesem Schreiben der Gauck-Behörde
um das Ergebnis einer politisch motivierten Manipulation handelt,
die mit der anstehenden Wahl des Rektors der Humboldt-Universität
nicht ohne Grund zeitlich zusammenfällt. Ich werde gegen diesen
Versuch eines Rufmordes mit allen hierfür gegebenen Rechtsmitteln
vorgehen. Ich erwarte, daß mir umgehend Einsicht in die Unterlagen
gegeben wird, auf die sich der erhobene Vorwurf stützt… Ich habe
die Forderung, mir die vorgenannten Papiere zur Kenntnis zu geben,
bereits gestern, am 25.11.1991, gegenüber Herrn Senator Erhardt
geäußert... Es entspricht meinem Verständnis von einem
rechtsstaatlichen Verfahren und von den Pflichten des Dienstherren,
daß wie immer geartete rechtliche Maßnahmen gegen einen
Beschuldigten erst dann ergriffen werden können, wenn diesem die
Gelegenheit gegeben worden ist, das als Beweis geltende Material zu
sehen und zu den erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen.“
Der Akademische Senat ermutigte mich mit folgendem Beschluß: „1.
Der Akademische Senat der Humboldt-Universität zu Berlin verurteilt
entschieden die nicht rechtsstaatliche Praxis des Senators für
Wissenschaft und Forschung, fristlose Kündigungen auszusprechen,
und bezieht sich dabei ausdrücklich auf das gegenüber dem Rektor
praktizierte Verfahren. 2. Der Akademische Senat der
Humboldt-Universität zu Berlin stellt sich voll hinter das Wirken
Prof. Heinrich Finks als Rektor dieser Universität. Das Vertrauen
in die persönliche Integrität von Rektor Fink ist für den
Akademischen Senat durch das Schreiben des Sonderbeauftragten der
Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen
Staatssicherheitsdienstes vom 25.11.1991 nicht in Frage gestellt. 3.
Der Akademische Senat der Humboldt-Universität zu Berlin, die
Prorektoren und alle anderen Selbstverwaltungsgremien werden alle
Kraft einsetzen, um den eingeschlagenen Weg, der durch diese Gremien
und diesem Rektor begonnen wurde, fortzusetzen. 4. Der Akademische
Senat der Humboldt-Universität zu Berlin beschließt, daß die
Wahlen zum Senat und Konzil erst stattfinden, wenn die Vorwürfe
gegen den Rektor gerichtlich überprüft worden sind.“
Während dieser Sitzung erfuhr ich, daß Erhardt bereits zu 14.30
Uhr die sechsköpfige Personalkommission der Universität zu einer
Sondersitzung eingeladen habe. Für ihn hatte die Auskunft der
Gauck-Behörde „Tatbestandswirkung“, damit war für ihn
erwiesen, daß ich unter dem Decknamen „Heiner“ für das
DDR-Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet hätte; ein Recht
auf Akteneinsicht habe er nicht. Die Kommission folgte dem Antrag,
mich als Professor fristlos zu entlassen; der Antrag; mich
persönlich zu befragen, wurde abgelehnt. An dem gegenteiligen
Senatsbeschluß störte sich Erhardt ebenso wenig wie an den
Studentendemonstrationen und Solidaritätsveranstaltungen der
folgenden Tage. Am 27. 11. demonstrierten Hunderte von Studenten vor
der Gauck-Behörde, am 28. 11. Tausende vor dem Abgeordnetenhaus im
Rathaus Schöneberg.
Am 27.11 fand auch eine außerordentliche Sitzung des HU-Konzils
statt, zu der Behördenleiter Joachim Gauck und sein juristischer
Mitarbeiter Hansjörg Geiger, später Chef des Bundesamtes für
Verfassungsschutz und nachher des Bundesnachrichtendienstes,
teilnahmen. Hier schließlich verlas Geiger mit meiner Zustimmung
die angeblich belastenden Einträge in den Stasi-Akten.
Hauptsächlich wurde mir angelastet, das Ministerium für
Staatssicherheit habe beabsichtigt, mit mir als „IM Heiner“
zusammenzuarbeiten – was mir neu war –, und ich hätte von einem
Kirchentag aus das Ministerium angerufen. Tatsächlich hatte ich mit
dem Staatssekretär für Kirchenfragen telefoniert.
Im Abgeordnetenhaus von Berlin hatte der Abgeordnete vom Bündnis
90/Die Grünen, Hans-Jürgen Fischbeck, eine Aktuelle Stunde
beantragt, in der er die rechtliche Zulässigkeit der fristlosen
Entlassung durch den Senator anzweifelte und zu einer kritischen
Bilanz des Umgangs mit Stasiakten aufforderte. Dabei wies Fischbeck
über den „Fall Fink“ hinaus auf ein „viel weiter reichendes
Problem der Aufarbeitung der Vergangenheit“ hin: Nicht jeder
Kontakt zum MfS könne die gleichen Folgen haben. Vielmehr bedürfe
es gewissenhafter Prüfung jedes Einzelfalls. Die Kriterien, nach
denen über die „Zumutbarkeit weiterer Zusammenarbeit“
entschieden werden könne, müßten öffentlich diskutiert werden.
Damit bezog sich Fischbeck auf den Einigungsvertrag, auf den auch
der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) in einem
Interview der Berliner Morgenpost hinwies: „Im Einigungsvertrag
heißt es, von den informellen Mitarbeitern der Staatssicherheit
solle man sich trennen, wenn ihre weitere Verwendung ‚unzumutbar‘
sei.“ Aber die CDU im Berliner Abgeordnetenhaus war zu gar keiner
Differenzierung bereit. Ihr Abgeordneter Liepelt bestritt jeden
aktuellen Diskussionsbedarf: „Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die Gauck-Behörde ist in ihrer Seriosität
zumindest bisher von niemand angezweifelt worden. Sie wird von uns
auch nicht angezweifelt, und deswegen – das stelle ich als erstes
fest – stößt eine Solidarität mit Herrn Fink auf das
vollkommene Unverständnis der CDU-Fraktion. (Beifall bei der CDU)
Wir werden uns auch nicht davon beeindrucken lassen, dass hier vor
dem Rathaus demonstriert wird. Das ist kein Anlaß, um unsere
Tagesordnung zu ändern. Die notwendige Aktualität sehen wir hier
nicht gegeben. (Beifall bei der CDU)“
Zu den vielen, die dem Senator widersprachen, gehörte der
konservative Berliner Jurist Wilhelm Nordemann, Honorarprofessor an
der Freien Universität, der ihm im Rheinischen Merkur vorhielt, von
Dienst wegen hätte er jederzeit Zugang zu den Stasi-Akten gehabt.
Als Dienstherr hätte er aber auch die Beschuldigten zunächst gegen
die Stasi-Akten verteidigen müssen, anstatt im Eiltempo fristlose
Kündigungen auszusprechen. Die Gauck-Behörde habe nach dem Willen
des Gesetzgebers lediglich zu „ermitteln“ und nicht mit „…
„hat für die Stasi gearbeitet“ ein verbindliches Urteil
vorwegzunehmen. Daß Fink nicht angehört worden sei, verstoße
gegen das verbriefte Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103,
Abs. 1 Grundgesetz).. Die fristlose Kündigung eines nach der
Rektoratsverfassung von Universitätsgremien demokratisch gewählten
Rektors sei nicht rechtens.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft äußerte sich am 29.
November „bestürzt über das Vorgehen von Wissenschaftssenator
Erhardt gegen den Rektor der Humboldt-Universität, Heinrich Fink.
Heinrich Fink steht als Symbolfigur für eine eigenständige
Erneuerung der Humboldt-Universität, für einen Weg der
Umstrukturierung, dem von Senatsseite aus immer wieder Hürden
entgegengesetzt wurden (Beschränkung der Hochschulautonomie durch
das Ergänzungsgesetz u. a.). Es überrascht nicht, dass dieses
Vorgehen gegen Heinrich Fink zu einem Zeitpunkt geschieht, wo die
Wahl eines neuen Rektors und der anderen Hochschulgremien ansteht.
Es wird hier offenkundig der Versuch unternommen, alle Ansätze
einer selbstbestimmten Demokratisierung der Universität zu
ersticken und sie insgesamt unglaubwürdig zu machen.“
Die Berliner Konzernmedien aber und auch der
öffentlich-rechtliche Rundfunk berichteten kaum über die Proteste.
Sie vertraten Erhardts Position. Als Theologe kam ich bei alledem
nicht umhin, mich der mittelalterlichen Inquisition im christlichen
Abendland zu erinnern.
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