10.04.2011
»Wir haben keine Angst, uns zu isolieren«
Mit ihrer Ablehnung eines Libyen-Einsatzes findet
Die Linke nur außerparlamentarisch Unterstützung. Gespräch mit
Jan van Aken
Interview: Peter Wolter
? Die Bundesregierung will jetzt doch Soldaten nach Libyen
schicken –wie erklären Sie sich die plötzliche
Kehrtwendung?
! Außenminister Guido Westerwelle (FDP) eiert herum, er hat
offensichtlich Druck bekommen aus seiner eigenen Partei und aus
CDU/CSU. Er versucht, den militärischen Einsatz als humanitäre
Hilfe zu verkaufen – was natürlich völliger Quatsch ist.
? Westerwelle soll für eine Ablehnung, Kanzlerin Angela Merkel
dagegen für ein deutsches »Ja« bei der Abstimmung im
UN-Sicherheitsrat gewesen sein. Ist es nicht ein weiterer Sargnagel
für Westerwelle, wenn die Regierung jetzt vom Kompromiß der
Stimmenthaltung abrückt?
! Westerwelle hat diese Darstellung ja massiv bestritten,
letztlich ist es auch gleich, wie es abgelaufen ist. Eine Demontage
ist es aber auf jeden Fall, nachdem er schon den Vorsitz der FDP
aufgeben mußte.
? Die Enthaltung im Sicherheitsrat geschah kurz vor den
entscheidenden Landtagswahlen im Südwesten – war das etwa auch
ein Wahlkampfmanöver wie die Abschaltung der Atomkraftwerke?
! Das glaube ich nicht, die Enthaltung war ja – wenn man
Umfragen glauben darf – nicht sehr populär in der
Öffentlichkeit. Ich glaube vielmehr, daß dahinter die Erkenntnis
steckte, daß es auf Dauer keine sinnvolle Politik sein kann,
ständig irgendwo militärisch zu intervenieren. Nicht, daß die
Regierung kriegsscheu wäre oder plötzlich eingesehen hätte, daß
Militär nicht für wirtschaftliche Interessen in Marsch gesetzt
werden darf. Ich glaube, daß auch US-Präsident Barack Obama
ähnlich denkt. Die US-Regierung verhält sich in Libyen zögerlich,
sie fürchtet wohl die Gefahr, bei noch mehr Kriegen irgendwann
auszubluten.
? Die Medien berichten ständig von Massakern und Mordaktionen
der Soldaten von Staatschef Muammar Al-Ghaddafi – hat die Linke
nicht Angst, sich in der Öffentlichkeit zu isolieren, wenn sie sich
gegen eine Intervention sträubt?
! Diese Angst haben wir keineswegs. Demokratie läßt sich nun
mal nicht mit Hilfe von Bomben durchsetzen – was in Deutschland
auch viele Menschen verstehen. Wenn dieser Konflikt nicht bald
gestoppt wird, bekommen wir in Libyen einen langwierigen
Bürgerkrieg, der das ganze Land zerreißt.
? Im parlamentarischen Spektrum steht Ihre Partei mit ihrer
Kriegsablehnung allerdings einsam auf weiter Flur …
! Das stört uns nicht weiter, beim Thema Afghanistan geht uns
das ebenso.
? Ihre Partei findet also nur Unterstützung im
außerparlamentarischen Bereich?
! Nur dort. Noch mal zum Stichwort Afghanistan: Auch wenn wir mit
unseren Argumenten im Bundestag keine Anhänger finden – die
große Mehrheit der Deutschen ist wie wir gegen diesen Krieg, wie
mehrere Umfragen bewiesen haben. Und ich bin sicher, daß es nicht
lange dauern wird, bis die Öffentlichkeit ihre Meinung zum
Libyen-Einsatz ebenfalls ändert.
? Sind im außerparlamentarischen Bereich Initiativen der
Linkspartei geplant?
! Zu Libyen speziell im Moment noch nicht. Aber vor uns stehen ja
die Ostermärsche in vielen deutschen Städten, da wird der
Libyen-Krieg mit Sicherheit Thema sein.
? Welche Kräfte stecken nach Ihren Erkenntnissen hinter den
sogenannten Rebellen im Osten Libyens?
! Das geht nicht nur mir so: Niemand hat richtig Ahnung davon.
Deswegen werde ich über diese Rebellen weder Positives noch
Negatives sagen.
? Hat es nach Ihrer Kenntnis jemals einen Kriegseinsatz gegeben,
der wirklich humanitären Zielen diente?
! Ich weiß von keinem Fall. Militäreinsätze sind ja sehr
kostspielig, die werden nur aus machtpolitischen, geostrategischen
oder aus wirtschaftlichen Interessen angeordnet. Es gibt in vielen
anderen Ländern ebenfalls humanitäre Katastrophen, bei denen
hierzulande aber niemand daran denkt, militärisch einzugreifen.
? Was sollte jetzt nach Ansicht Ihrer Fraktion an Stelle einer
Intervention geschehen?
! Wir brauchen eine sofortige Feuerpause. Unser Vorschlag: Die
NATO verkündet einseitig eine 24stündige Waffenruhe. Ghaddafi wird
sich mit Sicherheit anschließen, in seiner Verzweiflung hat er ja
schon alle möglichen Initiativen gestartet. Natürlich müssen auch
die Rebellen zustimmen. Parallel dazu müssen sofort Verhandlungen
eingeleitet werden – unter Vermittlung der UNO oder, noch besser,
der Arabischen Liga oder der Afrikanischen Union.
Zuerst erschienen in junge
Welt vom 09.04.2011. Mit freundlicher Genehmigung.
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