23.03.2011
Hiroshima, Tschernobyl, Fukushima und was noch?
„’Hiroshima hat die schreckliche Wirkung von
Atomwaffen gezeigt, Tschernobyl die tödlichen Gefahren der atomaren
Energieerzeugung.’ So heißt es im Ostermarschaufruf Ruhr 2011.
Und nun werden wir Zeugen der Katastrophen von Fukushima.“ Ulrich
Sander, Bundessprecher der VVN-BdA, beleuchtet die Geschichte der
Kernenergie, die immer auch einen Bezug zum Krieg hatte. Seine
Ausführungen erscheinen am 25.3.11 in der Zeitung „Unsere Zeit“.
Von Ulrich Sander
„Hiroshima hat die schreckliche Wirkung von Atomwaffen gezeigt,
Tschernobyl die tödlichen Gefahren der atomaren Energieerzeugung.“
So heißt es im Ostermarschaufruf Ruhr 2011. Und nun werden wir
Zeugen der Katastrophen von Fukushima.
Wir haben uns in Erinnerung zu rufen wie die Kernenergie in unser
Leben trat: Als Nebenprodukt der Atombombe und der
Ost-West-Systemkonkurrenz. Es gibt keine menschenfreundliche Nutzung
der Kernenergie. Es war ein Traum, anderes zu glauben. Ich sehe noch
Parteitagslosungen aus den fünfziger Jahren, sowohl von Kommunisten
wie auch Sozialdemokraten: Atomkraft ist Zukunft. Es wurde
übersehen: Die ersten Reaktoren dienten der Schaffung der
Atombombe, zuerst in USA, die diese anwendete. Und dann der UdSSR,
die für ein atomares Patt sorgte. Dann wurden die Reaktoren auch
zur Energiegewinnung genutzt. Massenvernichtung war immer möglich.
Heute wendet sich alle Welt gegen die Atompolitik Irans – nicht
aber auch all der anderen Mächte, die dem Iran unterstellen, was
sie längst gemacht haben: Bombenproduktion unter dem Deckmantel der
„friedlichen“ Kernforschung. Im Ostermarschaufruf heißt es
weiter: „Einen Tag nach Ostern jährt sich der GAU von Tschernobyl
zum 25. Mal. Anlass für uns, gemeinsam mit der Anti-AKW-Bewegung zu
fordern: Atomkraftwerke abschalten – Atomwaffen verschrotten!“
Im März des Jahres 1957 wurde gemeldet: Auf westdeutschem Boden
lagern bereits seit zwei Jahren Atomwaffen – das gaben die in
Westdeutschland stationierten US-Truppen erstmals zu. Eine
Protestbewegung unter dem Titel „Kampf dem Atomtod“ bildete
sich. Sie richtet sich vor allem gegen den Plan der CDU/CSU, eigene
Atomwaffen für die Bundeswehr zu erlangen. Doch davor scheuten die
Westalliierten zurück, - um dann die Bundeswehr mit atomaren
Landminen, nuklearen Artilleriegranaten oder Luftabwehrsprengköpfen
auszurüsten, ohne den Deutschen die Verfügungsgewalt über den
Einsatz zuzugestehen.
Das weltweit erste Atomkraftwerk wurde 1954 in der Sowjetunion
eingeweiht. Da hatten die Westmächte nur die militärische Nutzung
der Kernspaltung im Blick. Der Physiker und Volkskammerabgeordnete
Prof. Dr. Robert Havemann schreibt 1956 in einem Schulbuch der DDR:
„In den monopolistischen Kreisen der USA fehlt das ökonomische
Interesse an der friedlichen Anwendung der Kernenergie.“ Dennoch
führten die wissenschaftlich-technischen Erfolge der UdSSR dazu,
dass „die USA jetzt ernsthafte Schritte unternehmen, gleichfalls
Atomkraftwerke zu bauen.“ (Weltall Erde Mensch, Berlin, 1956, S.
21) Für diese neue Haltung der USA sei auch die Tatsache
verantwortlich gewesen, dass die kleineren kapitalistischen Länder
nach Kernenergie strebten, auch um sich von den USA unabhängiger zu
machen.
In seinen „Erinnerungen“ schreibt Franz-Josef Strauß, ab
1955 für ein Jahr erster Atomminister der BRD, ab 1956 bis 1962
Bundeswehrminister und dann bis zu seinem Tode 1988 höchst
einflussreicher Unionspolitiker: „Wir haben in den knapp zwölf
Monaten, die ich Atomminister war, eine umfassende nationale
Atomkonzeption entworfen, und zwar sowohl den großen Rahmen als
auch die Details bis hin zu den technischen Apparaturen.“ (S.
259). Die Lobeshymnen der SPD auf ihrem Münchner Parteitag 1956
für die „unerschöpflichern Energiequellen des neue Zeitalters“,
das heißt für die „Atomenergie“, die „zu einem Segen für
Hunderte von Millionen Menschen“ und für Deutschland werden
könne, gibt Strauß in seinem Buch ausführlich wieder. SPD und FDP
kündigten in den 70er Jahren den Bau von 50 AKW an, alle derzeit in
Rede stehenden deutschen AKW wurden unter SPD-Regie gebaut.
Der Organisation Euratom, in die die BRD besonders von den USA
hineingezwungen wurde, stand Strauß höchst misstrauisch
gegenüber. Allerdings habe Euratom ihn nicht behindert. Er schrieb
heuchlerisch, „allenfalls hat uns die Frage der Kontrolle der
militärischen Nutzung, die für uns ohnehin außerhalb jeder
Vorstellung lag, geärgert.“ Euratom hat tatsächlich wiederholt
der BRD bescheinigt, dass „bislang“ in ihr keine Hinweise für
den Bruch des Atomwaffensperrvertrages gefunden wurden. Doch nicht
nur mit ihrer Exportpolitik hatte die Bundesrepublik ihren Beitrag
zur Weiterverbreitung der Kernwaffen geleistet. Der kommunistische
Journalist und Politiker Kurt Bachmann, ein scharfer Beobachter der
Bonner Atompolitik, wies bereits 1967 nach, warum Bonn dem
Atomwaffensperrvertrag – zunächst seinem Beitritt, später seiner
Einhaltung – reserviert gegenüber stand und steht. (Reden und
Schriften Bachmanns, Bonn 1999, S. 113) Er zitierte „Die Welt“
vom 31. 12. 1967: „Die Bundesrepublik wird Ende dieses Jahrzehnts
drei Kernreaktoren haben, in denen so viel Plutonium anfällt, dass
daraus rund drei Dutzend Atombomben hergestellt werden können. Die
Bundesrepublik ist also eine potentielle Atommacht.“
Die Beschlüsse des Münchner Parteitages der SPD wie auch das
Streben nach Regierungsverantwortung – die ohne Bekenntnis zur
NATO und zur Hochrüstung sowie Atomenergie undenkbar war - haben
diese Partei lange an der Kritik der Nutzung der Kernenergie
gehindert. Konsens in der Friedensbewegung, der
Gewerkschaftsbewegung, bei Kommunisten und Sozialdemokraten war bis
1960 die Ablehnung der Wiederbewaffnung – und vor allem der
Atomrüstung. 1960 hielt Herbert Wehner dann seine große Rede im
Bundestag, um den erst ein Jahr zuvor bekanntgegebenen
Deutschlandplan der SPD zurückzunehmen, der ein Mitteleuropa des
Friedens und der Entspannung, ohne Militärblöcke und Kernwaffen
vorsah. Dann kam das Bekenntnis der SPD zur NATO. Wir wissen heute,
dass ein solches Bekenntnis die Voraussetzung für eine
Regierungsbeteiligung ist. Erst war es so bei der SPD, später bei
den Grünen. Diese haben sich, so die Grünen-Mitbegründerin Jutta
Ditfurth, „ein paar Windanlagen“ erkauft, und zwar „für Mord
und Totschlag“. Denn die Antikriegs- und Antiatompartei sei heute
eine Kriegspartei mit nach wie vor zu langen Laufzeiten für
Kernenergie.
Die DKP nahm von Anfang an mit großem Engagement an den
Protestaktionen gegen AKW teil. Doch was hinderte den
kommunistischen Teil der Arbeiterbewegung, die friedliche genauso
wie die militärische Nutzung der Kernenergie weltweit in Frage zu
stellen – und erst nach Tschernobyl 1986 umzudenken? War es die
sklavische Unterordnung unter die KPdSU, die Scheu, die Befreier vom
Faschismus zu kritisieren oder die unbedingte „marxistische“
Fortschritts- und Technikgläubigkeit? „Go home, Amy go home,“
sangen Ernst Busch und die Kommunist/innen, „spalt für den
Frieden dein Atom.“ Westliche Kernenergie wurde zwar zunehmend
kritisiert – weil in den Händen skrupelloser Konzernherren
befindlich -, während Kernenergie in den Händen des Volkes gar
nicht dem Volke zuwider eingesetzt werden könne. Das war ein
Kinderglaube.
Derzeit werden breiteste Bündnisse von Gewerkschaftern,
Sozialdemokraten, Grünen, Linken und Kommunisten denkbar, um zu
einer machtvollen Antiatombewegung zu gelangen. Es wäre unendlich
besser gewesen, wenn es dazu nicht wieder Katastrophen wie in
Fukushima bedurft hätte.
Dieser Artikel erscheint am 25.03.2011 in Unsere
Zeit
|