Aufregung um Ausstellung „Neofaschismus in
Deutschland“
Schwarz-Gelbe Kampagne gegen
VVN-BdA – Bundesssprecher Dr. Axel Holz nimmt Stellung
Die Ausstellung der VVN-BdA „Neofaschismus in
Deutschland“ wird seit einem dreiviertel Jahr gezeigt. Gemeinsam
von der VVN-BdA und Verdi Nord herausgegeben, fand die Ausstellung
viel Zustimmung – nur seit einigen Wochen nicht mehr bei
führenden Leuten aus FDP und CDU, die ungeschminkt ein Verbot der
Ausstellung fordern, weil darin auch Kritik an Koch (CDU),
Westerwelle (FDP) und Sarrazin (noch SPD) geübt wird.
Gewerkschafter und linke Politiker verteidigen die Ausstellung. Axel
Holz, Bundessprecher und Mitautor der Ausstellung, nimmt zur Kritik
Stellung.
Zur Kritik an der Ausstellung "Neofaschismus
in Deutschland"
Die Ausstellung der VVN-BdA "Neofaschismus in
Deutschland" wurde in novellierter Form am 8. Mai 2010
veröffentlicht. Seitdem wurde sie in Mecklenburg-Vorpommern an
fünf Orten des Landes und mit weiteren zehn Exemplaren im gesamten
Bundesgebiet präsentiert. Sie zeigt das moderne Gesicht des
Neofaschismus in Deutschland, wie es ein NDR-Fernsehbeitrag am 9.
September zur Eröffnung der VVN-Ausstellung im Sternberger
"Alten Bahnhof" formulierte. Damit ist bereits der
Charakter der Wanderausstellung treffend umschrieben, denn die
Ausstellungsmacher wollen deutlich zu machen, dass die Aktivitäten
der Neofaschisten in Deutschland, besonders die der NPD, inhaltlich
und werteorientiert in direktem Zusammenhang zum originären
Faschismus der NS-Zeit stehen. Diese Formulierung kennzeichnet das
Problem neofaschistischer Inhalte und diskriminierender
Einstellungen in Teilen der Gesellschaft, die sich nicht auf die
marginalisierende Rolle von Extremisten am Rande der Gesellschaft
reduzieren läßt. Eben dieser Ansatz hat in unterschiedlichem Maße
zu Kritik an der Ausstellung der VVN-BdA geführt.
Die Kritik lässt sich auf drei Phänomene reduzieren. Zum einen
ist es der Versuch, durch Zuschreibungen, wie Neofaschismus als
Kampfbegriff oder "Extremisten wollen über Extremisten
aufklären" das Zeigen der Ausstellung schlichtweg zu
blockieren und das gemeinsame Handeln der Demokraten gegen
Neofaschismus zu verhindern. Darüber hinaus wird mit einer neuen
Entfaltung der Extremismusdebatte die Deutungshoheit über das
Phänomen der aktuellen neofaschistischen Entwicklungen in
Deutschland und Europa beansprucht, in der das einengende Bild vom
Rechtsextremismus fest verankert ist. Schließlich umfasst die
Kritik inhaltliche Punkte der Ausstellung, die oftmals
Berührungspunkte oder Überschneidungen der Kritiker oder ihnen
vertrauter Personen und Gruppen betreffen und dadurch die Kritiker
selbst emotional herausfordern.
Trotz der Unterschiedlichkeit der Motive und inhaltlichen
Präferenzen muss die Kritik an eben diesen Positionen mit
Sachkunde, historischer Genauigkeit und argumentativer Tiefe
geführt werden. Ich will deshalb auf einzelne Kritikpunkte direkt
eingehen. Es ist üblich geworden, das Vordringen der
neonazistischen Ideen in der Gesellschaft political correct als
rechtsextremistisch zu titulieren. Diese Formulierung geht trotz
wertvoller Erkenntnisse der Rechtsextremismusforschung am Wesen der
Sache vorbei, nämlich der Tatsache, dass originäre
Ideologieelemente der NSDAP, wie Rassismus, Antisemitismus,
Chauvinismus, Demokratie- und Gewerkschaftfeindlichkeit sowie Gewalt
gegenüber Andersdenkenden und anderen zum Feindbild erklärten
Gruppen in der neofaschistischen Bewegung reproduziert und bewusst
bedient werden. Das belegen die Schwerpunkte der politischen
Aktivitäten der NPD auf der Straße und im Parlament. Wie vor 75
Jahren wird von der "Judenrepublik" gesprochen, von den
"Systemparteien", die die nationalen Interessen der
Deutschen angeblich nicht vertreten würden. Der Diskriminierung,
Diffamierung und Bedrohung von Gruppen in der Gesellschaft durch
Neonazis folgt der parlamentarische Versuch, diese Gruppen zu
entrechten. Die Anträge der NPD zur Schaffung einer
Volksgesundheitskasse, zur Umwidmung der Integrations- in
Ausländerrückführungsbeauftragte und des Bekenntnisses der NPD
dazu, sich parlamentarisch für die "Gesunden und Starken"
einzusetzen, respektive die Schwachen zu diskriminieren, belegen das
eindrücklich. Hier ist der Vergleich mit der NS-Ideologie nicht nur
möglich, sondern geradezu geboten. Dabei sollte auch darauf
verwiesen werden, dass faschistische Bewegungen in Europa nach dem
1. Weltkrieg eine historische Tatsache waren, die es in einigen
Fällen mit der Unterstützung einflussreicher gesellschaftlicher
Kreise auch zur Herrschaftsübernahme geschafft haben, um ihrer
Ideologie den wirksamen Nachdruck der politischen Macht zu geben.
Das betrifft nicht nur Deutschland, sondern auch Italien, Spanien
oder Kroatien. Die begriffliche ökonomistische Verengung des
Phänomens "Faschismus an der Macht" durch Dimitroff
bietet keinen hinreichenden Grund, die historische Wirkung
faschistischer Bewegungen dieser Zeit auszublenden. Abgesehen davon
wurde mit der berechtigten Kritik am eingeengten Dimitroffschen
Ansatz auch der reale Kern seiner Kritik mit ausgeschaltet. Seit
Beginn der zwanziger Jahre hatten einflussreiche wirtschaftliche
Kreise, etwa in der Person Fritz Thyssens, des
Aufsichtsratsvorsitzenden der Vereinigten Stahlwerke AG und
Mitglieds des Präsidiums des Reichsverbandes der Deutschen
Industrie, enge Kontakte zur faschistischen Bewegung in Deutschland.
Der folgte 1930 die gezielte Förderung der Nazi-Bewegung durch
politische Protektion und Spenden aus der Wirtschaft. Spätestens
1932 wurde der Kontakt der NSDAP zur Wirtschaft verstetigt. So
durfte Hitler im Frühjahr 1932 vor 600 Vertretern der Wirtschaft
für sein politisches Konzept werben. Im Herbst bat eine Gruppe von
Unternehmern den Reichspräsidenten um die Einsetzung Hitlers als
Reichkanzler. Die Liste der Namen in diesem Bittbrief, den die
Zeitung "Freitag" vor geraumer Zeit wieder
veröffentlichte, liest sich wie das who ist who der deutschen
Industrie- und Bankenwelt.
Nun zu einigen inhaltliche Kritikpunkten an einzelnen Aussagen
der Ausstellung. Ein wesentlicher Kritikpunkt bezieht sich auf den
Teil der Ausstellung, in dem inhaltliche Parallelen und
organisatorische Überschneidungen in der Gesellschaft zur
Nazi-Szene benannt werden. So wird nicht selten die Kritik
zurückgewiesen, mit der Burschenschaften inhaltliche
Überschneidungen zur Nazi-Szene vorgeworfen werden. Erst im
vergangenen Jahr haben sich die deutschen Burschenschaften auf einem
bundesweiten Kongress von rechtsradikalen Tendenzen distanziert -
eben weil es ein solches Problem offensichtlich gibt. Nicht
zufällig kommen namhafte Neofaschisten, wie der Chef der DVU, Rolf
Schlierer, aus der Burschenschaftsszene. Auch das konservative
Studienzentrum Weikersheim kann trotz seines renommierten Namens
inhaltliche Überschneidungen zu Gedankengut der neuen Nazis nicht
verbergen. Auf der homepage des Instituts bewirbt das Zentrum eine
Tagung zum Thema "Europa der Völker" - ein zentraler,
EU-feindlicher Wahlslogan der neofaschistischen NPD. Schließlich
wird gelegentlich die Kritik am Bund der Vertriebenen als nicht
sachgerecht dargestellt. Tatsache aber ist, dass der Bund der
Vertriebenen, wie jüngst erst wieder in Bemerkungen Erika
Steinbachs mit Zweifeln an der Kriegsschuld der Deutschen deutlich
wurde, seit seinem Bestehen mit revanchistischen und
geschichtsverzerrenden Thesen nachhaltig aktiv ist. Trotz einer
großen Integrationsleistung des Verbandes wird dieser Teil der
Geschichte des Verbandes gern tabuisiert. Vergessen ist dabei, dass
Verbandspräsidentin Erika Steinbach noch 1993 im Bundestag die
Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ablehnte, die spätestens mit dem
zwei-plus-vier-Vertrag und dem Einigungsvertrag beider deutscher
Staaten völkerrechtlich endgültig anerkannt war. Ein Artikel des
"Spiegel" vom Januar 2010 zeigt in der Ausstellung, wie
der BdV die eigene revanchistische Vergangenheit zu vertuschen
sucht. Zudem eröffnet der Artikel, dass eben nicht nur Mitläufer
des BdV Nazis waren, sondern auch Vorstandsmitglieder, von denen
wiederum einige Vertreter in die NPD und den neofaschistischen
Witikobund abwanderten, andere sich ihrer NS-Vergangenheit rühmten.
Die VVN-Ausstellung greift auch ein Thema der Geschichtsbetrachtung
auf, das man als Tabuisierung der Tabus bei der Aufarbeitung der
NS-Geschichte in Westdeutschland bezeichnen könnte. Die Tafel
"Verpasster Neubeginn, fragwürdige Erben" widmet sich
diesem Thema. Der Einsatz von hochrangigen Repräsentanten des NS-
Regimes in Wirtschaft, Politik, Justiz, Medien, Wissenschaft,
Militär und Geheimdiensten der Bundesrepublik gehört ebenso dazu,
wie die Neugründung neofaschistischer Parteien trotz eines Artikels
139 im Grundgesetz, der eben dies verbietet. Dazu gehört auch die
ungestörte und staatlich geförderte Arbeit bereits oben genannter
Revanchistenverbände. Dabei besteht das hier beschriebene Problem
nicht darin, dass in Ost und West gleichermaßen Nazis und
Mitläufer massenhaft in eine neue Ordnung integriert werden
mussten. Die Nichtverfolgung der Täter war in der BRD eben die
Regel und nicht in der DDR, in der bevölkerungsbezogen fünf mal so
viel NS-Täter überwiegend nach rechtsstaatlichen Maßstäben
abgeurteilt wurden. Dies bestätigt z. B. eine Ausstellung über die
Euthanasie-Prozesse nach dem Krieg in Dresden, die vor geraumer Zeit
auch im Schweriner Klinikum gezeigt wurde. Unstrittig ist: Das
Ausmaß der Nachsicht im Umgang mit NS-Tätern in Westdeutschland
ist im europäischen Maßstab einmalig.
Ein wiederholter Angriffspunkt gegenüber der VVN-Ausstellung
betrifft die aufgezeigten inhaltlichen Parallelen aus der
Gesellschaft heraus zur Nazi-Ideologie. Hier geht es der Ausstellung
nicht um Gleichsetzung, sondern um Vergleichen. Dabei wird deutlich,
so kommentiert die Ausstellung, dass diskriminierende Bemerkungen
von Medien und herausragenden Persönlichkeiten den Neofaschisten in
die Hände spielen und ihnen Handlungsspielräume eröffnen. Niemand
behauptet, das Koch mit einem ausländerfeindlichen Wahlkampf,
Westerwelle mit diskriminierenden Äußerungen gegenüber sozial
Schwachen, die ihre sozialstaatlich verbrieften Rechte einfordern,
oder Sarrazin mit außer- länderfeindlichen Äußerungen Nazis
seien. Die Ausstellungsmacher weigern sich aber, sich auf eine
Diskussion einzulassen, in der je nach politischer Wetterlage
festgelegt wird, ab wann diskriminierende Äußerungen erlaubt seien
oder auch nicht. In diesem Sinne hat die Ausstellung der VVN-BdA den
Nerv der Zeit getroffen, denn es geht ihr nicht darum, in der
Auseinandersetzung mit dem Neofaschismus nur auf die Gegner der
Demokratie zu zeigen, sondern die Äußerungen und das Verhalten der
Demokraten selbst einzubeziehen.
Dr. Axel Holz
Bundesssprecher und Vorsitzender des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern der VVN –
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten