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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

20.02.2011

Partei „Die Linke“ fordert Aufklärung über die rechte FDP-Vergangenheit

"Hält die Landesregierung aufgrund der Äußerung Witzels eine Aufnahme der FDP in den nächsten Verfassungsschutzbericht für denkbar?" Auf diese Frage läuft eine Anfrage der „Linken“ im Landtag von NRW hinaus. Sie thematisieren darin das Festhalten der FDP an nazistischen Traditionen, die von Leuten wie Ernst Achenbach in der „liberalen“ Partei begründet wurden. Zurückgewiesen wird die in der Essener Lokalpolitik vorhandene Tendenz, Achenbach reinzuwaschen, obwohl er kürzlich in einem WAZ-Artikel schwer belastet wurde, der auf Recherchen auch der VVN-BdA zurückgeht. Wir dokumentieren hier die Anfrage.

Drucksache 15/1347

18.02.2011

Kleine Anfrage 540

der Abgeordneten Rüdiger Sagel und Ralf Michalowsky DIE LINKE

Ist der Verfassungsschutz auf dem liberalen Auge blind?

In einem Artikel in der WAZ vom 26.01.2011 wird die Rolle Dr. Ernst Achenbachs (1909 - 1991) in der Zeit des Nationalsozialismus beleuchtet. Er war NSDAP-Mitglied und saß für die FPD in der zweiten und dritten Wahlperiode im Landtag von Nordrhein-Westfalen.

Die zielgerichtete Übernahme der nordrhein-westfälischen FDP durch führende Neonazis in eine "NS-Kampftruppe" (Werner Naumann) in den ersten Legislaturperioden des Landtags wurde 1953 erst durch das Eingreifen des britischen Geheimdienstes unterbunden. Neben dem einstigen Hitler-Vertrauten Werner Naumann, Nachfolger von Joseph Goebbels im Amt des Propagandaministers, wurden vom britischen Geheimdienst sechs weitere Personen verhaftet, darunter ehemalige NS-Gauleiter, die zum Umfeld des FDP-Politikers Ernst Achenbach (MdL) gehörten.

Gleichwohl ging die Unterwanderung der FDP durch Nationalsozialisten in der Folgezeit weiter, wie historische Forschungen mittlerweile ergeben haben. Ungeachtet des Eingreifens des britischen Geheimdienstes installierte sich in der Fraktionsführung der NRW-FDP zwischen 1955 und 1975 ein Netzwerk alter Nazis, wo sich allein sechs einstige Nationalsozialisten abwechselten, darunter drei frühere SS-Männer. Auch in der FDP-Fraktion im Landtag von NRW nach 1945 hatte nahezu jeder fünfte Abgeordnete eine NS-Vergangenheit, darunter mehrere spätere FDP-Politiker, die als "alte Kämpfer" lange vor 1933 in die NSDAP eingetreten waren. Trotz dieser Vorgänge kam es aus offenkundigen Gründen politischer Opportunität nie zu einer Beobachtung der FDP durch den Verfassungsschutz.

Bis in die heutige Zeit hinein leugnen führende Vertreter der FDP die Beteiligung von späteren FDP-Politikern am Judenmord. So zuletzt Ralf Witzel (MdL) im Falle des bereits oben erwähnten Ernst Achenbach, der während des Zweiten Weltkrieges im Range eines Botschaftsrates in der deutschen Botschaft in Paris an der Organisation von Judendeportationen beteiligt war.

Die Beteiligung von Ernst Achenbach an Judendeportationen gilt als historisch gesichert und wird selbst von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung nicht bezweifelt, auf deren Homepage (www.freiheit.org/Liberale-Stichtage) es über Achenbach heißt: "Der promovierte Jurist war ab 1936 im Auswärtigen Amt tätig gewesen, von 1940 bis 1943 als rechte Hand des deutschen Botschafters im besetzten Frankreich und dabei auch in Judendeportationen verwickelt."

Achenbach wurde 1996 in einem Buch des Freiburger Geschichtsprofessors Ulrich Herbert erwähnt. Darin wird dargelegt, dass Achenbach während seiner Zeit in der Deutschen Botschaft in Paris an der Deportation französischer Juden beteiligt war. Herbert kommt zu dem Schluss, dass dies geschichtswissenschaftlich "völlig unumstritten" sei.

Dies sei, nach Erkenntnissen von weiteren Historikern, kein Einzelfall gewesen. So belegt eine Studie des Historikers Michael C. Klepsch aus dem Jahr 2009, die im Auftrag von MdL Rüdiger Sagel erstellt wurde, dass die Fraktion der NRW-FDP relativ gesehen mit 21,3 Prozent den höchsten Anteil an ehemaligen NSDAP-Mitgliedern aufwies (Zum Vergleich: CDU 6,6 Prozent), darunter einige ehemalige Funktionäre des Dritten Reiches sowie frühere SS- Mitglieder.

Diese Erkenntnisse werden durch eine neuere Studie des Augsburger Historikers Kristian Buchna befeuert, der in "Nationale Sammlungen an Rhein und Ruhr" aus dem Jahr 2010 feststellte, dass gerade der Jurist Ernst Achenbach unmittelbar nach dem Krieg für die Rehabilitierung von NS-Verbrechern jeglicher Couleur und unabhängig von der Schwere ihrer Verbrechen eintrat.

Im o. g. WAZ-Artikel erklärt der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Ralf Witzel: "Die Vorwürfe gegen Achenbach sind von seiner Familie glaubwürdig entkräftet worden, sie sind so historisch nicht haltbar." Dabei stützt er sich auf ein Schreiben von Hanno E. J. Achenbach, dem Sohn von Ernst Achenbach, welcher argumentiert, dass es trotz verschiedener Strafanzeigen gegen seinen Vater nie zu einer Anklage gekommen sei, was jedoch nach Aussage des Historikers Ulrich Herbert für die Geschichtsforschung irrelevant ist.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

  1. Wie beurteilt die Landesregierung die o. g. Aussage Witzels?
  2. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob die NRW-FDP ihre NS- Vergangenheit aufgearbeitet hat (bitte mit Angabe der Form der Auseinandersetzung)?
  3. Hält die Landesregierung aufgrund der Äußerung Witzels eine Aufnahme der FDP in den nächsten Verfassungsschutzbericht für denkbar?
  4. Liegen sonstige Erkenntnisse über die NRW-FDP und mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen dieser nach 1945 vor?
  5. Kann der Verfassungsschutz ausschließen, dass noch heute alte politische NS- Seilschaften innerhalb der FDP gesinnungsprägend sind?

Rüdiger Sagel 
Ralf Michalowsky