25.01.2011
Die neue Bundeswehr und der Krieg in Afghanistan:
Nichts ist gut bei der Bundeswehr
Beratung der IG Metall
Senioren verlangt: Schluss mit dem friedenspolitischem Schweigen der
Gewerkschaften
VVN-BdA-Sprecher Ulrich Sander hat am Dienstag,
25.1.11, vor den IG Metall-Senioren von Hattingen (Ruhr) zur
aktuellen Entwicklung bei der Bundeswehr – vor dem Hintergrund der
aktuellen Skandale – Stellung genommen. Die IG-Metaller stimmten
zu, dass die Gewerkschaften endlich aus ihrer friedenspolitischen
Enthaltsamkeit heraustreten sollten. Die Bundeswehr müsse heraus
aus Afghanistan. Der Zustand, dass sie grundgesetzwidrig agiere, sei
ebenso wenig hinzunehmen wie die Tatsache, dass nunmehr auch
gewerkschaftliche Gremien aus Rüstungsbetrieben der
Kriegsproduktion das Wort redeten. Die gewerkschaftliche
Beschlusslage sei gut, aber die Praxis nicht. Die
Einsatzmöglichkeiten der Truppe seien alarmierend. Entsprechend
wollen die Kollegen Anträge an die Vertreterversammlung richten.
Die Aussetzung der Wehrpflicht reiche nicht, es sollten alle jungen
Leute aufgefordert werden, nicht zur Bundeswehr zu gehen.
Hier die Ausführungen von Ulrich Sander:
Von „Spiegel“ bis „BILD“ versuchen die meisten Medien,
uns ungeachtet der neusten Bundeswehrskandale einzutrichtern: Der
Einsatz am Hindukusch bedeutet die Verteidigung der Freiheit unseres
Landes, denn es gelte seit 2001, dort den Terrorismus zu vernichten.
Die USA seien an Nine-eleven angegriffen worden und mussten den
Angreifer am Herkunftsort vernichten, wobei wir als Verbündete zu
helfen hätten. Das überzeugte schon vor zehn Jahren kaum jemanden,
weshalb der Kanzler Schröder nur mit dem Druck der Vertrauensfrage
die SPD und Grünen dazu bringen konnte, den Bündnisfall auszurufen
und deutsche Truppen nach Afghanistan zu entsenden. Der Herkunftsort
einiger vermuteter Täter von New York war aber Hamburg. Daß wir
heute in der Heimat für den deutschen Massenmord am Hindukusch
nicht mit einem Terroranschlag in Berlin, Hamburg oder München
zahlen müssen, können wir nur hoffen.
Otto Köhler, der Tucholsky-Preisträger, schrieb in „Ossietzky“:
„Wenn aus dem Personenkreis der Mittzwanziger, aber auch der
Jüngeren, Leute im Flughafen auftauchen, die zur schnellen
Identifizierung einheitlich gekleidet und - schlimmer noch - sogar
bewaffnet sind, dann sind sie ohne langes Überlegen vom Einchecken
abzuhalten und festzusetzen. Denn im Regelfall handelt es sich um
Bundeswehrsoldaten, die in Afghanistan kämpfen sollen und dies -
das darf unterstellt werden - auch in aller Entschiedenheit wollen,
ohne Rücksicht darauf, daß sie uns alle hier in der Heimat an Leib
und Leben gefährden. Denn ihr Kampf am Hindukusch schickt die
terroristischen Anschläge, vor denen zu warnen unsere Innenminister
von Schäuble bis de Maizière nicht müde werden, in unser Land.“
Von den vielen Aussprüchen von Soldaten, die uns derzeit als
Echo auf die Suspendierung des Gorch-Fock-Kapitäns Norbert Schatz
anonym übermittel werden, fand ich einen besonders bemerkenswert:
„Guttenberg führt die Bundeswehr wie eine Firma.“ Einst war es
im Betrieb der schlimmste Vorwurf, der Chef führe sich wie ein
Militärkommandeur auf. So ändern sich die Zeiten. Die Wirtschaft
wird zum Maßstab.
Aus Rüstungskonversion als Ziel der IG Metall wurde leider die
Wehrwirtschaft als Branche, in der man im Arbeitsplatzinteresse für
die Durchführung von Rüstungsprojekten eintritt. Davon zeugen
Briefe des IG Metallvorsitzenden Berthold Huber an die Kanzlerin,
davon zeugen Proteste der IG Metall und des Betriebsrates von EADS
Deutschland gegen die angeblichen Sparpläne von Minister Karl
Theodor von Guttenberg. Mordwerkzeuge zu produzieren, könne nie und
nimmer die Aufgabe von Gewerkschaftern sein.
Der Einsatz am Hindukusch dient
Kapitalinteressen
Die „Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland“
brachte einen Grundsatzartikel des renommierten Militärexperten und
Ex-Bundeswehrstaatssekretärs Lothar Rühl, der bestätigte: »Der
unlängst erhobene Vorwurf, „der ursprüngliche
Verteidigungsauftrag der Bundeswehr“ werde vom
Verteidigungsminister „umgedeutet“, um „Wirtschaftskrieg“
führen zu dürfen, ist ohne Grundlage.« Rühl verweist auf die
Logik des EU-Ratsbeschlusses vom 12. Dezember 2003, gefasst von den
Staats- und Regierungschefs unter Mitwirkung des deutschen
Bundeskanzlers Gerhard Schröder in Brüssel, über die
»Europäische Sicherheitsstrategie«. Danach sei die EU »als
Zusammenschluss von 25 Staaten mit über 450 Millionen Einwohnern,
die ein Viertel des Bruttosozialprodukts weltweit erwirtschaften«,
ein »globaler Akteur«, dem »zudem ein umfangreiches
Instrumentarium (auch Waffen) zur Verfügung steht«. Rühl:
»Dieser Feststellung schließt sich unmittelbar der Hinweis an,
dass ‚europäische Streitkräfte in so entfernten Ländern wie
Afghanistan, Osttimor und in der DRK (Kongo) eingesetzt wurden’.
Die Verbindung von weltwirtschaftlichem Akteur mit legitimen
ökonomischen wie politisch-strategischen Interessen und dem Einsatz
von europäischen Streitkräften weltweit ist also deutlich
dargestellt.« Das ergebe sich aus einem »erweiterten
Sicherheitsbegriff«, der »die wirtschaftliche Sicherheit«
einschließe. Dieser Sicherheitsbegriff werde »zur Stabilisierung
Afghanistans« praktiziert.
Kurz: Die Bundeswehr kämpft in Afghanistan - schon immer -
ausdrücklich für die kapitalistische Wirtschaftsordnung, für den
»freien Zugang zu Märkten und Ressourcen«. Das ist
Wirtschaftskrieg. (Zitate von Rühl aus „Ossietzky“ Nr. 1/2011)
Und es ist verfassungswidrig.
Bundespräsident Horst Köhler hat bekanntlich fristlos
gekündigt, weil ihm nachgesagt wurde, mit der Äußerung, die
Bundeswehr führe Krieg um Wirtschaftsinteressen, hätte er das
Grundgesetz verletzt. Beides stimmt, sowohl seine Äußerung als
auch deren Grundgesetzwidrigkeit. Allerdings wurde er kritisiert
für etwas, was auch zu Guttenberg sagte und was in den Schulen
gelehrt wird. Der Bayerische Rundfunk berichtete im Juni 2010 über
eine Unterrichtsstunde in einem bayerischen Gymnasium zum Thema
weltweiter Bundeswehreinsätze. Ein Jugendoffizier betätigte sich
als Lehrer und sagte: „Viele Schüler fragen, was deutsche
Soldaten denn dort zu suchen hatten. Doch am Ende seines Besuchs,
sagt der Jugendoffizier, haben die meisten Schüler kapiert: Was die
Bundeswehr im Ausland tut, ist richtig und wichtig.“ Denn, so der
Jugendoffizier: „90 Prozent eines Edelmetalls, nämlich Coltan,
wird zur Zeit im Kongo (auch ein Einsatzgebiet der Bundeswehr –
U.S.) gefördert und unsere Chip-, Computer- und die ganze
Siliziumindustrie ist wesentlich abhängig von diesem Material. Wenn
ich dann frage: Wer von Euch hat ein Handy? melden sich alle und
heben den Arm. Und dann verstehen sie auch wie hier
Sicherheitspolitik mit Wirtschaft zusammenhängen kann.“
Militarisierung der Gesellschaft
nicht gestoppt
Der Auftritt des Jugendoffiziers fand im Rahmen der anhaltenden
Bundeswehrkampagne zum Zweck der Begeisterung der Jugend für den
Militarismus statt. In einem Brief vom Juni 2009 an die
Ministerpräsidenten und Kultusminister der Länder hatte der
damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung gefordert, nach den
Vorbildern von NRW und Saarland nun auch in allen anderen
Bundesländern Kooperationsvereinbarungen mit der Bundeswehr
abzuschließen. Es bedürfe einer aktiven Unterrichtung der Bürger
(nicht nur Schüler), „um den Sinn bewaffneter Auslandseinsätze
zu vermitteln“, hieß es in dem Schreiben. „Vor dem Hintergrund
der gemeinsamen Verantwortung für Frieden und Freiheit unseres
Vaterlandes“ warb Franz Josef Jung für den Einzug der Bundeswehr
in die Schulen der Länder. In fast allen Bundesländern sind
inzwischen Kooperationsvereinbarungen zwischen Bundeswehr und
Schulministerien abgeschlossen.
Der Bundeswehreinsatz an Schulen ist Teil einer umfassenden
Militarisierung der Gesellschaft. Nur scheinbar steht dem die
Änderung am System der Wehrpflicht entgegen. Schon bisher war die
Bundeswehr auf Freiwillige für ihre Kriegseinsätze angewiesen, der
Wehrpflichten boten ihr jedoch ein Potential, das mit
Arbeitsplatzargumenten in den Einsatz gelockt werden konnte. Dieses
Potential soll nun durch Einsätze der Bundeswehr in Schulen und
Argen und durch verstärkte Reservistenarbeit erschlossen werden.
Alle Rituale auf dem Prüfstand?
Jetzt soll es mal wieder mit der Inneren Führung nicht so recht
geklappt haben, wird in den Medien geklagt. Zu Guttenberg hat
deshalb alle Rituale der Bundeswehr auf den Prüfstand gestellt. Das
wurde aber schon wieder und wieder angekündigt. Aber geschehen ist
nichts. Als ein Untersuchungsausschuss des Bundestages nach den
neofaschistischen und rassistischen Exzessen in der Bundeswehr in
dem Jahre 1997 tagte, sollte nach Meinung der Grünen 1998 in einem
Beschluss des Bundestages verurteilt werden „die Tendenz, die
Umsetzung des Leitbildes vom ,Staatsbürger in Uniform' zugunsten
einer Ausbildung von entschlossenen universellen Kämpfern zu
opfern.“ Bald danach setzten die Grünen und die SPD –
selbstverständlich auch CDU/CSU und FDP - diese Kämpfer universell
ein. Die neue gesamtdeutsche Militärkonzeption, maßgeblich von den
Militärs in den Jahren von 1990 bis 1998 erarbeitet, wurde
beibehalten. Bereits am 3. 10. 1990 übernahm die Bundeswehr das
NVA-Verteidigungsministerium, und ein stellvertretender
Oberkommandierender Bundeswehr-General, Werner von Scheven,
versicherte den Soldaten aus Ost und West, die Bundeswehr wolle „nicht
hinter den Leistungen der Wehrmacht zurückstehen“ („loyal“
12/1990). Man merkt es.
Die rechtsextremen Exzesse aus der Zeit der sogenannten rechten
„Vorkommnisse“ 1997/98 fanden besonders in Truppenteilen statt,
die auf den Einsatz auf dem Balkan vorbereitet wurden. Eine
aufschlussreiche Meldung besagte: "Nach den Enthüllungen
von Gewaltvideos haben katholische Militärpfarrer die
Vorbereitungen der Bundeswehr auf Auslandseinsätze als Nährboden
für rechtsextreme Vorfälle bezeichnet. Der Ernstfall ändere das
Bewusstsein der Soldaten und ziehe ein anderes Spektrum von
Wehrpflichtigen an ... Rechtes Gedankengut trete nicht als
`Krankheit` beim Auslandseinsatz auf, sondern bilde sich vielmehr
bei den Vorbereitungsübungen im Inland. Soldaten der
Krisenreaktionskräfte, die z.B. tagelang Kampfsituationen
nachstellten, sähen sich schnell als Kriegsteilnehmer wie ihre
Großväter in der Wehrmacht.“ (Westf. Rundschau nach
Nachrichtendiensten, 11. Nov. 1997)
Bundeswehreinsätze im Innern
Ein weiterer Vorgang in der gegenwärtigen Auseinandersetzung,
der vielfach unbeachtet bleibt: Die Bundeswehr kommt uns beim
Einsatz im Innern durch die Hintertür und auf leisen Sohlen. Ein
Heimatschutz nach amerikanischem Vorbild wird bzw. wurde aufgebaut
und den zivilen Behörden in Stadt und Land als „Zivilmilitärische
Zusammenarbeit Inneres“ "zur Seite gestellt". Im Artikel
35 des Grundgesetzes ist für den Einsatz der Bundeswehr im Innern
nur vorgesehen: "Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei
einem besonders schweren Unglücksfall". Von Hilfe bei
Polizeiaufgaben und "Großereignissen" ist im Grundgesetz
nicht die Rede, wohl aber in Einsatzplänen der Behörden. Die
Regierung arbeitet mit dem schwammigen Begriff
"Terroranschläge", bei denen die Reservisten zu Hause in
Massen zur Waffe greifen sollen.
Nebenbei: Unsere Gesellschaft muß sich endlich ernsthaft mit dem
Terrorismus auseinandersetzen. Die Frage, was Terrorismus ist, hat
Oskar Lafontaine kurz und präzise in einer Bundestagsrede
beschrieben: "Terrorismus ist das Töten unschuldiger
Zivilisten zum Erreichen politischer Ziele." Wenn die NATO in
Jugoslawien Brücken und Kirchen bombardierte und die NATO heute in
Afghanistan versucht, gegen den Willen der Afghanen, die Demokratie
herbeizubomben, dann ist das für mich Terrorismus. Deshalb fordern
wir einen sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan – und
ich füge hinzu: Das ist auch der beste Schutz für die Soldaten der
Bundeswehr!
Wer ist der Feind?
Wenn Bundeswehrsoldaten zu Tode kommen, werden wir dringend
aufgefordert, zu trauern und nicht den Soldaten der Bundeswehr, die
in Afghanistan und auf den Weltmeeren für die „Verteidigung
Deutschlands am Hindukusch“ und anderswo kämpfen, „in den
Rücken zu fallen“. Ein paar Schwierigkeiten gibt es jetzt mit der
Trauer um einen Gebirgsjäger und eine Seekadettin. Diese fanden den
Tod bei irrsinnigen Ritualen an Bord der „Gorch Fock“ und bei
Schießübungen mit Mutproben unter Kameraden. Sie wurden Opfer des
militaristischen Systems. Ein „unsinniger“ Tod sei dies, wird in
solchen Situationen gesagt. Die Opfer der deutschen Soldaten jedoch,
die hunderte afghanischen Kinder, Frauen und Männer – sie waren
dann wohl „sinnvoll“ gestorben? Und kaum einer spricht mehr von
Oberst Georg Kleins Opfern. Er hat in diesem Krieg – ja, die
Kanzlerin nennt es auch Krieg - bis heute unbestraft - bei Kundus
ein Massaker an über 140 Menschen vollbracht. Und nicht mal von den
sechs verbündeten afghanischen Soldaten, die von den verbündeten
Deutschen am selben Tag „versehentlich“ umgebracht wurden, an
dem drei Deutsche starben, ist hier die Rede, wenn es ans „Heldengedenken“
geht. Oberst Klein ist Nr. 1 in der Beliebtheitsskala der deutschen
Soldaten, wird berichtet. Und mit diesen Soldaten sollen wir
mitfühlen?
Es wird gesagt, die Bundeswehr habe einen Mangel an Psychologen.
Sie sucht nach solchen Ärzten – die aber alle nicht, so heißt es
in Stellenangeboten - bundeswehrkritisch sein dürfen. Das ist, so
sagte uns ein Psychologe aus einer Ärztefriedensgruppe, genau so,
als suche man Therapeuten für Alkoholiker unter der Voraussetzung,
dass diese den Alkoholismus billigen.
Eine widerliche Heuchelei, die Sache mit „unseren Soldaten“.
Die deutschen Soldaten könnten leben, wenn sie sich für das Leben
und gegen den Krieg entschieden hätten. Wer ihre Kameraden aus
Afghanistan wegholen will, fällt ihnen doch nicht in den Rücken!
Die Feststellung der Bischöfin a.D. Dr. Margot Kässmann bleibt
gültig: In Afghanistan ist nichts gut. Nichts ist gut bei der
Bundeswehr. Den Soldaten, die alle freiwillig „im Einsatz“ sind,
kann man nur empfehlen: Verweigert den Dienst, wehrt Euch gegen das
böse Argument, es bedürfe nur weiterer Waffen, wie sie der
Wehrbeauftragte verlangt, dann klappt es schon. Durchhalteparolen
und Hoffen auf die Wunderwaffen, wie gehabt!, und nehmt Bert Brecht
als Taschenkarte und nicht die mörderische Taschenkarte von
Minister a.D. Franz Josef Jung. Bert Brecht hat noch immer recht, er
schrieb 1938:
Wenn es zum Marschieren kommt, wissen viele nicht
Dass ihr Feind an ihrer Spitze marschiert.
Die Stimme, die sie kommandiert
Ist die Stimme ihres Feindes.
Der da vom Feind spricht
Ist selber der Feind
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