19.01.2011
Der Protest muss hörbar sein
Suzanne Ross über die
Solidaritätsbewegung mit Mumia Abu-Jamal
Die Psychologin Suzanne Ross ist im New Yorker
Free-Mumia-Abu-Jamal-Bündnis zuständig für internationale
Kontakte. Mit ihr sprach für »Neues Deutschland« Birgit Gärtner.
Protestaktion.
ND: Wie ist die Stimmung der Solidaritätsbewegung in den
USA?
Ross: Das Vorjahr begann mit einem Schock für uns. Im Jahre 2007
hatte sich das 3. Berufungsgericht in Philadelphia für die
Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Haft ohne Bewährung
ausgesprochen. Dieses Urteil wurde allerdings nie rechtskräftig, da
die Bezirksstaatsanwaltschaft Philadelphia Berufung beim Obersten
Gerichtshof der USA, dem Supreme Court, einlegte. Der verwies den
Fall Mitte Januar 2010 zurück an dieselbe Kammer in Philadelphia,
mit der Maßgabe, die Richter möchten ihre Entscheidung doch noch
mal überdenken – vor dem Hintergrund des Verfahrens gegen Frank
Spisak.
Worum geht es da?
Der offensichtlich geistig verwirrte Neonazi hat Anfang der
1980er Jahre in Cleveland, Ohio, drei Menschen getötet. Der Supreme
Court meinte nun, Ähnlichkeiten in den beiden Fällen entdeckt zu
haben, weil in beiden Verfahren die Jury falsch bzw. unzureichend
informiert wurde. Das sieht Mumias Anwältin Judith Ritter
allerdings völlig anders, was sie bei der Anhörung im November
2010 in Philadelphia auch sehr nachdrücklich klarstellte.
Unterdessen sind im Fall Spisak alle Rechtsmittel erschöpft, und
der Hinrichtungstermin wurde für Februar 2011 festgesetzt. Es ist
sonnenklar, dass der Supreme Court auf eine bestimmte psychologische
Wirkung abzielte: Mumia auf einer Stufe mit einem mordenden Neonazi.
Wie wurde diese Entscheidung in Philadelphia
aufgenommen?
In Philadelphia gab und gibt es eine massive Mobilisierung der
Fraternal Order of Police (FOP), einer höchst reaktionären
Polizeigilde, gegen Mumia. Außerdem gibt es dort einen schwarzen
Bürgermeister, einen schwarzen Bezirksstaatsanwalt und einen
schwarzen Filmemacher, die sich für die Hinrichtung stark machen.
Es waren also furchtbar schwere Geschütze, die aufgefahren wurden,
und gegen die anzukämpfen unsere Aufgabe war. Eine schier
unlösbare Aufgabe, wie es uns schien. 2 Suzanne Ross Foto: Birgit
Gärtner
Das klingt, als hätten Sie diesen Kampf trotzdem
gewonnen?
Gewonnen ist dieser Kampf noch lange nicht, zumal wir ja nicht
nur die Hinrichtung verhindern, sondern Mumias Freiheit erreichen
wollen. Aber die Gegenseite hat sich selbst so unmöglich gemacht,
und sich bei mehreren Gelegenheiten total blamiert, während unsere
Leute – z. B. Judith Ritter, die Anwältin, die Mumia bei der
Anhörung Anfang November 2010 in Philadelphia vertreten hat –
eine sehr gute Figur abgegeben haben. Uns ist es innerhalb dieses
Jahres durch viele verschiedenen Aktivitäten gelungen, die
Stimmung, die immer pro Hinrichtung war, etwas zu kippen. Selbst in
den Medien wird vielfach »nur« noch über lebenslange Haft
diskutiert. Das ist ein großer Erfolg und lässt hoffen, dass die
Richter bei ihrer Entscheidung von 2007 bleiben.
Was kann die Solidaritätsbewegung hierzulande konkret dazu
beitragen, dass 2011 ebenfalls ein erfolgreiches Jahr für Mumia
Abu-Jamal wird?
Wichtig ist, immer wieder über den Fall zu informieren, und der
Protest aus dem Ausland muss sicht- und hörbar sein. Damit die
Herrschenden merken, dass auch dort ein Augenmerk auf die Einhaltung
der Menschenrechte in den USA gelenkt wird.
Verschiedene Stadträte, die Bremische Bürgerschaft sowie das
Europaparlament haben Resolutionen zur Abschaffung der Todesstrafe
weltweit verabschiedet, in denen als Beispiel u. a. Mumia genannt
wird. Einige der Städte und auch einige EU-Abgeordnete haben die
zuständigen Stellen in Justiz und Politik in Philadelphia darüber
informiert. Wird dort überhaupt Notiz davon genommen?
Aber ja, das ist genau die Öffentlichkeit, die wir brauchen. Im
April 2006 wurde im französischen Saint Denis, einem Vorort von
Paris, eine Straße nach Mumia benannt. Ein kleines Gässchen im
Grunde genommen, das zum Nelson-Mandela-Stadion führt. Die FOP
drehte daraufhin völlig durch und gerierte sich, als seien die
Champs-Élysées umbenannt worden. Vier Parlamente, angefangen beim
Stadtparlament in Philadelphia bis hin zu beiden Häusern des
US-Kongresses, beschäftigten sich damit, und verabschiedeten
Resolutionen, in denen Saint Denis aufgefordert wurde, die
Umbenennung rückgängig zu machen. Was der Bürgermeister, ein
Sozialist, allerdings verweigerte. Daran lässt sich erkennen, dass
die Herrschenden in den USA durchaus druckempfindlich sind. Und
gerade in der jetzigen Phase sind solche Aktionen wichtiger denn je.
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